Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 04-2019
Sabine Lieckfeldt und Florian Wüchner im Gespräch mit Thomas Bönig, IT-Referent der Landeshauptstadt München und Geschäftsführer digital@M.
msg: Guten Tag, Herr Bönig. Wir möchten mit Ihnen in diesem Interview über drei Themenkomplexe sprechen: über das Kooperationsbündnis München, Augsburg, Nürnberg, über die Digitalisierungsstrategie München und über den damit einhergehenden Kulturwandel. Fangen wir mit dem Kooperationsbündnis zwischen München, Nürnberg und Augsburg an. Was ist der Treiber für diese neue und ungewöhnliche Zusammenarbeit?
Bönig: Es ist ja so, dass derzeit alle Behörden in etwa die gleichen Probleme haben – vom OZG (Onlinezugangsgesetz) bis hin zu der Frage, wie wir die Digitalisierung in der Kommune umsetzen können. Ich gehe mal davon aus, dass sich viele Kommunen bereits in verschiedenen Bereichen fit gemacht haben. Ebenso gehe ich davon aus, dass wir in München ein paar Punkte gut gelöst haben. Nun gibt es Erfahrungsaustausche der Kommunen untereinander: Um zu erfahren, wie andere Behörden mit bestimmten Themen umgehen, aber vor allem, um schneller Lösungen zu finden. Wenn man jemanden kennt, der bereits einmal ein bestimmtes Thema gelöst hat, findet man selbst auch deutlich leichter eine Lösung. Außerdem möchten wir in verschiedenen Technologien enger zusammenarbeiten. Es wäre möglich, dass es irgendwann einmal eine gemeinsame Plattform gibt, für die München bestimmte Verfahren entwickelt und Nürnberg und Augsburg andere.
Diese Verfahren können wir dann untereinander austauschen, weil sie überall funktionieren. Und natürlich wollen wir uns auch politisch stärken. Wenn die drei größten Kommunen in Bayern auf den Freistaat zugehen, hat das schon ein gewisses Gewicht.
Kooperation ist ein wichtiger Baustein unserer Digitalisierungsstrategie
Und weil wir keine Konkurrenten im klassischen Sinne sind, können wir auf einer ganz anderen Grundlage zusammenarbeiten als Unternehmen in der freien Wirtschaft. Wir möchten zum Beispiel Auszubildende austauschen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Augsburg und Nürnberg die Möglichkeit geben, mal ein paar Tage in München zu arbeiten und umgekehrt. Wir haben hier bei uns beispielsweise das Innovationscenter, das für die Kolleginnen und Kollegen von außerhalb interessant ist. Ebenso haben Augsburg und Nürnberg interessante Ansätze, bei denen uns interessiert, wie sie die technisch gelöst haben. Und das ist auch schon der Treiber, der dahintersteckt. Wir möchten Ressourcen zusammenlegen, Erfahrungen und Know-how austauschen, uns gemeinsam mit Themen beschäftigen und prüfen, wie man ein Thema aufsetzen kann, wenn man es zu dritt macht und nicht allein. Beim OZG wollen wir verschiedene Varianten durchgehen und so weiter. Natürlich ist es ein Vorteil, wenn wir das Rad nicht immer wieder neu erfinden müssen und Lösungen, die anderswo schon entwickelt wurden und funktionieren, übernehmen können. Und als Stadt nur das selbst entwickeln, was es anderswo noch nicht gibt. Dann kommen wir schneller zu einem runden Ergebnis.
msg: Ein Treiber ist also die höhere Geschwindigkeit? Und der Erfahrungs-, der Know-how-Austausch ein weiterer?
Bönig: Klar, wenn man Ressourcen effizienter einsetzen kann, ist das sicherlich vorteilhaft. Aber das ist nicht unser primäres Ziel. Vielmehr haben wir durch unsere Kooperation sowohl einen politischen Austausch als auch einen kommunalen Austausch initiiert und sind so für die Zukunft besser gerüstet.
msg: Das heißt, diese Behörden- beziehungsweise diese stadtübergreifende Kooperation ist bereits ein Schlüsselerfolg, um Digitalisierung schneller und besser zu machen?
Bönig: Kooperation ist ein wichtiger Baustein in unserer gesamten Strategie. Und zwar nicht nur mit den Kommunen, auch der Freistaat wäre dafür ein guter Kandidat.
msg: Ihr Konzept könnte also zu einem Modell für weitere Kooperationen, zum Beispiel auf Landesebene, werden?
Bönig: Eine kommunale Kooperation ist natürlich einfach, weil hier Kommune mit Kommune spricht. Ich denke also, dass wir für eine kommunale Kooperation bereits ein Modell haben.
msg: Gibt es schon konkrete Projekte in dieser Kooperation?
Bönig: Nein, konkrete Projekte gibt es noch keine. Wir sind noch in der Findungsphase. Aber es zeichnet sich beispielsweise bereits die Zusammenarbeit im Innovationscenter ab. Wie schon gesagt, wir schauen uns gerade einige Lösungen an, die Nürnberg und Augsburg umgesetzt haben. Es sind also schon ein paar Varianten im Gespräch, und wir hoffen, dass viele Projekte dabei herauskommen. Wir würden ja auch extrem davon profitieren, wenn Nürnberg oder Augsburg ein Thema ganz allein umsetzen und wir es eins zu eins übernehmen könnten. Ein Problem ist allerdings die Menge der Themen. In unserer Strategie adressieren wir nicht nur die Verwaltung. Meiner Meinung nach ist das OZG so etwas wie „Bürokratie online“. Und ich glaube nicht, dass die Menschen etwas häufig nutzen, wenn sie die Formulare oder den bürokratischen Prozess dahinter nicht verstehen. Dann gehen sie noch lieber auf das Kreisverwaltungsreferat, weil sie dort von jemandem beraten werden. Deshalb müssen Auftrag und Mission sein, wirklich Online-Services anzubieten statt „Bürokratie online“.
msg: Welche Prozesse sollten sinnvollerweise als Online- Services realisiert werden?
Eine Kulturdigitalisierung entwickeln
Bönig: Wir müssen die Kultur der Digitalisierung entwickeln. Wenn wir zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes die Eltern nicht automatisch über die nachfolgenden Prozesse wie Kindergeldantrag, Krippe, Schule und so weiter informieren und stattdessen erwarten, dass sie zu uns kommen, wenn sie ein Problem haben, dann haben wir zu wenig von Digitalisierung verstanden. Früher ging es nicht anders, denn wir hatten die Technik nicht. Aber heute ist die Technik verfügbar und wir können so etwas umsetzen.
Außerdem müssen wir auf agile Themen setzen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Verantwortung und mehr Freiräume geben, damit sie sich besser entwickeln können. Wir müssen eine ganz neue Führungskultur etablieren. Wir müssen festlegen, wie Menschen in der neuen Kultur geführt werden, wie wir Themen oder Prozesse organisieren, wo wir Online-Dienste einsetzen und wo nicht. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Kulturwandel.
Wenn heute in München ein Kind geboren wird, dann müssen die Eltern von uns aktiv informiert werden, am besten elektronisch, dass wir verschiedene Leistungen automatisch festgelegt haben, dass es da und dort Krippenplätze gibt und so weiter. Wenn alles korrekt ist, dann müssen sie nichts tun, wenn etwas falsch ist, dann gibt es einen Knopf, auf den sie drücken sollen.
Abbildung 1: Thomas Bönig
msg: Im November findet der Open-Government-Tag der Landeshauptstadt München statt, bei dem Vertreter der Stadt und Bürgerinnen und Bürger zusammenkommen. Ist das für Sie eine Art Stimmungsbarometer, und werden Sie aus dem Feedback, das sie dort bekommen, konkrete Maßnahmen ableiten können?
Bönig: Klar, wenn die Verwaltung auf die Bürger trifft, gibt es immer eine Menge Feedback. Wir haben ja die Situation, dass sich die Stadtgesellschaft bereits digital entwickelt. Aber Digitalisierung ist bei den Bürgerinnen und Bürgern oder auch in der Verwaltung erst einmal nur ein Buzzword, hinter dem sich alles Mögliche verstecken kann. Oft sind Ängste und Bedenken damit verbunden, zum Beispiel, dass der eigene Arbeitsplatz bedroht ist. Besonders bei Menschen, die in den digitalen Themen nicht fit sind. Und wenn der Mensch das nicht will oder Angst hat, wird er es auch nicht nutzen. Deshalb müssen wir aufklären, die Bereitschaft fördern. Die Menschen müssen verstehen, dass Digitalisierung der Einsatz von Technik ist, um Dinge anders und vor allem auch einfacher zu machen. Es geht bei der Digitalisierung nicht um immer mehr Technik und IT.
Kulturwandel bedeutet, dass wir die Chancen der Digitalisierung wahrnehmen, ohne die Risiken auszublenden. Wir müssen Risiken konstruktiv angehen, aber vor allem müssen wir die Chancen nutzen.
In der Industrie wird dieser Wandel bereits vollzogen, und wir müssen den Kulturwandel nun auch in die Verwaltung bringen, unser „Geschäft“ modernisieren. Wenn wir es nicht schaffen, die Verwaltung als Servicebereich zu etablieren, dann können wir Technik hineinstecken, so viel wir wollen, es wird nicht funktionieren. Und wenn wir in der Führung und in den internen Strukturen nicht nach dem Grundsatz „digital first“ leben, dann werden das alles unvernetzte Insel-Lösungen bleiben.
msg: Noch eine Frage zum Thema „Innovationscenter“. Was ist genau dessen Aufgabe, was stellt es zur Verfügung, beziehungsweise, wie nutzen Sie dieses Innovationcenter?
Bönig: Eine der größten Schwierigkeiten, die wir im öffentlichen Sektor haben, ist, dass wir unter sehr engen Rahmenbedingungen arbeiten müssen. Kreativität wird da – nach meiner Erfahrung – nicht entstehen. Eben mal schnelle Entscheidungen treffen oder sich mit einem Thema ein bisschen forschend oder zumindest orientierend zu beschäftigen, das schaffen wir oft nur schwer oder gar nicht. Mit dem Innovationscenter möchten wir nun verstärkt den Kulturwandel anstoßen. Gerade die Auszubildenden, die noch keine Berufserfahrung haben, erwarten von der klassischen Verwaltungsausbildung eben auch Digitalisierung. Somit ist eine der Ideen, die Auszubildenden auch mal in einem Digitalisierungsprojekt einzusetzen, sie mit den Erfahrungen, die sie in der Stadt gesammelt haben, Dinge vorschlagen und dann umsetzen zu lassen. So gewinnen sie Know-how und können sich mit dem Thema beschäftigen. Und wenn sie dann im Innovationscenter agiles Arbeiten gelernt haben, sich ein bisschen freier bewegen können und wissen, wie Digitalisierung funktioniert, dann haben wir die Hoffnung, dass sie im Berufsalltag auch mal sagen: Eigentlich haben wir es anders gelernt, wir können es so und so besser umsetzen. Das ist der eine Punkt.
Der zweite ist, dass wir uns am Markt kundig machen und auch mal ausprobieren, ob etwas in der Stadtgesellschaft funktioniert oder nicht. Wir möchten mit den Hochschulen Prototypen entwickeln. Natürlich werden wir nicht jeden davon in die Stadt übernehmen, aber die, die wir übernehmen, haben dann einfach eine gewisse Qualität. Ein Beispiel: Wir haben aufwendige Beschreibungen, wenn große Ausschreibungen zu Produkten stattfinden. Bei uns im Innovationscenter kann man lernen, dass das einfacher geht. Man kann sich mit agilen Vorgehensweisen vertraut machen, zum Beispiel Rapid Prototyping einüben.
Das Innovationscenter hat ebenfalls die Funktion, eine bimodale IT1 aufzubauen. Wir möchten freier und unstrukturierter arbeiten können und Innovation, Forschung und Kreativität fordern und fördern.
Wir müssen Menschen gewinnen, die das Thema mit uns gestalten
msg: Welche Rolle spielen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei?
Bönig: Wir müssen Menschen gewinnen, die das Thema mit uns gestalten. Kulturwandel heißt auch, dass wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Chancen geben müssen, ihre Stadt mitzugestalten. Denn sie kennen die Kunden und das Geschäft am besten. Sie wissen, was bei den Bürgern ankommt und was nicht ankommt. Und am Ende sind sie es, die die Effizienz und Effektivität oder die Servicekultur einer Stadt gestalten. Ein Grundgedanke des kommunalen Auftrages ist ja, für einen gewissen sozialen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft zu sorgen. Dafür zu sorgen, dass Städte funktionieren. Wir müssen also moderne Arbeitsplätze schaffen, denn Menschen, die Zugriff auf hochwertige Technologie haben, werden sehr viel leistungsfähiger und effektiver sein.
Und wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufend weiterentwickeln. Einfache Tätigkeiten werden immer mehr entfallen, weil Maschinen effizienter sind. Aber deshalb können wir die Menschen in unseren Kommunen ja nicht einfach abschreiben. Vielmehr müssen wir ihnen eine Brücke bauen, wie sie in Zukunft trotzdem ihren Mehrwert generieren können. Das zu gewährleisten, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, die Chancengleichheit herzustellen und auszubalancieren. Jedem die Chance zu geben, sich einzubringen, ist Teil des kommunalen Gedankens. Über das „Wie“ gibt es noch viel Unsicherheit und wir haben auch noch nicht allzu viele Erfahrungen damit. Wir müssen dieses Thema reifen lassen, es muss ein Wachstumsprozess sein.
msg: Wir reden gerade viel darüber, was alles passieren und was alles verändert werden muss. Aber gibt es auch Dinge, die gut funktionieren und die man beibehalten sollte?
Bönig: Man muss nicht alles digitalisieren. Manche Sachen sind entweder technisch noch nicht so weit, um sie zu digitalisieren. Bei anderen ist es einfach noch zu teuer. Für bestimmte Dinge gibt es noch keine gesetzliche Grundlage. Und es ist ja auch nicht so, dass wir jetzt nur noch digital leben. Menschen werden auch in Zukunft ganz normal in Schulen, in Universitäten gehen, die Menschen werden weiterhin auf das Kreisverwaltungsreferat gehen. Aber wir müssen schauen, wo die größten Potenziale liegen, und die müssen wir dann heben. Und wir müssen natürlich die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragen, was wir machen sollen. Denn das, was eine Stadtverwaltung toll findet, muss nicht automatisch auch von der Gesellschaft oder von der Wirtschaft so akzeptiert werden. Aus diesem Dialog und dieser Integration heraus müssen wir die Impulse mitnehmen. Deshalb werden wir einen digitalen Beirat gründen, in dem wir besprechen wollen, was Prioritäten sind und was nicht. Wir werden eine Digital Charta in der Stadt haben, sodass wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Sicherheit geben, dass sie sich durch Digitalisierung nicht verschlechtern, sondern verbessern können. Ob sie die Chance dann nutzen, das können wir ihnen nicht vorschreiben. Aber das Angebot sollten wir als Arbeitgeber schon machen. Und außerdem müssen wir eine gesellschaftliche Reflektion führen, damit wir ein Gefühl dafür entwickeln, was eine Gesellschaft braucht und was nicht. Das muss wachsen.
msg: Die Digitalisierungsstrategie der Stadt München² fokussiert drei Kernbereiche und definiert eine große Anzahl Maßnahmen. Und es gibt die Plattform „München Digital“.
Ich finde es sehr spannend, was Sie da alles abbilden und wie Sie den Entwicklungsprozess transparent machen wollen. Haben Sie bereits Feedback bekommen, wie das bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt und wie groß das Interesse daran ist?
Bönig: Wir haben die Stadt in drei strategische Bereiche aufgeteilt, weil eine Kommune ja mehr ist als nur die Verwaltung. Wir haben lange recherchiert, um uns kundig zu machen, wie die Bürger ihre Stadt sehen. Eine Erkenntnis war, dass sie die Verwaltung gar nicht so oft sehen. Was sie jeden Tag sehen, ist die Straßenbahn, der Verkehr, die Müllabfuhr und viele andere Dinge. Deswegen war klar, dass wir mehr als nur die Verwaltung abbilden müssen, wenn wir eine digitale Metropole werden möchten. Ich meine, die Existenzberechtigung einer Kommune besteht zum größten Teil darin, sich um die Gesellschaft zu kümmern, die in einer Stadt lebt. Und deshalb müssen wir wissen, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Ich habe gelesen, dass 30 Prozent der Menschen unter 30 Jahren keine feste Beziehung mehr haben, sondern ihre Beziehungen in den sozialen Netzwerken pflegen. Diese Erkenntnisse müssen wir verarbeiten und darauf eingehen. Als digitale Stadt müssen wir also auch digitale Angebote machen, zum Beispiel, wie sich Münchner mit anderen Münchnern vernetzen können. Und dazu brauchen wir ein kommunales oder landesweites Angebot mit einem hohen Standard, der garantiert, dass die Daten der Bürgerinnen und Bürger sicher sind. Wir können Facebook weder nachbauen noch es technisch übertreffen oder vom Markt nehmen, aber für bestimmte Themen können wir den Bürgern sichere Alternativen anbieten. Wenn natürlich nur zehn Münchnerinnen oder Münchner an dem Netzwerk teilnehmen, wird es nicht funktionieren. Deshalb müssen wir Angebote machen, die für die Leute relevant sind. Nicht die Technologie wird entscheidend sein, sondern wie viel kommunales oder regionales Bewusstsein wir da transferiert bekommen und wo die relevanten Angebote zu finden sind.
msg: Ich habe in der Strategie gelesen, dass es so eine Art Smart-City-App3 gibt …
Bönig: Ja, das ist die München-App. Wir wollen in Abstimmung mit den Stadtwerken eine gemeinsame Infrastruktur schaffen, so dass alle wichtigen Inhalte in einer App zusammenlaufen. Mittlerweile haben wir schon sehr viele Anträge für Inhalte dieser App: vom Tierpark Hellabrunn über Wanderwege rund um München bis hin zu öffentlichen Toiletten. Wir müssen die wichtigsten Kernbereiche in der München-App zusammenführen. Und wenn jemand dann die App auf sein Handy lädt und öffnet, sieht er zum Beispiel, dass es heute für das München-Ticket ein günstiges Angebot gibt, oder er bekommt eine Empfehlung, wie er am besten auf die Wiesn kommt. Solche Dinge müssen wir in der App zusammenführen – und klar, dafür brauchen wir eine Strategie.
Heute regeln Bürgerinnen und Bürger große Teile ihres Lebens über das Smartphone, aber die Technologie entwickelt sich ja weiter. Ich denke, dass Dinge wie die „Brille“ kommen, auf die man die Informationen direkt aufgespielt bekommt. Dass mehr mit Sprache und Haptik gemacht werden wird, mit Uhren und Armbändern. Es reicht also nicht, nur daran zu denken, was in den nächsten drei Jahren kommt, wir müssen vorausdenken, was in fünf oder zehn Jahren kommen wird, und schon heute Entscheidungen in diese Richtung treffen. Solche Entwicklungen wie die App muss man als evolutionären Prozess sehen.
msg: Ich habe von einem „Kapazitätsfinder“ gelesen, dem die Idee zugrunde liegt, Arzttermine, Pflegetermine, verschiedene Betreuungsangebote unter einem Dach zusammenzufassen. Wie bekommen Sie alle daran Beteiligten mit ins Boot?
Bönig: Eines der Grundprinzipien der digitalen Industrie ist ja, dass sie Plattformen bauen, indem sie Ressourcen teilen und verknüpfen. Klar, wir kennen die offenen Arzttermine in der Stadt oder die eine oder andere Ressourcenunterdeckung nicht, aber wir können Plattformen zur Verfügung stellen. Natürlich sind wir dann darauf angewiesen, dass die Stadtgesellschaft die Infos zuliefert – und mit Stadtgesellschaft meine ich jetzt nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Industrie, öffentliche und freie Träger. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass wir diese Daten bekommen und sie auf der Plattform zur Verfügung stellen können. Klar haben wir auch in der Stadt bestimmte Angebote, die wir aufnehmen, aber nur mit städtischen Angeboten werden wir nicht erfolgreich sein. Wenn beispielsweise jemand einen Arzttermin hat, den er nicht mehr benötigt oder zu diesem Zeitpunkt nicht wahrnehmen kann, dann kann er diese Info per SMS, WhatsApp-Nachricht oder E-Mail bekannt geben, und wir können sie auf die Plattform stellen. Natürlich immer unter Einhaltung des Datenschutzes. Die spannende Frage ist, ob wir dann bei den Bürgerinnen und Bürgern als Broker dieser Daten akkreditiert sind. Wenn ja, dann wird das Thema funktionieren weil wir einen höheren Sicherheitsstandard bieten können, als zum Beispiel Facebook.
Wie eine solche Plattform genau aussehen wird, wissen wir heute noch nicht, aber wir werben darum, dass sich auch große Konzerne oder Start-ups in unsere Richtung bewegen. Denn wir wollen ja die Technologie nicht neu erfinden, wir wollen die Technologie nur anders einsetzen. Wir möchten mit einer anderen Kultur und in einer anderen Ausprägung ähnliche Dinge machen, eben unter einer kommunalen Perspektive. Jetzt anzufangen, neu zu programmieren oder neu aufzusetzen, wäre ein wenig seriöses Unterfangen, aber die Technologie, die schon da ist, für unsere Kultur, für unser kommunales Selbstverständnis zu nutzen, das halte ich durchaus für zielführend.
msg: Noch einmal zurück zur „Personalfrage“: Das alles bedeutet ja, dass die Menschen anders zusammenarbeiten, dass mit der Digitalisierungsstrategie viele neue Themen auf sie zukommen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeshauptstadt München bedeutet das eine enorme Veränderung. Wie begleiten Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei?
Bönig: Wir haben drei große Referate, die sozusagen den Innendienst der Stadt darstellen: die Kämmerei, das Personal- und Organisationsreferat und das IT-Referat. Diese drei haben nun ein sehr großes Projekt hochgezogen. Das Referat für IT der Stadt München kümmert sich grundsätzlich um die Digitalisierung. Es hat mit der digital@M eine Berater- GmbH gegründet, so dass wir nicht nur Technologie produzieren, sondern sie auch zum Laufen bekommen. Das Personalund Organisationsreferat kümmert sich um den Kulturwandel. Das „neo-HR-Programm“4, das ebenfalls ganz neu ist, wird diese Themen erarbeiten. Die Kämmerei hat schon die Digitalisierung der Finanzprozesse in Angriff genommen und sammelt in diesem Thema Erfahrungen. Innerhalb der IT gibt es Barcamps5 und Mitarbeiterveranstaltungen als Weiterbildungsangebote.
Natürlich können wir nicht mit klassischen IT-Dienstleistern am Markt konkurrieren, und wollen es auch nicht. Unser Asset muss sein, dass wir – in Form von Business- Enablement – hochwertige Technologie für die Stadt, für unsere Fachbereiche so nutzbar machen, dass sie digitale Geschäftsmodelle aufbauen können. IT und anderes Know-how, das nicht unser Kerngeschäft ist, werden wir zukaufen.
Abbildung 2: Thomas Bönig
Im kulturellen Wandel wird die Metrik nicht funktionieren
msg: Wie messen Sie den Erfolg Ihrer Strategie?
Bönig: Wie kann man Erfolg messen, wenn es über Zahlen nicht geht? Die Digitalisierung ist ja sowohl ein Kulturwandel als auch eine Transformation. Wenn viele Maschinen und Technologien in den Prozessen sind, kann man sicherlich KPIs ermitteln: ob wir schneller, besser und effizienter, vielleicht auch kostengünstiger werden. Im kulturellen Wandel wird diese Metrik allerdings nicht funktionieren. Da müssen wir sehen, wie die Mitarbeiter auf den Wandel reagieren. Das kann man zum Beispiel über eine Befragung machen. Man merkt es sicherlich auch im Engagement, in Bereitschaft, an Schulungen teilzunehmen, oder daran, wie sich Projekte entwickeln.
Was die Metriken betrifft, haben wir uns im Moment noch nicht festgelegt. Ich habe Kontakt zu zwei Professorinnen im Raum Ludwigsburg, die mal eine Kommune „vermessen“ haben, wie digitalisierungsreif sie ist. Mit diesem Ansatz werde ich mich jetzt intensiver beschäftigen und schauen, was es am Markt so alles gibt. Fakt ist, dass wir jetzt ein Qualitätsmanagement in einer ganz neuen Art aufbauen. Es beruht nicht mehr auf dem Controlling- Prinzip, das einfach nur Kennzahlen vermisst, sondern geht in die Fachbereiche und fragt die Kolleginnen und Kollegen, wie sie Qualität definieren, wann und woran sie merken, dass sie gute Qualität liefern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich mit ihren Themen identifizieren und sich selbst Maßstäbe setzen, statt sich an den Maßstäben, die ich ausgebe, abzuarbeiten. Wir beraten und machen Audits, schauen, wie weit sie gekommen sind, und versuchen so, ein Qualitätsbewusstsein zu entwickeln. Es wird in vielen Bereichen zwar eine subjektive Beurteilung bleiben, aber im Laufe der Zeit wird sich – auch durch Kooperationen – ein Erfahrungszuwachs ergeben.
Und dann schauen wir auch immer, wie andere Kommunen mit den Themen umgehen. Es ist ja nicht so, dass München weltweit ein Monopol auf alle guten Ideen hat. Ein paar Sachen machen wir gut, ein paar Sachen machen wir nicht so gut. Ich glaube auch nicht, dass es für den Erfolg der Digitalisierung entscheidend ist, ob wir uns jetzt um 3,8 oder 4,1 Punkte verbessert haben, sondern dass wir das Thema in unserer Kultur annehmen.
msg: Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Absicherung der Zukunft Münchens?
Bönig: Entscheidend ist, dass wir eine Weiterentwicklung und Modernisierung der Stadt als Service verstehen. Dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen. Klar ist, dass der digitale Bürger leichter umziehen wird als der rein analoge. Denn wenn er keine Berufschance mehr hat, ist er heute schon weg. Wenn er seine Wohnung nicht mehr bezahlen kann, ist er morgen weg. Und wenn er in Zukunft genauso gut von Oberammergau aus für die Stadt München arbeiten kann wie in München vor Ort, dann ist er eben Bürger in Oberammergau, aber verdient sein Geld in München.
Technologie wird ein Wettbewerbsfaktor sein
msg: Das sind alles langlaufende Prozesse, die man tatsächlich nicht sofort beurteilen kann.
Bönig: Genau, und diese schleichenden Prozesse sind die schwierigsten. Zunächst bemerkt man sie nicht, aber irgendwann wird man mit ihrem Ergebnis konfrontiert.
Ich denke, mit unserer Strategie und damit, wie wir das Thema anfassen, haben wir uns gut aufgestellt. Wir wissen natürlich nicht, ob wir mit jedem unserer Themen erfolgreich sein werden, aber das ist ein Risiko, das wir gezielt eingehen müssen. Denn wenn wir nichts ausprobieren, werden wir es in Zukunft nicht nutzen können. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, und wenn wir als Kommune nicht nachziehen, wird die Diskrepanz noch größer, als wir sie heute schon erleben. Ich halte es für eine der größten Gefahren für unsere Demokratie, wenn die Politik nicht lernt, mit der gesellschaftlichen Entwicklung mitzugehen.
Technologie wird ein Wettbewerbsfaktor sein. Denn der Mensch geht eine immer stärkere „Symbiose“ mit der Technik ein. Wenn Sie an die Kameras denken, die es noch vor 20 Jahren gab! Heute können wir, wenn wir wollen, alles direkt live ins Internet übertragen. Und wenn Sie kein Handy haben, sind Sie von der weltweiten Kommunikation abgeschnitten. Wer in Zukunft mit den digitalen Medien lernen kann wird effizienter und besser im Studium und in der Schule sein, als jemand, der das nicht kann. Aber das wird auch gesellschaftliche Risiken mit sich bringen, die meines Erachtens nach nicht unerheblich sind. Wenn wir den Menschen also nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellen können, wird es auch keinen gesellschaftlichen Ausgleich geben. Und was das bedeutet, kann man sich vorstellen. Es ist wichtig, dass wir den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen, sonst entwickeln wir uns als gesamte Gesellschaft in Deutschland und in Europa nicht weiter.
msg: Herr Bönig, ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie sich die Zeit für unser interessantes Gespräch genommen haben.
Bönig: Sehr gerne.
Quellenangaben:
1 https://wi-lex.de/index.php/lexikon/entwicklung-und-management-von-informationssystemen/it-projektmanagement/bimodale-it/ (abgerufen am 24.10.2019).
2 https://muenchen.digital/digitalisierungsstrategie/ (abgerufen am 24.10.2019).
3 https://www.muenchen.de/meta/iphone-android-app.html (abgerufen am 24.10.2019).
4 https://muenchen.digital/blog/stadtverwaltung-4-0-und-neohr-bereit-fuer-die-digitalisierung/ (abgerufen am 28.10.2019).
5 Workshops, deren Inhalte und Ablauf von den Teilnehmern zu Beginn selbst entwickelt und im weiteren Verlauf gestaltet werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Barcamp,abgerufen am 25.10.2019).