Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2019
von Dr. Jan Engelke und Regina Welsch
Von der Vision zur Umsetzung
Digitale Transformation ist Leitthema und zentrale Herausforderung in nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft. Auch die öffentliche Verwaltung muss sich auf allen Ebenen dieser Herausforderung stellen und arbeitet im Bund, in den Ländern und in den Kommunen an der Gestaltung des digitalen Wandels. Die Digitalisierung von Behörden bewegt sich im Spannungsfeld von dem technisch Machbaren, dem rechtlich Möglichen und den Erwartungen der Bürger an einen modernen Staat.
Eine nachhaltige und gesellschaftlich akzeptierte Nutzung moderner Technologien in der öffentlichen Verwaltung wird nur durch strategische Planung und nachhaltige Umsetzung der digitalen Transformation möglich sein. Daraus leitet sich der Anspruch ab, Ziele zu definieren, die auch die großen gesellschaftlichen Fragen des Arbeitens, des Zusammenlebens und der öffentlichen Teilhabe in fünf, zehn oder zwanzig Jahren nicht aus den Augen verlieren.
Entscheidungen über die strategische Ausrichtung der öffentlichen Verwaltung – und damit auch über die Digitalisierung – müssen demokratisch legitimiert werden. Solche Entscheidungen können aufgrund der Gewaltenteilung und unserer föderalen Strukturen oft nur im Konsens getroffen werden und erfordern Kompromissbereitschaft von allen Beteiligten. Für die öffentliche Verwaltung gilt grundsätzlich das „Primat der Politik“, das heißt, die Ziele des Verwaltungshandelns werden durch politische Entscheidungen bestimmt, die ihren Niederschlag letztlich in Gesetzen und Verordnungen finden. Der Zeithorizont für strategische Planungen wird in Politik und Verwaltung meist durch Wahlperioden und kurzfristige Ereignisse der Tagespolitik bestimmt. Eine Methode zur Strategieentwicklung in der öffentlichen Verwaltung muss daher für verschiedene Zeithorizonte anwendbar sein und gleichzeitig offen bleiben für kurzfristige Veränderungen der Rahmenbedingungen.
Digitalisierung in der Verwaltung
Die Daten vieler Verwaltungsabläufe liegen bereits heute in digitaler Form vor. Mit neuen Techniken wie beispielsweise der E-Akte und einer immer stärkeren Vernetzung von Fachverfahren, Registern und Datenbeständen verschiedener Behörden entstehen neue Möglichkeiten für vollständig digitalisierte Verwaltungsprozesse, die bereits heute die gesellschaftlichen Potenziale der Transformation erkennen lassen:
- Durch Automatisierung von Verwaltungsabläufen mit Vernetzung bestehender Fachverfahren und Anwendungen können Verwaltungsmitarbeitende von rein administrativen Abläufen entlastet werden, um Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben zu schaffen – das verantwortungsvolle Abwägen von individuellen Entscheidungen mit Ermessensspielräumen, die nicht automatisiert werden können.
- Automatisierte intelligente Erhebung, Vernetzung und Analyse von Daten ermöglichen eine fundierte Grundlage für die Gestaltung von Themen und die Abwägung von Argumenten.
- Stärkere themenbasierte Vernetzung von Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung beschleunigt Abstimmungsprozesse, zum Beispiel durch E-Partizipationsverfahren oder elektronisches Feedback.
- Nur einmalige Übermittlung von erforderlichen Bürger- und Unternehmensdaten und anschließende automatisierte Weiterverarbeitung entlastet Bürgerinnen und Bürger.
Diese neuen Möglichkeiten verändern Arbeitsabläufe der Beschäftigten in der Verwaltung und sie verändern die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bürger. Gleichzeitig erlaubt die zunehmende Automatisierung eine Freisetzung von personellen Kapazitäten, die sich in besserer Beratung, Troubleshooting oder Umschichtung von Kapazitäten, zum Beispiel in die Betreuungsarbeit, positiv für die Bürgerinnen und Bürger auswirken.
Die Einführung der erforderlichen Technik erfordert jedoch teilweise erhebliche finanzielle Mittel. Um über Investitionen in Produkte, Prozesse und Personal zielgerichtet zu entscheiden, muss eine Digitalisierungsstrategie mittel- und langfristige Ziele, die Aufwände und den Nutzen für einen solchen Veränderungsprozess definieren und transparent machen.
Strategieentwicklung in der öffentlichen Verwaltung
Methoden zur Strategieentwicklung gibt es in vielen Wirtschaftsbereichen schon lange. Die meisten Konzepte zur strategischen Führung von Organisationen orientieren sich in der Regel an den Bedürfnissen von Unternehmen. Ihre Entscheidungsmodelle basieren auf wirtschaftlichen Zielen und kommerziellem Erfolg. Bei der Entwicklung von Strategien in Politik und Verwaltung müssen andere Zielsysteme berücksichtigt werden. Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung zielt nicht nur auf Erhöhung der Effizienz durch moderne Technologien, sondern muss auch die Frage beantworten, wie neue Technologien zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen.
Ein Beispiel: Banken reduzieren seit Jahren die Anzahl ihrer Filialen und schränken den persönlichen Service vor allem in der derzeitigen Niedrigzinsphase systematisch zugunsten von Onlinedienstleistungen ein. Sie nehmen dabei aus unternehmensstrategischen Gründen in Kauf, einzelne Kunden zu verlieren. Eine Verwaltung kann eine derartige Digitalisierungsstrategie nicht umsetzen. Auch wenn der Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen durch das Onlinezugangsgesetz grundsätzlich über digitale Schnittstellen möglich werden soll, müssen Behörden in vielen Fällen den Bürgerinnen und Bürgern parallel auch den analogen Zugang zu diesen Verwaltungsdienstleistungen ermöglichen.
Das Beispiel verdeutlicht, dass bei einer Digitalisierungsstrategie in der öffentlichen Verwaltung immer der Aspekt der gesellschaftlichen Auswirkungen im Vordergrund steht. Dadurch müssen in den Strategieprozess viele unterschiedliche Stakeholder eingebunden werden. Die komplexen Abhängigkeiten und Auswirkungen erfordern Entscheidungsprozesse, die einen fairen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten ermöglichen.
Digitalisierungsstrategien in der öffentlichen Verwaltung werden daher nur erfolgreich sein, wenn sie im Konsens zustande kommen, sichtbare Ergebnisse produzieren und somit auf Akzeptanz der Betroffenen stoßen. Die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie durch konkrete Maßnahmen ist nicht mehr Teil des eigentlichen Strategieprozesses, sondern wird im Rahmen einzelner Projekte geplant und gesteuert. Die Ergebnisse dieser Umsetzungsprojekte wirken zurück auf den Strategieprozess und machen unter Umständen die Anpassung der strategischen Planung erforderlich.
Vorgehensmodell
Strategieprozesse zur Digitalisierung von Behörden können auf ein spezifisches Vorgehensmodell zurückgreifen, das die beschriebenen Rahmenbedingungen in dieser Branche berücksichtigt. Das Vorgehen ist grundsätzlich anwendbar auf Organisationen verschiedener Größe von kompletten Ressorts bis zu einzelnen Behörden.
Dieses Vorgehen bei der strategischen Planung von Digitalisierungsvorhaben muss im Einzelfall an die Größe der Organisation und den aktuellen Stand der Digitalisierung angepasst werden. Die Erfahrungen in bisherigen Projekten bei Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden zeigen, dass sich die systematische Vorgehensweise mit einem klar strukturierten Vorgehensmodell und definierten Zwischenergebnissen bewährt hat.
Allen Interessierten bieten wir die Möglichkeit, im Rahmen des Seminars am 2. Juli 2019 mehr über die Strategieentwicklung in der öffentlichen Verwaltung zu erfahren. Erfahrene Strategieberater der msg erläutern anhand von Beispielen das Vorgehensmodell und die dabei eingesetzten Methoden.