Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2020
von Bernd Gerbaulet, Anja Haag, Manuela Scholten und Alexander Zajelski
Bericht von der Konferenz „Zukunft Personalentwicklung“ im Corona-September 2020
Braucht die öffentliche Verwaltung neue Führungsinstrumente? Diese Frage diskutieren rund siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz „Zukunft Personalentwicklung“ am 9. September 2020 unter Moderation eines Beraterteams der msg. Für das zweitägige Konferenzprogramm mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops trafen sich Personalentwickler und Führungskräfte von Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen in einem Konferenzhotel – für viele Beteiligte die erste Live-Veranstaltung seit mehreren Monaten. Das Einhalten der Abstandsregeln, regelmäßiges Lüften und das konsequente Tragen von Alltagsmasken gewährleistete eine sichere Durchführung der Veranstaltung und gleichzeitig einen sehr kreativen Gedankenaustausch.
Veränderte Arbeitsweisen, neue Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Einschränkungen durch Corona stellen Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung nicht nur vor neue Herausforderungen, sie erfordern auch neue Methoden und Werkzeuge zur Personalführung.
Verwaltungshandeln basiert zu einem wesentlichen Teil auf Bewertung von Sachverhalten und Entscheidungen durch Menschen. Nur so können die Anforderungen an Rechtmäßigkeit von Verwaltungsprozessen sichergestellt werden. Da die Beschäftigten eine Schlüsselrolle in jedem Verwaltungsprozess einnehmen, ist die Fähigkeit zur Menschenführung eine zentrale Kompetenz zur Aufgabenerfüllung in der öffentlichen Verwaltung.
Durch Veränderungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfelds unterliegen die Anforderungen an Führungsfähigkeiten einem steten Wandel. Werner Achtert, Mitglied der Geschäftsführung Public Sector bei msg, erläuterte in einem Impulsvortrag die wesentlichen Herausforderungen für Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung.
Aufgaben verändern sich
Neben Routineaufgaben müssen Beschäftigte in der Verwaltung zunehmend dispositiv-kreative Aufgaben erfüllen sowie Projekte und Veränderungsprozesse steuern. Teamstrukturen treten an die Stelle von Hierarchien und verändern sich abhängig von der Aufgabenstellung. So können Beschäftigte gleichzeitig Teil mehrerer Teams sein, in denen sie unterschiedliche Rollen einnehmen. Nicht nur IT-Projekte erfordern crossfunktionale Teams mit unterschiedlichen Skills.
Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ändert sich
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten in einer modernen Arbeitsumgebung einen kooperativen Führungsstil, bei dem der oder die Einzelne in Entscheidungen eingebunden ist und Verantwortung übernehmen kann. Und sie erwarten von Führungskräften Unterstützung bei der persönlichen Weiterentwicklung. Die fachliche Steuerung der Aufgabenerledigung in Projekten erfordert hierarchiefreie Führung ohne Weisungsbefugnis.
Digitalisierung ändert den Arbeitsalltag
Die Digitalisierung verändert alle Arbeitsabläufe in der Verwaltung sowie die Kommunikation und Kollaboration. Telearbeit, über mehrere Standorte verteilte Teams und nicht zuletzt die veränderten Arbeitsbedingungen durch Corona erfordern die Fähigkeit zum Führen auf Distanz unter Einsatz digitaler Kommunikationsmittel. Die Verwendung elektronischer Akten und Vorgangsbearbeitungssysteme führt zu veränderten Arbeitsabläufen.
In der VUKA-Welt (siehe Info-Box) gibt es keine festen Regeln, keine Gewissheiten und klar erkennbare Zusammenhänge mehr: Alles ist möglich! Diese Herausforderungen werden in der Wirtschaft unter dem Begriff „Arbeiten 4.0“ zusammengefasst. In Anlehnung an die sogenannte vierte industrielle Revolution werden damit Veränderungen von Arbeitsformen (zum Beispiel Telearbeit, hybride Arbeitsformen, selbstorganisierte Teams) und Arbeitsverhältnissen (zum Beispiel Crowd Working) adressiert. Für die öffentliche Verwaltung bedeutet das:
- Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung müssen für die veränderten Aufgabenstellungen und Erwartungen der zu führenden Mitarbeitenden geeignete Führungsinstrumente anwenden können.
- Führung ist nicht mehr ausschließlich an hierarchische Positionen gebunden. Im Team und in Projektsituationen sollte jeder Beschäftigte Führungsaufgaben übernehmen können.
- Entwicklung und Befähigung der Beschäftigten gewinnen an Bedeutung.
Nach einem Impulsvortrag diskutierten die Teilnehmer in zwei Gruppen den Einsatz von Führungsinstrumenten zur fachlichen Führung (also zum Erreichen inhaltlicher Arbeitsergebnisse) und Mitarbeiterführung (bezogen auf die Entwicklung der Menschen und der Organisation). Ausgangspunkt der Diskussion waren die klassischen Führungsinstrumente nach dem Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung (REFA)1 und die Frage, ob diese Sichtweise auf Personalführung vor dem Hintergrund der dargestellten Herausforderungen noch zeitgemäß ist.
VUKA-WELT
Volatilität bezeichnet das Ausmaß von Schwankungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Kennzahlen verändern sich schnell und sind nicht vorhersagbar.
Unsicherheit resultiert aus abnehmender Berechenbarkeit von Entwicklungen und Ereignissen. Prognosen werden immer unsicherer.
Komplexität bezeichnet das Verhalten eines Systems, in dem viele Komponenten interagieren und dessen Systemverhalten als Ganzes nur begrenzt vorhersagbar ist.
Ambiguität bedeutet Mehrdeutigkeit von Informationen, Situationen und Ereignissen.
Abbildung 1: Führungskräfte nach REFA
Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmer herrschte schnell Einigkeit, dass die an einem hierarchischen Führungsbild ausgerichteten Instrumente für eine moderne Arbeitswelt zwar weiterhin gültig sind, die Methoden zu deren Umsetzung aber weiterentwickelt werden müssen. Als Grundlage waren sie aufgefordert, über die Zielsetzung von Führung zu reflektieren anhand der Frage: „Was ist Ihrer Meinung nach Sinn und Zweck von fachlicher Führung beziehungsweise von Mitarbeiterführung?“ Wesentliche Ergebnisse der Diskussion wurden mit einem interaktiven Online-Beteiligungswerkzeug in einer Wortwolke zusammengefasst. Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass Wertschätzung eine zentrale Bedeutung für eine zeitgemäße Menschführung hat. Ein großer Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigte sich überzeugt, dass bei allen Führungsinstrumenten der wertschätzende Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Voraussetzung für das Erreichen der fachlichen Ziele ist. Im nächsten Teil des Workshops stand die Frage „Welche neuen Methoden zur Führung halten Sie in der öffentlichen Verwaltung für geeignet?“ im Fokus.
Abbildung 2: Was ist Ihrer Meinung nach Sinn und Zweck von fachlicher Führung bzw. Mitarbeiterführung
Abbildung 3: "Welche neuen Methoden zur Führung halten Sie in der öffentlichen Verwaltung für geeignet?"
Auffällig häufig wurden im Verlauf der Diskussion Elemente aus dem agilen Projektmanagement angesprochen – wie beispielsweise daily standup meetings, timeboxing, Retrospektiven und Selbstorganisation. Dennoch war die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Meinung, dass agile Organisationsstrukturen in der öffentlichen Verwaltung (noch) nicht durchgängig akzeptiert und nicht in allen Verwaltungsbereichen gleichermaßen wirksam eingesetzt werden können. Als wichtigste Handlungsbedarfe identifizierten sie die Partizipation der Beschäftigten und die Befähigung zur Eigenverantwortung. Ebenfalls wurde diskutiert, wie sich das Führungsverhalten und die Mitarbeiterführung in der Corona-Krise verändert haben. Die größte Veränderung sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Arbeit im Homeoffice und dem damit verbundenen Führen auf Distanz (vgl. Abbildung 4). Für die Beschäftigten stehen dagegen praktische Probleme, wie Kinderbetreuung, technische Ausstattung im Homeoffice und der Verlust der persönlichen Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen, im Vordergrund. Viele Führungskräfte stehen hingegen vor der Herausforderung, dass bisherige Kontrollmechanismen im Alltag nicht mehr angewendet werden können.
Abbildung 4: "Wie hat sich die Mitarbeiterführung in Ihrer Organisation durch Corona verändert?"
Die aktuelle Arbeitssituation erfordert eine neue Vertrauenskultur in Bezug auf Arbeitszeiten, Erreichbarkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Aufgabenerledigung. Der Umgang mit technischen Werkzeugen wie Videokonferenzen war für die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Führungskräfte gerade in der ersten Phase der Corona-Krise eine Herausforderung. Mittlerweile sind die meisten technischen Probleme, wie zum Beispiel mangelnde Bandbreite in vielen Behörden, gelöst, und die Beteiligten haben sich an die Kollaboration auf Distanz gewöhnt. Darüber, dass die Veränderungen der letzten Monate einen nachhaltigen Wandel in der Arbeitswelt der öffentlichen Verwaltung bewirkt haben, waren sich die Diskutierenden weitgehend einig. Mobiles Arbeiten, Vertrauenskultur und Führen auf Distanz haben sich in vielen Fällen bewährt und werden auch nach der Corona-Krise erhalten bleiben. In der Abschlussdiskussion wurden die wesentlichen Ergebnisse wie folgt zusammengefasst:
- Wir brauchen die klassischen Führungsinstrumente weiterhin, aber moderne Methoden zu deren Umsetzung.
- Wir müssen den Zweck der Führungsinstrumente reflektieren und vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen neu festlegen.
- Bei allen Überlegungen zur Führung muss der Mensch im Mittelpunkt stehen.
- Allein die Erfüllung materieller Bedürfnisse reicht den meisten Beschäftigten heute nicht mehr aus. Wertschätzung, Vertrauen und Handlungsspielräume gewinnen immer mehr an Bedeutung.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/REFA (abgerufen am 02.11.2020).
Umsetzung von Hygieneregeln im Konzernalltag
Das örtliche Gesundheitsamt hatte aus hygienischen Gründen die Verwendung der üblichen Moderationskarten untersagt. In den Workshops mussten wir daher das klassische Brainstorming – also Karten schreiben, ans Board pinnen, clustern usw. – mithilfe eines digitalen Whiteboards durchführen. Hierbei konnten sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem virtuellen Whiteboard anmelden und gemeinsame virtuelle Moderationskarten bearbeiten. Solche Werkzeuge, die eigentlich für die Arbeit in Onlinemeetings gedacht sind, ermöglichten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, in einem Raum kreativ zusammenzuarbeiten, ohne Gegenstände gemeinsam berühren zu müssen. Zur Erhebung von Stimmungsbildern und Meinungen konnten wir ebenfalls keine Moderationskarten oder Klebepunkte verwenden. Stattdessen hatten wir die Möglichkeit, mit einer App zur interaktiven Beteiligung Fragen an eine Workshopgruppe oder das ganze Plenum zu stellen und die Antworten in Echtzeit auszuwerten. Auf diese Weise entstanden die im Artikel abgebildeten Wortwolken. Hier zeigte sich als wesentliche Stärke solcher Werkzeuge die praktisch unbegrenzte Skalierbarkeit, die leichte Bedienbarkeit und die schnelle Verfügbarkeit von Ergebnissen.