Was versteht man unter einer „Vorhabensteuerung“?
Ingrid Röder: „Vorhabensteuerung“ setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: „Vorhaben“ und „Steuerung“. Ein Vorhaben ist erst einmal eine Idee, die verwirklicht werden soll. „Steuerung“ meint das gezielte Beeinflussen des Vorgangs. Also aus einer Idee ein konkretes Ziel, das „Vorhaben“, werden zu lassen und dieses in der Praxis umzusetzen. Bei uns in der Brancheneinheit Public Sector arbeiten wir vor allem mit politisch initiierten Vorhaben, wie sie auch im Koalitionsvertrag zu finden sind. Aktuelle Vorhaben sind z. B. Digitalisierungsvorhaben, etwa die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes mit den entsprechenden Anpassungen auf verschiedenen Ebenen der Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen.
Tobias Warnk: Bei solchen politisch initiierten Vorhaben ist es im Regelfall so, dass wir über sehr große Dimensionen sprechen – sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Häufig sind viele Ministerien, Behörden und andere Stakeholder beteiligt, die Komplexität und Dynamik ist dementsprechend hoch. Diese Vorhaben von der Idee bis zur Umsetzung zu realisieren, erfordert eine professionelle Steuerung der Prozesse.
Ihr sprecht von der Komplexität der Vorhaben - welche Vorteile hat eine Vorhabensteuerung gegenüber dem klassischen Programm-Management?
Ingrid Röder: Die Vorhabensteuerung setzt noch vor dem Programm-Management an und kann daher flexibler auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren. Ein zentrales Programm-Management kann die vielen, oft voneinander unabhängigen Beteiligten häufig nicht ausreichend unter einen Hut bekommen. Durch die Größe der Vorhaben ist auch der Umsetzungszeitraum ausgedehnter. Rahmenbedingungen sind in einem ständigen Veränderungsprozess, auch Ziele verändern sich unter Umständen fortlaufend. Starres Programm-Management greift hier zu kurz.
Tobias Warnk: Bei der Vorhabensteuerung setzen wir sowohl auf operative als auch auf strategische Elemente; die Steuerung kann über Projekte, Arbeitspakete oder auch Programme ausgeführt werden. Besonders relevante Prozesse innerhalb des Vorhabens werden direkt durch die Vorhabenleitung gesteuert. Alle anderen Aufgaben fallen unter das klassische Programm-Management, bei dem die Ergebnisse eingefordert und aufgenommen werden, um im Notfall rechtzeitig gegenzusteuern.
Neben dem Programm-Management-Knowhow sind bei der Vorhabensteuerung auch die fachliche Kompetenz und Kenntnisse über die Stakeholder von besonderer Bedeutung. Es gilt „Augen und Ohren offen zu halten“ und dabei vor allem proaktiv zu agieren und mit Stakeholdern in Kontakt zu treten, um die Vorhabenverantwortlichen möglichst frühzeitig hinsichtlich der weiteren Ausrichtung der Vorhaben zu beraten. So müssen gegebenenfalls Prioritäten geändert oder höhere Leitungsebenen einbezogen werden, um die Ziele des Vorhabens abzusichern. An dieser Stelle agieren die Beraterinnen und Berater der Vorhabensteuerung als eine übergreifende Instanz und rechte Hand der Vorhabenverantwortlichen. Diese fachliche Komponente ist einer der Hauptunterschiede zum klassischen Projekt- und Programmmanagement und wichtig für den Erfolg eines Vorhabens.
Wie kann die Vorhabensteuerung bei komplexen Vorhaben konkret dazu beitragen, die Vorhabenziele zu erreichen?
Tobias Warnk: Zu Beginn eines Vorhabens sind die Ziele oft sehr allgemein. Es geht erst einmal nur um die Frage, was am Ende das Ergebnis sein soll. In diesem Stadium haben einzelne Akteure aber meist noch sehr unterschiedliche Auffassungen von dem im besten Fall
SMARTen[1] Endergebnis. Um beim Digitalisierungsbeispiel zu bleiben – Digitalisierung kann als Begriff vielerlei bedeuten, diese Zielstellung wäre zu vage und würde am Ende den unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten nicht gerecht werden. Allein die Zielfindung und -formulierung benötigt daher eine adäquate Begleitung. Zudem schafft die Vorhabenplanung auch den zeitlichen und methodischen Rahmen.
Ingrid Röder: In der anschließenden Umsetzungsphase gilt es, den Fokus auch auf weitere Parameter zu legen. Da ein Vorhaben aus verschiedenen Programmen und Projekten besteht, die wiederum alle für sich Dienstleisterunterstützung in Anspruch nehmen, benötigt es eine zentrale Dienstleistersteuerung. Diese muss einheitliche Standards, zum Beispiel des in der Planung definierten methodischen Rahmens, durchsetzen und den Ressourcenverbrauch überwachen. Wichtig ist auch ein aktives Kommunikationsmanagement, oft geführt durch die externe Beratung, da es keine Instanz gibt, die allein Entscheidungen in allen beteiligten Organisationen durchsetzen kann. Das Kommunikationsmanagement prüft die Wünsche und Sorgen der Stakeholder regelmäßig und fördert proaktiv Mitwirkung und Kontaktaufnahme, z. B. mittels Newslettern und Informationsveranstaltungen.
Die meisten Vorhaben werden nach ihrer Umsetzung langfristige Aufgaben definieren, die in der Linienorganisation wahrgenommen werden müssen. Diese Aufgaben sollten frühzeitig erkannt, definiert und weitergegeben werden. Hierfür sind u. a. auch geeignete Aufgabenträger zu identifizieren. Die Überführung in die Linie ist deshalb ein zentraler Baustein der Vorhabensteuerung, der von Beginn an mitgedacht werden muss.
Gibt es Herausforderungen, die euch dabei immer wieder begegnen?
Tobias Warnk: Die Kundinnen und Kunden benötigen in diesem Bereich mehr Kenntnisse als die gängigen „Buzz Words“. Die Vorhabenverantwortlichen brauchen, meist kurzfristig, Unterstützung bei der Vertretung ihrer Ergebnisse in der Hierarchie mit entsprechenden Entscheidungsvorlagen. Dafür ist ein Gespür für die Formulierungsweise sowie ein stabiles Wissen über die Abläufe vonnöten, um die Ergebnisse kundengerecht aufzubereiten. Als msg können wir hier auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen.
Ingrid Röder: In einem Projekt- oder Programm-Management ist im Allgemeinen der Lenkungsausschuss die Instanz, bei der alle Stränge zusammenlaufen; diese kann – bei entsprechender Besetzung – Entscheidungen treffen und in der Linie entsprechende Aufgaben verankern. Einem Vorhaben fehlt in der Regel dieser zentrale Punkt, weil es viele verschiedene Aspekte zu beachten gilt, die oft in sich und untereinander von Lenkungsausschüssen gesteuert werden. Somit ist es eine wichtige Aufgabe der Vorhabensteuerung bei den jeweiligen Stakeholdern immer wieder für die jeweiligen Vorhaben und deren Teilschritte zu werben, um die Ziele der Vorhaben zu erreichen. Dafür ist Akzeptanzmanagement genauso notwendig wie entsprechende Öffentlichkeitsarbeit.
Eine erfolgreiche Vorhabensteuerung benötigt also…
Tobias Warnk: …sowohl Fachlichkeit als auch politisches Verständnis.
Ingrid Röder: …Expertise und Ausdauer, um einen detaillierten und umfassenden Überblick zu gewinnen, nicht nur über das Vorhaben als solches.
[1] SMART = selbst initiierbar, messbar, aktiv beeinflussbar, realistisch, terminiert (Quelle: GPM 2019)
Inteviewpartner
Dr. Ingrid Röder ist promovierte Politologin und Lead Business Consultant. Nach Erfahrungen in der Forschung, Politikberatung und öffentlichen Verwaltung berät sie seit mehr als fünf Jahren im Bereich Digitale Transformation und Organisationsentwicklung in der öffentlichen Verwaltung, zuletzt mit einem Schwerpunkt im Bereich der Elektronischen Akte Bund. Sie verantwortet fachlich das Thema „Vorhabensteuerung“ im Public Sector Business Consulting der msg systems ag.
Tobias Warnk ist studierter Verwaltungswissenschaftler und Lead Business Consultant. Seit mehr als zehn Jahren ist er im öffentlichen Sektor auf Landes- sowie Bundesebene tätig und berät Kunden in allen Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation sowie im Projektmanagement. In den letzten Jahren hat er seinen Schwerpunkt auf die Planung und Steuerung komplexer Vorhaben und Software-Einführungsprojekte gelegt. Er verantwortet fachlich das Thema „Vorhabensteuerung“ im Public Sector Business Consulting der msg systems ag.