Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2019
von Jürgen Fritsche
Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector, im Gespräch mit Friedhelm Schäfer, zweiter Vorsitzender des dbb und Fachvorstand Beamtenpolitik, über das Thema Spitzenkräfte für die öffentliche Verwaltung. Das Gespräch fand am 15. Juli 2019 in Berlin statt.
msg: Herr Schäfer, vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen für dieses Gespräch.
Friedhelm Schäfer: Gerne.
msg: Die msg hat 2017 fünf Thesen aufgestellt1, die fünfte davon lautet: „Die Verwaltung der Zukunft braucht Spitzenkräfte für die digitale Verwaltung.“ Insbesondere über diese These möchten wir heute gerne mit Ihnen sprechen, denn Spitzenkräfte für die digitale Verwaltung werden dringend benötigt. Auch, weil die EU-Kommission im Digital Economy und Society Index (DESI)2 Deutschland unter anderem bei den digitalen Services der öffentlichen Verwaltung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat. Was läuft schief in Deutschland?
Friedhelm Schäfer: In Ihren Thesen haben Sie unter anderem postuliert, dass der Föderalismus nicht förderlich ist für die Weiterentwicklung im Bereich der Digitalisierung. Ich würde das auf den kompletten kommunalen Bereich ausdehnen, wobei man in den letzten Monaten in vielen Einzelbereichen doch zur Zusammenarbeit gefunden hat. Ich gehöre auf jeden Fall zu denen, die glauben, dass wir noch rechtzeitig das Portal bekommen, sodass die Bürgerinnen und Bürger durch das Tor gehen können. Aber was sie dahinter finden, wird vermutlich zu einem großen Teil noch sehr „alte Welt“ sein. Sprich, Angebote, die heute schon da sind, werden nur oberflächlich fortentwickelt. Das eine oder andere wird auch neu dazukommen. Aber ob die Projekte, die im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes vorgesehen sind, dann bereits alle hinter diesem Portal sind, bleibt abzuwarten. Da bin ich skeptisch.
Ein weiteres Problem ist, dass wir noch keine Lösung gefunden haben, um ein, ich nenne es mal, „Bürgerkonto“ zu organisieren. Das heißt, die Zugangsidentifikation zu klären oder eine Zugangslösung zu finden, mit entsprechenden Möglichkeiten der Zugangsbegrenzung und so weiter und sofort. Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger bei der Steuerverwaltung mit anderen Daten einloggen müssen als bei der Kommunikation mit der Gemeinde und für einen Grundbuchauszug beim Katasteramt mit einer weiteren Variante, dann haben wir ein Problem. Da sind wir nach meinem Verständnis noch weit von dem entfernt, was notwendig wäre.
msg: Woran liegt das?
Friedhelm Schäfer: Die Politik in Deutschland muss bei den Bürgerinnen und Bürgern endlich Vertrauen für ein solches Bürgerkonto aufbauen. Und ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht langsam, aber sicher darüber informiert werden, was geplant ist. Zumal wir in Deutschland das Phänomen haben, dass der Bürger seinem Staat misstraut. Das ist zum einen historisch bedingt. Aber es hängt auch damit zusammen, dass politische Entscheidungen entweder gar nicht oder zu spät erklärt werden. Oder dass sich die Menschen beim Entscheidungsprozess nicht mitgenommen fühlen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Das heißt, ich erwarte von der Politik, dass sie klare Signale setzt und nicht davor zurückschreckt, zu sagen, welche Daten der Staat braucht.
Im technischen Bereich sehe ich da weniger Probleme. Wir sprechen hier über Register – und in dem einen oder anderen Land gibt es ja schon gute Registerlösungen.
msg: Sie meinen in anderen EU-Ländern?
Friedhelm Schäfer: Ja. Und das müsste doch auch in Deutschland machbar sein. Ich halte eine einheitliche Registerlandschaft für zwingend, sodass die für den Staat relevanten Daten einmalig ein- und weitergepflegt werden können. Ansonsten bekommen wir sehr schnell ein Komplexitätsproblem.
msg: Viele Punkte also, an denen etwas getan werden muss. Wer ist für die Weichenstellung zuständig?
Friedhelm Schäfer: Diese Weichenstellung muss die Politik vornehmen. Im Moment haben wir zu viele unterschiedliche Zuständigkeiten. Wenn ich mir überlege, wer allein auf Bundes- und Landesebene für Digitalisierung zuständig ist! Aber in den letzten Wochen und Monaten sind wir auch hier ein Stück vorangekommen. Es ist ein positives Signal, dass das, was der IT-Planungsrat macht, gepusht wird. Auch die Hinweise und Hilfestellungen des Normenkontrollrats und die Hinweise der Datenethik-Kommission sind gut. Ob das Schritt hält mit der Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger, mit deren Nutzungsverhalten, da habe ich noch Zweifel. Das Tempo muss angezogen werden. Und wir brauchen – deutlich gesagt – auch mehr Geld dafür. Das fängt schon bei der Breitbandversorgung an. Wir müssen in der Lage sein, das zu bieten, was Bürger und Industrie von uns erwarten.
msg: Kennen Sie dieses Zitat: „Wir brauchen jetzt einen bundesweiten Digitalfahrplan mit Anfangs- und Zieldaten und eine operative Spitzenkraft, die flächendeckend umsetzt, angesichts des Ergebnisses des aktuellen DESI Reports.“3?
Friedhelm Schäfer: Ja, das ist ein Zitat des Bundesvorsitzenden des dbb Ulrich Silberbach. Er will damit sagen, dass wir auf Bundesebene dafür sorgen müssen, dass beim Thema Digitalisierung eine Person zentral die Entscheidungsgewalt hat. Es reicht nicht, ein Digitalkabinett oder was auch immer einzurichten. Wir brauchen eine klare Positionierung der Bundesregierung, wer dafür zuständig ist. Und diese Person muss dann auch bei den absehbar notwendigen Gesprächen der Kanzlerin mit der Ministerpräsidentenkonferenz dabei sein. Und bei den Gesprächen mit der Wirtschaft. Denn ich glaube, wir müssen bei dieser Gelegenheit gleich auch klären, inwieweit Unternehmen entsprechend Daten nutzen können. Dazu müssen wir wissen, wer die Entscheidungskompetenz hat. Ein Problem werden sie damit allerdings nicht lösen: Nämlich die Frage, inwieweit eine entsprechende Spitzenperson Durchgriffsrechte im Rahmen der Ressortkompetenzen hat. Aber ich denke, eine Bundesregierung, die es ernst meint mit dem Thema, und da gibt es für mich keinen Zweifel, muss sich in diesem Fall darauf verständigen, dann auch mal das Veto eines Ressorts außer Kraft setzen zu können.
Abbildung 1: Jürgen Fritsche
msg: Einige Impulse hat die Bundesregierung in Sachen Digitalisierung bereits gesetzt, zum Beispiel durch das Onlinezugangsgesetz.
Friedhelm Schäfer: Das Onlinezugangsgesetz ist ein Impuls., wobei ich es immer gerne als Vertrag zulasten Dritter bezeichne. Wenn Sie sich mal anschauen, was an Bundesleistungen erbracht werden muss und was aus den Ländern und Kommunen kommen muss – sowohl quantitativ als auch qualitativ –, dann hat sich der Gesetzgeber ganz elegant in eine sichere Position gebracht.
msg: Durch die demografische Entwicklung werden bis 2030 im öffentlichen Sektor zirka 700.000 Mitarbeiter fehlen. Davon gehören ungefähr 400.000 der mittleren Führungsebene an – genau der Ebene, die für Zukunftsinitiativen zum Klimaschutz oder zur Digitalisierung maßgeblich Verantwortung trägt. Auch an den Gerichten wird die Personalsituation immer enger. Gleichzeitig kommen neue Aufgaben dazu, um die sich der Staat kümmern muss. Welche Sicht haben Sie auf die Risiken der Demografie?
Friedhelm Schäfer: Das Thema Demografie haben wir seit mehreren Jahren auf der Agenda und haben bereits vor zehn, fünfzehn Jahren darauf hingewiesen, dass irgendwann die geburtenstarken Jahrgänge fehlen werden. Wir haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass es Personalkonzepte geben muss, die genau diese Situation abfedern, sowohl von der Menge als auch von der Qualität her. Aber das haben damals weder der Bund noch die Länder akzeptiert, natürlich auch aus haushälterischen Gründen. Deshalb könnte die Digitalisierung – gerade mit Blick auf die Probleme durch den demografischen Wandel – eine entscheidende Rolle spielen.
msg: Automatisierung kann also helfen, das demografische Problem zu lösen?
Friedhelm Schäfer: Ich bin mit meiner persönlichen Bewertung noch nicht am Ende. Wahrscheinlich werden wir uns einiges an „Wiederbesetzungsnotwendigkeiten“ ersparen können. Aber ich glaube nicht, dass die Effekte so groß sein werden, um das demografische Problem zu lösen. Meiner Meinung nach wird vielfach überschätzt, was hinsichtlich des Personalbedarfs durch Digitalisierung erreicht werden kann. Insbesondere halte ich es für gefährlich – und dazu neigen leider einige Politikerinnen und Politiker –, den Eindruck zu erwecken, ich digitalisiere mal die Verwaltung und dann ist alles wieder gut. Das wird nicht klappen. Gerade in dieser Übergangsphase wird die Digitalisierung viel Personal binden und nicht für andere Aufgaben freisetzen. Einmal, weil die Leute fort- und weitergebildet werden müssen. Zum anderen, weil die Digitalisierung ja auch umgesetzt werden muss. Daher erachte ich es gerade mit Blick auf das Bestandspersonal für notwendig, intensiv darüber nachzudenken, welche Fort- beziehungsweise Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich sind. Und ich trenne hier ganz bewusst zwischen Fort- und Weiterbildung. Bei Fortbildungen geht es um Gesetzesänderung, Technikänderung im laufenden Betrieb und so weiter – erledigt. Aber es gibt andere Bereiche, in denen das Personal nicht so hoch qualifiziert ist, und Stellen, die durch den Einsatz von KI vielleicht komplett wegfallen. In diesen Bereichen müssen Sie das Personal weiterbilden. Dafür bedarf es Konzepte, die aber maximal in Ansätzen erkennbar sind. Diese Weiterbildungskonzepte erfordern auch Personal, das entsprechend geschult werden muss. Aber diese Menge an Ausbilderinnen und Ausbildern haben wir nicht. Hier holen uns unsere Sünden aus den 1980er-, 1990er-Jahren ein. Die Bildungsstätten haben kein entsprechendes Lehrpersonal mehr, und zwar egal ob wir im Hochschulbereich über Professorinnen und Professoren reden oder über Lehrerinnen und Lehrer an Bildungseinrichtungen der öffentlichen Verwaltung. Dieses Personal muss zunächst einmal wieder bereitgestellt werden.
msg: Welche Einflussmöglichkeiten hat der dbb hier? Der demografische Wandel ist ja auch mit einer veränderten Beamtenstruktur verbunden.
Friedhelm Schäfer: Wir sind nicht in einer Situation wie in einem Betrieb, wo ein Betriebsinhaber im Regelfall von selbst darauf kommt, dass er Personal braucht, um Einnahmen zu generieren. Wir haben es mit Politik zu tun. Es ist das Bohren wirklich dicker Bretter, das wir seit Jahren auf allen Ebenen des dbb betreiben. Das machen unsere 16 Landesbünde, das machen unsere Mitgliedsgewerkschaften jeweils für ihren Bereich mit den zuständigen Ministerinnen und Ministern, den Fraktionen in den jeweiligen Parlamenten. Mehr geht nicht. Beim Staat ist es nun mal so, dass wir keine Druckmittel haben, um die Einstellung von mehr Personal durchzusetzen. Das ist immer eine Haushaltsentscheidung. Aber der Staat wäre gut beraten, mehr zu tun, als er jetzt bereits tut. Zugegeben, es gibt gute Ansätze, einige Bereiche haben die Einstellungszahlen gerade von Auszubildenden deutlich erhöht. Aber das, was wir in den nächsten zehn Jahren ausbilden können, reicht aus heutiger Sicht nicht aus.
msg: In manchen Gebieten Deutschlands herrscht in der Justiz schon jetzt – wenigstens teilweise – Handlungsunfähigkeit. Zwar sagt jeder, er erkenne die Zeichen der Zeit, passieren tut allerdings nur wenig. Muss der Handlungsdruck noch größer werden?
Friedhelm Schäfer: Ich glaube, dass der Handlungsdruck gerade in der Justiz mittlerweile groß genug ist. Es gibt den sogenannten „Pakt für den Rechtsstaat“4, der die Möglichkeiten zur Einstellung von Richterinnen und Richtern nennenswert erhöht hat. Aber das ist nicht unser Bereich, das macht der Deutsche Richterbund. Dasselbe gilt für den Bereich von Staatsanwälten. Das, was ich höre, ist, dass in den einzelnen Bundesländern leichte Verbesserungen erkennbar sind. Allerdings müssen die Absolventen im Studiengang Jura, die über die zweite Staatsprüfung und die entsprechenden Voraussetzungen verfügen, erst einmal für den öffentlichen Sektor gewonnen werden. Der Handlungsdruck in den Bereichen Justiz und öffentliche Sicherheit ist da auch durch gesellschaftlichen Druck entstanden. Die Gesellschaft erwartet wieder mehr Sicherheit, schnellere Umsetzung von Folgen aus Verstößen. Aber das geht nicht von dem einen Tag auf den anderen. Was man über 20 Jahre lang ignoriert hat, kann man nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Noch dazu ohne – und das würde ich für falsch halten – die Qualitätsanforderungen an Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung komplett herunterzufahren. Das wäre der falsche Weg.
Abbildung 2: Friedhelm Schäfer
msg: Der Schwenk ist also bereits im Gange – aber zu langsam?
Friedhelm Schäfer: Ja, genau. Nehmen Sie ein anderes Beispiel. Die Wirtschaft erwartet, dass Genehmigungsverfahren relativ schnell durchgeführt werden. Dazu brauchen wir in der öffentlichen Verwaltung unter Umständen auch mal Physiker, Techniker, Chemiker, Biologen und so weiter. Und stehen sofort in einem extremen Konkurrenzkampf mit der freien Wirtschaft, die solche Leute ebenfalls braucht. Denn die Altersstruktur ist dort genauso, wie in der öffentlichen Verwaltung. Das ist ja kein reines Phänomen des Staates. Dann haben wir die Situation, dass es hundert Absolventen gibt, die sich unter zwei-, dreihundert freien Arbeitsplätzen den besten aussuchen können. Als Staat müssen Sie also entsprechende Angebote machen. Aber ich meine, dass wir als Bund, Länder, Kommunen gar keine so schlechten Karten haben. Wir sind bei den Punkten, die bei jungen Leuten heute eine Rolle spielen, wie die Arbeitszeitgestaltung, Heimarbeitsplätze und ähnliche Modelle, nicht schlecht aufgestellt. Mittlerweile arbeitet der Staat auch mit Personalgewinnungszuschlägen, um Leute zu rekrutieren. Eine Wechselprämie wie im Sport. Wir haben gerade vor wenigen Tagen den Entwurf des Besoldungsstrukturmodernisierungsgesetzes (BestMG) auf Bundesebene durch das Bundeskabinett bekommen. Damit wird es möglich sein, mit Einmalzahlungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Wenn ich IT-Fachkräfte oder Juristen benötige, kann ich Interessenten entsprechende Zahlungen leisten. Das können Beträge bis zu 80.000 Euro sein, und ich sage mal, für eine IT-Fachkraft, die nach Berlin ziehen will, ist das schon mal eine sehr gute Basis.
msg: Aber das ist nicht genug, um den Rückstand aufzuholen. Sind wir nicht an einem Punkt, an dem es eine breite Bewegung geben müsste, einen breiten Konsens unter den Organisationen, um wieder vor die Welle zu kommen.
Friedhelm Schäfer: Es gibt zwischen den gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen, DGB und uns gar keinen Dissens. Und es gibt auch Signale aus der Zusammenarbeit mit der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber oder dem Industrie- und Handelskammertag oder den kommunalen Spitzenorganisationen. Aber am Ende bleibt das Problem, dass wir nicht mit einer Betriebsführung reden, sondern mindestens 17 Ansprechpartnerinnen und -partner haben – nämlich die entsprechenden Parlamente –, die wir alle überzeugen müssen. Vor die Welle zu kommen, ist kaum vorstellbar, wir können höchstens wieder auf die Welle kommen. Und dafür wird mittlerweile eine ganze Menge getan. Ich will der Politik nicht generell ein negatives Zeugnis ausstellen. Man hat verstanden, aber man hat zu spät verstanden. Es hilft aber nichts, darüber zu diskutieren, wann die Probleme entstanden sind und wer für sie verantwortlich ist. Wir haben die schlichte Notwendigkeit, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht komplett den Anschluss verlieren. Nicht nur international oder europäisch, sondern auch gegenüber der Wirtschaft. Es ist noch viel zu wenig im Bewusstsein, wie wichtig eine funktionierende öffentliche Verwaltung für den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit letztendlich für das Funktionieren des Gesamtbetriebes ist.
Abbildung 4: Friedhelm Schäfer
msg: Der MINT-Report des Instituts der Deutschen Wirtschaft sagt, dass die Lücke bei den IT-Kräften in den letzten Jahren um mehr als das Dreifache gestiegen ist. Aber gerade IT- oder auch MINT-Kenntnisse sind für die öffentliche Verwaltung wichtig. Ist die initiale Ausbildung der Beamten aus Sicht des dbb mittlerweile mehr auf Digitalisierung ausgerichtet?
Friedhelm Schäfer: Ich glaube, hier muss man differenzieren. MINT-Kräfte, zum Beispiel für die Lebensmittelkontrolle, bilden wir nicht selbst aus. Hier suchen wir Biologen oder Chemiker an den Universitäten. Das gilt auch für die Gewerbeaufsicht, den technischen Bereich der Polizei, das Patentamt oder für diverse Bereiche der Landwirtschaft, der Umwelt und so weiter. Hier finden im Regelfall keine internen Ausbildungen statt. Wir müssen uns dem Markt stellen und mit dem Markt um diese Kräfte ringen. Oder durch entsprechende Nebeneffekte punkten, wie eben ja schon gesagt.
Anders sieht es bei Verwaltungskräften aus, die bilden wir selbst aus. Das bietet auch den Vorteil, dass es eine gewisse Bindungswirkung gibt. Aber wir müssen wieder mehr Schulabgänger motivieren, bei uns eine duale Ausbildung zu machen. Durchaus mit dem Ziel, irgendwann auch zu studieren, sich weiterzubilden. Die Verwaltung muss hier neue Wege beschreiten, und es gibt auch kreative Ideen. Stipendien zum Beispiel. Solche Wege muss man weiter ausbauen. Aber auch das ist eine Frage, die von der Politik beantwortet werden muss. Wenn die entsprechenden finanziellen Ressourcen nicht da sind, wird es schwierig.
msg: Wie stellt sich die Verwaltung darauf ein, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer mehr IT-Kenntnisse brauchen? Auch in Bereichen, in denen das vor nicht allzu langer Zeit kein Thema war, zum Beispiel bei Juristen.
Friedhelm Schäfer: Insgesamt wird Digitalisierung in der Ausbildung eine immer größere Rolle spielen. Es gibt in der öffentlichen Verwaltung traditionell zwei Eintrittsmöglichkeiten. Einmal nach dem Studium, nach der Staatsprüfung in Jura oder ähnlichem. Und es gibt die typische Ausbildung im Bereich des mittleren oder gehobenen Diensts, wo Schulabsolventen zum Teil berufspraktisch, zum Teil fachtheoretisch ausgebildet werden. Gerade im fachtheoretischen Bereich gibt es sicherlich noch Luft nach oben, was die IT betrifft. Digitalisierung, die in der Verwaltung stattfindet, sollte generell Bestandteil der Verwaltungsausbildung sein. Es ist nicht zwingend, dass wir einen extra Bereich „Digitalisierung“ haben, es geht darum, die Auszubildenden auf dem Weg zu bringen, dass sie am Ende ihre Arbeit machen können.
Bei Hochschulabsolventen, zum Beispiel bei Juristen, müssen wir uns fragen, was für eine Art Juristen wir zukünftig brauchen, welche Einsatznotwendigkeit es gibt. Wenn jemand meint, ein Jurist, der typischerweise morgens diktiert, passe nicht mehr in die heutige Zeit – geschenkt. Aber wenn ITler meinen, die Umsetzung von Gesetzen oder Verordnungen würde sich nach den Bedürfnissen der IT richten, dann täuschen sie sich. Denn IT bestimmt nicht die Welt. Das muss man ganz deutlich sagen. Das wäre eine gefährliche Entwicklung in unserer Demokratie. Wenn ein Parlament über die Umsetzung eines Gesetzes entscheidet, dann muss IT dabei unterstützen, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Aber die Umsetzung wird im Regelfall von Juristen begleitet. Wir sind also bei der spannenden Frage, wer eigentlich bestimmt, wo es langgeht. Und für mich ist das definitiv nicht die IT. Schlussendlich muss die Politik sagen, wie etwas in diesem Staat geregelt wird. Das sind Bestandteile unserer demokratischen Strukturen und wenn es dann eine Situation gibt, die nicht hundertprozentig IT-gerecht umgesetzt werden kann, dann ist das eben so.
msg: Da stimme ich Ihnen zu. Aber andererseits haben sich die IT-technischen Möglichkeiten so rasant entwickelt, dass die Politik IT auch verstehen muss.
Friedhelm Schäfer: Selbstverständlich muss die Politik und die Verwaltung ebenfalls begreifen, wie die technischen Entwicklungen aussehen. Es darf zum Beispiel für einen Juristen in der Verwaltung kein Tabu sein, sich entsprechend fortzubilden. Ich sehe ehrlich gesagt – anders als vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren – auch keine Verweigerungshaltung. Aber eine Führungskraft, die zwar gelernter ITler ist, aber von Recht und Gesetz keine Ahnung hat, hilft in der Verwaltung auch nicht weiter. Hier brauchen wir ganz bestimmte Qualitäten und Qualifikationen, die Führungskräfte mitbringen müssen. Es ist also die Frage, wie Führungskräfte generell aus- und fortgebildet werden. Und das fängt schon bei der Ausbildung an.
msg: Gibt es Initiativen, durch die Verwaltung und Politik an diesen Stellen weiterkommen?
Friedhelm Schäfer: Unsere Mitgliedsgesellschaften, die den jeweiligen Fachbereich abbilden, sind mit ihrem jeweiligen Ministerialbereich, ob Bundes- oder Landesbereich spielt keine Rolle, in einem ständigen Dialog über die Frage, wie Ausbildung gestaltet werden muss, was Bestandteil der Prüfungsordnung ist, wie entsprechende Kerncurricula aussehen müssen. Es gibt einen ständigen Dialog, einmal über die Beteiligung der Gewerkschaften selbst, aber auch über die Beteiligung der Personalvertretung, Personalräte, teilweise auch Betriebsräte. Das heißt, über diesen Weg wird bereits intensiv auf die Frage Einfluss genommen, wie Ausbildung auszusehen hat und ob bestimmte Ausbildungsinhalte noch sinnvoll sind. Das ist ein ständiger Prozess, und hier sehe ich die wenigsten Schwierigkeiten. Natürlich werden sie in der Praxis mal Lehrkräfte erwischen, die nicht gerade digital-affin sind, das gehört zur realen Welt dazu. Aber die Inhalte werden in der Regel rechtzeitig umgestellt.
Abbildung 5: Friedhelm Schäfer
msg: Ist in diesem Zusammenhang die Erhöhung des Renten- oder Pensionsalters für Angestellte im öffentlichen Dienst und für Beamte ein Thema?
Friedhelm Schäfer: 67 Jahre haben wir ja bereits.
msg: Das stimmt, aber das wird nicht reichen.
Friedhelm Schäfer: Das sagen Sie. Natürlich können wir uns der Diskussion über ein höheres Eintrittsalter bei Rente und Pension nicht entziehen. Das gehört einfach zur Lebenswirklichkeit dazu. Wir haben bereits ein Bundesland, Niedersachsen, mit einem 60/70-Modell. Das heißt, es gilt das normale Eintrittsalter für Beamtinnen oder Beamten, aber optional können sie auch bis 70 bleiben. Genauso können sie aber auch schon mit 60 gehen, mit den entsprechenden Abschlägen natürlich. Wir brauchen einfach flexiblere Lösungen. Es ist nicht sinnvoll, das Eintrittsalter generell von 67 auf 70 hochzuschalten. Das wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Und es gibt im öffentlichen Dienst ja auch Berufe, bei denen man darüber nachdenken muss, ob das überhaupt sinnvoll wäre. Außerdem gibt es bei den Pensionierungen Durchschnittswerte, die weit unter dem liegen, was möglich und nötig wäre. Zum Beispiel bei Lehrerinnen und Lehrern, bei der Polizei, bei Feuerwehrleuten oder Rettungskräften. Hier muss man auch mal nach den Ursachen fragen. Wenn durch eine Erhöhung des Eintrittsalters die Zahl der Dienstunfähigkeitsfälle deutlich steigt, ist das keine Lösung.
msg: Man muss sich also mehr überlegen, als nur die Zeit zu verlängern.
Friedhelm Schäfer: Ja, denn das allein ist unrealistisch. Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben: „Ich arbeite noch ein, zwei Jahre.“ Oder bei denen die Verwaltung angefragt und ein entsprechendes Angebot gemacht hat. Warum auch nicht, wenn die körperliche und gesundheitliche Situation des Einzelnen das ermöglicht. Aber eine generelle Verlängerung des Renteneintrittsalters halte ich für falsch.
Abbildung 6: Jürgen Fritsche
msg: In der Regel wollen nur die länger arbeiten, die wirklich Freude an ihrer Arbeit haben.
Friedhelm Schäfer: Im Regelfall ist es so, da gebe ich Ihnen völlig recht. Die Menschen, die von sich aus sagen, ich kann mir vorstellen, länger zu arbeiten, die haben wirklich Spaß an ihrem Beruf. Aber beim Niedersachsenmodell muss das Land einer Weiterbeschäftigung nur zustimmen, wenn es einen Bedarf dafür sieht. Es gibt ja auch Stellen, die nicht noch drei Jahre länger besetzt bleiben müssen. Wir reden hier über Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen, und denen muss man, neben den generellen Lösungen, auch Einzelfalllösungen anbieten. Sagen, dass es möglich ist, länger zu arbeiten, aber gleichzeitig darauf achten, dass wir sie gesundheitlich nicht kaputtmachen.
msg: Hier spielt auch die Veränderungsbereitschaft der öffentlichen Verwaltung eine Rolle. Die jungen Leute erwarten heute eine andere Ansprache, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Agilität. Was meinen Sie: Arbeiten Behörden in Deutschland mittlerweile anders?
Friedhelm Schäfer: Da finden Sie die ganze Bandbreite dessen, was es auch in der freien Wirtschaft gibt: Von modernster Form von Führung, wie sie heute verstanden wird, bis hin zur alten, tradierten Denke. Das ist immer eine Frage der jeweiligen Führungskräfte. Ich glaube, der Veränderungsprozess wird sich durch die Veränderungen in den Führungsebenen von selbst ergeben. Der Führungskräftenachwuchs wird ja auch entsprechend darauf vorbereitet, geschult, fortgebildet. Heute wird eine andere Art von Führung vermittelt als noch vor 20, 30 Jahren. Ich glaube, man kann nicht sagen, dass die Verwaltung hier besonders weit hinten liegt. Und ich glaube, die Veränderungsbereitschaft ist generell sehr stark vorhanden.
msg: Auf der Website des dbb stehen seine Ziele: eine leistungsstarke und menschliche Verwaltung, engagierte Beamte mit leistungsorientiertem Dienstrecht, Erhalt von Tarifautonomie und Flächentarifvertrag, moderner Föderalismus statt egoistischer Kleinstaaterei mit leistungsbezogener Bezahlung. Würden Sie aus der Jetztsicht und der Diskussion, die wir gerade geführt haben, dem noch was hinzufügen wollen?
Friedhelm Schäfer: Nein. Das sind unsere Positionen. Wir haben seit 2018 ein Papier auf dem Markt, in dem die Positionen des dbb detailliert beschrieben sind.
Anfang nächsten Jahres werden wir ein weitergehendes Papier vorlegen, das die Fortentwicklung unserer Positionierung zu den Themen Digitalisierung und Demografie beinhaltet. Wir werden uns darin nicht auf das beschränken, was man landläufig von Gewerkschaften erwartet. Also, dass sie auf die Bremse treten oder Eckpfeiler setzen, zu allem, was alles nicht geht. Natürlich wäre das für uns einfacher, statt aufs Gaspedal zu drücken und zu sagen, jetzt macht mal weiter mit Digitalisierung. Wissend, dass es nicht einfach sein wird, das umzusetzen. Und dass es bei unseren Kolleginnen und Kollegen auch Verlierer geben wird.
Wenn wir jetzt aufs Gaspedal drücken, wissen wir noch nicht, ob die öffentlichen Arbeitgeber, das, was wir zum Beispiel im Themenfeld Weiterbildungsnotwendigkeit fordern, auch leisten können. Aber uns geht es darum, das Personal mitzunehmen. Nicht wir, sondern der öffentliche Arbeitgeber muss erklären, wo er hinwill, wie er da hinkommt und welche Folgen das für den einzelnen Arbeitsplatz hat und welche Schritte der Arbeitnehmer persönlich mitgehen muss, um mitgenommen zu werden. Hier sehen wir bereits eine Reihe von Defiziten in der praktischen Umsetzung, denn nicht jede Führungskraft ist in der Lage, das zu vermitteln, was vermittelt werden muss. Deshalb müssen wir zuerst die Führung schulen. Wie sie Veränderungen vermitteln muss, wie sie die einzelnen Menschen auf diesem Weg mitnehmen muss, wie sie Vertrauen schaffen kann. Da stehen wir im Prinzip noch am Anfang. Ich erwarte aber von der Politik, dass sie viel mehr erklärt. Es ist eines der größten Defizite, dass wir entweder zu spät anfangen, Dinge zu erklären, oder es ganz vergessen. Die Politik hat nicht den richtigen Blick dafür, wann wir einfach entscheiden müssen und parallel dazu erklären. Und wann wir noch ein bisschen Zeit brauchen, um mit den Menschen darüber zu diskutieren, wo der Weg hingehen soll.
msg: Abschließend interessiert uns: Wenn Sie aus Sicht des dbb drei Wünsche für Deutschland frei hätten, welche wären das?
Friedhelm Schäfer: Drei Wünsche an die Politik? Nun, zum einen, Mut zu Entscheidungen. Zum anderen: mehr erklären. Und der dritte Wunsch wäre, sich mehr daran zu orientieren, was rentierliche Ausgaben sind und nichtrentierliche. Also solche, wo am Ende – ich sage es mal ganz brutal – viel Geld versenkt wird. Davon gibt es eine Menge. Und rentierliche Ausgaben – ich glaube die positive Abgrenzung ist die wichtigere – sind solche, bei denen durch den Einsatz von staatlichen Mitteln entweder Ausgaben vermieden oder mehr Einnahmen generiert werden. Gerade in Zeiten geringer werdender Mittel – und es ist absehbar, dass wir mit weniger Geld rechnen müssen – brauchen wir eine stärkere Fokussierung auf solche Ausgaben. Es ist wichtig, zu schauen, was wir an Ausgaben brauchen, um letztlich das Niveau in diesem Staat aufrechterhalten zu können. Und weil wir uns auf einem extrem hohen Niveau befinden, bedarf es extremer Anstrengungen, das zu halten.
msg: Herr Schäfer, vielen Dank für dieses interessante Gespräch.
Friedhelm Schäfer: Sehr gerne, ich danke auch.
Abbildung 7: Friedhelm Schäfer