Klimaneutralität ist ein vordringliches Thema. Was tut die Bundesregierung, um ihre Verwaltung auf den Weg in Richtung Klimaneutralität zu bringen?
Ruth Geibel: Mit dem Klimaschutzgesetz, § 15 KSG[1], aus November 2019 wurde festgelegt, dass die Bundesverwaltung bis 2030 einerseits klimaneutral aufzustellen ist, sowie verbindliche Ziele und Maßnahmen für die Reduktion von Treibhausgasemissionen definiert werden müssen. Anderseits soll die Bundesverwaltung eine Vorreiterrolle auf dem Weg zur Klimaneutralität einnehmen.
Um diesen Transformationsprozess zu steuern und zu begleiten, wurde die Koordinierungsstelle Klimaneutrale Bundesverwaltung (KKB)[2] Anfang 2020 vom Staatssekretärsausschuss Nachhaltigkeit gegründet. Seitdem koordiniert die KKB Arbeiten an einem Maßnahmenpaket, welches Vorgaben für die Bundesbehörden zur Erreichung der Klimaneutralität enthalten wird.
Bereits beschlossene Maßnahmen bewegen sich in den Bereichen Liegenschaften, wie z.B. die energetische Sanierung von Bundesgebäuden, um den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren, Mobilität mit der Anschaffung von emissionsfreien Dienstwagen ab 2030 oder die Vermeidung von Einwegplastik. Außerdem wurde für eine nachhaltige und klimafreundliche Beschaffung ein entsprechendes Leitbild für die öffentliche Beschaffung entwickelt.
Zur Bundesverwaltung gehören mehr als 961 Behörden und Institutionen des Bundes in Deutschland sowie das Gerichtswesen. Wie kann die KKB hier die Anstrengungen zur Klimaneutralität koordinieren?
Ruth Geibel: Die KKB hat die Aufgabe, die Klimaneutralitätsbemühungen mit der Entwicklung von Maßnahmen aller Bundesbehörden abzustimmen und zu harmonisieren. Um Emissionen in der Bundesverwaltung zu reduzieren, wurden fünf Handlungsfelder definiert: Liegenschaften, Mobilität, Beschaffung, Kantinenbetrieb und Veranstaltungen. Dabei steht die KKB für die Handlungsfelder Liegenschaften und Mobilität federführend in der Verantwortung und überprüft bundesweit derzeit ca. 4.500 Liegenschaften und 43.000 Dienstfahrzeuge auf ihre Klimaneutralität. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) trägt die Verantwortung für die Entwicklung von Maßnahmen in Bezug auf den Betrieb von etwa 110 Kantinen und das Bundespresseamt ist für das Handlungsfeld Veranstaltungen zuständig. In allen Handlungsfeldern sollen Emissionen so weit wie möglich vermieden oder reduziert werden. Für Emissionen, die nicht vermieden werden können, werden Kompensationsvorschläge erarbeitet.
Wie wird denn der Fortschritt der Bundesregierung auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität gemessen?
Ruth Geibel: Um einen Fortschritt messen zu können, muss zunächst der Ist-Stand erhoben werden. Dafür wird die erste Klimastartbilanz mit Daten aus dem Jahr 2021 erstellt. Fast 130 Institutionen in Deutschland haben innerhalb von vier Wochen umfassende Fragebögen ausgefüllt, die Verbrauchsdaten wie Strom und Wärme sowie Informationen zum Fuhrpark enthalten. Die Herausforderung besteht darin, valide Daten zu sammeln und Veränderungen in Ressortzuschnitten oder Anmietungen neuer Liegenschaften bei der jährlichen Datenerhebung zu berücksichtigen. Um die Daten handhabbar zu machen, orientiert sich die KKB am Greenhouse Gas Protocol[3], einem internationalen Standard zur Bilanzierung von Treibhausgasemissionen. Diese Bestandsaufnahme wird als Grundlage für die Messung des Fortschritts durch die erarbeiteten, beschlossenen und umgesetzten Klimaschutzmaßnahmen in den nächsten Jahren dienen.
Was wird sich aus dieser Startbilanz lesen lassen?
Ruth Geibel: Die erste Klimabilanz wird die aktuell relevanten CO2-Emissionen enthalten. Diese werden in sogenannte Scope-1-Emissionen (direkte Emissionen), Scope-2-Emissionen (indirekte Emissionen) und durch Dienstreisen verursachte Scope-3-Emissionen (indirekte Treibhausgasemissionen aus vor- und nachgelagerten Prozessen) aufgeschlüsselt. Aus diesen Informationen wird dann ein Maßnahmenprogramm ressortübergreifend abgestimmt, harmonisiert und für einen Kabinettsbeschluss im Jahr 2023 vorbereitet.
Wie werden die einzelnen Behörden in die Entwicklung des Maßnahmenpakets einbezogen und wie unterstützt msg die Koordinierungsstelle Klimaneutrale Bundesverwaltung bei diesem Vorhaben?
Ruth Geibel: Bei der Projektinitialisierung wurden auf unseren Vorschlag hin, gemeinsam mit der KKB, so genannte Innovationsteams passend zu den jeweiligen Handlungsfeldern gegründet. Die Innovationsteams wurden zu Workshops eingeladen, in denen die Mitglieder als repräsentativer Querschnitt der betroffenen Ressorts (Behörden) motiviert und methodisch unterstützt wurden, an der Maßnahmenentwicklung mitzuwirken. Mit von uns moderierten Kreativmethoden wurden und werden Potenziale des Klimaschutzes ausgelotet. Dazu setzen wir virtuelle Whiteboards ein und die Behörden bringen Fachwissen in der Analyse von Anforderungen, Prozessen und Systemen mit. Zur Zusammenarbeit und Dokumentation von Ergebnissen haben wir eine Online-Kollaborationsplattform bereitgestellt, auf die die Projektbeteiligten zugreifen können und den Einblick in den neusten Stand der Ergebnisse erhalten. Für die periodische Verbrauchs- und Bestandserhebung aller Institutionen wird ein workflowbasiertes Formularmanagement fachlich und technisch ausgebaut und die Anwendung begleitet.
Was wären Sofortmaßnahmen für die Verwaltung, die einfach umzusetzen wären und direkt wirken?
Ruth Geibel: Im Zuge des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden kritischen Energieversorgung hat die KKB zehn Sofortmaßnahmen identifiziert, um sofort den Energieverbrauch zu reduzieren. Diese inkludieren zum Beispiel das Abschalten von nicht sicherheitsrelevanten Beleuchtungsanlagen, eine Reduzierung der Anzahl elektronischer Geräte und das Vermeiden unnötiger Dienstreisen. Natürlich geht es auch darum, ein Bewusstsein für energiebewusstes Verhalten zu schaffen und die kontinuierliche Analyse des tatsächlichen Energieverbrauchs. So werden weitere Sparpotenziale erkannt. Das Anstreben der Klimaneutralität ist ein andauernder Prozess, der immer weiterentwickelt und überprüft wird.
Autorenprofil
Ruth Geibel ist Principal Consultant im Public Sector der msg systems ag. Seit drei Jahren ist sie schwerpunktmäßig in Projekten zu Nachhaltigkeit (Sustainability) und Digitalisierung für die Bundesverwaltung als Beraterin und Projektmanagerin tätig.
[1] § 15 KSG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de) (abgerufen am 11. April 2023)
[2] BMWK - Die Koordinierungsstelle Klimaneutrale Bundesverwaltung (KKB)
[3] Homepage | PROVUS (ghgprotocol.org) (abgerufen am 11.April 2023)