Benjamin Brake, Abteilungsleiter für Digital- und Datenpolitik im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), im Gespräch mit Werner Achtert, Geschäftsleitung Public Sector, über die Digitalstrategie der Bundesregierung
Zuerst erschienen in der Online-Ausgabe des public magazins am 08.12.2022
msg: Das Bundeskabinett hat Ende August die vom BMDV vorgelegte Digitalstrategie verabschiedet. Die Digitalstrategie adressiert die drei Handlungsfelder Gesellschaft, Wirtschaft sowie Staat und Verwaltung. Welches sind jeweils die zentralen Ziele?
Benjamin Brake: Im Bereich der Gesellschaft geht es vor allem darum, dass mehr Daten zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres sehr wichtiges Projekt ist die elektronische Patientenakte. Ich glaube, das könnte durchaus ein Game-Changer für das Gesundheitssystem sein, weil dabei viele Personen deutliche Vorteile haben werden. Spürbare Vorteile sind bei der Digitalisierung Voraussetzung für eine breite Akzeptanz. Die muss uns gelingen. Auch beim Thema digitale Identitäten. Dieses zentrale Projekt der Digitalstrategie gehört zum Handlungsfeld Staat, ist aber genauso für Wirtschaft und Gesellschaft von großer Relevanz.
Deshalb haben wir die digitalen Identitäten vor die Klammer gezogen, zusammen mit anderen Projekten, die uns strukturell voranbringen. Das ist zum einen: mehr Daten und Breitbandausbau. Wir wollen mehr Daten zur Verfügung stellen für Innovationen in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat. Und dafür ist mehr Breitband die Grundlage. Nur mit schnellem Internet kann all das, was wir uns von der Digitalisierung erhoffen, auch vonstattengehen – ohne lange Latenzzeiten.
Zweitens: offene Standards und Normen. Das ist eine eher technisch klingende Komponente, aber eine ganz wichtige Basis. Wir wollen, dass die Systeme, die wir einführen, ganz konkret Datenlabore und Datenplattformen, miteinander kommunizieren können. Dafür brauchen wir Standards, die leicht zugänglich und adaptierbar sind. Die dritte Säule sind die bereits angesprochenen digitalen Identitäten: Wir wollen ein Kernsystem aufsetzen, in dem wir uns digital gegenüber Behörden ausweisen. Es soll aber noch viel mehr können: nämlich mit vielen Anwendungsfällen unseren Alltag erleichtern und dadurch die Akzeptanz für die Digitalisierung insgesamt erhöhen.
msg: Sie meinen, die Verwaltungsdigitalisierung ist am Ende gar nicht so wichtig?
Brake: Doch, die digitale Verwaltung ist eine wichtige Grundlage. Aber für den Bürger kommt der Mehrwert einer digitalen Identität erst dann zum Tragen, wenn er sie über Online-Behördengänge hinaus nutzen kann. Dafür brauchen wir ein Ökosystem, das alle Handlungsfelder und vor allem auch die Wirtschaft integriert. Mit dem Kernsystem der digitalen Identitäten sollen auch Unternehmen ihre Angebote online sicher zugänglich machen. Mein Ziel ist, dass wir am Ende der Legislaturperiode zehn solcher privaten Dienstleistungen haben, bei denen ich mich mit einer staatlichen Identität ausweisen kann – alternativ zu der Möglichkeit, mich mit einem Google-Konto oder Amazon Pay Account einzuloggen.
msg: Digitale Ökosysteme entstehen in den unterschiedlichsten Branchen. Für Wirtschaftsunternehmen ist dabei das dahinterstehende Geschäftsmodell essentiell, mit dem sich auch ökonomisch ein Mehrwert erzielen lässt. Woran hängt es momentan: Fehlen die Geschäftsmodelle oder fehlen die Daten?
Brake: Es hängt daran, dass das System momentan noch nicht steht. Wir haben uns in der vergangenen Legislaturperiode an digitalen Identitäten versucht und dieses System ist krachend gescheitert, da es gehackt wurde. Das ist kein Beinbruch, ganz im Gegenteil. Das hat zu einem frühen Zeitpunkt im Gesamtprojekt aufgezeigt, was technisch möglich ist und was nicht und wo wir nachsteuern müssen. Jetzt hat das BMI den Auftrag angenommen, dieses Kernsystem der digitalen Identitäten technisch so aufzusetzen, dass es zwar ausreichend geschützt ist, aber nicht so kompliziert wird, dass wirtschaftliche Akteure vor einer Nutzung zurückschrecken. Wir arbeiten an einem Use Case hier aus unserem Geschäftsbereich heraus. Im Übrigen sind alle Ministerien aufgerufen zu überlegen, welche privatwirtschaftlichen Angebote in den jeweils von ihnen betreuten Sektoren sich eignen. Es gibt sicherlich eine ganze Menge, etwa im Bereich Bildung und Forschung, aber auch im Bereich der Gesundheitsdaten oder im Finanzsektor.
msg: Digitale Identitäten werden für eine Vielzahl von Geschäftsmodellen benötigt.
Brake: Ganz genau. Unser konkretes Anwendungsmodell für eine solche staatliche Identität ist die Prepaid-Registrierung für den Mobilfunk. Mit der kommen wir deutlich näher an den Alltag.
msg: Die Umsetzung des Breitbandausbaus, ein anderes Ziel „vor der Klammer“, soll ja durch eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren erreicht werden. Läuft das nicht dem Bestreben nach Akzeptanz für Digitalisierungsvorhaben entgegen – denn gerade große Bauvorhaben sind oft umstritten?
Brake: Dem Problem der Planungsbeschleunigung wird nicht nur digital begegnet in dieser Regierung, sondern auf ganz unterschiedlichen Feldern. Wir arbeiten auf höchster Ebene daran, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller werden. Das Justizministerium hat gesetzliche Änderungen auf den Weg gebracht, um die Dauer von Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten zu verkürzen und schneller valide Entscheidungen zu ermöglichen. Als BMDV schaffen wir ein Fachplanungsportal, mit dem Beteiligte an größeren Projekten Unterlagen online einreichen können. Damit das schnell bereitsteht, gehen wir jetzt mit einer Beta-Version live und entwickeln im laufenden Betrieb weiter. Mir ist es wichtig, dass wir einen pragmatischen Ansatz finden bei der Digitalisierung und die richtige Balance aus Schnelligkeit und Sicherheit. Indem wir eine Basisversion eines Produkts auf den Markt bringen – in der Privatwirtschaft sagt man „Minimum Viable Product“ – mit dem wir direkt arbeiten und im Betrieb Erfahrungen sammeln, können wir dieses Produkt sukzessive verbessern. Auch hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz. Genau das versuchen wir beim Fachplanungsportal des Bundes.
msg: Im Handlungsfeld Gesellschaft ist die Mobilität ein weiteres zentrales Thema. Welche Rolle wird dabei das Mobilitätsdatengesetz spielen?
Brake: Das hängt auch von den Fortschritten beim europäischen Data Act ab, den das BMDV federführend in Brüssel verhandelt. Der Data Act ist eine horizontale Regulierung, wird also alle Branchen betreffen, und zielt darauf, dass Daten geteilt werden sollen. Was ja auch ein Anliegen dieser Bundesregierung ist und wie zuvor skizziert eins der drei Hebelprojekte der Digitalstrategie. Und insofern würden wir in einer besten aller Welten den Data Act abwarten. Aber wir haben im Koalitionsvertrag auch noch ein Datengesetz vereinbart und das von Ihnen genannte Mobilitätsdatengesetz. In einer idealen Abfolge käme erst der Data Act, auf dieser Grundlage ein Datengesetz und dann wiederum das Mobilitätsdatengesetz. Weil es aber viele unterschiedliche Vorstellungen gibt, was das Mobilitätsdatengesetz leisten soll, sind wir jetzt schon in die Stakeholder-Dialoge eingetreten. Wir führen bereits Workshops mit den unterschiedlichen Kreisen durch – Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Zivilgesellschaft –, um das Gespräch zu suchen und um Erwartungsmanagement zu betreiben.
Abbildung 1: Werner Achtert und Benjamin Brake im Interview
msg: Das Teilen von Daten ist schon vor einigen Jahren recht heftig diskutiert worden. Man wollte damals Unternehmen verpflichten, Daten zu teilen. Geht das immer noch in dieselbe Richtung?
Brake: Beim Data Act ist es in der Tat so, dass Unternehmen positiv wie negativ incentiviert werden sollen, Daten zu teilen. Dort geht es in erster Linie darum, die Daten mit der- oder demjenigen zu teilen, die oder der sie sie erzeugt hat. Sprich, dass ich als Benjamin Brake sagen kann, okay, ich habe hier in Ihrem Auto Daten generiert, die hätte ich, lieber Hersteller, nun gerne zurück. Allerdings muss ich zu diesem Beispiel einschränkend sagen, dass die europäische Kommission zu In-Vehicle Data noch einen eigenständigen Vorschlag plant, was uns ein wenig Sorgen bereitet.
msg: Einen eigenständigen Data Act für den Automobilbereich?
Brake: Ja. Aber es ist gut, dass man sich auch um dieses Spezialgebiet eigens kümmert. Im Ergebnis wird das natürlich kongruent sein müssen mit den Vorschriften des Data Act. Noch einmal: In der Regel soll der Konsument in der Lage sein, die Daten über offene Schnittstellen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das bringt einige schwierige Fragen mit sich: Also welche Daten sind das? Sind das zum Beispiel auch die Ergebnisse der Analyse meiner Daten?
msg: Wenn wir den Blick etwas weiter fassen, wird es noch komplexer: Die EU und Deutschland, vor allem aber die USA und China verfolgen unterschiedliche, teils konträre Herangehensweisen. Wird es, global betrachtet, jemals einen Minimalkonsens geben, wie man mit Daten umgeht? Oder müssen wir uns darauf einstellen, dass diese großen Wirtschaftsräume jeweils für sich eigene Datenstrategien leben werden und dann nur über eng begrenzte Schnittstellen Daten austauschen?
Brake: Das Schöne an der Digitalisierung ist, dass Sie mit einer technischen Lösung alles granular regeln können: wer wann wo Datenzugriff hat, aus welchem Grund. Das ist schon in jedem Unternehmen über die Zuteilung von Attributen und Zugangsrechten möglich. Im internationalen Raum müssen wir zunächst einmal zu gemeinsamen Auffassungen kommen innerhalb eines Bündnisses von westlich orientierten Demokratien. Da sehe ich den transatlantischen Raum im Fokus. Wir haben es gerade erlebt, dass die Europäische Kommission und die Amerikaner sich auf ein Privacy Framework Agreement geeinigt haben. Wir erwarten, dass eine Adäquanzentscheidung gegen Ende des ersten Quartals 2023 getroffen wird. Dann haben wir zumindest anerkannte gemeinsame Standards. Voraussichtlich wird niemand die Datenschutzregeln oder die Regeln im Umgang mit nicht-personenbezogenen Daten aus dem EU-Raum 1:1 kopieren, aber man wird sich häufig daran orientieren. Bei den Amerikanern gibt es jetzt erstmalig ernsthafte Diskussionen zu einem Datenschutzgesetz auf nationaler Ebene. Es gibt einige wenige Bundesstaaten, die schon Gesetze haben, die den europäischen Regelungen ähneln. Neben dem transatlantischen Raum spielen für mich die G7 und die OECD eine große Rolle. Unter den G7 wird Japan das Thema des „Data Free Flow with Trust“ aufgreifen und dem Ganzen ein bisschen mehr Substanz geben wollen. Bisher haben wir uns im G7-Kreis nur darauf geeinigt, dass wir gemeinsame Standards und Ansätze haben wollen. Das wird sicherlich, da habe ich große Hoffnung, konkreter werden. Und neben dem transatlantischen Raum, der OECD und den G7 sehe ich auch noch einige Länder des globalen Südens hier mit in einem Bündnis. Indien proklamiert, eine Führungsstimme des globalen Südens sein zu wollen. Indien ist sehr aufgeschlossen gegenüber der Digitalisierung. Dort gibt es eine starke Durchdringung der Gesellschaft mit digitalen Anwendungen, mit digitalen Lösungen. Es gibt eigentlich nichts, für was Sie in Indien nicht eine App herunterladen können. Ein Kollege vor Ort hat berichtet, Sie können eine App herunterladen, die so ziemlich alles macht. Wenn Sie irgendwo Ihre Brille liegen gelassen haben, können Sie den Service buchen, dass jemand hinfährt und Ihnen Ihre Brille hinterher bringt.
msg: Also entstehen neue digitale Geschäftsmodelle.
Brake: Man kann sagen, die Inder gehen, um es positiv zu formulieren, relativ unbefangen mit dem Thema Digitalisierung um. Indien hat es aber auch leichter, weil der zweite Sektor, also die industrielle Produktion, quasi fehlt. Indien ist eine starke Agrarnation und wird gerade im Dienstleistungssektor, insbesondere im Bereich der IT-Dienstleistung, deutlich stärker. Andererseits ist diese Unbefangenheit auch ein Problem. In Indien gibt es im Grunde kein Gesetz zum Datenschutz. Es gibt in ganz wenigen Sektoren Vorschriften, wie man mit personenbezogenen Daten umzugehen hat. Aber es fehlen die grundlegenden Voraussetzungen, um mit Indien beispielsweise zu einer Adäquanzentscheidung zu kommen, was den Datentransfer angeht. Möglicherweise führt das derzeit zu verhandelnde Free Trade Agreement zwischen der EU und Indien zu Fortschritten. Tatsächlich gibt es eine Vorlage zum Datenschutz, die aber in einem inter-institutionellen Lockdown zwischen Regierung und Parlament festhängt.
msg: Ich war vor kurzem auch in Indien, Bangalore. Da ist mir aufgefallen, dass jeder Rikschafahrer ein Handy auf seiner Lenkstange hat. Indien hat in kurzer Zeit in der Digitalisierung einen Sprung von null auf hundert gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil dort viele internationale Firmen aktiv sind, deren Geschäftsmodell auf freiem Datenaustausch basiert.
Brake: Ja, aber das geht noch nicht ganz in die richtige Richtung. Den Indern ist ihre Autarkie1 sehr wichtig: Sie wollen viele Dinge selbst machen, Daten lokalisieren und nationale Alternativen zu den internationalen Plattformen schaffen. Ich habe meinen politischen Gesprächspartnern dort auch immer mit auf den Weg gegeben, dass das vielleicht keine so gute Idee ist, sondern ein schlechtes Vorbild, das zurückschlägt. Denn wenn Indien als eine der sicherlich stärksten Volkswirtschaften in Asien anfängt, Datenlokalisierungsvorschriften zu machen, dann werden andere wie die Philippinen, wie Malaysia, wie Indonesien folgen. Dann wird man die Vorteile, die letztendlich auch ein internationaler Datentransfer für die Kosteneffizienz hat, nicht einfahren können und man blockiert sich somit selbst.
Abbildung 2: Werner Achtert und Benjamin Brake
msg: Ein Beispiel dafür ist das nationale Kreditkarten-Clearingsystem für den Zahlungsverkehr in Indien. Kreditkartenanbieter müssen sich daran anschließen, um Zugang zum indischen Markt zu bekommen.
Brake: Man ist auch sehr stolz darauf, dass man eigene Lösungen in Abgrenzung zu Visa- und Mastercard entwickelt hat. Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen. Indien ist ein riesengroßer Markt mit 1,4 Milliarden Einwohnern und wird wahrscheinlich bald China ablösen als größtes Land der Welt. Natürlich skalieren eigene Lösungen für diesen Markt sofort hoch. Aber man muss wirklich aufpassen, dass man sich über solche national geprägten Lösungen, insbesondere wenn sie nicht auf offenen Standards basieren, nicht abkapselt.
msg: Große Datenmengen werden ja vor allem für Anwendungen der künstlichen Intelligenz benötigt. Welche Bedeutung wird aus Ihrer Sicht künstliche Intelligenz in der Verwaltung haben? Können durch KI Verwaltungsprozesse stärker automatisiert werden?
Brake: Automatisierung und KI sind zwei verschiedene Dinge; KI muss nicht unbedingt der Automatisierung dienen. Aber unabhängig von der Technologie: Wir müssen für alle digitalen Instrumente, die wir in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere auf den Ebenen der Gemeinde- und der Kommunalverwaltung, einsetzen, auch die Akzeptanz der Mitarbeitenden gewinnen. Wir müssen deutlich machen, dass es nicht um den Abbau, sondern um eine Aufwertung von Arbeitsplätzen geht. Wenn Mitarbeitende von eintönigen Routineaufgaben entbunden werden, haben sie im Gegenzug mehr Zeit für zum Beispiel komplizierte Fälle, bei denen man gegebenenfalls noch mal nachschlagen muss oder ein zweites Gespräch führt, einen Kollegen heranzieht oder eine übergeordnete Instanz konsultiert. Sicher könnten die allermeisten Fälle auch automatisiert behandelt und lediglich stichprobenartig kontrolliert werden. Und in dem Maße, in dem es uns gelingt, dies zu vermitteln und aus zurückhaltenden Mitarbeitenden Verbündete zu machen, wird es am Ende einfacher sein, nicht nur zu automatisieren, sondern eben auch moderne und innovative Methoden der Analyse von Daten und Datenprozessen einzuführen.
msg: Sie meinen also, Automatisierung und der Einsatz von KI werden in erster Linie nicht durch technische Probleme gebremst, sondern das Hauptproblem ist wahrscheinlich die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden?
Brake: Das würde ich fairerweise so nicht sagen wollen. Ich glaube, dass in der Vergangenheit viel zu wenig investiert wurde, um den Mitarbeitenden das auch tatsächlich zu erklären. In vielen Projekten, das muss ich Ihnen ja nicht erzählen, mangelt es nicht an der technischen Realisierbarkeit, sondern daran, dass kein vernünftiger Change-Management-Prozess aufgesetzt wurde. Damit will ich sagen, es reicht nicht, in zwei Stunden eine fünfzigseitige PowerPoint-Präsentation durchzugehen und dann haben das aber hoffentlich alle verstanden. Sondern man muss mit entsprechender Men- und Womenpower solche Transformationsprozesse aktiv und kontinuierlich begleiten, mit Feedback-Schleifen und einer Berücksichtigung von Interessen der Mitarbeitenden. Das liegt in der Verantwortung derjenigen, die solche Prozesse einführen.
msg: In der Digitalstrategie wird im Zusammenhang der KI-Thematik die Arbeits- und Sozialverwaltung explizit genannt. Hat das einen besonderen Grund?
Brake: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) legt einen besonderen Fokus auf KI. Man hat dort über das KI-Observatorium im vorregulativen Bereich das Thema intensiv durchdrungen. Das BMAS hat gemeinsam mit Partnern aus der Industrie und den Sozialpartnern Studien durchgeführt zur KI im Bereich des Human Ressource Managements. Das BMAS ist eins der Ministerien, die diesen innovativen Technologien sehr offen gegenüberstehen – und gleichzeitig genau schauen, wie nehme ich die Belegschaft mit, wie nehme ich die Unternehmen mit, sodass die Transformation am Ende für alle Sinn ergibt und den Menschen in den Mittelpunkt rückt, nicht die Technik. Hier hat sich das BMAS sehr engagiert bei der Digitalstrategie und eigene Punkte für die Arbeits- und Sozialverwaltung eingebracht.
msg: Ein weiteres großes Projekt, das die Digitalstrategie adressiert, ist die Registermodernisierung. Wir haben in Deutschland mehr als zweihundert verschiedene Register und mehr als 10.000 Fachverfahren auf allen Verwaltungsebenen. Wenn die nun über den Schlüssel Steuer-ID verknüpft werden sollen, erhöht das die Komplexität immens. Sehen Sie eine Chance, die Komplexität in den Griff zu bekommen?
Brake: Ich glaube, man muss klein anfangen. Man muss zunächst sehen, wie man einzelne Fachverfahren und einzelne Register miteinander verknüpft. Man muss nicht und man wird nicht eine Lösung finden, die für alles passt. Aber es müssen mehr Register miteinander kommunizieren können. Über welche Nummer oder Kennziffer das am Ende läuft, darüber kann man diskutieren. Es ist einfach nur so: Die Steuer-ID gibt es bereits. Ich weiß, dass in der Diskussion um digitale Identitäten der so genannte Unified Personal Identifier kritisch gesehen wird, weil eine einheitliche Kennziffer – so die Argumentation, die ich mir nicht unbedingt zu eigen mache – eine Profilbildung erlauben würde. In den nordischen Ländern gibt es eine einheitliche Nummer, über die sich ihre Bürgerinnen und Bürger identifizieren können. Und die gelten üblicherweise nicht als unfreier als wir. Von daher würde ich persönlich für einen pragmatischen Ansatz plädieren: es einfach versuchen und gesetzliche Vorschriften so gestalten, dass glasklar definiert ist, was mit dieser Nummer passieren kann und was nicht. Mit dieser Transparenz kämen wir nach vorne. Aber der Schutz personenbezogener Daten ist natürlich extrem wichtig.
msg: In Dänemark gibt es eine solche eindeutige Kennziffer zur Identifikation aller Bürgerinnen und Bürger. Aber dort scheint das besser akzeptiert zu werden als in Deutschland.
Brake: Die Dänen haben ein ganz anderes Vertrauen in ihren Staat. Das haben wir in Deutschland so nicht. Das ist historisch gewachsen, resultiert aber auch aus der Art und Weise, wie wir über Datenschutz und Datenzugang oder auch Datennutzung diskutieren.
msg: Der nächste Schritt, der in der Verwaltung relevant wird, ist die Cloud. „Cloud First“ für alle Fachverfahren, Multi-Cloud-Konzepte. Wie schätzen Sie das ein? Wird es möglich sein, mit Fachverfahren in größerem Umfang in eine Cloud zu gehen?
Brake: Absolut. Ich habe zehn Jahre für IBM gearbeitet. Es gibt für alles eine technische Lösung. Viel wichtiger als die Buzzwords zu Cloud, Multi-Cloud-Strategie, Hybrid-Cloud, On Premise etc. ist, dass die Entscheidungsträger in der Verwaltung beginnen, die dahinter liegenden Konzepte zu verstehen. Beispielsweise muss ich als Behörde, bevor ich in die Cloud gehe, selbst definieren können, was eigentlich meine Anforderungen sind an Datenumgang, an Usability, an Accessibility. Und um diese Fragen und um diese Anforderungen sinnhaft definieren zu können, brauche ich ein gewisses Grundverständnis der Digitalisierung. Und ich darf mir eben auch nicht von Beratern einreden lassen, was ich alles brauche, damit ein möglichst großer Use Case hingestellt wird, der vieles enthält, was ich am Ende nicht brauche oder was sogar meinem Anliegen zuwiderläuft.
msg: Zum Schluss würde ich gern noch über Entscheidungsstrukturen sprechen. Der Koalitionsvertrag fordert explizit neue Formen von Kollaborationen zwischen den Ressorts. Wie geht dieser Veränderungsprozess voran?
Brake: Gut. Ich sprach bereits davon, dass wir ein Ökosystem digitaler Identitäten um das eigentliche Kernsystem herum etablieren wollen. Dazu finden wöchentlich Abstimmungsrunden mit Vertretern der einzelnen Ministerien auf dem GovTech-Campus statt, um sicherzustellen, dass dieses vom BMI erdachte System anschlussfähig ist: damit unterschiedliche Anforderungen und unterschiedliche privatwirtschaftliche Akteure von vornherein synchronisiert werden. Deshalb sitzen dort die Vertreter der einzelnen Ministerien an einem neutralen Ort zusammen, der auch ein etwas anderes Umfeld bietet, als das klassischerweise bei Ressortabstimmungen der Fall ist.
msg: Und wo ist die Schnittstelle zu den privatwirtschaftlichen Akteuren?
Brake: Die privatwirtschaftlichen Akteure sind ebenfalls auf dem Campus aktiv, und sie sollen von den einzelnen Ministerien jeweils gehört werden. Wir führen sehr viele Gespräche, zum Beispiel hinsichtlich der Prepaid-Registrierung mit den Telekommunikationsunternehmen.
msg: Dann lassen Sie mich zum Abschluss noch fragen, welcher Aspekt liegt Ihnen besonders am Herzen? Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was aus der Digitalstrategie würden Sie sofort umsetzen?
Brake: Ich würde die elektronischen Identitäten und die elektronische Patientenakte sofort umsetzen. Beides sind Projekte, um zum Beginn unseres Gesprächs zurückzukommen, die geeignet sind, das Vertrauen der Gesellschaft in Digitalprozesse, aber vielleicht auch das Vertrauen der Gesellschaft in den Staat hinsichtlich der Digitalisierung zu stärken. Ich setze sehr auf die Kolleginnen und Kollegen im BMG, die dieses bei Gott nicht einfache Großprojekt vor der Brust haben, die elektronische Patientenakte auf den Weg zu bringen. Wenn wir am Ende der Legislaturperiode zehn Projekte aus dem privatwirtschaftlichen Bereich haben, die über eine staatliche Identität anzusteuern sind, wäre das ein großer Schritt nach vorne. Die Usability wird entscheidend sein für den Erfolg. Denn der Verbraucher soll individuell und aufgeklärt darüber entscheiden können, ob er die staatlich gesponserte Identität nutzt oder eine andere Form der Identifizierung. Nur so schaffen wir Vertrauen in die Digitalisierung.
msg: Vertrauen ist ein gutes Schlusswort. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Brake: Ich danke Ihnen.
Quelle
1 Zu den Ausprägungen von Souveränität zwischen Abhängigkeit und Autarkie vgl. auch Jürgen Fritsche, „Souverän aus dem Risiko“, in unserer kommenden Ausgabe im März 2023