Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2019
von Stefan Walter
Die Digitalisierung und der damit verbundene Umbruch im Energiesektor stellt Stadtwerke bundesweit vor bislang unbekannte Herausforderungen, fordert innovative Antworten und eine Neuausrichtung für die Zukunft. Starker Wettbewerb, neue Marktteilnehmer und disruptive Geschäftsmodelle gefährden dabei die etablierten großvolumigen Geschäftsfelder der kommunalen Versorgungsunternehmen. Ein Fokus auf das reine Commodity-Geschäft wird in Zukunft nicht mehr ausreichen.
Stadtwerke unter Handlungsdruck
Ein im Oktober 2017 vom Progressiven Zentrum in Kooperation mit dem Verband kommunaler Unternehmen e.V. veröffentlichtes Diskussionspapier1 greift genau diese Situation auf und zeigt einen konkreten Lösungsweg für die Zukunftssicherheit der Stadtwerke auf. Regionale Plattformen für den Verkauf von Bündelprodukten, verknüpfte Dienstleistungen und weitere Services sind bedeutend für die Geschäftsmodelle der Zukunft eines Stadtwerkes. Durch ihren hundertprozentigen Marktzugang besitzen Stadtwerke ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Marktteilnehmern. Dieses Asset gilt es zu verteidigen, zu nutzen und für die Zukunft zu stärken. Als Gesamtanbieter regionaler Services könnten sich Stadtwerke auch zukünftig gegen den Wettbewerbsdruck von außen behaupten.
Grundlegende disruptive Veränderungen im Stadtwerkeumfeld werden laut einer aktuellen Expertenbefragung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft und des Prüfungsund Beratungsunternehmens Ernst & Young2 bereits mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent erwartet. Dieses Ergebnis zeigt, dass Stadtwerke und Kommunen jetzt handeln sollten. Denn das dynamische Wettbewerbsumfeld fordert von den kommunalen Dienstleistern eine neue, digitale Produktpalette. Eine Plattform, die innovative Services an einem Ort mit digitalen Kundenkonten vereint, könnte die Lösung sein.
Digitale Geschäftsmodelle gemeinsam schneller umsetzen
Das Gemeinschaftsprojekt „Digitale Plattform für Kommunale Services“ (DIPKO) beschäftigt sich mit genau diesem Lösungsansatz. Dabei stellt die cloudbasierte Vernetzung von Angebot, Dienstleistung und Nachfrage auf einer regionalen Plattform den Kern der Idee dar. Mit ihr könnten – insbesondere durch das Angebot von Bündelprodukten und die Integration von Drittanbietern aus dem Dienstleistungssektor – der vollständige Marktzugang der Stadtwerke genutzt werden und attraktive Mehrwerte könnten generiert werden. Damit bereitet die Digitale Plattform für Kommunale Services als integrierte White-Label-Plattform den Weg zu zukunftsfähigen digitalen und plattformzentrierten Geschäftsmodellen.
Das Projekt verfolgt das übergeordnete Ziel, das Wissen seiner Teilnehmer zu bündeln und so innovative, digitale Geschäftsmodelle schneller entwickeln und bereitstellen zu können. Zu diesem Zweck sollen bestehende Leistungen von Stadtwerken auf einem digitalen Kundenkonto zusammengeführt, sowie Information, Kommunikation und Interaktion der Bürger mit ihren kommunalen Versorgern zentralisiert, vereinfacht und gefördert werden. Dabei stehen auch andere kommunale Leistungen im Zentrum der Überlegungen. Insbesondere das gesamte Themenfeld rund um die Smart City bietet sich hier an, da die Vernetzung der Akteure Bürger, Kommune und Stadtwerke zahlreiche Vorteile für Kunden birgt. Aufgrund der Tatsache, dass Stadtwerke oftmals eine hohe lokale Marktdurchdringung besitzen, erreichen Mehrwertdienste wie zum Beispiel „Smart Parking“ eine deutlich höhere Akzeptanz beim Bürger und können dem Kunden einfacher zur Verfügung gestellt werden. Die bereits bei dem jeweiligen Stadtwerk hinterlegten Zahlungsmodalitäten des Kunden erleichtern zum Beispiel die kaufmännische Abwicklung weiterer Services erheblich.
Smart Parking als möglicher Use Case
Zahlreiche Experten beschäftigen sich momentan mit der Frage, wie Parkraumbewirtschaftung im öffentlichen Raum effizienter gestaltet werden kann. Dabei wird häufig das Thema Smart Parking diskutiert. Insbesondere die Ausstattung der Park- plätze mit smarten Sensoren steht dabei im Zentrum der Diskussion. Diese Umsetzung ist jedoch mit erheblichen Investitionskosten verbunden und kann daher nicht kurzfristig realisiert werden. Aus Sicht des Kunden sind es oftmals viel einfachere Lösungen, die einen deutlichen Zuwachs an Komfort beim Parken bieten. Hier setzt die Digitale Plattform für Kommunale Services an. Das Ziel ist die Entwicklung einer einfachen Lösung, um Parktickets zu erwerben, zu verlängern und digital abzurechnen. Vor allem in Kombination mit den bereits vorhandenen Kundendaten der lokalen Stadtwerke könnte diese Lösung einfach umgesetzt werden. Der Kunde bucht dabei den Parkservice im Kundenportal seines lokalen Stadtwerkes und kann ab diesem Zeitpunkt seine Parkscheine online buchen und über das bestehende SEPA-Lastschriftmandat oder über PayPal sofort bezahlen. Somit würde auch für die Kommune das lästige und kostspielige Bargeldmanagement der Parkautomaten entfallen.
Ein weiterer Vorteil dieser Lösung: Da der Kunde im Portal registriert ist, sind kundenindividuelle Informationen über den Parkvorgang vorhanden. Die gewonnenen Daten können für die Entwicklung weiterer Geschäftsmodelle oder zur Optimierung der Parkraumbewirtschaftung genutzt werden. Und das Wichtigste: Die Daten bleiben in kommunaler Hand und gehen nicht an Drittanbieter wie zum Beispiel ParkNow oder EasyPark.
Von der Idee bis zum digitalen Geschäftsmodell
Innovationen entstehen nicht aus sich selbst. Moderne Methoden wie Design Thinking3, Lean Innovation und Open Innovation helfen dabei, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt in Geschäftsnutzen umzusetzen. Deshalb wird die Digitale Plattform für Kommunale Services gemeinsam mit ausgewählten Stadtwerken in einem Open-Innovation-Ansatz entwickelt. Technologie- und Businessexperten, Marktteilnehmer sowie Methodik- Coaches arbeiten eng zusammen und entwickeln binnen kürzester Zeit Ideen zu konkreten Geschäftsmodellen. Die zukünftigen Funktionen der Plattform werden gemeinsam erarbeitet. Angefangen bei einer zielgerichteten Ideenfindung über die Entwicklung von erlebbaren Prototypen bis hin zum finalen Produkt- Rollout. Innovationen werden damit verständlich, greifbar und ökonomisch skalierbar gemacht.
Diese Vorgehensweise ist das Besondere an der DIPKO, denn es werden nicht nur Ideen erarbeitet, die theoretisch funktionieren könnten, wie das bei Innovationssprints oftmals der Fall ist. Vielmehr wird auch die technische Umsetzbarkeit der Ideen gleich mittels Prototypen geprüft. Jede Idee soll definitiv einen Mehrwert für die beteiligten Stadtwerke und Kommunen bieten und natürlich auch technisch realisierbar sein.
Innovationen in drei Phasen realisieren
Der Innovationsprozess der Digitalen Plattform für Kommunale Services besteht aus drei Phasen. Open Innovation: In den jeweils vierwöchigen Innovationssprints zu konkreten Themenfeldern erarbeiten Stadtwerke gemeinsam eine optimale Umsetzung für sich und ihre Kunden. In dieser Phase entsteht bereits ein konkreter Prototyp, der das gemeinsam entwickelte Konzept erlebbar macht. Ob die Herausforderung die Vermarktung regionaler Dienstleistungen, die Kundenbindung im Energiesektor oder der Weg zur Smart City ist – in der Open-Innovation-Phase werden Konzepte für die spezifischen Produkte und Services erarbeitet.
Business Building: Im Rahmen des Business Buildings werden die Produkte und Services pilotiert, die Business Cases erstellt und sogenannte Minimum Viable Products (MVP) entwickelt. Die Umsetzung der Lösungen erfolgt direkt auf der kommunalen Plattform.
Operationalisierung: Im Anschluss an das Business Building muss die Geschäftsidee in der täglichen Unternehmenspraxis ihre Bewährungsprobe bestehen. Dies geschieht durch den Rollout, bei dem die Geschäftsmodelle und neuen Produkte von den jeweiligen Stadtwerken in Betrieb genommen werden. Die auf einer Cloud-Technologie basierende Digitale Plattform für Kommunale Services bietet dabei ein Baukastensystem, das teilnehmenden Stadtwerken viele Freiheiten bezüglich der technologischen und zeitlichen Umsetzung ihrer Ideen lässt.
Innovationssprints mit kooperierenden Stadtwerken
Die bereits als Kooperationspartner gewonnenen Stadtwerke haben sich Mitte September zum ersten Innovationssprint in Frankfurt am Main getroffen. Im Fokus stand das Thema „digitale Marktbearbeitung“. In einer einwöchigen Ideation-Phase wurden gemeinsam konkrete Lösungsansätze zu diesem Anwendungsfall diskutiert und formuliert. Mithilfe verschiedenster Innovations- und Bewertungsmethoden einigten sich die Teilnehmer auf die Realisierung eines vollintegrierten, spartenübergreifenden Loyalitätsprogramms. Dies soll Stadtwerken eine gezielte Kundenansprache sowie eine nachhaltige Kundenbindung ermöglichen. Im Anschluss erfolgte die Umsetzung eines ersten technischen Prototyps. 2019 sind weitere Innovationssprints, unter anderem zu dem Themengebiet „Bäder und Freizeitangebote“, geplant, und weitere Stadtwerke wollen sich dem Projekt anschließen, um die Basis für die Plattform zu vergrößern
Weitere Informationen zur Digitalen Plattform für Kommunale Services unter: www.dipko.de.
Quellenangaben:
1 http://www.progressives-zentrum.org/discussion-paper-das-stadtwerk-der-zukunft/1
2 https://www.bdew.de/media/documents/Stadtwerkestudie-2017.pdf
3 Siehe .public, 01-2017, „Design Thinking – Probleme kreativ lösen“,https://publikation.msg.group/publikationsarchiv/fachartikel/154-design-thinking-probleme-kreativ-loesen/file