Schlussfolgerungen aus der im Mai veröffentlichten Studie „Zwischen E-Akte, Fachverfahren und Digitalisierungsplattform“
Zuerst erschienen in der public Ausgabe 02/2022
von Axel Drengwitz und Rainer Clemens
Ausgehend von einer Behördenbefragung stellt die Studie „Zwischen E-Akte, Fachverfahren und Digitalisierungsplattform“1 die aktuelle Situation des E-Governments in deutschen Verwaltungen dar und leitet aus den Befragungsergebnissen Empfehlungen für ein durchgängiges E-Government in Deutschland ab. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die stark fragmentierte IT-Landschaft der Verwaltung nur mit Prozessmanagement und steuernden Digitalisierungsplattform hin zu durchgängigen Datenflüssen und übergreifenden Prozessen entwickelt werden kann. Dazu ist es erforderlich, die Nutzung von E-Government-Basisdiensten stark auszuweiten und die Modernisierung vieler veralteter Fachverfahren zu initialisieren. Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse zusammen und nimmt dabei insbesondere den Status quo, aber auch die Potenziale des Einsatzes von Digitalisierungsplattformen in den Fokus.
Ohne Digitalisierungsplattform wenige Digitalisierungsfortschritte
Sowohl die Kenntnis als auch die Durchdringung des Themas Digitalisierungsplattform sind in der öffentlichen Verwaltung noch gering. Erschwerend kommt hinzu, dass wichtige Grundlagen fehlen, beispielsweise Prozessmanagement. Selbst wesentliche Informationsgrundlagen wie eine Prozesslandkarte werden wenig genutzt, dies verhindert den effizienten Einsatz von Digitalisierungshilfen und die Realisierung medienbruchfreier Prozesse. Es geht nicht nur um die Einführung und Umsetzung von Digitalisierungsplattformen, sondern um die Schaffung robuster, zuverlässiger, durchgängig medienbruchfreier Prozesse. Hierfür ist eine Prozessdokumentation unerlässlich. Die Ergebnisse sind im Detail erstaunlich: Mehr als zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung des DOMEA2-Konzepts haben bisher nur gut 30 Prozent der Behörden die E-Akte vollständig in ihre Arbeitsprozesse integriert. Noch überraschender ist, dass 91 % der befragten Behörden ihre Papierakten auch in der Zukunft noch parallel weiterführen wollen. Sehr bedenkenswert ist zudem, dass nur 10 % der Ämter ihre Prozesse digital dokumentieren. Das lässt darauf schließen, dass die Behörden bisher überwiegend auf Prozessoptimierungen verzichtet haben und für die Zukunft keine Optimierungen vorsehen.
Ein Trugschluss: Die Einführung der E-Akte sei erledigt
Noch immer läuft der Digitalisierungsprozess in Behörden nicht rund. Die Ursachen dafür sind vielfältig. So wurden in der Vergangenheit in sehr vielen langwierigen Projekten E-Akte-Systeme konzipiert, beschafft und eingeführt. Deshalb stuft heute insbesondere die Leitungsebene das Thema E-Akte als „erledigt“ ein. Ein Fehler. Denn es sind zwar wesentliche Kernbausteine einer E-Akte in den Verwaltungen vorhanden, zahlreiche Anwendungsfälle können aber immer noch nicht aus der E-Akte heraus bearbeitet werden. Es fehlt – auch das zeigt die Studie – weiterhin an Integration und Akzeptanz.
Behörden am Limit
Erschwerend kommt für die Behörden seit längerer Zeit neben der Einführung der E-Akte die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes hinzu. Das bringt die Verwaltungen an ihr Limit, zumal viele den Anspruch haben, ihre Leistungen schnell als Online-Services bereitzustellen. Dem stehen komplexe Projekte, die Einbindung von E-Government-Basisdiensten und zahlreiche Akteure aus verschiedenen Verwaltungen entgegen, die viel Geduld von allen Beteiligten erfordern. Innovationsinitiativen auf allen Verwaltungsebenen zeichnen sicher ein anderes Außenbild. Es geht im Moment aber nicht um das große Vordenken in eine bessere digitale Zukunft, sondern um die Digitalisierung der vorhandenen, zuverlässigen und robusten Behördenprozesse.
Vor allem die Wirtschaft wünscht sich eine leistungsfähige und nutzerfreundliche digitale Verwaltung mit weniger bürokratischem Aufwand und überflüssigen Mehrfacherhebungen. Nicht zuletzt sind aber selbst die Mitarbeitenden der Verwaltungen der doppelten und dreifachen Eingabe identischer Informationen und der immer wieder auftauchenden Medien- und Systembrüche zwischen den Verfahren überdrüssig. Die Überwindung dieser Hemmnisse ist mindestens ebenso wichtig wie die Bereitstellung der Zugänge zu Online-Services für Bürgerinnen und Bürger.
Mit diesen Zielen in die Zukunft starten
Eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung mit einem durchgängigen und behördenübergreifenden Datenfluss zu erreichen, bei dem alle miteinander zusammenhängenden Verwaltungsdienstleistungen wie bei einem Dominoeffekt aktiviert werden, sollte das Ziel sein.
Ein Beispiel: Wird der erste Wohnsitz in eine andere Stadt verlegt, sollten nach nur einem einzigen Eingabevorgang automatisch alle erforderlichen Anträge gestellt werden können, also beispielsweise die Ummeldung der Hundesteuer, der Neuantrag für einen Bewohnerparkplatz oder die Schulab- und Ummeldung der im Haushalt lebenden Kinder. Das umzusetzen, beinhaltet viele Schnittstellen und ist eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe. Technologien, die dabei helfen, sind seit langem verfügbar und werden in der Privatwirtschaft seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Zu bedenken bleibt in zahlreichen Fällen nur die Anpassung rechtlicher und verfahrensbezogener Vorschriften, die heute noch die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung hemmen.
Die neuen Schnittstellenmanager
Die Rede ist von Digitalisierungsplattformen: Sie sind die nächste Technologie, die im Sinne eines E-Government-Basisdienstes Beachtung finden muss. Noch sind die Potenziale solcher Plattformen in deutschen Behörden weitgehend unbekannt. Auch das belegt die Studie: Die Umsetzung von Funktionalitäten einer Low-Code-Plattform3 ist bei 52 % der Befragten nicht in der Planung. 35 % der Befragten wissen nicht, ob es solche Planungen gibt oder können die Frage nicht beantworten. Und nur bei 1 % der Teilnehmenden ist die Integration von Low-Code-Plattformen abgeschlossen.
Dieser Befund wurde von Experten in der öffentlichen Verwaltung in unseren Hintergrundgesprächen bestätigt. Sie haben erkannt, dass „Low-Code-Plattformen ein vielversprechender Ansatz sind, einfachere Prozesse und Verfahren mit allen am Prozess Beteiligten aufzubauen“.
Low-Code-Plattformen integrieren und steuern Prozesse und Datenflüsse oberhalb der vorhandenen Fachverfahren. Sie bieten eine Summe von Funktionsbereichen und vorgefertigten Bausteinen sowie Schnittstellen an, die bereits vorhandene IT-Lösungen und Anwendungen flexibel integrieren und Verwaltungsverfahren zielgerichtet modular digitalisieren, ohne dass dafür zeitaufwendige Programmiervorgänge notwendig sind.
Mehrwerte der Digitalisierungsplattformen
Zusätzlich ermöglichen intelligente Funktionsmodule, komplexe Prozesse zu automatisieren. Mehrfacheingaben werden durch ein zentrales Datenmanagement überflüssig. Änderungen in Prozessabläufen oder gesetzliche Anpassungen können schnell, sicher und unkompliziert realisiert werden. Außerdem integrieren Digitalisierungsplattformen neben Low-Code-Funktionalitäten auch weitere Funktionsbereiche, beispielsweise KI-Elemente, Chatbots oder Formularmanagement. Allerdings benötigen Low-Code-Plattformen Zugriff auf Daten, Schnittstellen und die Funktionalität darunterliegender Business- Anwendungen. Von daher ist der Einsatz eines Prozessmanagements als wesentlicher Erfolgsfaktor der durchgängigen Digitalisierung anzusehen und ein zentraler Ansatzpunkt für die sinnvolle Optimierung relevanter Verwaltungsverfahren. Doch auch hier lässt die Studie erkennen, dass viele Behörden immer noch teils sogar erheblichen Nachholbedarf haben:
5 % der Befragten geben an, dass die Anfertigung einer Prozessdokumentation für ihre Behörde nicht relevant ist und somit nicht durchgeführt wird. Immerhin 26 % planen die Einführung und sogar 59 % berichten davon, dass Prozessdokumentationen aktuell erstellt werden. Aber lediglich 10 % gaben den Status „abgeschlossen“ an.
Abbildung 1: Die Digitalisierungsplattform als Schnittstellenmanager
Es sei erschreckend, wie wenige Behörden sich aktuell mit modernen Plattformen beschäftigten, bestätigt uns der verantwortliche CIO einer Landesregierung im Gespräch: „eine Diskussion, die wir in der Wirtschaft bereits vor zehn Jahren geführt haben.“
Einer für alle? So kann es gelingen.
Ein gutes Beispiel für die Nutzung einer Digitalisierungsplattform ist die Überbrückungshilfe des Freistaats Bayern während der Pandemie. Innerhalb weniger Wochen wurde der notwendige Online-Antragsprozess umgesetzt. Alle Länder haben sich dem nach dem „Einer für Alle“-Prinzip angeschlossen.
Unter anderem das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist Betreiber der eingesetzten Digitalisierungsplattform. Allein für die Novemberhilfe 2020 waren knapp 300.000 Anträge eingegangen (Stand 07.01.2021). Dabei musste die Plattform sicherstellen, dass die erforderlichen Unterstützungszahlungen für Unternehmen und Selbstständige in sehr kurzer Frist beantragt, die Anträge bewilligt und die Auszahlungen über die Bewilligungsstellen der Länder vorgenommen werden konnten.
Die neue digitale Normalität
Die Einführung eines umfassenden Prozessmanagements im Freistaat Sachsen ist ein zweites gutes Beispiel, das die Verwaltungen motivieren kann, in naher Zukunft die organisatorischen Anpassungen und technischen Voraussetzungen für die neue digitale Normalität zu schaffen. Zweifelsohne werden die Digitalisierungsplattformen die öffentlichen Verwaltungen unterstützen und ihnen helfen, Verwaltungsmitarbeitende bei zeitintensiven, repetitiven und manuellen Prozessen zu entlasten und den Fachkräftemangel zu bewältigen.
Handlungsempfehlungen
Die Studie leitet aus den Befragungsergebnissen sechs Handlungsempfehlungen in verschiedenen Themenfeldern ab, die Grundlage für eine durchgängige Digitalisierung sein können. Eine davon fordert die Integration von Digitalisierungsplattformen als Schlüssel für medien- und systembruchfreie Prozesse in die deutsche Behörden-IT und ist der zentrale Gegenstand dieses Beitrags. Ergänzend dazu sei hier eine zweite Handlungsempfehlung stellvertretend hervorgehoben: Es müssen große Anstrengungen unternommen werden, Digitalkompetenzen auf allen Ebenen in den Behörden aufzubauen. Dies ist unbedingt notwendig, um digitale Verwaltungsprozesse überhaupt sicherstellen zu können.
Quellen
1 https://www.msg.group/public-sector/studie-e-akte-fachverfahren-digitalisierungsplattform (abgerufen am 26.07.2022).
2 https://www.verwaltung-innovativ.de/DE/Verwaltungsdigitalisierung/orgkonzept_everwaltung/DOMEA_Organisationskonzept/DOMEA_Organisationskonzept_node.html (abgerufen am 18.08.2022).
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Low-Code-Plattform (abgerufen am 10.08.2022).