15.07.2020
„Wir beteiligen uns als msg aktiv am Vorhaben GAIA-X, damit digitale Ökosysteme nach europäischem Standard entstehen können“, sagt Dr. Stephan Melzer, Geschäftsbereichsleiter der Branche Automotive bei msg. Im Standpunkte-Interview spricht er über die Beteiligung am Projekt, Standards, erste Erfolge sowie Chancen und Risiken.
Herr Melzer, msg ist von Anfang an dabei bei GAIA-X, warum braucht es aus Ihrer Sicht ein digitales Ökosystem nach europäischem Standard?
Die Motivation für eine europäische Cloud ergibt sich für mich aus der unternehmerischen und gesellschaftlichen Verantwortung, die Datensouveränität europäischer Unternehmen, Organisationen und auch der Bürger zu fördern. In unseren Projekten erleben wir, dass unsere Kunden großes Interesse daran haben, ihre Daten gemeinschaftlich mit den Daten ihrer Partner zu nutzen, um daraus Mehrwert für ihre Geschäftsprozesse zu erzielen – bei gleichzeitigem Erhalt der Kontrolle über die eigenen Daten; was völlig nachvollziehbar ist. Deshalb beteiligen wir uns heute schon aktiv an GAIA-X. Wir bringen Erkenntnisse aus unseren Projekten und unserer Partnerschaft mit der International Data Spaces Association (IDS) mit ein.
Sie sprechen die IDS an? Was bringt diese Organisation von über 100 Unternehmen und Organisationen mit ein?
Die IDS hat sich zum Ziel gesetzt, einen sicheren Datenraum zu schaffen, der Unternehmen und Organisationen verschiedener Branchen und aller Größen die souveräne Bewirtschaftung ihrer Datengüter ermöglicht. Auch durch unser Mitwirken sind bereits erste standardisierte Architekturen entstanden. Nun wurde, insbesondere durch das Engagement von Peter Altmaier und Bruno Le Maire, das Vorhaben auf die politische und gesellschaftliche Bühne gehoben, was ich sehr begrüße.
Die Entwicklung von Standards und Schnittstellen ist schon für einzelne Unternehmen komplex und langwierig. Im Projekt GAIA-X sind mehr als 300 Player involviert. Wie gelingt es, die Interessen aller Beteiligten zu tragfähigen Lösungen zu bündeln?
Die gleichberechtigte Beteiligung von so vielen Playern steigert die Komplexität natürlich ungemein. Da es sich allerdings um eine virtuelle Projektumgebung handelt, kann dies mit einem guten Projektmanagement gelingen. Wir haben mit Großprojekten dieser Art viel Erfahrung.
Das Zusammenwirken wird durch erste Erfolge im Prozess befördert – sowohl im Rahmen großer Leuchtturmprojekte als auch bei kleinen MVPs, die Geschäft generieren, um das Gesamtprojekt zu finanzieren und weiterzuentwickeln.
Sie betonen die Wichtigkeit von Prozesserfolgen. Gibt es bereits Ergebnisse?
Ja, die Veröffentlichung des Architecture-Whitepapers war ein wichtiger Meilenstein.
Mehrere Arbeitsgruppen arbeiten an dessen Umsetzung. Die ersten implementierten Lösungen wollen sie Ende dieses Jahres vorlegen.
Können Sie ein konkretes Beispiel für einen Endkunden nennen?
Ein Endkunde aus dem Bereich Logistik in Düsseldorf bucht einen Analyse-Service einer in Polen ansässigen Firma für die Einbindung in einen in seiner Stadt gehosteten GAIA-X-Cloud Knoten. Mit diesem Analyse-Service untersucht er auf dem GAIA-X-Cloud-Knoten seine und die Daten seiner Subunternehmer zu Fahrt- und Ruhezeiten. Anschließend verwendet er die Analyse zur Optimierung seiner Fahrtrouten. Die Daten seiner Subunternehmer gibt er, quasi ungesehen, zurück.
Hier wird deutlich, was ich meine: es kreuzen sich zwei unternehmerische Interessen und am Kreuzungspunkt liegen Daten, die beide brauchen, wo jeder nur einen Ausschnitt braucht, wo der Kontext unterschiedlich ist. Für solche Kreuzungspunkte muss die Souveränität der Daten geregelt sein, sonst kann man kein datengetriebenes Vertragsmodell fahren.
Lassen Sie uns zuletzt auch über Geld sprechen. Das Budget, das die Bundesregierung einbringt, ist mit 27 Millionen Euro recht überschaubar. Meinen Sie nicht, dass der Staat hier mehr investieren sollte?
Das für GAIA-X gewählte Finanzierungsmodell birgt Chancen und Risiken. Dadurch, dass es kein großes, durch die Ministerien initiiertes und getragenes Fundraising gibt, ist das Budget des Vorhabens derzeit gering. Die beteiligten Unternehmen haben aber auch – und das ist völlig legitim – ein wirtschaftliches Interesse. Deshalb werden sie Engagement einbringen.
Ein Risiko besteht allerdings darin, dass die Interessen der mittelständischen Unternehmen gegenüber den großen, finanzstarken Playern unterrepräsentiert bleiben. An dieser Stelle plädiere ich dann doch für etwas mehr Engagement der europäischen öffentlichen Hand nach dem Motto: "Eat your own dog food.“ Wir könnten in Europa selbst und selbstbewusst noch stärker pushen, dass europäische Datenökosysteme mit europäischer IT auf europäischen Servern laufen. Das Know-how haben wir in Europa auch und gerade im IT Mittelstand.