Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2019
von Dr. Katrin Ehlers
Der eGovernment MONITOR verrät, was Bürger erwarten – und welche Vorbehalte sie haben.
Wir kaufen online mit einem Klick und checken beim Fliegen oder Bahnfahren mit dem Smartphone ein. Vielleicht folgen wir sogar den Musikempfehlungen unseres Streamingdienstes oder speichern unsere Gesundheitsdaten in der Cloud. In Deutschland nutzen 90 Prozent aller Personen ab zehn Jahren das Internet, 87 Prozent vorzugsweise über ihr Smartphone. Das ist die digitale Realität, privat und beruflich. Ganz anders sieht das Bild aus, wenn wir Leistungen von Behörden in Anspruch nehmen. Dort ist das Warten vor dem Schalter im Amt noch immer der Normalfall. Nur 40 Prozent derjenigen, die das Internet im täglichen wie im Berufsleben nutzen, nutzen auch E-Government-Angebote – Tendenz rückläufig.
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, einige davon scheinen auf der Hand zu liegen: Selbstverständlich nehmen wir Behördenleistungen vergleichsweise selten in Anspruch. Und wenn, dann tun wir Bürger das auf die Weise, wie wir es schon immer getan haben. Wir kennen die neuen E-Services noch nicht. Oder den Service, den wir benötigen, gibt es (noch) nicht digital. Das alles ist nicht falsch, erklärt aber nicht, warum bei einer über die Jahre steigenden Bekanntheit von E-Government-Angeboten die Nutzung zurückgeht. Die Ergebnisse des eGovernment MONITOR geben dazu wichtige Hinweise.
Komfort und Durchgängigkeit der E-Government-Angebote unzureichend
Während 2012 noch 76 Prozent der deutschen Onliner angaben, die E-Government-Angebote nicht zu kennen, sind es 2018 nur noch 42 Prozent. Trotz dieses deutlichen Rückgangs ist mangelnde Bekanntheit immer noch die am häufigsten genannte Nutzungsbarriere. Jeweils etwa 40 Prozent geben an, den benötigten Service gebe es (noch) nicht online, der Service sei nicht von Anfang bis Ende elektronisch verfügbar, und beklagen entweder eine undurchschaubare Struktur der Onlineangebote, mangelnde Hilfestellung durch die Behörden sowie die Notwendigkeit, zusätzliche Hardware zu beschaffen. Der Schlüssel zur rückgängigen Nutzung liegt dabei offenbar in der mangelnden Durchgängigkeit und in mangelndem Nutzungskomfort. Dies wird insbesondere in den Angaben der Bürger zu ihrer Zufriedenheit mit den E-Government-Angeboten deutlich. „Ausbau und Weiterentwicklung der staatlichen Onlineangebote [scheinen] nicht mit den aus dem privaten Umfeld bekannten Diensten und den damit verbundenen Erwartungen an Bedienbarkeit und Nutzerfreundlichkeit Schritt zu halten“, schlussfolgern die Autoren der Studie. „Die Erwartungen der Nutzer [steigen] schneller, als der Ausbau der behördlichen Onlineangebote vorangeht.“ (S. 22–23)
In Österreich und der Schweiz liegt die Zufriedenheit mit den genutzten Angeboten heute unter dem Niveau von 2012. In Deutschland ist sie nach wie vor deutlich geringer als in den Nachbarländern und nur ein Prozent höher als sechs Jahre zuvor bei 58 Prozent. Die Schere zwischen den Ansprüchen der Bürger und dem bereitgestellten Angebot geht weiter auseinander. Als Vorteile des E-Government werden Zeitersparnis, Unkompliziertheit und Bequemlichkeit genannt. Unzufrieden sind die Bürger hinsichtlich der Unübersichtlichkeit und Unzuverlässigkeit der Systeme, der Dauer des Vorgangs, der Rückmeldequote und vor allem der nicht durchgängig digitalen Angebote. „Beim weiteren Ausbau des Online-Angebots sollte deshalb darauf geachtet werden, Prozesse gänzlich zu digitalisieren und Medienbrüche zu vermeiden“, so die Empfehlung der Autoren. (S. 24–25)
Noch immer persönlicher Kontakt mit der Behörde vorherrschend
In Deutschland stehen den Bürgern für Behördengänge eine ganze Reihe von Kanälen, in der Regel auch mehrere im Zusammenhang mit einem Anliegen, zur Verfügung (siehe auch Koblitz, U., Service Design. Damit die „Citizen Journey“ nicht im Stau endet, Seite16 in dieser .public). Der Hauptkanal ist dabei der persönliche Kontakt, sowohl für die Information (40 Prozent) und die Beratung (30 Prozent) als auch für den Abschluss des Vorgangs (52 Prozent). Das heißt, auch Bürger, die die ersten Schritte telefonisch, über die Website, per E-Mail oder Brief erledigt haben, nehmen am Ende einen persönlichen Termin wahr. Die Website wird von 23 Prozent zur Information genutzt, aber nur von 7 Prozent für die Beratung, wohingegen (immerhin) 18 Prozent den Vorgang online abschließen können. Diese Medienbrüche verlangsamen den Gesamtprozess, sind ineffizient und führen zur Unzufriedenheit der Bürger.
Bürger wollen gewohnte Identifizierungsverfahren
Dass die Bürger von E-Government-Services die User Experience erwarten, die sie von privaten oder beruflichen Onlineaktivitäten gewohnt sind, zeigt sich sehr deutlich bei der Frage nach Identifizierungsverfahren. Behördenseitig ist dafür in Deutschland der Personalausweis mit eID vorgesehen. Mehr als zwei Drittel der Befragten besitzen den neuen Personalausweis. 22 Prozent verfügen außerdem über eine Freischaltung der eID-Funktion, aber nur 6 Prozent über das notwendige Lesegerät. Nur diese 6 Prozent also können viele E-Government-Angebote nutzen – ein Punkt, der durchaus eine echte Nutzungsbarriere darstellt (siehe oben). Aber die elektronische Identifizierung mit dem Personalausweis scheitert nicht nur an der Hardware, sondern hat offenbar insgesamt auch acht Jahre nach Einführung ein Akzeptanzproblem. 38 Prozent verfügen nicht über die eID-Funktion, weil sie sie nicht freischalten lassen (32 Prozent) oder sogar deaktiviert haben (6 Prozent). Stattdessen wünschen sich die Bürger ein Identifizierungsverfahren, wie sie es aus ihrem privaten Umfeld gewohnt sind. Nur 2 Prozent nutzen dafür den Personalausweis. Die häufigsten privat genutzten Verfahren sind Benutzername und Passwort (53 Prozent), das Pin-/TAN-Verfahren (40 Prozent) und ein Bestätigungslink per E-Mail (25 Prozent). 35 Prozent würden vorzugsweise auch auf Behördenservices mithilfe von Benutzername und Passwort zugreifen, 34 Prozent mittels Pin-/TAN-Verfahren und 21 Prozent über einen Bestätigungslink. In Österreich hingegen, wo der Staat auf die Handy-Signatur setzt, kommt dieses Verfahren immerhin auf einen Zustimmungswert von 29 Prozent; es liegt damit aber immer noch 20 Prozentpunkte hinter dem favorisierten Pin-/TAN-Verfahren. Die Bürger bevorzugen, was sie gewohnt sind, und nur wirklich unkomplizierte Verfahren haben eine Chance, sich durchzusetzen. (vgl. Abb. 2 Gewünschte ID für digitale Behördengänge, Studie S. 26–32)
Klare Zugriffsrechte und Transparenz gefordert beim Bürgerkonto
Die Frage nach einer Identifizierung, die mit Akzeptanz rechnen kann, stellt sich auch mit der Einführung des geplanten Bürgerkontos, das ebenfalls Gegenstand der Befragung gewesen ist. Die Bürger erwarten diesbezüglich vor allem klare Zugriffsrechte, Transparenz über den Zugriff auf die Dokumente sowie eine Benachrichtigungsfunktion zu ablaufenden Dokumenten und Abbildung 1: Gründe für Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit Online-Behördenangeboten, Quelle: Initiative D21, eGovernment MONITOR 2018 Kunde im Mittelpunkt | .public 01-19 | 25 Fristen. In Deutschland wünschen sich 61 Prozent eine Übersicht, welche Behörde wann auf Dokumente zugreift, und 47 Prozent unterschiedliche Zugriffsrechte für einzelne Behörden. 57 Prozent wollen eine automatische Benachrichtigung über ablaufende Dokumente und Fristen. 45 Prozent hätten gern eine Statusanzeige für ihre Behördenvorgänge. Diese Empfehlungen resultieren auch aus den Bedenken, die die Bürger – insbesondere in Deutschland – in Bezug auf den Datenschutz haben. Nur rund 20 Prozent der Bürger wären bereit, auch private Dokumente (etwa Versicherungspolicen oder medizinische Unterlagen) dort zu speichern, wohingegen 55 Prozent der Auffassung sind, dass private Unterlagen die Behörden grundsätzlich nichts angehen.
Von diesen wiederum begründen 56 Prozent ihre Vorbehalte mit dem Argument „gläserner Bürger“ durch die Zusammenführung von Daten in einer zentralen Datenbank, 47 Prozent äußern Ängste in Bezug auf Datendiebstahl und 44 Prozent dahingehend, nicht zu wissen, was mit den Daten passiert. Während also nur eine Minderheit im Bürgerkonto auch private Dokumente hinterlegen würde, sind die Einstellungen in Bezug auf Funktionen des Bürgerkontos, die unmittelbar mit staatlichen Dienstleistungen zusammenhängen, ganz andere: Immerhin 48 Prozent sind bereit, eine Meldebestätigung zu hinterlegen, 43 Prozent Urkunden (Heirat, Geburt), 40 Prozent ihre persönlichen Daten, 37 Prozent Ausweisdokumente und 35 Prozent ein biometrisches Passfoto. In allen Punkten liegen die Akzeptanzwerte in Deutschland niedriger als in Österreich oder der Schweiz. Damit erscheint die Akzeptanz für das Bürgerkonto in der Summe noch ausbaufähig. (S. 38–42).
Dabei haben sich die Datenschutzbedenken der Bürger in der letzten Zeit nicht verschärft – trotz einiger öffentlich diskutierter Sicherheitsvorfälle. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die 2018 in Kraft getreten ist, dem vertrauensbildend entgegengewirkt hat. Dennoch bleiben mehr als ein Drittel der Befragten wegen der Sicherheitsrisiken zurückhaltend gegenüber der Nutzung von staatlichen Onlinediensten, ältere Menschen jeweils stärker als die jüngeren. Von denjenigen mit Datenschutzbedenken befürchten 47 Prozent mangelnde Sicherheit bei der Datenübertragung, 43 Prozent den „gläsernen Bürger“. Jeweils 42 Prozent sind besorgt, nicht zu wissen, was mit ihren Daten passieren könnte, und haben Angst vor Datendiebstahl. Immerhin noch 40 Prozent äußern Vorbehalte hinsichtlich der Sorgfalt der Behörden im Umgang mit ihren Daten. (S. 20–21)
Hohes Potenzial für zeitsparende Online-Services
Gleichzeitig zeigt die Studie ein großes Potenzial für den Ausbau und die Nutzung von digitalen Behördendiensten. Am deutlichsten zeigt sich dies bei dem Beispiel der An-, Um- oder Abmeldung eines Kraftfahrzeugs online: Nur 14 Prozent nutzen dieses Angebot, 48 Prozent geben an, das Angebot zu kennen, aber 63 Prozent würden diesen Dienst künftig in Anspruch nehmen. Das ist ein Potenzial von fast 50 Prozent. Ebenfalls signifikantes Potenzial zeigt sich bei der digitalen Kommunikation mit der Behörde (zum Beispiel per E-Mail), die bisher 36 Prozent nutzen, aber 76 nutzen würden, sowie bei der Online-Terminvereinbarung – von 43 Prozent genutzt und von 76 Prozent potenziell genutzt. In Bezug auf die Onlineanforderung von Briefwahlunterlagen liegt das Potenzial bei 29 : 70, für das Herunterladen von Formularen liegt das Potenzial bei 54 : 80. (S. 14–15)
Ganz einfach wie anderswo
Die Bürger formulieren also ihre Anforderungen deutlich: Sie wollen ganz überwiegend E-Government, und sie wollen es auf der Höhe ihrer digitalen Erfahrungswelt:
- Schnell
- Unkompliziert
- Selbsterklärend
- Nutzerfreundlich
- Durchgängig online
- Sicher, stabil und verlässlich
- Immer auf der Höhe der Zeit
Für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), mit der bis 2022 sämtliche Verwaltungsleistungen digitalisiert werden sollen, bedeutet dies: Während der Entwicklung ebenso wie nach Inbetriebnahme müssen Onlineangebote und -nutzungsgewohnheiten in der Welt außerhalb der Verwaltung intensiv beobachtet werden und die Erkenntnisse auch binnen absehbarer Zeit Berücksichtigung finden. Die Digitalisierung der Verwaltung ist ein andauernder Prozess stetiger Weiterentwicklung und Veränderung. Das gilt für die User Experience, aber auch für die eingesetzten Identifizierungs- und Sicherheitsstandards. Die müssen fortlaufend angepasst werden. Die Verwaltung kann es sich nicht leisten, das Vertrauen der Bürger aufgrund von Sicherheitsvorfällen zu verspielen.
Umgekehrt formuliert: Gelingt mit der Digitalisierung der Verwaltung die kundenorientierte Weiterentwicklung ihrer Dienste nicht, werden die Bürger (und vermutlich auch andere Verwaltungskunden) diese digitalisierten Angebote nicht nutzen. Damit aber bleibt natürlich auch der gewünschte Effizienzgewinn aus.
Quellenangaben:
1 https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2018/09/PD18_330_634.html