Mit Harald Joos, Abteilungsleiter VI „Informationstechnik“ im Bundesministerium der Finanzen und IT-Beauftragter der Bundesfinanzverwaltung (CIO BFV), spricht Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung msg Public Sector.
Zuerst erschienen in der public Ausgabe 01-2022
von Jürgen Fritsche
msg: Lieber Harald, vielen Dank, dass du Zeit findest für das Interview heute. Wir duzen uns ja sonst; ist es okay für dich, wenn wir das auch im Interview machen?
Harald Joos: Sehr gerne.
msg: Quo vadis, Digitalisierung? Das ist unser Thema. Wohin führt die Digitalisierung den Staat eigentlich, oder führt der Staat die Digitalisierung? Steuert der Staat die Entwicklung in die richtige Richtung, oder wird er gesteuert – ist er reaktiv und muss folgen? Was meinst du?
Joos: Ich denke, es ist von beidem etwas. Zum einen kommen die Innovationen aus der Wirtschaft. Das heißt, wir werden zu einem großen Teil gesteuert, weil die Erwartungen unserer Bürgerinnen und Bürger und unserer Mitarbeitenden einfach sehr hoch sind. Wir müssen diese Erwartungen erfüllen. Es gibt täglich neue Lösungen, und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen. Zum anderen müssen wir klären, welche Lösungen wir nutzen wollen, und wie wir es dann schnellstmöglich schaffen, diese Lösungen auch nutzbar zu machen.
msg: Im Koalitionsvertrag steht, was vorangebracht werden soll. „Deutschland wird nur auf der Höhe der Zeit agieren können, wenn wir den Staat selbst modernisieren.“ „Wir wollen staatliches Handeln schneller und effektiver machen und besser auf künftige Krisen vorbereiten.“ Wir haben ja aktuell wiederum eine. „Wir bringen eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung voran, und es geht darum, das Leben für die Bürgerinnen und Bürger leichter zu machen. Wir werden die öffentliche Infrastruktur, Räume, Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung, Umsetzung deutlich beschleunigen. Und auch die Wirtschaft soll in der Verwaltung einen Verbündeten haben.“ Ehrlich gesagt, als ich das gelesen habe, hatte ich das Gefühl, das hat man jetzt auch schon ein paarmal gehört. Spürst du eine andere Qualität und vielleicht auch einen anderen Anspruch auf Quantität in der Bundesverwaltung?
Joos: Ja, ich habe bei der neuen Regierung einen deutlich anderen Anspruch wahrgenommen. Bei uns im Bundesministerium der Finanzen gilt jetzt der Grundsatz „alles digital“, Top-down bis Bottom-up. Die Herausforderung ist: Wie wollen wir digital arbeiten, welches ist das Gerät, was ist die Technologie, die es uns ermöglicht so zu arbeiten, wie die Anwenderinnen und Anwender es möchten? Womit können wir am schnellsten, am effektivsten und am effizientesten arbeiten? Kein Hexenwerk, aber es muss erst einmal gemacht werden. Insofern glaube ich auch anhand dieses kleinen Beispiels, dass der Anspruch der Regierung ein anderer geworden ist. Der Koalitionsvertrag spricht von der Vorbereitung auf Krisen. Jetzt haben wir den fürchterlichen Krieg in der Ukraine. Dass die nächste Krise so schnell da ist, hätte ich nicht gedacht und wahrlich nicht gehofft. Nach dieser Krise werden weitere Krisen kommen. Wir müssen krisenresilienter werden. Wir können mit den Lösungen, die wir haben, nicht schnell genug auf die Herausforderungen reagieren. Also brauchen wir andere Lösungen.
Harald Joos ist seit Februar 2021 Abteilungsleiter „Informationstechnik“ im Bundesministerium der Finanzen (BMF) und IT-Beauftragter der Bundesfinanzverwaltung (CIO BFV).Der Diplom-Verwaltungswirt ist 1986 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eingestiegen. Ab 2011 war er Abteilungsleiter „Organisation und IT-Services“ bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), ab 2020 auch Chief Information Officer (CIO). Zwischen 2013 und 2017 hat er das Projekt „Einführung gemeinsames Programmsystem“ in der Deutschen Rentenversicherung Bundgeleitet, eins aus einer ganzen Reihe von IT-Großprojekten, für die er in seiner Rolle verantwortlich gewesen ist. Im Bundesministerium der Finanzen gehört unter anderem die IT-Konsolidierung Bund zu seinem Aufgabengebiet, die es gemeinsam mit dem Innenministerium voranzubringen gilt – wobei das BMF die Umsetzung einer einheitlichen digitalen Infrastruktur in der Bundesverwaltung verantwortet, das BMI die Vereinheitlichung der Software.
msg: Wer hat unter der neuen Bundesregierung den Hut auf für die Digitalisierung der Bundesverwaltung?
Joos: Es gibt nach wie vor den CIO des Bundes, der die Impulse setzen kann und auch setzt. Impulse werden auch aus anderen Ressorts gesetzt. Mit dem Ministerium für Digitales und Verkehr gibt es ein weiteres gewichtiges Ministerium bei der Digitalisierung. Die Impulse und Vorhaben müssen aufgegriffen und zusammengeführt werden, um auch zu pragmatisch umsetzbaren Lösungen zu kommen. Wir produzieren viele Konzepte in Deutschland und setzen von diesen Konzepten zu wenig um. Ein bisschen weniger Konzepte und ein bisschen mehr Umsetzung wäre, glaube ich, nicht schlecht. Die Krisen warten nicht auf uns, und wir brauchen jetzt einen Plan. Deswegen müssen wir schauen, welche unsere besonders wichtigen Vorhaben sind, die wir maximal beschleunigen wollen, weil sie uns helfen, uns für die Zukunft besser aufzustellen. Um exemplarisch zwei Vorhaben zu nennen: Wir benötigen dringend eine digitale Identität, und ich glaube, wir benötigen dringend hochleistungsfähige Plattformen. Zwei Grundvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um dann die Digitalisierungsvorhaben der einzelnen Ressorts, aber auch von Bund und Ländern, also nicht nur im Bund, sondern auch in Ländern und Kommunen schneller voranbringen zu können. Das kann nicht alles zentral gesteuert und umgesetzt werden. Das muss erst einmal jedes Haus alleine vorbereiten. Allerdings können sich die Personen mehr vernetzen, sich besser verstehen. Es muss Vertrauen herrschen, und wir müssen mehr Transparenz schaffen.
"Die Krisen warten nicht auf uns. "
von Harald Joos
msg: Kommen wir zu den Schwerpunkten. Du hast schon zwei genannt: die digitale Identität und die Plattformen. Ich nenne noch ein paar Stichworte, die teils zusammenhängen: Digitale Souveränität, Cloud für die Verwaltung, Cyber-Sicherheit, Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, CO2-Reduktion, New Work. Gibt es neben Plattformen und Identität unter den von mir genannten oder auch noch ganz andere wichtige Themen?
Joos: Du hattest vorhin beim Koalitionsvertrag angefangen, in dem mit einer gewissen Flughöhe vieles angesprochen wird. Ich bin schon relativ weit nach unten gegangen, indem ich zwei konkrete Vorhaben, Projekte, genannt habe, die umgesetzt werden müssen. Ich versuche einmal, die Ebene dazwischen zu füllen, um deine Frage aufzugreifen.
Hinsichtlich der Cloud für die Verwaltung haben wir unter anderem fünf Ziele definiert. Das erste Ziel ist, wir brauchen schneller Lösungen für unsere Bürger, Bürgerinnen und Mitarbeitenden in der Verwaltung. Wir müssen schneller werden. Das funktioniert nicht. Wir schaffen es nicht schnell genug, Lösungen bereitzustellen. Das zweite Ziel ist: Klimaneutrale Rechenzentren bis 2027. Klimaneutralität ist eine zentrale Herausforderung. Wenn wir nicht ganz anders daran herangehen als bisher, dann ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Das dritte Ziel, welches uns sehr am Herzen liegt, ist: Wir wollen den Mittelstand stärken, und wir wollen auch mehr deutsche Firmen teilhaben lassen an der Digitalisierung der Verwaltung. Das ist uns ein sehr wichtiges Anliegen. Das vierte Ziel, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist digitale Teilhabe. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die Marathon läuft; aber sie hat nicht die notwendige technische Unterstützung am Arbeitsplatz, um alle Arbeiten erledigen zu können. Sie würde es gern, kann es aber nicht allein, weil sie ein stark eingeschränktes Sehvermögen hat. Die Kollegin hat mir gesagt, sie möchte mehr machen, sie braucht mehr Tätigkeiten, mit denen sie ihren Kopf mehr beschäftigen kann. Wir müssen Lösungen anbieten, dass diese Kolleginnen und Kollegen auch alleine arbeiten können. Dafür brauchen wir innovative Lösungen.
Je digitaler wir werden, desto brennender wird das Thema Teilhabe. Das fünfte Ziel ist natürlich, das machen wir aber heute schon, Anwendungen, die wir neu entwickeln, auf Grundlage von Open-Source-Software zu entwickeln. Open-Source-Software läuft auf allen Plattformen. Sie läuft auf einer Plattform der Firma Microsoft, Microsoft Azure, sie läuft auf einer Google Cloud ebenso wie auf einer AWS Cloud. Sie läuft auch auf einer nationalen Cloud und natürlich auch in den Rechenzentren der IT-Dienstleister. Diese Ziele verfolgen wir und richten uns an diesen aus. An ihnen kannst du alles ausrichten, was du tust. Aber du musst Prioritäten setzen. Wir können nicht alles umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht: Welche Schwerpunkte sollen gesetzt werden, wofür werden die Ressourcen aufgewendet, finanzielle und personelle Ressourcen. Aber dann bitte auch mit einem ganz klaren Umsetzungsplan, der nicht nur vorsieht: „Dann habe ich ein Konzept fertig“, sondern der auch etwas festlegt. Dann steht die Lösung und die Lösung wird auch tatsächlich genutzt. Also Ende-zu-Ende, inklusive Rollout.
"Wir können nicht alles umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht."
von Harald Joos
msg: Beim Schnellerwerden seid ihr ja schon ganz gut dabei, wenn es um die Cloud geht, würde ich behaupten. Da sind Fakten geschaffen worden. Was ist der Status und was sind die Überlegungen dahinter?
Joos: Ich fange einmal etwas früher an: Vor zehn Jahren war völlig klar, dass die Amerikaner unsere Partner sind. Also haben wir auf amerikanische Produkte gesetzt. Dann kamen die Cloud-Lösungen der Amerikaner verbunden mit der Ansage, wir bekommen zukünftig Lösungen überhaupt nicht mehr on-premise, sondern wir müssen die aus der Cloud nutzen. Da haben sich die Fronten 2018, 2019 ziemlich verhärtet. Und wir haben gesagt, dann machen wir eben etwas alleine. 2020, 2021 haben sich die Firmen wieder bewegt: Das heißt, Microsoft hat eine nationale Cloud angeboten, sozusagen eine On-Premise-Cloud für Deutschland, für die sichergestellt ist, dass die Daten Deutschland nicht verlassen, deren Peripherie wir kontrollieren können und bei der Microsoft nur noch Technologielieferant ist und sich ansonsten komplett zurückzieht, um dem CLOUD Act gerecht zu werden. Die große Frage war dann, wer diese Infrastruktur aufbaut, denn Microsoft kann nicht der Betreiber sein. Wie groß muss eine Infrastruktur sein, um erst einmal zu prüfen, ob es auch wirklich funktioniert? Wir haben als Bund immer gesagt, dass wir nicht für einen Cloud-Anbieter den Aufbau einer solchen Infrastruktur bezahlen können. Für wie viele Anbieter sollen wir das noch machen? Wir können allerdings auch keinen kleinen Proof-of-Concept mit einer klein dimensionierten Infrastruktur machen. Die Infrastruktur muss eine bestimmte Größe haben, sodass da ein erheblicher Invest nötig gewesen wäre.
Wir hatten im letzten Jahr also einen kleinen Catch-22. Ein Ansatz, diese Zwickmühle aufzulösen, ist jetzt das Angebot der Firmen SAP und Arvato Systems Bertelsmann, uns für die öffentliche Verwaltung so eine Infrastruktur, so eine Cloud bereitzustellen und das mit uns zusammen umzusetzen, um zu garantieren, dass unsere Anforderungen an einen sicheren Cloud-Betrieb, keine Daten gehen heraus etc., erfüllt werden. Die Firmen wollen uns die Infrastruktur im Jahr 2024 zur Verfügung stellen. Das bedeutet, man kann jetzt überlegen, was man auf dieser Infrastruktur nutzen würde, wenn diese unsere Anforderungen erfüllt und im Jahr 2024 in Betrieb geht. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir uns überhaupt nicht mehr um Alternativlösungen kümmern. Es gibt ausreichend Angebote, um neben den Lösungen der Hyperscaler auch Lösungen aus Europa zu nutzen, ein Open Office anzubieten, so wie es Dataport mit Phoenix macht. Aus meiner Sicht wird aber nicht der gesamte Markt nur ein Open Office nehmen. Sondern es wird weiterhin einen Markt für Microsoft 365 geben, und es gibt letztlich einen Markt für viele Lösungen. Wer welche Lösungen nimmt, wird von vielen Faktoren abhängen: Wie groß die Organisationen sind, die damit arbeiten, was deren Strategie ist, wie verflochten die Anwendungen sind und wie schnell man aus der Legacy IT rauskommt. Das wird ein langer Prozess sein. Aber es hat sich schon ziemlich viel getan. Wir stehen jetzt an dem Punkt, zu sagen: Lasst uns die Cloud so schnell wie möglich nutzen.
Abbildung 1: Harald Joos
"Lasst uns die Cloud so schnell wie möglich nutzen."
von Harald Joos
msg: Jetzt ziehe ich den Rahmen einmal größer. Du hast gesagt, das Feld, der Markt muss für die Anbieter groß genug sein. Wir sprechen dann möglicherweise ja auch nicht nur von der Bundesverwaltung, sondern auch von anderen, die teilnehmen können, aus Ländern und aus staatsnahen Unternehmen und vielleicht von noch weiteren Kreisen. Wie ist der Stand der Überlegungen?
Joos: Der Stand ist: Diese Infrastruktur rechnet sich nur, wenn die gesamte Verwaltung in Deutschland sie nutzt, also Bund, Länder, Kommunen. Das ist Stufe eins. Stufe zwei wäre – aber dazu gibt es noch keine konkreten Überlegungen, weil die Plattform erst einmal da sein muss und man dann erst sehen wird, ob sie einen Markt hat –, auch die Lösungen, die unter „kritisch“ fallen, auf diese Plattform umziehen zu lassen. Es gibt ja durchaus große Betreiber, die mit ihren Lösungen komplett in die Public Clouds gegangen sind. Diese würden ein Mehr an Sicherheit bekommen, wenn sie mit ihren Lösungen in eine souveräne Cloud umziehen, also in eine nationale Cloud, die wir mehr unter Kontrolle haben als die Public Cloud. Das könnte ein interessantes Angebot beispielsweise für den Bankensektor sein. Wir haben alle gerade gesehen, welche Bedeutung etwa die Zahlungssysteme haben. Aber die Cloud könnte auch interessant sein für den Personennahverkehr, die Nahrungsmittelversorgung und generell Logistikunternehmen. Von denen sind ziemlich viele abhängig von Cloud-Infrastrukturen. Ich glaube, mit einer hochleistungsfähigen Cloud – und die Cloud-Lösungen der Hyperscaler werden hier nicht die einzigen Lösungen sein – könnten wir ein neues Level der Vertraulichkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit erreichen. Wir erhalten wieder die Datensouveränität und stellen uns auch etwas resilienter für zukünftige Krisen auf, die definitiv auf uns zukommen werden.
Abbildung 2: Harald Joos
"Diese Infrastruktur rechnet sich nur, wenn die gesamte Verwaltung in Deutschland sie nutzt."
von Harald Joos
msg: Ich sehe das Ganze auch aus der Perspektive von Industrieunternehmen. Sie haben ihre Daten und Anwendungen teilweise in die Cloud verlagert. Das ist auf jeden Fall weit günstiger und sie machen sich frei von administrativen Aufgaben, die daran hängen. Deswegen passiert es einfach. Das ist die Macht des Faktischen.
Joos: Das ist zum einen die Macht des Faktischen, weil ansonsten die Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Zum anderen aber müssen auch Unternehmen schauen, dass sie sich nicht komplett abhängig machen. Wir müssen vielleicht in der nächsten Zeit enger mit den amerikanischen Anbietern zusammenarbeiten, um schneller voranzukommen. Gleichzeitig gilt es, eine europäische Lösung aufzubauen. Das wird kurzfristig nicht möglich sein, mittelfristig durchaus. Wir brauchen eine europäische Lösung, um das Maß an Souveränität zu erhöhen, aber auch, um Wettbewerb und Wechselmöglichkeiten zu haben. Aber es ist nicht gut, wenn man sich einer einzigen Lösung anvertraut. Eine Dual-Vendor- Strategie oder Multi-Vendor-Strategie ist in der Regel besser. Unabdingbar für mich ist: Wir brauchen auch eine eigene Lösung. Die Betonung liegt für Deutschland auf „EINE eigene Lösung für die Verwaltung“ und nicht hunderte.
msg: Da gab es doch noch Gaia-X. Ist das nicht ein Hoffnungsträger, wenn es darum geht, einen Hyperscaler europäischer Größenordnung zu erschaffen?
Joos: Ja und nein. Gaia-X hat eine Vielzahl von Dokumenten und Konzepten erarbeitet, die, glaube ich, wichtig sind, wenn man solch souveräne Cloud-Lösungen aufbauen möchte. Insofern hat das Projekt wichtige Pionierarbeit geleistet. Wir wollen natürlich auch die Cloud-Infrastrukturen miteinander verbinden. Was Gaia-X bisher nicht geschafft hat, ist, Entsprechendes anzubieten. „Wir schaffen einen europäischen Hyperscaler“ steht nicht auf der Agenda von Gaia-X. Der „europäische KI-Airbus“ hat noch kein Unternehmen Airbus. Deswegen würde ich nicht alles auf die Karte Gaia-X setzen, sondern wir berücksichtigen die Gaia-X-Prinzipien. Wenn wir einen nationalen Hyperscaler bauen und dann versuchen, dieses Konzept in Europa weiterzuverbreiten und das alles über Gaia-X zu verbinden, dann hätten wir ein ziemlich hochleistungsfähiges System in Europa.
msg: Vielleicht haben SAP und Arvato ja genau diesen Plan, diese Leistungen dann auch nicht nur der Verwaltung, sondern auch der Wirtschaft anzubieten.
Joos: Wir müssen nur einmal über die westliche Grenze schauen. Frankreich macht genau das Gleiche. Ich vermute mal, in Frankreich haben sie den Plan, diese Lösung auch anderen anzubieten. Wir streben natürlich an, in einen Gleichklang mit Frankreich zu kommen, sodass die Lösungen nicht auseinanderlaufen. Das scheint über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gut sichergestellt zu sein. Das BSI spielt eine zentrale Rolle. In Deutschland sind wir hinsichtlich Informationssicherheit und Sicherheitskonzepten weit vorne.
msg: Du hast das Prinzip einer Dual-Vendor-Strategie angesprochen. Eigentlich müsste man auch davon ein Stück weit unabhängiger werden. Natürlich kann man selber Lösungen bauen. Oder man schaut geopolitisch auf die andere Seite der Erdkugel, was da angeboten wird, nach Asien bzw. nach China. Da gibt es auch entsprechende Anbieter. Ist das überhaupt ein Szenario, das man aus dem Blickwinkel der digitalen Souveränität denken darf?
Joos: Im Augenblick sollte man es noch nicht offensiv denken. Aber wir müssen es mitdenken. SAP bietet seine Cloud-Lösung nur noch an aus seinem eigenen Rechenzentrum oder auf den Plattformen der Hyperscaler, also Microsoft, Amazon, Google und Alibaba. Das sind die vier Plattformen. Also sollten wir uns zu gegebener Zeit auch Alibaba ansehen, auch wenn Alibaba im Augenblick bei uns in Deutschland nicht in Betracht kommen würde. Wir müssen dann prüfen, ob Alibaba unsere Anforderungen an die Souveränität erfüllen kann, erfüllen will. Die Schweiz hat ja auch eine Cloud-Ausschreibung gemacht. Da ist Alibaba, meine ich, mit zum Zuge gekommen. In Europa haben sie also mit ihren Cloud-Lösungen schon Fuß gefasst. Wichtig ist: Um Souveränität zu erreichen, brauche ich Wettbewerb, um Wettbewerb zu haben, brauche ich mehrere hochleistungsfähige Plattformen.
Nur dann bin ich in der Lage, eine Anwendung auf der Plattform A, B oder C zu betreiben und mir eine auszusuchen. Und nur dann kann ich innerhalb einer bestimmten Zeit mit überschaubarem Aufwand, also nicht in einem Zehnjahresprojekt, mit einer Anwendung von einer Plattform auf eine andere wechseln. Dazu, denke ich, brauchen wir mindestens zwei amerikanische Anbieter. Es können auch gerne drei sein. Insofern sind für mich gedanklich immer dabei Microsoft, Amazon und Google. Und es muss mindestens einen vierten, europäischen Player geben. Weil es den noch nicht gibt, schaffen wir den in Deutschland, das wäre ein Plan. Das wäre dann der vierte große Cloud-Player. Wenn wir sagen, Lösungen sollen immer auf mindestens zwei Plattformen laufen, dann meine ich, immer auf einer amerikanischen und der nationalen. Die nationale Plattform wäre für mich gesetzt. Wo ich die Anwendung außerdem betreibe, kann ich nach Wettbewerbs- oder Kostengesichtspunkten entscheiden. Aber ich hätte ein Backup, wenn eine Plattform wirklich einmal komplett down ist. Ich könnte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums meine Anwendung auf einer anderen Plattform wieder zum Laufen bringen. Das ist das Ziel. Das werden wir nur schaffen, wenn wir unsere Nachfrage von Bund, Ländern und Kommunen mit ihren vielen Rechenzentren in einem nationalen Rechenzentrum bündeln. Dies ist dann immer noch wesentlich kleiner als die Entitäten der amerikanischen Hyperscaler, aber es ist zumindest schon einmal sichtbar und kann wachsen.
"Um Souveränität zu erreichen, brauche ich Wettbewerb."
von Harald Joos
msg: Hast du eine Vorstellung, über welche Zeiträume wir da reden?
Joos: Die Ansage von SAP und Arvato, ihre Infrastruktur wäre 2024 betriebsbereit, hat eine gewisse Katalysatorfunktion. Sie zwingt die öffentliche Verwaltung dazu, sich jetzt Gedanken zu machen. Wichtig ist, dass wir eine Geschichte erzählen, die von allen verstanden wird. Dieses Thema kann nur gemeinsam aufgelöst werden. Die größte Herausforderung ist nicht die Technik, sondern die Organisation. Die Idee, die es gibt, um alle mit einzubeziehen, wäre, dass die Genossenschaft govdigital als Betreiber fungieren könnte. Das wäre dann schon einmal die Hülle, und man braucht dann noch einen tatsächlichen Betreiber, der das auch alles übernimmt, der das ganze Partnersystem verwaltet. Ohne Partner aus der Privatwirtschaft – und das werden nach meiner Einschätzung mehrere sein müssen – wird das nicht funktionieren. Das sollen vorrangig deutsche, europäische Firmen sein, die zum Zuge kommen.
"Die größte Herausforderung ist nicht die Technik, sondern die Organisation."
von Harald Joos
msg: Man wird ja wahrscheinlich Teile von Herstellern, die schon etwas haben, nehmen und darauf aufbauen. Und wenn man eine eigene Cloud herstellen möchte, muss man tatsächlich Hand anlegen und Source Code für die Bundesverwaltung erzeugen.
Joos: Es gibt natürlich die Anwendungsebene, wo programmiert werden muss. Die lasse ich einmal außen vor. Aber um diese ganze Cloud-Infrastruktur hochzuziehen, also über Infrastructure- as-a-Service hinaus die nächsten Architektur-Layer, bedarf es noch einiger weiterer Lösungen. Die muss man nicht unbedingt selbst bauen. Aber welche Lösungen vom Markt man wählt, um sie dann auf dieser Plattform zum Laufen zu bringen, wird eine Herausforderung und eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir müssen dahin kommen, zu sagen, wir nutzen jetzt das Einmal-für-alle-Prinzip und die entsprechenden Lösungen gibt es eben nur einmal auf dieser Cloud. Der Anwendungsbetrieb bleibt wie bisher bei IT-Dienstleistern. Ob und welche Aufgaben gegebenenfalls auch zum Betrieb dieser Cloud-Infrastruktur, des gesamten Ökosystems von IT-Dienstleistern erbracht werden können, wäre zu prüfen. Eine zu beantwortende Frage wird sein, ob wir über genügend eigenes Personal verfügen.
msg: Kommen wir noch einmal auf deinen Wirkungsbereich hier im BMF. Woran willst du dich messen lassen im Jahr X? Die Zahl kannst du einsetzen.
Joos: Wir haben eine Strategie für die IT-Abteilung entwickelt und Handlungsfelder definiert. An dieser Strategie lasse ich mich messen. In dieser Strategie steht als erstes Thema natürlich die Cloud. Das zweite Thema ist, dass wir agiler arbeiten, flexibler arbeiten werden. Wir zwei haben schon einmal für euer Magazin miteinander gesprochen, als ich noch bei der Deutschen Rentenversicherung war.1 Dort habe ich ein Innovation Lab aufgebaut, über das wir damals gesprochen haben. Das ist uns hier im BMF in meinen ersten sechs Amtsmonaten ebenfalls gelungen. Wir haben einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Wir haben es geschafft, im Bundesministerium der Finanzen mit dem Innovation Lab einiges in Bewegung zu setzen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die es nutzen wollen, es gibt eine enorme Nachfrage. Wir haben tolle Prototypen entwickelt, die jetzt in Produktion gehen sollen. Ich glaube, das Mindset der Menschen zu verändern, hier eben wirklich anders zusammenzuarbeiten, das ist eine der wichtigen Herausforderungen. Das probiere ich vorzuleben und das probiere ich zu erreichen. Das ist ein langer Weg. Das wird man nicht an einzelnen Personen festmachen können, sondern es ist ein Zusammenwirken von vielen. Ich habe hier viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter, das funktioniert gut.
Im Projektmanagement müssen wir weg von dem Vorgehen nach dem V-Modell. Die komplexen Anforderungen aus der Finanzverwaltung in einem Pflichtenheft festzuhalten, dauert schon länger als ein Jahr. Es einem Lösungsanbieter zu übergeben und dann zu hoffen, dass der nach zwei Jahren mit einem fertigen Produkt kommt, das alle meine Anforderungen erfüllt – damit fallen wir leider inzwischen zu häufig auf die Nase. Also wollen wir die agile Softwareentwicklung in den Vordergrund stellen. Und wenn jemand davon abweichen möchte – und es gibt in einzelnen Fällen durchaus gute Gründe, warum man etwas weiterhin nach dem V-Modell XT machen kann und sollte –, dann muss das explizit begründet werden. Dazu brauchen wir eine ganz andere Form des Projekt-Controllings. Das möchte ich hier im Bundesministerium der Finanzen aufbauen. Wir wollen rechtzeitig erkennen, welche Projekte in Schieflage sind, obwohl sie nach wie vor eine grüne Ampel melden, weil die Ampel so lange grün ist, bis es nicht mehr weitergeht. Dann springt die Ampel innerhalb einer logischen Sekunde von Grün auf Rot um. Diese Zustände wollen wir vermeiden. Da haben wir auch schon Ideen. Das wird eine der wichtigen Herausforderungen sein, die Fachseite zu ertüchtigen, vermehrt agil zu arbeiten. Das heißt, auch die Fachreferate brauchen die Qualifikationen und das Mindset dazu.
Eine weitere Herausforderung ist Konsens, die IT der Steuerverwaltung. Elster finde ich eine klasse Lösung. Damit ist man wirklich weit gekommen. Aber das, was die Kundinnen und Kunden haben möchten, unsere Bürgerinnen und Bürger, ist eben ein bisschen was anderes, ein bisschen intuitiver bedienbar, noch einfacher. Die „Drei-Klick-Steuererklärung“ oder eben einfachere Steuererklärung für die Bürger steht ja auch auf der Agenda der neuen Bundesregierung. Ich bin der Meinung, man wird das nur hinbekommen, wenn man diese Lösungen auf neuen Plattformen entwickelt. Wir brauchen auch für die Steuer starke, souveräne Plattformen in Deutschland, wo man schneller vorankommen kann. Die Steuerverwaltung, die Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern geben ihr Möglichstes, aber man hat kaum Zeit, die laufenden Anforderungen umzusetzen.
Dann haben wir natürlich das ganze Thema: Was machen wir mit unseren Daten? Wir haben unheimlich viele Daten. Wie können wir die besser auswerten, um die Aufgaben zu erledigen, die wir dringend erledigen müssen? Künstliche Intelligenz kann dabei helfen. Damit beschäftigen sich gerade sehr, sehr viele und alle wieder auf unterschiedlichen Plattformen. Das heißt, bevor wir angefangen haben, laufen wir schon wieder auseinander. Auch hier gilt es, standardisierte hochleistungsfähige Plattformen zu schaffen, die von allen schnell genutzt werden können. Also keine lange Beauftragung. Dabei setze ich stark auf standardisierte Lösungen, die es schon am Markt gibt. Die Informationssicherheit kannst du auch auf großen Plattformen gewährleisten. Verschlüsselung wird unheimlich wichtig werden, und auch ein Identitätsmanagement müssen wir über alle Plattformen hinweg gewährleisten. Was natürlich ebenfalls im täglichen Fokus bei uns steht, ist die Betriebskonsolidierung Bund. Damit habe ich jeden Tag zu tun. Das haben die Kolleginnen und Kollegen bei mir super aufgestellt. Aber auch da werden wir umdenken müssen, welche Änderungen sich ergeben, wenn es zukünftig hochleistungsfähige Cloud-Strukturen gibt, die ebenfalls genutzt werden können. Das haben wir im Blick. Damit beschäftigen wir uns. Das heißt, solche Projekte müssen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, ihr Vorgehen anpassen. Das sind einige der Themen. Wir haben insgesamt zehn Handlungsfelder in meiner Abteilung definiert. Für diese Handlungsfelder gibt es Key Performance Indicators, und daran lasse ich mich persönlich messen.
Abbildung 3: Harald Joos und Jürgen Fritsche
msg: Wie entscheidest du, was zuerst angegangen wird?
Joos: Meistens ist es so, dass das Schließen der ersten Baustelle ja auch eine Voraussetzung dafür ist, dass du mit der zweiten überhaupt strukturiert anfangen kannst. Zu häufig ist alles wichtig, und wenn du mit zu vielen Dingen zur selben Zeit anfängst, ist der Erfolg am Ende häufig relativ gering. Unabhängig davon muss laufend neu priorisiert werden.
msg: Und wenn du zu viele Sachen liegen lässt, holt dich das auch ein. Die Arbeit wird also nicht ausgehen. Wir können noch einmal auf das Thema Innovation kommen, das du vorhin angesprochen hast. Du hast schon gesagt, es habe einen Ansturm auf das neue Labor gegeben und du hättest auch eine gewisse Wirkung erzeugt. Wer kommt denn in das Innovationslabor und mit welchen Zielen?
Joos: Wir haben Anfragen aus dem gesamten Bundesministerium der Finanzen über alle Abteilungen hinweg, weil die Kolleginnen und Kollegen sehen: Räume verändern das Denken. Wir arbeiten nach der Design-Thinking-Methode. Das heißt also, wir öffnen Lösungsräume. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen damit auf Lösungen, von denen sie hinterher sagen, sie wären sonst nie daraufgekommen. Das Innovation Lab ist ein Katalysator. Wir sind damit inzwischen auch über das Bundesministerium der Finanzen hinaus sichtbar geworden, hinein in die Bundesfinanzverwaltung. Mit einem Fellow von Tech4Germany wollen wir unterstützen, den InnoLab-Gedanken in die Generalzolldirektion zu exportieren: Schlagwort „InnoLab out of the Box“. Wir stellen die Werkzeuge, damit die Leute dort das selbst umsetzen können, einen Methodenkoffer, den wir allen zur Verfügung stellen. Das Paket haben wir auch dem ITZBund zur Verfügung gestellt. Das Personal zusammenbringen, die Kultur ändern, die Leute mitnehmen, das müssen die Menschen dann vor Ort machen. Wir tun das hier im Bundesministerium der Finanzen, und das geht erstaunlich gut.
msg: Und du hast die Leute im Innovationslabor natürlich in 3D. Das ist auch wieder ganz wichtig, glaube ich, um aus diesen zwei Jahren, die uns allen in den Knochen stecken, wieder einigermaßen herauszukommen.
Joos: Ja, die sind natürlich alle neugierig darauf, wie die Räume aussehen. Sie sehen anders aus. Du hast keine „normalen“ Stühle. Du sitzt auf einem Hocker. Alles ist höhenverstellbar. Du kannst alles hin und her schieben. Du hast auch ein digitales Whiteboard. Du kannst Videokonferenzen damit machen. Wir bewegen uns durch den Raum, weil du nur sitzend nicht richtig denken kannst. Alles ist zur Nutzung freigegeben, und du löst die Hierarchien auf. Wenn du einen klassischen Besprechungstisch hast, an dem der Chef oder die Chefin eine Position hat, traut sich keiner aufzustehen, um einmal schnell den Stift in die Hand zu nehmen. Aber hier, wenn alle schon stehen und wenn der Chef oder die Chefin sich auch einmal zurücknimmt, dann entsteht ein Freiraum, in dem die Leute mit ihren Ideen herauskommen können. Dieses Denken müssen wir hereinbringen.
msg: Das ist das neue Zusammenarbeiten, das eine andere Qualität hat. Das möchtest du fördern.
Joos: Ja, wenn die Leute wieder ins Haus kommen. Ein paar Tage wären schon gut. Wir brauchen zukünftig mehr agile Coaches, also keine klassischen IT-Leute. Die IT-Leute sind dabei, aber die Digitalisierung kommt von den Fachabteilungen. Wir haben richtig gute Leute in den Fachabteilungen, die das treiben. Als IT-Abteilung stellen wir Leute, die in der Lage sind, aus den Ideen schnell ein MVP [Anm. d. Red.: Minimum Viable Product (minimal funktionsfähiges Produkt)] zu machen, das man also nicht nur grafisch sieht, sondern wirklich auch als klickbare Version ausprobieren kann. Das kommt richtig gut an. Unser erstes MVP war die digitale Spenden-App. Wenn du als Bürgerin oder Bürger diese Spenden-App hast, dann hörst du gar nicht mehr auf zu spenden. Das ist kein Witz. Wenn du eine App hast und du entscheidest, da spende ich, fließt deine Spendenquittung direkt in deine Steuererklärung ein. Du musst nicht warten, bis du im nächsten Jahr Post bekommst. Bisher gibt es einen klickbaren Dummy, die Umsetzung folgt. Das fehlt im Augenblick: Alle müssen sehen, dass die Produkte in Produktion gehen. Du brauchst nicht nur einen Raum, wo du tolle Ideen generierst, sondern du brauchst eigentlich auch eine Fertigungsstraße hinten dran. Die Ideen sind schon im Überfluss da, aber manche verpuffen. Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir diese auch gut umsetzen können.
msg: Zwei Schlussfragen habe ich noch. Nach zwei Jahren Corona sind wir inzwischen gewohnt, in der 2D-Welt zu arbeiten und uns zu bewegen. Glaubst du, es ist gut, wenn wir das weiter so machen, oder werden wir zu der alten Arbeitsweise zurückkehren? Gibt es irgendetwas dazwischen? Was ist deine Prognose, oder was möchtest du?
Joos: Es geht darum, die Aufgaben bestmöglich erfüllen zu können, und das ist zu koppeln mit einer maximalen Zufriedenheit unserer Beschäftigten. Wenn man eine Tätigkeit hat, die man genauso gut zu Hause erledigen kann wie im Büro, warum muss man die Leute dann zwingen, im Büro zu arbeiten? Aber alle nur noch zu Hause ist auch nicht gut. Ich glaube, dass es für den sozialen Zusammenhalt, auch um schneller voranzukommen, Ideen zu generieren, unheimlich wichtig ist, dass man auch physisch zusammenarbeitet. Also: keine Schwarz-Weiß-Lösung, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir haben das Arbeiten unter Pandemiebedingungen in der öffentlichen Verwaltung – zumindest kann ich das für das Bundesministerium der Finanzen und die Deutsche Rentenversicherung sagen – gut hinbekommen. Alle Mitarbeitenden haben die technischen Möglichkeiten, um von zu Hause zu arbeiten. Das funktioniert im Krisenfall. Allerdings haben wir dann durchaus mit Netzstrukturen und mit Anwendungen zu kämpfen, die zum Teil nicht so richtig digitaltauglich sind. In einer Krisensituation kann ich das gut überbrücken. Da bin ich froh, wenn ich überhaupt arbeiten kann. Aber in einer Normalsituation erwarte ich eigentlich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter – auch ich selber –, dass ich schnell und ohne zeitliche Verzögerung arbeiten kann. Auch das wird noch eine Herausforderung sein, dass die Mitarbeitenden jetzt aber auch Video in einer guten Qualität nutzen und mit mehr geeigneten Werkzeugen und Lösungen digital zusammenarbeiten wollen. Wenn wir Lösungen dafür nicht bereitstellen, könnte es eine Unzufriedenheit der Mitarbeitenden geben. Dann wird die Produktivität auch nach unten gehen oder die Firmenbindung geht zurück. Wir werden für eine längere Zeit noch beide Welten brauchen.
Wir wären im Augenblick kurzfristig nicht in der Lage, hinsichtlich Infrastruktur, Rahmenbedingungen, Informationssicherheit und allem, was dazu gehört, ein wirklich komfortables komplett digitales Arbeiten von zu Hause mit einer gleichen Produktivität zu ermöglichen, insbesondere dann, wenn eine hohe Interaktivität zwischen den Mitarbeitenden erforderlich ist. Auch hier wird man anhand der Aufgaben differenzieren müssen.
msg: Meine letzte Frage: Hast du noch eine positive und nach vorn gerichtete Botschaft für unsere Leser?
Joos: Ich zitiere einfach das Motto unseres Innovation Labs: „Zusammen. Einfach. Machen.“ Wenn wir das beherzigen, dann werden wir viele Erfolge gemeinsam erzielen.
msg: Vielen Dank, lieber Harald!
Joos: Ich danke dir, lieber Jürgen.
1 https://www.msg.group/public-magazin-beitrag/raeume-um-das-denken-zu-veraendern (abgerufen am 17.03.2022).