Dr. Fedor Ruhose, Staatssekretär und Amtschef im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz (MASTD), im Gespräch mit Werner Achtert, Geschäftsbereichsleitung msg Public Sector, und Dr. Andreas Zamperoni, Chefredakteur der .public, über die Digitalisierung eines föderalistischen Staates.
Dr. Fedor Ruhose ist seit dem 18. Mai 2021 Staatssekretär und Amtschef im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz. Er ist außerdem Beauftragter der Landesregierung für Informationstechnik (CIO) und Digitalisierung (CDO). Nach beruflichen Stationen im Landesministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie dem Landesministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie war er von 2014 bis 2021 Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion.
msg: In Ihrem Buch „Schleichender Blackout: Wie wir das digitale Desaster verhindern“ greifen Sie zusammen mit Valentina Kerst ein kritisches Thema auf, das große Auswirkungen auf viele Bereiche unserer Gesellschaft hat. Was hat Sie motiviert, sich mit digitalem Blackout zu befassen?
Ruhose: Valentina Kerst und ich haben uns vor der Bundestagswahl 2021 kennengelernt. Wir haben uns darüber ausgetauscht, dass das Thema Digitalisierung einem breiteren Publikum noch einmal zugänglicher gemacht werden und das sperrige Thema „Digitalisierung des Staates“ etwas breiter diskutiert werden sollte. Wir wollten gerne in diese Lücke hineingehen und die Debatte anstoßen. Jetzt freuen wir uns darüber, dass wir eine Resonanz bekommen.
msg: Es ist offensichtlich gelungen, die Debatte anzustoßen. Beim Lesen haben wir uns gefragt, welche Aufgabe der Staat in dieser digitalen Welt hat. Ist es die Regulierung, die aktive Wirtschaftsförderung oder digitale Infrastruktur? Wo sehen Sie den Schwerpunkt?
Ruhose: Regulation ist wichtig. Aber auch die Frage, wie wir die digitalen Möglichkeiten dafür nutzen können, den Staat für Unternehmen und für Bürgerinnen und Bürger serviceorientierter aufzustellen. Das sind die beiden zentralen Zielgruppen. Gleichzeitig betrachten wir auch die Binnenperspektive: Wie können wir es auch für diejenigen, die für den Staat arbeiten, attraktiver und einfacher machen? Wir sehen in Umfragen, dass die Menschen viel höhere Ansprüche an den Staat haben. Wir sehen aber gleichzeitig Fachkräftemangel und Schwierigkeiten der Nachbesetzung. Wir können mit den vorhandenen Leuten in der Verwaltung diesem Anspruch nur noch sehr schwer gerecht werden. Die Frage ist: Wo können wir mit Automatisierungspotenzialen die Verwaltung gut und neu aufstellen? Wir müssen die Infrastruktur zur Verfügung stellen, sodass wir endlich einmal in eine Gigabit- Gesellschaft kommen. Wir haben keine Diskussionen mehr darüber, ob wir WLAN an jeder Milchkanne haben müssen, sondern es ist klar, dass dies zur staatlichen Daseinsvorsorge und Fürsorge gehört. Diese Punkte finde ich wichtig.
msg: Ein wichtiges Thema scheint uns auch die Umsetzungsgeschwindigkeit zu sein, gerade wenn Sie die Privatwirtschaft ansprechen. Die ist häufig viel schneller in der Umsetzung von Vorhaben. Gleichzeitig fordern Wirtschaft wie Bürgerinnen und Bürger, dass die öffentliche Verwaltung schneller werden müsse. Wie kann Digitalisierung da konkret helfen? Was ist Ihr erstes Ziel, um Ihre eigenen Vorhaben schneller zu machen?
Ruhose: Ich bin sehr froh, dass wir einen Wechsel in der Debatte hatten. Die OZG-Startdiskussion war, dass wir den gesamten digitalen Staat abbilden müssen. Nachdem uns der 31.Dezember gezeigt hat, dass wir das nicht hinbekommen, sind wir an einem Punkt, an dem wir sagen, lasst uns fokussieren, was wirklich wichtige Leistungen sind, und diese digital anbieten. Ich glaube, so kann es schneller werden, wenn der Fokus richtig gelegt wird und man sich lieber auf wenige Punkte konzentriert. Sowohl was Unternehmen als auch, was schnelle Genehmigungsverfahren angeht. Da bringt ein digitales Verfahren enormes Tempo hinein. Bei den Verfahren für die Bürgerinnen und Bürger sorgt Digitalisierung auch für mehr Schnelligkeit in der Leistungserbringung. Dann brauchen wir aber noch eine zweite Sache, nämlich eine Verhaltensänderung. Ich glaube, dass der beste digitalisierte Prozess in der Verwaltung derjenige ist, der wegfällt. Wir müssen also noch einmal mit einem ganz anderen Blick auf Bürokratie und Verwaltungsmodernisierung schauen und fragen, ob es nicht auch eine ganze Reihe von Prozessen gibt, die wir einfach einmotten können. Man wird schneller, wenn man nicht versucht, eins zu eins den analogen Staat digital abzubilden, sondern sich sagt, dass Digitalisierung ein Organisationsprojekt ist, und sich vor der Digitalisierung anschaut, was in den Behörden eigentlich gemacht wird. Da müssen wir hinkommen.
msg: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das Weber‘sche Bürokratie- Modell nicht mehr trägt. Aber eigentlich sagt Weber, dass dieses Bürokratie-Modell nicht dafür da ist, Gesetze umzusetzen oder durchzusetzen. Er beschreibt rationales Handeln im Interesse der Gemeinschaft. Wenn die Bürokratie richtig angewendet werden würde, nämlich als rationales Handeln, dann wäre sie gar nicht so schlecht.
Weber’sche Bürokratieprinzipien
Max Weber (1864 bis 1920), deutscher Soziologe und Nationalökonom, entwickelte unter anderem in seinem postum erschienenen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1922) drei Herrschaftsformen, wonach neben der charismatischen Herrschaft und der traditionellen Herrschaft die legale Herrschaft die Einzige sei, die auf Rationalität beruht. Die reinste Form der legalen Herrschaft, Weber zu Folge, ist die Bürokratie, welche sich durch diverse sogenannte Bürokratiemerkmale auszeichnet, beispielsweise die Trennung von Amt und Person, Regelgebundenheit und positives Recht oder eine Aufgabenerfüllung, die auf Schriftstücken basiert. Legitimiert wird sie durch die Kompetenz des Vorgesetzten und soll somit die Bevorzugung oder Benachteiligung Einzelner sowie willkürliche Entscheidungen vermeiden. Aber bereits damals merkte Weber an, dass durch die hohe Rationalisierung auch das alltägliche Leben des Einzelnen eingeschränkt werden könnte.
Ruhose: Stimmt, ich bin auch ein großer Fan von Verwaltung und vom Dienstweg. Es ist nicht alles nur schlecht, sondern es hat alles auch eine Funktion. Es hat einen großen Wettbewerbsvorteil, dass wir in Deutschland eine funktionierende Verwaltung haben. Dass wir einen Staat haben, auf den man sich verlassen kann. Jetzt merken wir aber, dass dieses sehr stringente, in Silos organisierte Verwaltungshandeln, das Weber beschrieben hat, nicht mehr ausreicht, um die Herausforderungen der Zeit zu bewältigen. Ich sehe, dass überall, wo wir hier in der Verwaltung schon jenseits der Linie und ressortübergreifend arbeiten, bessere Antworten auf die Herausforderungen kommen. Sonst wird Fachwissen sehr isoliert betrachtet. Wenn wir nur das Weber‘ sche Bürokratie-Modell elektrifizieren, dann sage ich damit, dass ich ein Silo habe und das digital abbilde. Wir müssten aber zu einer veränderten Zusammenarbeit innerhalb von Regierung und Verwaltung kommen. Ressortübergreifend und projektorientiert, damit wir einen anderen Blick auf die Verwaltung haben. Es wird nicht funktionieren, wenn die Prozesse so digitalisiert werden, wie sie jetzt sind. Das führt eher zu schwierigen Ergebnissen am Ende.
msg: Aus welcher Richtung kommt der andere Blick Ihrer Meinung nach?
Ruhose: Der andere Blick hilft manchmal, wenn ich über Referatsgrenzen hinweggehe. Spannend ist der Blick des Nachbarressorts auf die gleiche Thematik. Ich würde immer sagen, Klimawandel gestalten und darauf reagieren kann nicht das Klimaschutzministerium allein, sondern das müssen wir alle. Digitalisierung und digitale Prozesse stärken können nicht nur die, die für Digitalisierung zuständig sind, sondern das muss aus den Fachverwaltungen herauskommen. Dann können diejenigen, die für Digitalisierung zuständig sind, auch unterstützen. Deswegen bin ich kein großer Fan eines zentralen Digitalisierungsministeriums, sondern einer zentraleren Steuerung und einer stringenteren Governance.
msg: Ist es denn sinnvoll, eine eindeutige Zuordnung zu einem Ressort zu machen oder eine zentrale Steuerung zu schaffen?
Ruhose: Natürlich muss diejenige Person, die für die Digitalisierung zuständig ist und die entsprechende Kompetenz im Fachbereich hat, orientiert und ressortiert sein. Das ist wichtig. Ich glaube aber, was hinter dieser Diskussion von einem reinen Digitalisierungsministerium steckte, war die Hoffnung, die ganzen Prozesse an einen Ort geben zu können, der dann dafür verantwortlich ist. Ich denke, das ist nicht der richtige Weg. Ich brauche natürlich einen Orientierungspunkt. Ich brauche eine Zuständigkeit, wo das technische Know-how sitzt. Wo die Projektorientierung noch einmal einen anderen Blick auf die Verwaltung hat. Und wo die Fachverwaltungen bereit sind, gemeinsam daran zu arbeiten. Es gibt nicht das eine Digitalisierungsministerium, das sagen kann: „Prozesse in der Umweltverwaltung, in der Wirtschaftsverwaltung, die können wir jetzt einfach umfassend digitalisieren.“
msg: Sie wünschen sich also stärkere Koordination und die Verantwortung bleibt in den jeweiligen Fachressorts und Bereichen?
Ruhose: Ja, beziehungsweise wird sie am Ende auch geteilt. Das führt dazu, dass es neben der klaren Silo-Orientierung auch andere Organisationsformen gibt. Ich sage dann an anderen Stellen, dass ich jetzt einmal mein Know-how einbringe. Aber ich akzeptiere, dass diejenigen, die von Digitalisierung eine größere Vorstellung haben, sagen: „Wir müssen uns deinen Prozess noch einmal ansehen. Wir verstehen dein fachliches Ziel, aber lass uns noch einmal schauen, wie wir das eigentlich in der digitalen Welt abbilden können.“
msg: Wir stellen oft fest, dass die verschiedenen Fachverfahren bisher sehr isoliert betrachtet wurden. Jedes Fachverfahren hat technisch betrachtet sein eigenes Silo. Auch die Architekturen sind vollkommen isoliert. Die Frage ist, wie wir dahin kommen, dass wir auch diese Fachverfahren stärker übergreifend machen. Registermodernisierung ist der Versuch, es im Nachhinein zu heilen. Aber wie könnte denn so eine Architektur in Zukunft aussehen?
Ruhose: Ich glaube, Registermodernisierung ist ein wichtiges Stichwort. Wir können lange darüber reden, dass wahrscheinlich die Reihenfolge bei der Digitalisierung besser andersherum hätte sein müssen. Bei der Registermodernisierung müssen wir aber betrachten, dass wir eine Infrastruktur brauchen, auf der Daten von A nach B transportiert werden können. Das heißt, wir brauchen auch verbindlichere Standards als die, die wir jetzt haben. Die Problematik haben wir auch als IT-Planungsrat erkannt. Aber gleichzeitig müssen wir auch schauen, dass wir bei den Projekten, die wir jetzt anstoßen, nicht die gleichen Fehler machen, wie wir sie beim OZG gemacht haben, was die Dimensionalität angeht. Wir müssen alle Register abbilden, die es gibt, auch wenn es jetzt die Top 19 sind, auf die wir uns konzentrieren. Es ist wichtig, dass diejenigen, in deren fachlicher Verantwortung die Register sind, sehen, was der Mehrwert davon ist, diese Register digital zu haben. Es ist die Aufgabe derjenigen, die für Digitalisierung Verantwortung haben, das aufzuzeigen. Die schönste technische Infrastruktur nutzt mir nichts, wenn die Melderegister nicht standardmäßig miteinander kommunizieren können oder aber in unterschiedlichen Aggregatszuständen digital sind. Ich muss schauen, dass wir die Daten digitalisieren. Dafür brauche ich ein Verständnis innerhalb der Fachverwaltung und ich glaube, dafür zu werben ist die Aufgabe der Digitalisierungsleute.
msg: Das wäre zum Beispiel vor der Grundsteuerneuerhebung ein guter Ansatz gewesen.
Ruhose: Grundsteuer ist für mich immer ein Paradebeispiel. Allein, dass der Brief bei allen in der Post war, die etwas zu versteuern haben, zeigt, dass die Daten, die der Staat erhebt oder neu erheben will, schon da sind. Sonst wäre der Brief nie angekommen. Das ist leider eine verpasste Chance. Wenn die Daten entsprechend digital aufbereitet sind, dann kommt so ein Brief nicht mehr, denn dann sind die Verknüpfungen auch zu den einzelnen Registern da.
msg: Sie sind ja in einer Position, handeln zu können. Was machen Sie in Rheinland-Pfalz konkret? Welches ist im Moment Ihr Herzensprojekt zum Thema Digitalisierung?
Ruhose: Bevor ich zu meinem Herzensprojekt komme, will ich sagen, dass die OZG-Leistungen, für die Rheinland-Pfalz mitverantwortlich ist, zentrale Leistungen gewesen sind. Das ist zum Beispiel das Breitbandportal, das wir gemeinsam mit Hessen auf den Weg gebracht haben. Da ist eigentlich alles erfüllt, was ich auch als Anspruch formuliere. Es ist eine gemeinsam von zwei Bundesländern und der Metropolregion Rhein-Neckar entwickelte Leistung, wir waren das nicht allein. Das ist kein Leuchtturm für irgendwen, sondern gelebte Kooperation. Es ist Ende zu Ende digitalisiert, das heißt, ich habe nicht irgendwo ein Frontend und dahinter wird ausgedruckt. Ich habe von Anfang an sowohl die kommunale Ebene als auch die Unternehmen, die es wirklich betrifft, nämlich die Antragstellenden und die Antragsbearbeitenden, im Entwicklungskreis dabeigehabt. Das zeigt, wenn ich diesen kooperativen, Stakeholder-orientierten Ansatz gut und stringent zu Ende denke, kommt ein guter Prozess dabei heraus.
Als zweite Leistung haben wir über unseren Dienstleister die Onlinewache. Wir haben die Möglichkeit, online Anzeigen gegenüber der Polizei zu machen, als Leistung eingebracht. Das gab es als rheinland-pfälzisches Fachverfahren. Sachsen und Saarland, die dafür verantwortlich sind, haben gesagt: Wir entwickeln nichts Neues, sondern wir nehmen das Produkt, das es in Rheinland- Pfalz gibt, und stellen das zur Verfügung. So geht für mich Kooperation im föderalen System, so geht für mich Digitalisierung. Wir haben alle zusammen an dem gleichen Ziel gearbeitet. Wir treten jetzt in eine Phase ein, die ich Digitalisierungskonsolidierung nennen möchte. Wir schreiben gerade unsere Digitalisierungsstrategie fort. Das ist mein Herzensprojekt. Da sagen wir, wir brauchen in Rheinland-Pfalz eine andere Governance. Wir brauchen mehr gemeinsame Kooperation zwischen denjenigen, die die Fachkompetenz in den Ressorts haben, und denjenigen, die das technische Know-how einbringen können. Wie machen wir das? Indem wir Teile zum Beispiel im Landeshaushalt schon zentral über das Digitalisierungsministerium budgetieren. Das, was die OZG-Eigenentwicklung angeht, ist schon komplett zentralisiert. Wir schauen jetzt, ob es Projekte wie die Registermodernisierung gibt, wo das ähnlich sinnvoll sein kann. Wie Digitalisierungsprojekte der Ressorts in den Kreislauf kommen, sodass der Landesdienstleister sich damit beschäftigt. Auch da werden wir eine neue, kooperativere Governance auf stellen. Ich glaube, da können wir sehr viel lernen von dem, was wir an IT-Konsolidierung hatten. Wir sehen, dass das technische Know-how viel stärker bei denen eingebunden wird, die das Interesse an der Fachverantwortung haben. Das ist mein Herzensanliegen, daran arbeiten wir. Die Mischung macht es dann. Da, wo wir Digitalisierungspolitik für das Land allein gestalten, versuchen wir mit mehr kooperativer Führung auszugestalten. Dort, wo wir Deutschland digitalisieren wollen und Deutschland digitaler machen wollen, machen wir das nicht allein mit einem rheinland-pfälzischen Superprojekt, sondern wir machen das mit einem länderübergreifenden Superprojekt.
Abb. 1: Werner Achtert im Gespräch mit Dr. Fedor Ruhose
msg: Sie haben den Föderalismus in Ihrem Buch als Hindernis kritisiert. Wo liegen da die Schwierigkeiten? Warum funktioniert die Kooperation länderübergreifend so schlecht?
Ruhose: Es funktioniert auch bundesländerübergreifend, was wir als nüchterne Bestandsaufnahme gemacht haben. Ich bin ein großer, überzeugter Anhänger des Föderalismus, sonst wäre ich, glaube ich, auf der Landesebene nicht richtig. Aber es zeigt, dass der Koordinierungsaufwand enorm erhöht wird. Das merkt man bei Digitalisierungsprojekten noch einmal mehr, weil sie schon allein von ihrem ganzen Setting nicht in das normale Verwaltungshandeln hineinpassen. Wenn Sie ein Projekt haben, das die Neuaufsetzung von Fachverfahren angeht, dann werden Sie immer mit iterativen Prozessen zu tun haben. Wir gehen zwei Schritte nach vorne, und dann merken wir, da hängt etwas, da fehlt eine Schnittstelle.
msg: Aber die digitale Wache, die Sie erwähnt haben, wäre ein gutes Beispiel für die Legitimation des Föderalismus, wo das Einer- für-alle-Prinzip funktioniert?
Ruhose: Ja. Deswegen meine ich, der Föderalismus ist genauso wie der Datenschutz keine Ausrede dafür, wenn es nicht klappt, sondern er führt einfach nur dazu, dass wir einen höheren Koordinationsaufwand haben. Es gibt eine Reihe von Funktionen für die Kommunen, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger, wo wir an zentraler Stelle Politik gestalten. Von daher ist die Digitalisierung für mich kein Punkt, um sich die staatliche Ordnung noch einmal genau anzuschauen. Sondern ich würde immer sagen, dass wir ein gutes, ein gewachsenes politisches System haben. Wir müssen jetzt schauen, dass wir mit den Herausforderungen, mit denen die digitale Transformation uns alle konfrontiert, dieses System gut in einen Transformationsprozess bekommen. Da ist das OZG für mich in dem Punkt ein Erfolg, weil wir länderübergreifend kooperieren. Wir schaffen es, länderübergreifende Prozesse wie jetzt bei der Onlinewache oder aber auch beim Breitbandportal in der Frist hinzubekommen. Es geht also.
msg: In den Dresdner Forderungen ist artikuliert worden, wenn der Bund Gesetze erlässt, soll er auch die Verantwortung für die IT-Ausstattung übernehmen, auch wenn sie in den Kommunen vollzogen wird. Wäre es ein möglicher Alternativansatz, zu sagen, der Bund soll sich bitte um die Digitalisierung der Gesetze kümmern, wo er die Gesetzeshoheit hat, auch wenn sie auf einer anderen Ebene vollzogen werden?
Ruhose: Ich glaube, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen müssen, ob wir bestimmte Prozesse zentral für die Kommunen bereitstellen können. Ein Beispiel ist die Kfz-Zulassung. Muss ich das auf der kommunalen Ebene belassen, oder kann ich das nicht auf Landes- oder sogar Bundesebene zurückdelegieren? Das ist der Geist der Dresdner Forderung. Wir müssen darüber nachdenken, welches Organisationsmodell wir brauchen. Und gleichzeitig, welche Handlungsbereiche Kommunen eigentlich als Existenzberechtigung brauchen. Es entscheidet am Ende nicht über Existenzberechtigung einer Gebietskörperschaft, ob die Kfz-Zulassung vor Ort abgewickelt wird oder an einer anderen Stelle. Es kann sogar sein, dass wir die Dresdner Forderungen ein bisschen modifiziert auf der kommunalen Ebene hinbekommen. Nichts hindert eine kommunale Ebene daran, bestimmte Leistungen kooperativ abzuwickeln. Warum macht das nicht eine Kommune für andere? Wir haben in Rheinland-Pfalz viele Bereiche, gerade was die Städte angeht, in denen schon zentrale Leistungen abgewickelt werden. Das wäre ein Beispiel. Man kann es aber auch genauso machen, wie Sie es gesagt haben. Man kann auch sagen: Lasst es uns auf Bundesebene an einer Stelle zentral abwickeln.
msg: Der demografische Wandel bringt uns Herausforderungen in der ganzen Verwaltung. Wir befassen uns intensiv mit KI und sehen, dass sich die Verwaltung schwertut. Es ist unklar, was KI darf und was nicht. Welche Potenziale sehen Sie in einer möglichen Automatisierung? Was müssten wir ändern, damit wir damit weiterkommen und in der Verwaltung mehr automatisieren?
Ruhose: Wir tragen jetzt unsere Digitalisierungsstrategie vor und werden genau diese Frage ansprechen, wo die Verwaltung für sich Möglichkeiten sieht. Das wird bislang viel zu selten diskutiert. Für mich gibt es da viele Bereiche. Wir sind auch Arbeits- und Sozialministerium. In der Sozialverwaltung gibt es viele Bereiche, in denen Entscheidungen für die Sachbearbeitung gut aufbereitet und vorbereitet werden können, ohne dass eine Entscheidung getroffen wird. Ich glaube, dass es klar sein muss, dass KI am Ende nicht entscheidet, sondern dass sie dazu genutzt wird, staatliche Entscheidungen und Verwaltungsentscheidungen gut vorzubereiten. Deswegen ist Schritt eins zu schauen, wo eigentlich die Einsatzmöglichkeiten in den Fachverwaltungen sind. Es ist, glaube ich, wichtig, dieses Bewusstsein zu schaffen und diese Debatte zu führen. Wir brauchen mit Blick auf die großen Bundesbehörden ein Wertegerüst dafür, wie wir KI einsetzen wollen. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich dem genähert. Wo sind auch aus unserer Sicht ethische Grenzen? Diese müssen wir unabhängig von der KI-Verordnung der EU setzen. Wo sind für den deutschen Staat die klaren Grenzen? Da gibt es aus der Privatwirtschaft eine spannende Initiative, die sich mit menschenfreundlicher Automatisierung beschäftigt. Ich finde das als Landes-CEO einen guten Orientierungspunkt auch für die Verwaltung. Dann schaut man sich an, wo die Potenziale und wo die Ängste der Menschen innerhalb der Verwaltung sind. Ich habe sehr viel darüber gesprochen, was KI eigentlich nicht auf der Entscheidungsebene darf. Aber ich muss auch sagen, wo durch Automatisierung Jobs in Gefahr sein können. Da laufen Trends gegeneinander, da immer mehr Menschen auf Arbeitsplätzen sind, die theoretisch voll automatisiert werden könnten.
Dann aber gibt es ganz viele Bereiche, in denen es sich lohnt, Automatisierung einzusetzen. Vor allem unter dem Aspekt, dass die Arbeit, die dort erledigt wird, erleichtert werden kann. Das ist Schritt eins. Schritt zwei ist, dass wir in vielen Bereichen mit Arbeitsverdichtung zu tun haben. Da kommt auf die schrumpfende Zahl von Mitarbeitenden in der Verwaltung eine enorme Zusatzbelastung zu, wenn ich auch politische Reformen sehe. Deswegen müssen wir schauen, dass wir die Automatisierungsprozesse da gut nutzen, um diesem Trend entgegenzugehen. Das müssen wir jetzt machen, solange die Leute noch da sind und damit auch umgehen können.
msg: Kann die Digitalisierung auch bei der personellen Misere im Bildungssektor Erleichterung schaffen? Sehen Sie da auch Möglichkeiten durch die Digitalisierung?
Ruhose: Ich glaube, dass wir Möglichkeiten haben, was bestimmte Automatisierungsprozesse im Verwaltungsbereich angeht. Das gilt für die gesamten Verwaltungen. Das gilt auch für die Schulverwaltung. Ich würde ungern eine Diskussion mit dem Thema beginnen: „Wir nutzen Digitalisierung, um Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen.“
msg: Nicht ersetzen, aber Digitalisierung kann nicht oder bald nicht mehr vorhandene Ressourcen an den Schulen ersetzen.
Ruhose: Man kann über Onlineplattformen Learning-Elemente einführen, aber das würde ich eher für den Wissenschaftsbereich sehen, also eine digitale Art der Wissensvermittlung.
Abb. 2: Dr. Fedor Ruhose
msg: Lehr- oder Lernsysteme gehen ganz gezielt auf die individuellen Ergebnisse, Schwächen und Stärken des jeweiligen Schülers, der jeweiligen Schülerin ein. Das heißt, je nachdem, wo die Schwächen oder Stärken liegen, werden bestimmte Inhalte eingeübt oder ausgebaut. Ein solches Lehrsystem kann viele nicht vorhandene Lehrer ersetzen, aber zum Beispiel auch Migranten oder ausländische Mitbürger fördern.
Ruhose: Ich bin kein Bildungspolitiker, aber auf uns kommt die spannende Fragestellung zu, wie sich Unterrichtsformen ändern werden. Ich glaube, da liegen Potenziale. Wenn wir schauen, was der richtige Weg ist, sind wir wieder bei dieser Frage der Gemeinsamkeit und der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Um solche Herausforderungen anzugehen, braucht es neue Formen von Kooperationen, die nicht unbedingt an Ministeriumsgrenzen enden.
msg: Was müssen wir auf der gesetzlichen Seite tun, um digitaltaugliches Recht zu schaffen? Es gibt neue Prozesse vom Nationalen Normenkontrollrat, um Digitalchecks zu machen. Reicht das aus Ihrer Sicht, oder müsste mehr getan werden, um Digitaltauglichkeit in die Gesetze hereinzubringen?
Ruhose: Ich glaube, es sollte eine Art Selbstverpflichtung der Bundesregierung geben, neue Gesetze erst auf den Weg zu bringen, wenn man weiß, dass es einen digitalen Prozess dahinter gibt oder man auf einem guten Weg dahin ist. Dem Parlament möchte ich da keine Vorschreibungen machen. Ganz oft ist die Situation so, dass wir sehr schnell eine Entscheidung treffen müssen. Nehmen Sie als Beispiel die Diskussion über das Bürgergeld und die Frage der digitalen Bearbeitung. Das war alles mit heißer Nadel gestrickt. Der politische Verhandlungsprozess lief noch, es sollte aber zum Jahreswechsel starten. Dann war November, und die Verwaltung musste dafür sorgen, dass sie binnen zwei Monaten einen digitalen Prozess hat. Das ist kein guter Zustand. Wenn wir geordnete Gesetzgebungsprozesse haben, müssen wir immer auch den digitalen Prozess mitdenken.
msg: Aber die Digitalkompetenz, die in der Entstehungsphase oder Entwurfsphase eingebracht werden muss, die soll schon bei der öffentlichen Verwaltung liegen?
Ruhose: Natürlich, erster Ansprechpartner dafür sind die Landesdienstleister oder diejenigen, die in der Landesverwaltung für Digitalisierung zuständig sind.
msg: Es gibt Sprüche wie „Mit Digitalisierung kann man keinen Wahlkampf gewinnen“ und „Nach Klimaschutz ist Digitalisierung das nächste Unwort“. Es gibt wenig Akzeptanz von digitalen Lösungen in der Bevölkerung. Wie können die Bürgerinnen und Bürger besser erreicht werden?
Abb. 3: Werner Achtert und Dr. Fedor Ruhose
Ruhose: Die Erfahrungen, wie wir privat kommunizieren, und wie wir mit dem Staat kommunizieren, fallen auseinander. Ich sehe es wirklich als gefährdend für unsere demokratische Verfasstheit, dass diese Wahrnehmungen auseinanderklaffen. Dagegen müssen wir etwas unternehmen. Wie können wir das? Zum einen ist, glaube ich, wichtig, dass wir Geschwindigkeit hineinbringen und dass die Leute merken, dass wir digitale Services anbieten, die auch handhabbar sind und in zentralen Bereichen liegen. Also nicht, dass wir sagen: Schön, dass der Angelschein jetzt digital beantragt werden kann. Sondern, dass wir Kfz-An- und Ummeldung schnell digital hinbekommen, dann hätten wir viele Diskussionen nicht. Das ist eines der Verfahren, das so prägnant ist, und da müssen wir hinein und schnell Lösungen finden. Deswegen haben wir diese Fokussierung auf die 16 Leistungen, die der IT-Planungsrat genannt hat. Die wollen wir zügig umsetzen. Nicht nur als Frontend, sondern wir wollen den Prozess mitberücksichtigen, das ist der richtige Weg. Wir sind zu spät und haben sehr spät gestartet, das ist so. Also müssen wir jetzt entsprechend Geschwindigkeit hineinbringen. Für mich ist der Ankerpunkt, dass die Leute merken, dass es einen Mehrwert dafür gibt, dass wir Geld dafür einsetzen, ihre Verwaltungsprozesse digital abzubilden.
msg: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Ruhose: Ich danke Ihnen.