Zuerst erschienen in der .public Ausgabe 01-2024
von Kevin Lindauer und Eric Reich
Bürgerbeteiligung ist ein zentraler Bestandteil unserer Demokratie. Sie eröffnet uns die Möglichkeit, an politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben und aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft mitzuwirken. Die Bedeutung von Online-Beteiligungsformaten hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. In über 150 Kommunen innerhalb der EU wird eine Online-Bürgerbeteiligung bereits gelebt.1 Diese nachhaltige Entwicklung beschleunigte sich durch die Coronapandemie nochmals und wird sich auch in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach weiter fortsetzen. In Deutschland wünschen sich fast zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger mehr Online-Bürgerbeteiligungen (siehe Abbildung 1). Neu aufkommende Formen der Beteiligung werden konventionelle Beteiligungsverfahren unserer Überzeugung nach jedoch nicht ablösen. Deren Vorteile tragen vielmehr zur sinnvollen Ergänzung analoger Formate bei.
Vorteile digitaler Beteiligungsformate
Bürgerinnen und Bürger können mithilfe digitaler Beteiligungsangebote zu jeder Zeit und von jedem Ort aus an Beteiligungsprozessen teilnehmen. Diese Flexibilität hat sich in unserer Praxis im Rahmen der Organisation und Durchführung von Partizipationsverfahren als äußerst wertvoll erwiesen, da sie im Vergleich zu herkömmlichen Beteiligungsformen zur Erreichung zusätzlicher Bevölkerungsgruppen beitragen kann. Insbesondere die jüngeren Generationen, die als Digital Natives mit Online-Kommunikationstechnologien aufgewachsen sind, lassen sich über diese Kanäle oft effektiver ansprechen.2 Des Weiteren tragen digitale Beteiligungsformate zu einer höheren Transparenz von Beteiligungsprozessen bei, weil zum Beispiel geplante Verfahrensschritte, Hintergrundinformationen, Meinungen und Ideen online abgebildet werden und auch nach Ablauf des Verfahrens öffentlich zugänglich bleiben können. Ein weiterer Vorteil, den wir aus unserer Praxis heraus betonen können, liegt in den Analysemöglichkeiten digitaler Beteiligungstools. Eingegangene Meinungen und Stimmen lassen sich automatisch auswerten, was den administrativen Aufwand erheblich reduziert.
Die Entstehung der Beteiligungsplattform Consul
Um eine Beteiligungsplattform zu schaffen, die die Bedürfnisse von Kommunen erfüllt, begann die Stadt Madrid im Jahr 2015 mit der Entwicklung von Consul Democracy (im weiteren Verlauf Consul genannt). Die erste Version wurde schon im selben Jahr als Open Source Software veröffentlicht. Somit ermöglichte Consul nicht nur anderen Kommunen, die Plattform ohne zusätzliche Lizenzen zu nutzen, sondern auch deren Weiterentwicklung durch Nutzer in anderen Kommunen, in anderen Ländern. Das weltweit wachsende Interesse an Consul führte zur Entwicklung neuer Funktionen, die sich nicht mehr allein auf die Bedürfnisse spanischer Kommunen beschränken. Dazu zählen beispielsweise die Möglichkeiten, Abstimmungen und Umfragen zu erstellen und auszuwerten oder projektbezogen Bürgervorschläge einzuholen. Die Vielseitigkeit und Flexibilität des Tools macht es möglich, seine Module an den jeweiligen Bedarf anzupassen und benötigte Funktionen neu zu entwickeln oder zuzuschneiden.
Wachsender Wunsch nach Online-Beteiligung
Hätten Sie gerne die Möglichkeit, sich übers Internet an politischen Entscheidungen zu beteiligen?
Abb. 1: Befragung unter Bundesbürgerinnen und -bürgern zu Online-Beteiligung (2021: n=1.003; 2017: n=1.009; 2013: n=1.000), Quelle: Bitkom Research
Consul besteht heute aus mehreren Modulen, die die unterschiedlichen Anforderungen an Bürgerbeteiligungen von Kommunen abdecken. Die Funktionen der Module können dabei projekt- und problemspezifisch angepasst werden und ermöglichen die Unterstützung eines vollständigen Beteiligungsprozesses. Sie sollen nachfolgend genauer erläutert werden.
Abb. 2: Beteiligungsverfahren der Landeshauptstadt München zu Mobilitätspunkten in der Stadt
Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für eine aktive Bürgerbeteiligung
Basierend auf unseren Erfahrungen in der Anwendung der Open-Source-Software, beispielsweise im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadt Pforzheim,3 zeichnet sie sich vor allem durch ihren modularen Aufbau aus, der vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für eine aktive Bürgerbeteiligung bietet:
Bürgervorschläge: Das Beteiligungsmodul eröffnet es Bürgerinnen und Bürgern, Vorschläge zur Verbesserung ihrer Kommune einzureichen sowie Beiträge anderer zu kommentieren und zu bewerten.
Abstimmung: Mithilfe der Abstimmungsfunktion können Nutzerinnen und Nutzer über konkrete Maßnahmen und Themenstellungen abstimmen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Umfragen zu erstellen und sich daran zu beteiligen.
Debatten: Bürgerinnen und Bürger erhalten über das Debatten- Modul die Möglichkeit, Meinungen auszutauschen, Argumente vorzubringen oder verschiedene Standpunkte zu Themen zu diskutieren.
Bürgerhaushalt: Das Modul ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern vorzuschlagen und mitzuentscheiden, wie ein Teil des Verwaltungsbudgets ausgegeben wird. Hierbei können eigene Vorschläge eingereicht werden, über die dann diskutiert und abgestimmt werden kann. Consul ermöglicht es, die Einrichtung dieser Vorschläge zu überwachen und streng zu bewerten, sodass eine maximale Wirksamkeit erzielt wird.
Kollaborative Gesetzgebung: Mithilfe dieser Funktion sind Bürgerinnen und Bürger in der Lage, sich aktiv an der Ausarbeitung von Gesetzen und Aktionsplänen zu beteiligen. Es besteht die Möglichkeit, Gesetzestexte öffentlich zu teilen, um darüber zu diskutieren und mithilfe der Kommentarfunktion Meinungen zu äußern und Debatten zu führen. Durch farbliche Kennzeichnung werden Verbindungen visualisiert, die eine spätere Verbesserung oder Entwicklung vereinfachen.
Die verschiedenen Beteiligungsmodule lassen sich durch einfache Administration im Backend der Plattform miteinander kombinieren oder einzeln anwenden.
Abb. 3: Auswahl an Investitionsvorschlägen für das Bürgerbudget der Stadt Jena
Best Practices in Deutschland
Die Landeshauptstadt München setzt die Open-Source-Software Consul seit dem Jahr 2022 als übergreifende Plattform für ihre Beteiligungsverfahren ein. Auf „unser.muenchen.de“ können sich Bürgerinnen und Bürger über aktuelle Stadtentwicklungsprojekte informieren und sich in Planungen sowie Vorhaben der Stadt einbringen. Im Rahmen eines aktuellen Beteiligungsprojektes zur Mobilitätsentwicklung sammelt das zuständige Mobilitätsreferat der Stadt Vorschläge für neue Mobilitätspunkte. Diese Punkte bündeln Shared-Mobility-Angebote wie Car- und Bikesharing und vereinfachen die Handhabung. Den Bürgerinnen und Bürgern steht hierfür eine Karten- und Kommentarfunktion zur Angabe von Standortvorschlägen zur Verfügung. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, Anregungen zu bestehenden Mobilitätspunkten zu machen.4
Abb. 4: Beteiligungsverfahren der Stadt Flensburg zur Stadtentwicklungsstrategie Flensburg 2030
Die Stadt Jena nutzt die Beteiligungsplattform für die Umsetzung ihres Bürgerbudgets. Einwohnerinnen und Einwohner Jenas können ihre Projektideen einreichen und anschließend darüber abstimmen, welche Vorschläge mit dem Bürgerbudget umgesetzt werden sollen. Hierfür stellt die Stadtverwaltung Jena ein Budget von rund 100.000 € zur Verfügung. Insgesamt gingen 74 Investitionsvorschläge aus der Bürgerschaft ein, über deren Umsetzung bis zum 12.11.2023 abgestimmt werden konnte.5
Ein Beispiel für die Einbindung der Plattform Consul in einen umfangreichen Strategieentwicklungsprozess findet sich in der Stadt Flensburg. Unter dem Motto „Deine Stadt, deine Ideen – unsere Zukunft!“ wird hier eine ganzheitliche Stadtentwicklungsstrategie entwickelt. Im Rahmen der breit angelegten Bürgerbeteiligung kombiniert die Stadt Flensburg sowohl analoge als auch digitale Beteiligungsformate. Auf der Online-Plattform werden im Zuge des Partizipationsprozesses gleich mehrere Beteiligungsphasen abgebildet. Mithilfe von Umfragen können Bürgerinnen und Bürger strategische Ziele in ihrer Ausprägung mitgestalten und konkrete Maßnahmenvorschläge zur Zielerreichung einreichen. Parallel dazu finden mehrere Ideen-Märkte statt. Alle Ergebnisse aus digitaler und analoger Beteiligung fließen anschließend in die weitere Arbeit zu „Flensburg 2030“ ein.6
Technische Voraussetzungen
Consul wird als Anwendung auf Linux betrieben (Ubuntu oder Debian), wodurch eine einfache Installation auf einer virtuellen Maschine bei einem Cloud-Provider möglich ist. Hierfür wird ein Installer für Consul zur Verfügung gestellt, der mittels Ansible die Anwendung auf dem Remoteserver bereitstellt.
Es handelt sich bei Consul um eine in der Sprache Ruby geschriebene Open-Source-Software, die eine PostgreSQL-Datenbank nutzt. Zum Betrieb ist ein E-Mail-Server erforderlich oder ein E-Mail Konto, über das Benachrichtigungen versendet werden können.
Abb. 5: Das Consul-Gebäude (eigene Darstellung)
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Aussehen und Verhalten von Consul anzupassen. Diese Anpassungen werden über administrative Einstellungen in der Weboberfläche oder über Anpassungen von Style-Dateien beziehungsweise programmatische Ergänzungen realisiert. Seit der Version 2 ist Consul auch mandantenfähig, womit mehrere Kommunen auf einer Instanz isoliert voneinander verwaltet werden können.
Fazit
Der Wunsch der Bevölkerung nach gesellschaftlicher Teilhabe wächst. Bürgerinnen und Bürger wollen stärker in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden und die Entwicklungen auf lokaler Ebene mitgestalten. In einer zunehmend digitalisierten Welt eröffnen Online-Plattformen wie Consul der öffentlichen Verwaltung neue Möglichkeiten, Beteiligungsprozesse interaktiver und transparenter zu gestalten und eine größere Personenanzahl anzusprechen. Basierend auf unseren Erfahrungen aus unterschiedlichen Beteiligungsverfahren, Workshops und Stadtentwicklungsprozessen ermöglicht der modulare Aufbau von Consul dabei sowohl kleinen Gemeinden als auch großen Städten, die Plattform an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Darüber hinaus zeichnet sich Consul durch eine starke und engagierte Open-Source-Community aus, die zur stetigen Weiterentwicklung der Plattform beiträgt.
Quellen
1 Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt: Masterarbeit zu Einflussfaktoren politischer Online-Beteiligung, www.bpb.de, 2014 (abgerufen am 11.01.2024).
2 Politische Medienkompetenz: Digitale Beteiligungsprozesse. Formen der Partizipation durch digitale Medien stärken, www.politische-medienkompetenz.de (abgerufen am 11.01.2024).
3 Pforzheim Bürgerbeteiligung: Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadt Pforzheim, mitmachen-pforzheim.de (abgerufen am 11.01.2024).
4 Landeshauptstadt München: Öffentlichkeitsbeteiligung, unser.muenchen.de (abgerufen am 11.01.2024).
5 Jena Lichtstadt: Bürgerbudget 2023, mitmachen.jena.de (abgerufen am 11.01.2024).
6 Flensburg: Flensburg 2030, flensburg-mitmachen.de (abgerufen am 11.01.2024).