Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 02-2019
von Uli Dörfer
Schluss mit dem Ausdruck undVersand von Gerichtsakten
Die Einführung des Elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) ist eine wichtige Maßnahme im Rahmen der Digitalisierung der Justiz. Ziel ist es, die Abläufe in der Justiz zu optimieren, indem Verfahrensakten künftig elektronisch geführt werden und die Kommunikation in der Justiz und mit Partnern auf elektronischem Weg erfolgt.
Das 2013 verabschiedete „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ und die „Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach“ von 2017 sehen die verbindliche Digitalisierung des gesamten Schriftverkehrs von Anwälten und Behörden mit der Justiz vor. Diese muss bis spätestens Ende 2021 abgeschlossen sein, in Teilgebieten auch früher.
Dort, wo bisher noch Dokumente und Akten ausgedruckt, verschickt und wieder eingescannt werden, erfolgt zukünftig der Datenaustausch mit einem gesicherten elektronischen Datenaustauschverfahren.
In der Bundesagentur für Arbeit (BA) setzt das Projekt „E-Justiz BA“ die technische Basis für den Elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz um und leistet damit einen Beitrag zur Entwicklung der Agenda Digitale Verwaltung 2020 in Deutschland.
Elektronischer Rechtsverkehr – Großer Nutzen für Justiz und BA
Die Umsetzung des Elektronischen Rechtsverkehrs bietet, über die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags hinaus, sowohl für die Justiz als auch für die BA signifikante Vorteile.
Zum einen kann die bisher in der BA eingesetzte Übergangslösung, die den Classic-Client für das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP-Classic-Client) nutzt, abgelöst werden. Diese Übergangslösung war nötig, um schnell einen Schritt in Richtung Elektronischer Rechtsverkehr zu gehen, genügt aber nicht allen gesetzlichen und prozessualen Anforderungen. Sie ermöglicht zwar den Austausch von Dokumenten mit der Justiz, ist jedoch nicht optimal in die Arbeitsabläufe der Bundesagentur für Arbeit integriert und bietet keine Automatisierung.
Die zukünftige Lösung ermöglicht der BA den medienbruchfreien Austausch von Daten und Dokumenten mit der Justiz und deren (teil-)automatisierte Weiterverarbeitung. Dies führt zu einer verbesserten Zusammenarbeit der Verfahrensbeteiligten und in der Folge zu reduzierten Aufwänden und einer Verkürzung von Durchlaufzeiten. Beispielsweise können auf BA-Seite Nachrichten der Justiz automatisch der richtigen Akte zugeordnet und ein Bearbeitungsauftrag für das zuständige Team erzeugt werden.
Zum anderen können durch den Verzicht auf den papierhaften Versand von Dokumenten und Akten zusätzlich Sachkosten wie Portogebühren, Papier und Druckkosten in erheblichem Umfang eingespart werden.
Schrittweises Vorgehen der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs
Die Bundesagentur für Arbeit hat sich bei der Einführung des Elektronischen Rechtsverkehrs für eine prioritätengesteuerte schrittweise Vorgehensweise entschieden. Im ersten Schritt wird bis 2020 das Anwendungsgebiet mit der größten Anzahl an Geschäftsvorfällen und damit dem höchsten Handlungsbedarf umgesetzt. Dieses betrifft die Kommunikation der Rechtsbehelfsstellen der gemeinsamen Einrichtungen, der operativen Services und der Familienkassen mit den Sozial- und Finanzgerichten. Bei der Bearbeitung von Gerichtsverfahren nach Sozialgerichtsgesetz und Finanzgerichtsordnung sowie Einspruchs- und Widerspruchsverfahren werden ca. 3,2 Millionen Nachrichten pro Jahr mit mehr als 100 Millionen Seiten ausgetauscht.
Aufbauend auf dieser Lösung werden weitere Kommunikationswege zwischen der BA und der Justiz auf den Elektronischen Rechtsverkehr umgestellt. Geplanter nächster Schritt ist die Digitalisierung des Rechtsverkehrs im Bereich der Ordnungswidrigkeiten.
Kommunikation in vorhandene Abläufe integrieren
Eine wesentliche Rahmenbedingung für die Umsetzung der Lösung zum Elektronischen Rechtsverkehr in der BA ist, dass sie sich nahtlos in ihre Arbeitsabläufe einfügt. Es erfolgt eine enge Integration mit der Elektronischen Akte (E-AKTE) und FALKE, der Anwendung für Rechtsverfahren in der BA. Die notwendigen Erweiterungen für den Elektronischen Rechtsverkehr beschränken sich auf das absolut notwendige Maß, wie etwa die Auswahl des Adressaten beim Versand von Daten. Möglichst weitgehende Automatisierung, zum Beispiel die automatische Zuordnung von eingehenden Dokumenten zur zutreffenden Akte, entlasten den Anwender.
Für die Kommunikation mit der Justiz verwendet die Anwendung für den Elektronischen Rechtsverkehr in der BA (ADLER) die elektronische Kommunikationsinfrastruktur EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach). Diese wird von der Justiz bereitgestellt und ermöglicht die verschlüsselte Übertragung von Dokumenten und Akten zwischen authentifizierten Teilnehmern. Die BA richtet für ihre Rechtsbehelfsstellen be sondere Behördenpostfächer (beBPo) ein. Diese sind Teil der EGVP-Infrastruktur, die aus folgenden Komponenten besteht:
- Sende- und Empfangssoftware
- Intermediäre
- Sichere Verzeichnisdienste nach dem SAFE-Standard
- Vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis
Die Kommunikation erfolgt gesichert über den OSCI-Transport im XJustiz-Datensatz. In der folgenden Abbildung ist detailliert der Weg bei der Übermittlung von Daten von Gerichtsseite an die BA dargestellt. Der umgekehrte Weg funktioniert analog.
OSCI-Transport-Nachrichten verwenden das „Prinzip des doppelten Umschlags“. Die Nutzungsdaten werden vom Intermediär für die Zwecke der Nachrichtenvermittlung und die Erbringung der Mehrwertdienste benötigt. Daher werden sie für den Intermediär verschlüsselt. Der Intermediär kann jedoch nicht auf die Inhaltsdaten zugreifen. Die verschlüsselten Inhaltsdaten sind wiederum in einen weiteren verschlüsselten „Umschlag“ eingebettet.
Einbindung der Stakeholder und technische Integration als Herausforderung
Aus organisatorischer Sicht stellt die Einbindung der Stakeholder auf Justiz-Seite eine der zentralen Herausforderungen des Projekts dar.
Zum einen müssen allgemeinverbindliche Festlegungen zwischen BA, Gerichten und Anwälten getroffen werden, die für die Realisierung relevant sind. Für die Gerichte ist hierfür die Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz (BLK) Ansprechpartner, für die Anwälte übernimmt die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) diese Aufgabe. Die Absprachen müssen für alle beteiligten Gerichte und Rechtsanwälte Gültigkeit haben und stellen daher hohe Anforderungen an den Vereinbarungsprozess. Beispiele hierfür sind die Befüllung des XJustiz-Datensatzes, die Festlegung gültiger Datenformate und der Umgang mit Größe und Struktur der BA-Akten. Zum anderen müssen für Tests und Pilotierung mehrere Partner auf Justizseite identifiziert und mit ihnen ein jeweils geeignetes Vorgehen abgestimmt werden. Da es außer der BA noch weitere Nutzer des ERV und der EGVP-Infrastruktur gibt, sind allgemeine Rahmenbedingungen, wie die Releasezyklen der EGVP-Software, zu beachten.
Abbildung 2: Sichere Übermittlung von Dokumenten als EGVP-Nachricht von der Justiz an die BA
Innerhalb der BA ist aufgrund der hohen strategischen Bedeutung des Projekts eine regelmäßige Information von Gremien erforderlich. Dazu kommt, dass es für die im Projekt umgesetzte Nutzung der EGVP-Infrastruktur und die damit verbundenen Rahmenbedingungen in der BA noch keine Erfahrungswerte gibt. Beispiele sind das Identifizierungsverfahren bei der Einrichtung der besonderen Behördenpostfächer und vertragliche Festlegungen zur Nutzung der EGVP-Infrastruktur und des Intermediärs.
Inhaltlich ist insbesondere die zielgerichtete Zuordnung von Daten aus der Justiz in die E-Akte herausfordernd. Bei Papierdokumenten, die gescannt werden, werden durch Zeichenerkennung (OCR) aus den Justizdokumenten relevante Informationen für die Zuordnung ausgelesen. Bei der Übermittlung der elektronischen Dokumente hängt die Qualität der Zuordnung im Wesentlichen von den mitgelieferten Metadaten und den Möglichkeiten ihrer Anreicherung ab. Können Dokumente nicht automatisch richtig zugeordnet werden, ist ein manueller Bearbeitungsschritt notwendig. Es wird davon ausgegangen, dass auf Basis von Erfahrungswerten eine Fortentwicklung des automatischen Zuordnungsmechanismus erfolgt.
Entwicklung in einger Abstimmung mit Fachverfahren und Nutzern
Da die Anwendung für den Elektronischen Rechtsverkehr in der BA eng in die Fachverfahren E-AKTE und FALKE integriert ist, erfolgt eine intensive Abstimmung mit diesen Fachverfahren, und die Entwicklung findet aufeinander abgestimmt statt. Die Entwicklungsteams tauschen sich permanent aus, darüber hinaus sind regelmäßige Abstimmungstermine zur Projektsteuerung etabliert.
Anwenderinnen und Anwender gestalten das Endprodukt mit. Sie sind im Projektteam und über Reviews und Informationstermine regelmäßig und intensiv in den Arbeitsprozess eingebunden und bringen Know-how aus der Praxis ein. Diese gemeinsame Lösungsentwicklung führt zu einem besseren Ergebnis und einer höheren Praxistauglichkeit.
Ausblick: Herausforderungen und Chancen durch Ausbau des Digitalen Rechtsverkehrs
Die Umsetzung des Elektronischen Rechtsverkehrs für den Bereich Rechtsbehelfe ist für die Bundesagentur für Arbeit ein wichtiger Schritt bei der Digitalisierung der Kommunikation mit den Partnern auf Justizseite.
Der geplante weitere Ausbau der Lösung für andere Rechtsbereiche ist mit einigen Herausforderungen verbunden. Zum einen gibt es verschiedene gesetzliche Grundlagen für die unterschiedlichen Rechtsbereiche. Zum anderen muss eine heterogene Prozess- und Systemlandschaft berücksichtigt werden. Beispielsweise wird die digitale Akte, die eine wesentliche Voraussetzung für den elektronischen Rechtsverkehr darstellt, noch nicht in allen Bereichen flächendeckend eingesetzt. Darüber hinaus können die Erzeugung von Metadaten und ihre Nutzung für die Automatisierung noch optimiert werden.
Der elektronische Rechtsverkehr erzeugt bereits mit seinen Basisfunktionen deutlichen Nutzen für alle Beteiligten. In der Weiterentwicklung besteht über die Optimierung der Prozesse und die stärkere Nutzung der technischen Möglichkeiten aber noch viel Potenzial.