01.11.2023
Der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz markiert ein bahnbrechendes Kapitel in unserer Geschichte. Die Technologie hat das Potenzial, unsere Lebensqualität zu steigern und uns in vielerlei Hinsicht zu unterstützen. Sie kann aber auch neue Abhängigkeiten schaffen, wenn sie intransparent oder monopolistisch eingesetzt wird. Es liegt an uns, den richtigen Weg zu finden. Darüber sprechen msg-Vorstand Dr. Frank Schlottmann und Aleph Alpha-CEO Jonas Andrulis im Standpunkte-Interview.
Was bedeutet „Souveränität“ im Zusammenhang neuer technologischer Entwicklungen??
Frank Schlottmann: Souveränität bedeutet zunächst für alle Organisationen Handlungsfreiheit zu haben, entscheidungsfähig zu sein. Das funktioniert nur, wenn es Alternativen gibt, die man sowohl verstehen als auch bewerten kann. In Bezug auf Strategie ist Künstliche Intelligenz (KI) ein Werkzeug, das einem Unternehmen viele Freiheiten im Hinblick auf die Realisierung von neuen Geschäftsmodellen gibt. Beispielsweise sind neue Kooperationen mit Unternehmen möglich, die früher gar nicht am Markt waren. So kann sich ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen oder an den eigenen Prozessen arbeiten.
Jonas Andrulis: KI eröffnet uns nun aber noch ganz neue Dimensionen, zum Beispiel Datensouveränität. Ich möchte Herr meiner eigenen Daten sein. Ich möchte verhindern, dass ein anderer ohne meine Zustimmung Kenntnis über meine Daten erhält, aus meinen Daten Profit ziehen kann. Dann gibt es die operationelle Souveränität: Kann ich denn meine eigenen Wertschöpfungsprozesse noch betreiben? Viele sind in der Cloud und haben dadurch bereits einen Teil operationeller Souveränität verloren. Eine weitere Dimension nenne ich die algorithmische Souveränität. Ein System hat gewisse funktionale Abbildungen, doch wer kann entscheiden, wie diese ausgestaltet sind? Und zu guter Letzt gibt es noch die Souveränität in der Wertschöpfung. Wer kann denn diese Werte, die durch neue Technologie entstehen, kontrollieren? Wer kann sie vereinnahmen? Bin ich selbst in der Lage, die Wertschöpfung aus meinen Daten mit meinen Ideen für mich beanspruchen zu können?
Inwieweit ist Souveränität bereits in Unternehmen verankert?
Frank Schlottmann: Wir sehen in Unternehmen und auch öffentlichen Organisationen, dass ein Change-Prozess stattfindet. Das Thema Künstliche Intelligenz wird wichtiger aufgrund der Datenverfügbarkeit und der Möglichkeit, große Datenmengen zu verarbeiten. Inzwischen lassen sich große Organisationen wie Unternehmen professionell unterstützen und vertreten von vornherein eine gewisse Vorstellung. Wo in der Wertschöpfung möchten wir denn eingreifen mit den Systemen, die wir jetzt zur Verfügung haben? Da hat sich gerade in den letzten zwei Jahren sehr viel getan.
Mit Blick auf das Produkt Luminous: Wie differenziert es sich von bekannten offenen Systemen, wie Open AI? Wie stellt ihr sicher, dass die Ergebnisse richtig sind?
Jonas Andrulis: Häufig ist das Umfeld entscheidend, in dem wir uns bewegen. Der Finanzsektor zum Beispiel ist stark reguliert. Dort müssen wir die Ergebnisse auditierbar machen. Wir können uns nicht einfach auf Ergebnisse der KI berufen und keiner kann sie nachvollziehen. Selbst wenn die KI noch viel besser wird, kann die Verantwortung immer nur der Mensch übernehmen. Wir müssen also die Systeme so designen, dass wir den Menschen in die Lage versetzen, Verantwortung übernehmen zu können. Das ist ein anderes Design-Prinzip als etwa bei einem Chatbot.
Müsste vor dem Hintergrund der KI-Entwicklungen das Konzept einer digitalen Souveränität aktualisiert werden?
Frank Schlottmann: Vor zwei, drei Jahren gab es eine Welle zum Thema Digitale Souveränität. Undifferenziert betrachtet müsste man das damalige Konzept nicht erweitern, weil damals schon der Fokus auf der Frage lag: Wer beherrscht Technologie? Wie transparent ist für die Empfänger, was diese Technologie macht? Wer zieht den Nutzen daraus? Für uns ist wichtig, dass wir Unternehmen oder staatlichen Institutionen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, welche Art von generativer KI und dahinterstehenden Modellen eingesetzt werden soll. Insbesondere in dem Kontext ist es schön, wenn wir neben den verbreiteten Modellen aus den USA oder aus China auch europäische Modelle zur Verfügung haben. Aleph Alpha ist hier besonders spannend, weil es sogar eine deutsche Firma ist, die auf europäischen Daten solche Modelle entwickelt hat und zur Verfügung stellt. Das gibt in diesem Souveränitäts-Kontext eine wichtige Entscheidungsalternative.
Stichwort Regulierung und Förderung: Sind wir in Europa und Deutschland entsprechend aufgestellt, dass wir positiv in die Zukunft blicken können?
Frank Schlottmann: Es tut sich viel. Gerade in den letzten 12 bis 18 Monaten haben wir eine deutliche Veränderung gesehen. Wir sehen Innovationen in Bereichen wie Mikroelektronik oder Quantencomputing. Gerade aber beim Thema KI wäre noch Luft nach oben, da könnte man noch viel mehr machen.
Jonas Andrulis: Wir bei Aleph Alpha spielen um den Klassenerhalt. Nicht weil wir es uns nicht zutrauen oder weil wir nicht den Standort schätzen. Sondern weil jetzt dieses Thema, mit dem wir 2019 angefangen haben, auf den Listen der größten Firmen der Welt auf Platz eins steht. Sie sagen sinngemäß: Dieses Thema gilt es zu dominieren; Geld spielt keine Rolle. Auch wenn wir jetzt sicherlich noch mehr finanziert werden, mehr Partner finden, wird sich das in anderen Größenordnungen als in anderen Ländern abspielen. In den USA und in China investiert man strategisch. Hierzulande waren wir in der Vergangenheit und sind auch jetzt wieder langsamer. Das macht mir schon Sorgen.
Wie steht ihr denn zu den geplanten KI-Regulierungen?
Jonas Andrulis: Wir erleben zum ersten Mal, dass wir eine Basis-Technologie regulieren. Das ist ein Novum. Es ist fast so, als hätte man nach der Erfindung des Computers veranlasst, jeden Einsatz von Computern zu regulieren. Und dies machen wir aus einer Position heraus, in der wir nicht gerade führend sind. Deshalb glaube ich, dass wir uns keinen großen Gefallen tun. Wir sehen es aber durchaus als unsere Verantwortung, beizutragen und geben uns Mühe, Impulse zu setzen, damit der Schaden für unsere Technologie-Souveränität so klein wie möglich wird.
Frank Schlottmann: Die Politik und die Regulierenden stehen vor einer Riesenherausforderung. Wir müssen die Bedrohung durch KI insofern ernst nehmen, dass die Menschen tatsächlich Science-Fiction-Filme im Kopf haben. Auf der anderen Seite tun wir nicht gut daran, Technologie zu verbieten. Ich glaube, wir müssen Grenzen setzen, die auch einzuhalten sind. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass wir die Technologie nicht völlig einpferchen und die Tür für die vielen Vorteile für Gesellschaft und Unternehmen nicht zuschlagen. Das ist ein schwieriger Grat, der aber bereits gelungen ist. Zum Beispiel hat die Robotik in der Industrieproduktion einen Wettbewerbsvorteil gebracht. Dabei hat man sich frühzeitig mit der Technologie befasst. Das hat Menschen von völlig repetitiven Tätigkeiten, die im Übrigen auch noch ungesund sind, entlastet. Und wenn wir das mit KI schaffen, dann werden wir diese Art von industrieller Revolution jetzt auch an anderen Stellen – etwa bei der Wissensarbeit und bei ganz profanen Organisationsprozessen – einsetzen und damit wirklich Wert stiften können. Dafür brauchen wir einen Regulierungsrahmen, der die Freiheit lässt, das zu tun.
Was stimmt euch im internationalen Vergleich optimistisch, dass Deutschland und Europa doch eine maßgebliche Rolle in der Zukunft spielen werden?
Jonas Andrulis: In Heidelberg sind wir umgeben von vielen brillanten Hochschulen und ein paar der besten KI-Forschenden der Welt. Auch das ist typisch für Deutschland, für Europa. Wir haben brillante Forschung und haben in der Vergangenheit oft die Kommerzialisierung anderen überlassen. Dadurch, dass wir neue technischen Möglichkeiten schnell und mutig selbst nutzen, können wir Verantwortung übernehmen. Wenn wir andere machen lassen, weil wir Angst vor den Risiken haben, dann werden wir nicht gestalten können. Dann werden andere für uns entscheiden, wie die Technologie funktioniert.
Was muss sich auch im Bildungssystem ändern – angefangen in der Schule?
Frank Schlottmann: Differenzierung ist eine riesige Herausforderung. In der Praxis ist es schwierig für eine Klasse von zwischen 20 und 30 Schülerinnen und Schülern die unterschiedlichen Lernstände, die unterschiedlichen Vorgehensweisen der Menschen adäquat zu reflektieren. Hier kann KI einen großen Beitrag leisten, weil man mit KI bei geeignetem Einsatz die Menschen personalisiert lernen lassen kann. Man kann alltägliche Aufgaben automatisieren oder Aufgaben an den Lernfortschritt anpassen lassen. Umgekehrt werden so auch die Lehrkräfte entlastet. Gleichzeitig ermöglicht KI eine barrierefreie Bildung. Ich kann Sprache heutzutage mit KI unglaublich gut in Audio umwandeln. Es gibt also tolle Möglichkeiten, die uns Differenzierung und mehr Geschwindigkeit erlauben und das Bildungssystem nach meinem Dafürhalten sehr stark entlasten und auch anreichern.
Jonas Andrulis: Natürlich existiert auch im Bildungssystem ein Fachkräftemangel. Hier kann KI helfen, den monotonen Teil der Arbeit, bei dem es nicht die menschliche Inspiration oder die menschliche Verbindung braucht, übernehmen. Außerdem haben wir unterschiedliche Anforderungen an Geschwindigkeit, Vorwissen, aber auch Stil. Manche lernen eher bildhaft oder eher in der komplexen Sprache. Da haben wir den Riesenvorteil, dass die KI jetzt den Menschen versteht. Seit der Erfindung des Computers musste der Mensch lernen, die Sprache des Computers zu sprechen. Jetzt lernt der Computer, die Sprache der Menschen zu sprechen.
Wo geht die Reise hin?
Jonas Andrulis: Wenn man sich die Wertschöpfung der Menschheit für die letzten paar Jahre anschaut, dann sieht das zunächst nach einem linearen Wachstum aus. Zoomen wir ein bisschen hinaus und schauen uns die letzten 100 Jahre an, sehen wir, dass die Entwicklung nicht linear ist. Sie beschleunigt immer weiter. Es gab immer wieder einen Knick in der Funktion, etwa bei der industriellen Revolution, wo irgendetwas grundsätzlich Neues passiert ist, was es uns erlaubt hat, ein neues Level zu erreichen. So einen Knick haben wir jetzt wieder.
Frank Schlottmann: Ich denke, wir haben bereits in der Vergangenheit solche Innovationen erlebt. Die meisten Menschen haben heute ein Smartphone. Das hat in der Durchdringung wesentlich länger gedauert als das, was man in der Verbreitung von KI im täglichen Leben erwarten kann. KI wird ähnlich wie ein Smartphone unsere Art, Informationen aufzunehmen, erreichbar zu sein, zu arbeiten und auch Mehrwert zu stiften verändern. Für uns als Dienstleister und Lösungsanbieter ist das sehr schön, Teil dieses technologiegetriebenen Prozesses und dieses methodisch getriebenen Prozesses zu sein.
Sie möchten mehr zum Thema erfahren? In Folge 11 des msg-Podcasts „radikal digital“ diskutieren msg-Vorstand Dr. Frank Schlottmann und Aleph Alpha-CEO Jonas Andrulis, wie Assistenztechnologien das Potenzial haben, unsere Lebensqualität zu steigern und uns in vielerlei Hinsicht zu unterstützen. Auf der anderen Seite können sie aber auch neue Abhängigkeiten schaffen, wenn sie intransparent oder monopolistisch eingesetzt werden. Es liegt an uns, den richtigen Weg zu finden.
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