04.03.2021
Ein sich konstant veränderndes Marktumfeld, Covid-19 und Co.: Die Unternehmen der Fertigungsindustrie sehen sich einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber. Dr. Stephan Melzer und Stefan Klinge aus dem Bereich Automotive der msg-Gruppe sprechen im Standpunkte-Interview über Kollaboration, technische Trends und warum Unternehmen nicht immer dem nächsten Hype hinterherlaufen sollten.
Herr Melzer, Herr Klinge, welchen besonderen Herausforderungen muss sich die Fertigungsindustrie denn im laufenden Jahr stellen?
Stephan Melzer: Die Herausforderungen sind vielfältig und überlagern sich leider aktuell. Dazu gehört zuvorderst die Covid-19-Situation mit ihren wirtschaftlichen Auswirkungen. Aber auch das internationale Geschäft, das unter anderem durch den Brexit und die Handelsanspannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten geprägt ist, stellt Unternehmen vor große Aufgaben.
Stefan Klinge: Daneben ist es natürlich auch die Welle der Digitalisierung, die die Fertigungsindustrie weiterhin treiben und fordern wird. Insbesondere mittelgroße Unternehmen stellt sie vor schwierige Aufgaben. Es gilt mehr denn je, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein. Und wer in der Praxis Lösungen zu ebendieser Ambidextrie sucht, ist bei msg an der richtigen Adresse.
Weil Sie diesen Drahtseilakt beherrschen?
Stephan Melzer: Eine One-Fits-All-Lösung gibt es natürlich nicht. Aber wir bieten rund um den Digitalen Zwilling und die Dekarbonisierung genau diese differenzierten Beratungen, Lösungen und Services an. Denn ein Unternehmen muss immer alle vier Dimensionen im Auge behalten: Mensch, Organisation, Technik sowie Geschäftszweck. Hierbei dürfen sie nicht vergessen, dass diese alle voneinander abhängig sind. Wer aber nur in eine Richtung losläuft, macht aus meiner Sicht einen Fehler. Es ist die größte Gefahr von Fehlinvestitionen.
links: Dr. Stephan Melzer,Geschäftsbereichsleiter Automotive / rechts: Stefan Klinge, Bereichsleiter Automotive
Lassen Sie uns über Produktentwicklung sprechen. Worin liegen hier die Schwierigkeiten?
Stefan Klinge: Wenn wir über Produktentwicklung sprechen, dann ist ein zentrales Thema die Kollaboration und somit die Aufgabe, geistiges Eigentum zu schützen. Es braucht also gute Lösungen für Datensouveränität und IT-Sicherheit.
Stephan Melzer: Gewichtig ist zudem der Aspekt, dass sich die Vorgehensweise von Ingenieurinnen und Ingenieuren wandelt und diese sich künftig breiter aufstellen müssen. Ein Beispiel aus dem Bereich nutzerzentrierte Gestaltung: Man kann sich im Designprozess viele Gedanken machen, dann kommen aber Anwenderinnen und Anwender und benutzen das Produkt völlig anders. Kurz gesagt gilt also auch für Engineering-Prozesse das Prinzip Design follows user. Entscheidend ist, sich intensiv mit dem Kunden und seinen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Das muss nicht zwangsweise im Vorfeld passieren, sondern kann auch ein Lernprozess sein, der aus der Nutzung heraus entsteht. Kurz und bündig: vom Anwenderverhalten lernen.
Welche technischen Trends für Unternehmen zeichnen sich aus Ihrer Sicht ab?
Stefan Klinge: Wenn wir tatsächlich auf die Technik allein schauen, dann sind es vor allen Dingen drei Aspekte: Erstens die Prozessautomatisierung durch Künstliche Intelligenz (KI) oder Robotic Process Automation (RPA) – also allgemein eine Verschlankung. Corona zeigt uns hier sehr deutlich, was im Falle des Falles möglich ist. Zweitens der Digitale Zwilling, beziehungsweise in einem ersten Schritt ein „Digitaler Schatten“ (Prozessdaten, die Maschinen während ihres Betriebs erzeugen), der dann wiederum die Eingangsgröße für die Prozessautomatisierung ist. Daneben spielen künftig Datensouveränität und das Beherrschen von Datensicherheit eine zentrale Rolle. Sie helfen dabei, datengetriebene Schnittstellen zu Unternehmen innerhalb der Lieferkette zu etablieren. Wer diese Trends schließlich umgesetzt hat, der kann sich mit der Frage der Dekarbonisierung auseinandersetzen.
Was genau heißt das für die Produktentwicklung?
Stephan Melzer: Zunächst einmal, dass es weiterhin einer konsequenten Digitalisierung der Prozesse bedarf. Wer im Bereich Forschung und Entwicklung etwa frühzeitig visualisiert (3D, Augmented Reality und Virtual Reality), vermeidet Nacharbeit und reduziert somit Kosten. Es geht also in erster Linie gar nicht darum, dem nächsten Hype hinterherzulaufen, sondern vielmehr die bereits bekannten Vorgehensweisen und Techniken richtig einzusetzen respektive weiter auszuprägen.
Sie haben das Thema Digital Twin bereits angeschnitten. Was bedeuten derlei Trends (Technologien) – etwa auch Big Data – für Ingenieurinnen und Ingenieure?
Stefan Klinge: Der digitale Zwilling des Produkts und der Produktion ist das Fundament für viele Aspekte der Digitalisierung. Wer Daten aus der Produktionsmaschine nicht adäquat aufbereiten kann, der kann in der Folge auch keine KI einsetzen. Und wer glaubt, dass künstliche neuronale Netze aus Daten einfach Intelligenz zaubern können, liegt falsch. Ein Kleinkind, das vor Google sitzt, wird gewiss auch keine neuen astronomischen Theorien entdecken.
Stephan Melzer: Mit der Industrie 4.0 (I4.0) und dem Internet of Things (IoT) schwellen die Digitalen Schatten schnell zu großen Datenmengen an. Das ist aber noch nicht Big Data. Big Data wird tatsächlich erst dann interessant, wenn ich unstrukturierte Daten unterschiedlicher Domänen miteinander in Verbindung setze. Die herstellende B2B-Industrie steht hier vor dem Problem, dass sie kaum an die Nutzungsdaten kommt – da die B2C-Unternehmen diese nicht aus der Hand geben. Daher bleiben meist nur die Daten der eigenen Lieferkette (Währungen, Produktionsdaten, etc.) zur Verknüpfung. Der Kern der Datennutzung liegt also im Digitalen Zwilling – der den Aufbau von strukturierten Daten erlaubt – sowie im datensouveränen Austausch: Stichwort GAIA-X. Übergeordnetes Ziel der Autobranche ist es etwa, Wertschöpfungsketten umfassend miteinander zu vernetzen.
Wo drückt in den Automotive-Unternehmen noch der Schuh im Engineering-Umfeld?
Stephan Melzer: Wie bereits angeklungen, ist ein bedeutsames Thema für die Firmen natürlich die Reduktion des CO2-Ausstoßes. Hier müssen allerdings immer diverse Bereiche mitbedacht werden – von den Lieferketten über die Nutzung bestimmter Energieträger bis hin zum Materialeinsatz bei der Produktion und zur Logistik. Viele Branchen und Services innerhalb dieser Wirkketten haben wir als msg-Gruppe in unserem Bestandsgeschäft. Es gibt daher neben uns nicht viele IT-Dienstleister, die hier vergleichbar umfassend beraten können. Wir haben das Wissen zur Dekarbonisierung in unseren msg-Gruppenunternehmen m3 management consulting (Utilities), msg industry advisors (Supply Chain, Chemicals) und der msg systems (Logistics, Food, Automotive) so gebündelt, dass wir unseren Kunden an allen Stellen helfen können.