12.07.2021
Im Bereich „Consumer Products“ bei msg dreht sich alles um datengetriebene Lösungen für den Konsumgütermarkt. Data Governance ist dabei ein Kernthema. Dr. Christiana Klingenberg ist eine der Data-Governance-Expertinnen und berät und unterstützt Kundinnen und Kunden bei ihrer Data-Governance-Strategie. Gemeinsam mit Prof. Dr. Kristin Weber, Professorin für Informatik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, hat sie ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Im Standpunkte-Interview sprechen die beiden Autorinnen über die Bedeutung von Data Governance heute und morgen.
Frau Dr. Klingenberg, in Ihrer Tätigkeit bei msg beschäftigen Sie sich mit verschiedenen Themen rund um Datenmanagement. Was hat Sie dazu veranlasst, ausgerechnet über Data Governance ein Buch zu schreiben?
Christiana Klingenberg: Die Idee, ein Buch über Data Governance zu schreiben, kam bereits vor ein paar Jahren auf. Denn ich habe in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass zwar viel über Data Governance gesprochen wird, doch praxisbezogene Inhalte, die sich mit der konkreten Umsetzung beschäftigen, sind kaum zu finden. Das trifft insbesondere auf den deutschsprachigen Raum zu. Viele Informationen kommen aus den USA oder anderen angelsächsischen Ländern. Auch heute ist es noch so, dass regelmäßig englischsprachige Bücher über Data Governance erscheinen, während in deutscher Sprache weiterhin ein Mangel an entsprechender Fachliteratur herrscht. So entstand bei uns der Wunsch, das eigene Wissen und unsere Erfahrungen aufzuschreiben und zu teilen.
Wird Data Governance in Deutschland also noch zu stiefmütterlich behandelt?
Christiana Klingenberg: Das würde ich so nicht sagen, denn es hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Unternehmen haben sehr gut verstanden, dass es ohne Daten nicht mehr geht und es wird viel investiert, um dem Wirtschaftsgut „Daten“ einen Rahmen zu geben. Das ist dann Data Governance, auch wenn es nicht immer so genannt wird. Oft sind verschiedene Aktivitäten in einzelnen Projekten verankert. Es wurden neue Rollen mit den notwendigen Verantwortlichkeiten geschaffen. Somit wird auf Anforderungen an die Transparenz der Unternehmensdaten reagiert. Es gibt zudem einige rechtliche Vorgaben, die eine gewisse Data Governance notwendig machen. Beispiele sind die BCBS 239 im Bankenumfeld oder für alle, die mit personenbezogenen Daten arbeiten, die DSGVO.
Damit ist der Begriff Data Governance mittlerweile gut im deutschsprachigen Raum etabliert.
Frau Prof. Weber, warum ist Data Governance so von Bedeutung?
Kristin Weber: Die Bedeutung von Daten und Digitalisierung ist im Verlauf der letzten Jahre enorm gestiegen – und diese Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende. Je höher der Stellenwert von Daten in Unternehmen ist, umso wichtiger wird es, sich auch mit der Frage zu beschäftigen, wie sich Prozesse datengetrieben effizienter gestalten lassen. Dafür ist eine hohe Datenqualität entscheidend und die wiederum ist stark abhängig von Data Governance. Denn eine hohe Datenqualität ist erst gewährleistet, wenn im Unternehmen ein Rahmen für den Umgang mit Daten existiert – also interne Regelungen, Verantwortlichkeiten und auch Möglichkeiten zur Messung. Data Governance ist Voraussetzung für erfolgreiches Datenmanagement.
Wen betrifft Data Governance?
Christiana Klingenberg: Data Governance betrifft prinzipiell jedes Unternehmen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß bzw. unterschiedlicher Ausprägung. So brauchen kleine Unternehmen mit wenigen Kunden, Produkten und Mitarbeitenden keine große Organisationsstruktur mit einem Chief Data Officer. Dennoch müssen auch sie die Verantwortlichkeiten im Umgang mit Daten regeln. In international agierenden, großen Unternehmen kann Data Governance länderspezifische Ausprägungen haben. Zum einen gibt es nationale Vorgaben, die beachtet werden müssen. Zum anderen sind eventuell die Niederlassungen von unterschiedlicher Größe und haben verschiedene Anforderungen und Bedürfnisse. Bei der Umsetzung von Data Governance kommt es also immer auf die Umsetzung der individuellen Ziele des Unternehmens an. Und dann betrifft es auf die eine oder andere Weise jeden Mitarbeitenden.
Kristin Weber: Grundsätzlich kommt keine Organisation, die ihre Daten effizient und gewinnbringend nutzen möchte, um Data Governance herum. Data Governance beantwortet eine Vielzahl von Fragestellungen rund um das Thema Datenmanagement. Das beginnt mit strategischen Fragen: Welche Daten wollen oder müssen wir behandeln? Inwieweit tragen die Daten zum Unternehmenserfolg bei? Und wie wird dieser Erfolg gemessen?
Was sind die großen Herausforderungen und Stolpersteine bei Data Governance?
Christiana Klingenberg: Häufig sehen sich nur einzelne Fachbereiche oder die IT-Abteilung in der Verantwortung. Data Governance ist aber eine Thematik, die unternehmensweit wichtig ist und verstanden werden muss. Zudem ist die Unterstützung vom Top-Management unerlässlich. Bei einer reinen Bottom-up-Initiative quälen sich die Mitarbeitenden und verlieren schnell die Motivation. Zum Beispiel können Änderungen in Datenproduktionsprozessen nur dann effektiv umgesetzt werden, wenn alle Abteilungen und Mitarbeitenden, die an diesen Prozessen beteiligt sind, auch mitmachen. Spätestens dann ist eine höher gestellte Koordination wichtig. Und diese gibt es nur, wenn die Führungskräfte hinter der Data-Governance-Initiative stehen. Ist das nicht der Fall, sehen die Mitarbeitenden zwar den Optimierungsbedarf, die Möglichkeiten und Umsetzungswege, können diese aber nicht einfach umsetzen. Das ist für sie frustrierend. Zudem ist es immer noch sehr schwierig, einen Business Case für Data Governance zu definieren. Dadurch fehlt die Argumentation mit harten Zahlen, wie wichtig Data Governance mittel- bis langfristig für den Geschäftserfolg ist.
Kristin Weber: Wer Data Governance umsetzen will, braucht einen langen Atem. Gerade in großen Unternehmen mit einer Vielzahl an datennutzenden Applikationen, dauert es mehrere Jahre, bis Data Governance umfassend umgesetzt ist. Das sollte aber niemanden davon abhalten, die Reise überhaupt zu starten. Für den Anfang ist es wichtig, einzelne Projekte der Fachbereiche zu unterstützen, die schnell einen gut sichtbaren Erfolg der ersten Data-Governance-Initiativen liefern – die sogenannten Quick Wins. Im Buch beschreiben wir, wie Unternehmen mit einfachen Methoden starten können. Dann ist es wichtig, auf den ersten Erfolgen aufzubauen, dranzubleiben und immer wieder Werbung in eigener Sache im Unternehmen zu machen.
Was ist für den Erfolg einer Data-Governance-Strategie entscheidend?
Christiana Klingenberg: Wie schon erwähnt, muss Data Governance vom gesamten Unternehmen getragen sowie vom Top-Management unterstützt werden. Teamgeist und Kommunikation zwischen den Einheiten spielen eine ebenso entscheidende Rolle, wie eine gute Vorstellung von der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und der Unternehmensdaten zu haben. Wichtig ist außerdem: Data Governance ist weder ein Selbstläufer noch ein in sich geschlossenes Projekt, sondern Teil einer Unternehmenskultur. Dieses Verständnis muss vorhanden sein, ansonsten ist eine Data-Governance-Strategie zum Scheitern verurteilt.
Kristin Weber: Wir haben festgestellt, dass die Umsetzung von Data-Governance-Projekten häufig besonders gut funktioniert, wenn sie in Verbindung mit anderen strategischen oder fachlichen Projekten stehen. Beispielsweise war in der Vergangenheit das Thema DSGVO ein passender Treiber: Im Zuge der Umsetzung der DSGVO im Unternehmen waren verschiedene Adaptionen im Datenmanagement notwendig – dabei vervollständigten Unternehmen nach und nach wie „nebenbei“ auch ihre Data-Governance-Strategie. Wichtig ist bei diesem Vorgehen allerdings, dass von Anfang an eine klare Vorstellung über die Zielsetzung besteht.
Wie kann msg Unternehmen bei der Einführung einer Data-Governance-Strategie unterstützen?
Christiana Klingenberg: Zunächst ist es immer wichtig, die Zielsetzung des Unternehmens genau zu verstehen. Denn nur dann können wir eine passgenaue Unterstützung anbieten. Dabei können wir auf strategischer Ebene bei der Ableitung und Formulierung einer Datenstrategie helfen. Zudem unterstützen wir beim Aufbau einer Datenmanagement-Organisation, indem wir zum Beispiel bei der Definition und Besetzung von Rollen beraten. Auch wenn es um die Implementierung von Datenmanagement Systemen oder Datenmigrationen geht, sind wir gut aufgestellt. Dabei gilt: Es gibt keine Blaupause, die sich auf alle Unternehmen anwenden lässt. Das macht auch die Projekte immer so spannend. Wir schauen gemeinsam mit den Unternehmen, wo der größte Handlungsbedarf ist, und überlegen auch gemeinsam, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Unsere Erfahrung hilft abzuschätzen, was funktionieren könnte und was nicht. Der große Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass wir von Beginn an partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit unseren Kunden zusammenarbeiten und gerne unser Know-how weitergeben.
Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wo geht die Reise hin und welche Trends zeichnen sich heute schon ab?
Kristin Weber: Es zeigt sich, dass Data Governance auch bei unternehmensexternen Daten eine immer größere Rolle spielt – zum Beispiel im Supply Chain Management. Der Begriff „Ecosystem Data Governance“ steht heute schon für erste Ansätze, eine kollaborative Umgebung zu schaffen und den Datenaustausch zwischen Unternehmen zu vereinfachen. Folglich wird künftig noch ein weiteres Schlagwort an Bedeutung gewinnen: die Datensouveränität.
Christiana Klingenberg: Außerdem fallen in Zusammenhang mit Data Governance zwei weitere Begriffe immer häufiger: Data Mesh und Storytelling. Data Mesh beschreibt einen organisatorischen und technischen Rahmen zum Handling von Datenprodukten, die von Datenproduzenten aus einer Vielzahl von Quellen, wie zum Beispiel Data Lakes, bereitgestellt werden. Diese Daten können dann für bestimmte Analysen, auch in Echt-Zeit, genutzt werden. Dabei wird ihnen ein Product Owner zugewiesen, der für „sein/ihr“ Datenpaket im Data Mesh die Verantwortung übernimmt. Damit sind wir wieder beim Thema Data Governance. Beim Storytelling geht es dagegen darum, Daten zu verstehen und deren Informationen auf spannende Art und Weise in den richtigen Kontext zu bringen. Denn nur wer dies beherrscht, kann Daten auch gewinnbringend einsetzen.