10.11.2020
Seit 2011 veröffentlicht die Initiative D21 jährlich eine Studie über die Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsangebote in den DACH-Staaten Deutschland, Österreich, Schweiz. Die aktuelle Untersuchung legt den Schwerpunkt auf die Auswirkungen der Corona-Krise und die Corona-Warn-App. msg ist seit Anfang 2017 mit Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector, im Gesamtvorstand der Initiative D21 vertreten und Partner der Studie eGovernment MONITOR. Im Interview spricht er über Nutzerfreundlichkeit, moderne Arbeit und den gesellschaftlichen Beitrag von msg.
Herr Fritsche, die Nutzung von E-Government in Deutschland nimmt (dem Monitor zufolge) zwar zu, Corona spielt aber eine eher untergeordnete Rolle. Wundert Sie das?
Tatsächlich wundert mich das nicht. Die Studie zeigt, dass die eingeschränkte Verfügbarkeit von manchen behördlichen Dienstleistungen nur geringen Einfluss auf die Nutzung von Onlineangeboten hat. Die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, künftig digitale Behörden-Angebote zu nutzen, hat zwar zugenommen. Corona hat den Gebrauch von Onlineangeboten aber nicht stark befördert. Man sieht einen leichten prozentualen Anstieg (in Deutschland 7 Prozent mehr Behördengänge online als zuvor, in Österreich sind es 13 Prozent, in der Schweiz 12 Prozent). Das weist darauf hin, dass es in Österreich und der Schweiz womöglich mehr Onlineangebote gibt als in Deutschland. Man muss diese schließlich auch nutzen können. Die erstmalige Corona-bedingte Nutzung liegt laut Studie in Deutschland bei nur vier Prozent, in der Schweiz bei drei Prozent. Die Menschen haben ihre Behördengänge also vermieden. Genauso, wie viele auch vermieden haben zum Arzt zu gehen.
Kann das auch mit der häufig geringen Nutzerfreundlichkeit zusammenhängen?
Manche Angebote sind schon ungewohnt und man muss sich reinarbeiten. Erstaunlicherweise ist es übrigens für Digital Natives nicht leichter, weil gerade die inzwischen eine ganz andere Qualität von Online-Services gewohnt sind.
Gab es denn zuletzt „hinter den Kulissen“ einen Digitalisierungsschub?
Den Aufwand, der bei der Entwicklung der Corona-App betrieben wurde, hat ja jeder mitbekommen. Mancher rieb sich da verwundert die Augen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie handlungsfähig Politik und ausführende Verwaltungen in Deutschland sind, wenn es darauf ankommt. Diese App ist im Prinzip in Windeseile und mit vielen Partnern und Behörden entwickelt und vor allem live geschaltet worden. Das Geld war da und die Überzeugung, dass alle Beteiligten die Synergien nutzen müssen. Das erzielte Ergebnis ist – meine ich – super.
Haben Sie ein weiteres Beispiel parat?
Ansonsten lässt sich positiv vermerken, dass auch die Verwaltung schnell auf Remote-Arbeiten umgeschaltet hat. Das war vorher unvorstellbar und niemand hätte es erwartet. Es ist allerdings auch deutlich geworden, dass die Verwaltung durchaus eine große Schwachstelle hat, an der die Verantwortlichen dringend arbeiten müssen: Man kann nicht gut online miteinander kommunizieren. Telefonischer Kontakt oder Mailaustausch funktioniert zwar, jedoch haben die Ansprechpartner auf Behördenseite und die Berater meistens keine Möglichkeit sich zu sehen und gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten. Es fehlen moderne Kollaborationstools für Videomeetings und zum Teilen von Bildschirmen. Die Cloud-Lösungen internationaler Anbieter nutzt die Verwaltung nicht. Was gute Gründe hat.
Welcher Natur?
Sie müssten eine Installation haben, die in einer privaten Behörden-Cloud oder im Rechenzentrum der Behörden läuft. Aus Sicherheitsgründen und Gründen der Unabhängigkeit will die Öffentliche Verwaltung Cloud-Angebote internationaler Anbieter nicht nutzen. Stichwort Souveränität. Das Fehlen anderer Lösungen dafür ist ein deutliches Manko. Die anfangs noch nicht sehr gute Rechnerausstattung und Anbindung an die Zentralen wurden schnell behoben. Aber das Fehlen von Kollaborations-Tools ist eine Achillesferse der Verwaltung. Projekte gehen dadurch langsamer voran.
Haben Verwaltungen dennoch jetzt die Chance, treibende Kraft für die digitale Souveränität von Bürgerinnen und Bürgern zu werden? Und was muss geschehen?
Die Verwaltung tut, was sie kann und oft mehr, um den Wandel im Rahmen der Gesetze und Verordnungen zu gestalten. Die Politik muss jedoch auch entsprechende Anstrengungen unternehmen und die Rahmenbedingungen schaffen. Besonders gut ist das an dem genannten Beispiel zu sehen. Man könnte meinen, es sei nur ein Detail, dass man nicht gemeinsam an Dokumenten arbeiten kann. An diesem Detail wird aber deutlich, dass etwas getan werden muss. Das ist nicht mehr modernes Arbeiten. Auch ohne Corona würde man vermutlich nicht mehr zur alten Zeit zurückkehren, sondern versuchen, die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen. Und wenn die Verwaltung neue Mitarbeitende gewinnen will, kommt sie nicht umhin, moderne Tools einzusetzen. Will sie die Cloudangebote internationaler Konzerne nicht nutzen, muss sie eigene schaffen.
Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector
Etwa GAIA-X?
Genau. Das ist ein Beispiel für einen europäischen Cloudservice, der erst gebaut werden muss. Die Behörden selbst arbeiten auch an einer eigenen Cloud, müssen dann wiederum entsprechende Tools einsetzen. Die findet man z.B. im Open Source-Bereich. Das allerdings dauert seine Zeit. Für die Bürgerinnen und Bürger wäre der Effekt überschaubar, die Behörden würden dadurch souverän hinsichtlich Anwendungen und Daten. GAIA-X ist der Hoffnungsschimmer, der noch Zukunftsmusik ist. Genau diese Souveränität wollen die Deutsche und europäische Politik erreichen. Letzten Endes geht es hier um Datensouveränität. Weil daran gearbeitet wird, wird es eine Lösung geben, um aus der derzeitigen Abhängigkeit heraus zu kommen.
Was kann msg denn hier beitragen?
Wir sind neben vielen anderen Firmen konkret an GAIA-X beteiligt. Zunächst muss man den Anspruch an sich selbst haben, den Vorsprung von Amazon, Google und Co. annähernd aufzuholen. Was schwer genug ist und nur funktioniert, wenn die Politik und alle Beteiligten das wollen und mithelfen. In Österreich – das in Sachen moderne öffentliche Verwaltung als Vorbild gilt – helfen wir ganz entscheidend bei Digitalisierungsprojekten, und zwar entwicklungsseitig, beratend und bei der Erstellung von Konzepten. In der ausführenden Verwaltung in Deutschland unterstützen wir beispielsweise beim Meinungsbildungsprozess in Politik, Gesellschaft und Verwaltung und konkret z.B. bei der Modernisierung der Register. Diese sollen nach dem Vorbild Österreichs so genutzt werden können, dass unter Datenschutzaspekten mit der Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger Daten zwischen Behörden ausgetauscht werden können. Dann müsste man nicht mehr Formulare jedes Jahr aufs Neue ausfüllen. Die Idealvorstellung wäre, dass man die Daten einmal eingibt und bei erneuter Antragstellung auswählen kann, ob die Daten für einen ganz konkreten und eingegrenzten Anwendungsfall von einer anderen Behörde übernommen werden können.
Können Sie auch wieder ein Beispiel geben?
Die Wohnsitz-Ummeldung. Die könnte dann automatisch passieren. Oder die Beantragung von Kindergeld. Wieso muss man Kindergeld beantragen? Ein Kind wird geboren und hat Anspruch auf Kindergeld. Das kann einfach ausgezahlt werden. Dazu bedarf es nur einer Kontonummer und der Zustimmung der Eltern und nicht vieler Formulare. Da helfen wir, wo es geht. Wir sind an vielen Stellen in der Verwaltung in Deutschland tätig und sind auch stolz darauf, damit etwas Sinnvolles für die Gemeinschaft leisten zu können.