Souverän ist es, bewusst zwischen den minimalen und maximalen Ausprägungen abwägen und somit Risiken gezielt eingehen oder Chancen ergreifen zu können.
Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft und Politik, der Gesellschaft und Kultur zwingt Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle und Strukturen grundlegend zu überdenken und fortlaufend anzupassen. Die enorme Geschwindigkeit dieser Veränderungen, aber auch der Fachkräftemangel gerade im IT-Bereich, lösen eine hohe Nachfrage nach fertigen Software- und Hardware-Lösungen aus. Die Vorteile solcher Lösungen liegen auf der Hand: Sie sind schnell verfügbar, brauchen in der Implementation keine dezidierte Programmierung und sind damit zunächst günstiger und schneller einsatzfähig. Gleichzeitig sind fertige Lösungen jedoch in sich geschlossen, ohne Schnittstellen oder Exportmöglichkeiten und damit auch inkompatibel für Datentransfers. Die Abhängigkeit der Kunden von der Funktionalität und Verfügbarkeit eben dieser Lösungen ist folglich groß.
Eine solche Abhängigkeit kann für bestimmte Einsatzzwecke und Geschäftsmodelle durchaus gut funktionieren. Unverzichtbar ist es aber, sich mit der eigenen digitalen Souveränität zu beschäftigen. Es braucht nicht nur Transparenz, sondern auch eine klare Einordnung der Strategien bei der Entscheidung für oder gegen Software- und Hardware-Lösungen, um langfristig eine erfolgreiche und dauerhafte Business Transformation sicherzustellen. Außerdem ist die digitale Souveränität auch eine Frage der Nachhaltigkeit. Denn nachhaltig ist, was Bestand hat und langfristig seinen Wert ausspielt. Genauso verhält es sich bei digitalen Lösungen: Schalten Anbieter ihre Plattformen plötzlich ab, ist das schlichtweg nicht nachhaltig für die Kunden – und womöglich gleichbedeutend zu einem wirtschaftlichen Kollaps.
Wie aber lässt sich digitale Souveränität erreichen? Und: Ist es im laufenden Betrieb nicht längst zu spät, darüber nachzudenken? Nein, ist es definitiv nicht. Digitale Souveränität lässt sich idealerweise in vier Schritten erreichen – und zwar jederzeit. Dabei gilt es zuerst, die Situation sowie das Ziel fachlich zu durchdenken und dann in kleinere Probleme zu zerlegen. Danach müssen Standards verwendet oder notfalls geschaffen werden und quelloffene Lösungen zum Einsatz kommen. Das Ziel: Den eigenen Bedarf lösen, aber gemeinschaftlich agieren können.
Mark Lubkowitz
Lead IT Consultant
msg Research
+49 173 421 40 53
mark.lubkowitz@msg.group
Fachlich denken
problemfokussiert
statt lösungsbasiert
Souveränität erfordert es, freie und offene Lösungen einzusetzen. Das ermöglicht es, Lösungsbausteine beliebig zu ersetzen, vorhandene weiterzuentwickeln und von Weiterentwicklungen anderer zu profitieren.
Die Fachlichkeit muss entscheiden, nicht die verfügbare Technik. Souveränität erfordert deshalb, zunächst das fachliche Problem sowie die Anforderungen herauszuarbeiten und dabei die verfügbaren oder naheliegenden technischen Möglichkeiten zu ignorieren. Denn erst wenn geklärt ist, was wirklich gebraucht wird, darf die Technik eine Rolle spielen.
Erreichen lässt sich das durch Methoden wie Domain-Driven Design, Event Storming oder auch Domain Storytelling. Sie verschaffen einen Eindruck davon und beschreiben detailliert, welche Akteure wann und wie miteinander und mit Systemen interagieren. Diese Aktionen und Reaktionen sind die Grundlage zur Erarbeitung einer technischen Lösung.
Isoliert lösen
Bausteine
statt Pakete
Souveränität erfordert es, große Probleme in mehrere kleine zu zerlegen und diese isoliert zu lösen. So ist sichergestellt, dass stets die besten Lösungsbausteine zum Einsatz kommen können.
Ein einzelnes großes Problem ist schwieriger zu lösen. Souveränität ist also, große fachliche Probleme in mehrere kleine, fachliche Probleme aufzuteilen. Diese sind im Idealfall unabhängig voneinander und lassen sich damit auch unabhängig voneinander bearbeiten. Ändern sich fachliche oder gar technische Anforderungen eines Einzelproblems, dann lassen sich diese Anforderungen wiederum isoliert betrachten und kompensieren.
In der Anwendungsentwicklung sind dafür Frameworks und Bibliotheken, Komponenten und Module, Programmierschnittstellen und Webdienste hinlänglich bekannt und etabliert. Sie fokussieren sich selbst wiederum auf einzelne Teilprobleme und bieten dafür geeignete, leistungsfähige Lösungen. So lassen sich etwa Textverarbeitungsprogramme in Form von Teillösungen oftmals auch als E-Mail-Editoren einsetzen.
Standards verwenden
etablierte Standards
statt individueller Ansätze
Souveränität erfordert es, stets etablierte Standards zu verwenden. Das stellt sicher, dass Daten langlebig und übertragbar bleiben, weil entsprechende Schnittstellen einheitlich, bekannt und kompatibel sind.
Proprietäres schafft Abhängigkeit. Souveränität erfordert deshalb, etablierte Standards zu verwenden, statt individuelle Ansätze zu verfolgen. Das stellt sicher, dass Daten langlebig und übertragbar bleiben, weil entsprechende Schnittstellen einheitlich, bekannt und kompatibel sind. Auch über Jahrzehnte hinaus.
Auf nationaler und internationaler Ebene beschäftigten sich zahlreiche Organisationen mit Standardisierungen und Normungen, veröffentlichen, dokumentieren und pflegen diese. So existieren für nahezu alle Situationen entsprechende Vorlagen. Fehlt ein Standard, dann bietet sich als erster Schritt eine Eigenentwicklung an. Diese lässt sich dann einreichen, prüfen und zur Bildung eines neuen Standards aufrufen.
Open Source einsetzen
Open Source
statt Closed Source
Souveränität erfordert es, freie und offene Lösungen einzusetzen. Das ermöglicht es, Lösungsbausteine beliebig zu ersetzen, vorhandene weiterzuentwickeln und von Weiterentwicklungen anderer zu profitieren.
Der Einsatz von Open Source ist nicht per se besser, der Nutzen aber stets gegeben. Entscheidend ist, dass der Quellcode von Open Source-Software verfügbar und damit auch veränderbar ist. So können einzelne Lösungsbausteine beliebig ersetzt, angepasst oder weiterentwickelt werden. Damit fördert Open Source nicht nur die gemeinschaftliche Arbeit, sondern bedeutet auch, sich souverän anderen gegenüber zu verhalten.
Die Lizenzbedingungen von Open Source-Software sehen in der Regel vor, dass Dritte ihre Änderungen ebenfalls bereitstellen müssen. Funktionsumfang und Qualität der Lösungen wachsen dadurch automatisch. Sicherheitsprobleme werden bei aktiv weiterentwickelten Open Source-Lösungen frühzeitiger erkannt und gelöst als etwa bei proprietärer Software.