Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 04-2019
von Werner Achtert
Das Netzwerk ist mehr als nur die Summe seiner Teile.1
Der digitale Wandel beeinflusst alle gesellschaftlichen Bereiche: Er verändert Wirtschaftsstrukturen. Er verändert unser Verhalten als Bürger und Konsumenten. Und er wird auch staatliches Handeln verändern. Diese Veränderungen sind geprägt von Kooperation und Vernetzung – von Kooperationen zwischen Akteuren, die bisher nebeneinander oder sogar in Konkurrenz zueinander tätig waren, und auf Basis von gemeinsam genutzten Daten.
Für diese Art von Vernetzung gibt es einige Beispiele: Unsere Mobilität basiert zunehmend auf dem schnellen Zugriff auf aktuelle Daten aus verschiedenen Quellen. Die Energieversorgung basiert auf Smart Grids, intelligenten Stromnetzen, die eine Verbindung zwischen Energieerzeugern und Energieverbrauchern herstellen. Industrielle Prozesse basieren immer mehr auf dem Internet der Dinge zur Vernetzung von Lieferketten zwischen Unternehmen. Dabei werden Daten immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt von Geschäftsmodellen. Das „neue Gold“ wird für viele Unternehmen zur zentralen Ressource.
Klassische ökonomische Modelle basieren auf einzelnen Lieferbeziehungen zwischen Unternehmen und Konsumenten. Ein zunehmender Anteil der wirtschaftlichen Wertschöpfung entsteht aber mittlerweile in der Plattformökonomie. Hier sind die Lieferbeziehungen deutlich komplexer. Jeder Marktteilnehmer bringt Leistungen ein, das eigentliche Produkt für den Kunden entsteht erst im Zusammenspiel aller Beteiligten. Durch die Kooperation zwischen Marktteilnehmern auf digitalen Plattformen entstehen völlig neue Geschäftsmodelle. Grundidee der Plattformökonomie ist, dass durch die Kooperation verschiedener Akteure ein Mehrwert entsteht, den jeder Einzelne allein nicht erbringen könnte. Das Netzwerk ist also mehr als nur die Summe seiner Teile.
Die im Februar 2019 angekündigte Kooperation zwischen BMW und Daimler zur Entwicklung von Mobilitätsplattformen zeigt eindrücklich, wie Vernetzung Win-win-Situationen schaffen kann und wie aus Konkurrenten plötzlich Partner werden.2 Der zentrale Erfolgsfaktor im globalen Wettbewerb ist die Verfügbar keit von Daten und die Fähigkeit zur Steuerung datenbasierter Wertschöpfungsketten mit Beteiligten aus verschiedenen Bereichen – also die Fähigkeit zur Vernetzung.
Erfolgsfaktor Vernetzung
Heutige Verwaltungsstrukturen sind noch immer stark verrichtungsorientiert. Gleichartige Aufgaben werden in Abteilungen, Referaten und Sachgebieten zusammengefasst. Das vorherrschende Denken in Zuständigkeiten führt zu Silo-Strukturen, die Vernetzung eher verhindern als fördern. Verwaltungsprozesse laufen eher innerhalb von Organisationseinheiten als über die Grenzen von Organisationseinheiten hinweg. In vielen Teilen der Verwaltung fehlen bisher durchgängige Konzepte zur Vernetzung über Grenzen von Behörden und Verwaltungsebenen hinweg.
Innerhalb großer Behörden, die eigentlich abteilungsübergreifende Prozesse haben, liegen viele Daten redundant und vor allem inkonsistent vor. Projekte zur Einführung der E-Rechnung machen dies deutlich: Daten über Vergabe, Bestellung, Lieferung und Bezahlung liegen in verschiedenen Systemen und Formaten vor. Manche Daten gibt es nicht in digitaler Form. Eindeutige Identifikatoren für Lieferanten und Bestellungen fehlen, sodass Rechnungen nicht automatisiert Bestellungen und Lieferungen zugeordnet werden können. Die manuelle Zuordnung wiederum erfordert hohen personellen Aufwand.
Bei der Einführung von E-Akte und Workflowmanagement stellen viele Behörden fest, dass bisher ähnliche Abläufe in verschiedenen Abteilungen unterschiedlich gehandhabt wurden. Solange Vorgänge papierbasiert abgelaufen sind, gab es keinen Zwang zu einheitlichen Aktenplänen und Prozessbeschreibungen. Hier zeigt sich deutlich der bisher niedrige Vernetzungsgrad. Es kommt noch eine Menge Arbeit auf die Verwaltung zu, bis Abläufe durchgängig digital gesteuert und vernetzt werden können.
Auch die IT-Unterstützung ist in vielen Fällen noch von Silodenken und strikt getrennten Datenräumen geprägt. Deshalb müssen Bürger ihre Daten immer und immer wieder eingeben und sich an die Prozesse und Zuständigkeiten der Verwaltung anpassen. Viele dieser Strukturen stammen aus einer Zeit, als Bürgernähe noch in Kilometer zur nächsten Amtsstube gemessen wurde. In die digitale Welt passt dieses Denken nicht mehr. Bürgernähe heißt heute: Verfügbarkeit an sieben Tagen die Woche und zwar rund um die Uhr, keine Medienbrüche, unkomplizierte Nutzerschnittstellen und schnelle Bearbeitung.
Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats, hat das aus seiner Perspektive auf den Punkt gebracht: „Das deutsche System ist auf Rechtskonformität gemünzt, nicht auf Effizienz. Dies führt dazu, dass wir nicht kundenorientiert arbeiten.“ ³
Kundenorientierung beinhaltet heute und in Zukunft auch stärkere Vernetzung. Denn die Kunden der Verwaltung, also die Wirtschaft ebenso wie Bürgerinnen und Bürger, erwarten von Behörden, dass sie sich in verschiedenen Richtungen besser vernetzen: innerhalb von Behörden, zwischen Ressorts und über Verwaltungsebenen hinweg.
Erfolgsfaktor technische Infrastruktur
Grundlage jeder Vernetzung ist die technische Infrastruktur für Speicherung, Verarbeitung und Austausch von Daten. Diese Infrastrukturen sind in der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich vorhanden und werden auch kontinuierlich ausgebaut, beispielsweise im Rahmen der IT-Konsolidierung Bund. Der nächste Schritt muss die konsequente Nutzung von Cloud-Technologien sein, um flexibel auf Laständerungen reagieren zu können und die Organisation der IT-Systeme noch stärker von der Organisation der Verwaltung zu entkoppeln. Nur so kann die IT-Unterstützung von Verwaltungsprozessen über die Grenzen von Organisationseinheiten hinweg realisiert werden.
Die fachliche Vernetzung über Behördengrenzen hinweg erfordert den Zugriff auf gemeinsame Datenbestände. Die meisten Behörden und Fachverfahren haben immer noch isolierte Datenbestände mit inkompatiblen Datenstrukturen, die keinen gemeinsamen Zugriff auf Daten erlauben. Der Normenkontrollrat hat dieses Defizit schon 2017 in seinem Gutachten adressiert und eine umfassende Registermodernisierung eingefordert.4 Bisher ist dieser Konsolidierungsprozess zögerlich vorangegangen. Allerdings hat der IT-Planungsrat in diesem Jahr die Einrichtung eines Koordinierungsprojektes „Registermodernisierung“ beschlossen und im Juni einen Projektauftrag erteilt.5
Erfolgsfaktor standardisierte Prozessbausteine
Ein weiterer Aspekt der Vernetzung ist die Verwendung wiederverwendbarer vorgefertigter Prozessbausteine. In vielen Verwaltungsprozessen gibt es generische Abläufe, die in ähnlicher Form an verschiedenen Stellen auftauchen. Solche Teilprozesse müssten eigentlich nicht in verschiedenen Behörden immer wieder neu entwickelt werden, sondern könnten als Prozessbibliothek zentral zur Verfügung gestellt werden. Diese Form der Vernetzung durch Wiederverwendung von Prozessen ist bis heute kaum realisiert. In vielen Behörden werden Prozesse für die gleichen Leistungen immer wieder neu erfunden. Doch es gibt auch Ausnahmen: So entwickelt beispielsweise das Land Berlin derzeit generische Prozesse zum Antragsmanagement, die als Basisdienst in verschiedenen Fachverfahren genutzt werden können. Das führt zu einem standardisierten Antragsprozess über verschiedene Leistungsarten hinweg, ermöglicht Einsparungen bei der Entwicklung einzelner Fachverfahren und sorgt für eine einheitliche User Experience.
Wirkungsvolle Vernetzung entsteht erst durch die Verlagerung von Teilleistungen auf verschiedene Organisationseinheiten und Bündelung zu einem abgeschlossenen Leistungsprozess. Hierbei wird die Verantwortung für Teilprozesse an andere Stellen (seien es öffentliche oder vielleicht sogar private) ausgelagert und durch Servicevereinbarungen geregelt. Die Verantwortung für den Gesamtprozess und damit auch das Gesamtergebnis gegenüber dem Kunden bleibt bei einer Organisationseinheit. Beispiele dafür sind die schon heute bestehenden Shared-Service- Center in der Verwaltung, bei denen eine echte Vernetzung von Prozessen über Behördengrenzen hinweg stattfindet.
Erfolgsfaktor Plattformen
Doch die Erwartungen von Wirtschaft und Zivilgesellschaft an die Verwaltung gehen noch weiter. Sie sind geprägt von Plattformen, auf denen Kunden sämtliche Produkte und Leistungen, die lebenslagenbezogen zusammengehören, an einer Stelle einsehen und abrufen können – und zwar unabhängig davon, wie viele Anbieter bis hin zur Bezahlung daran beteiligt sind. Ähnlich könnte beispielsweise ein „digitaler Agent“ Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei der Online-Abwicklung der Behördengänge unterstützen: die richtigen Leistungen, die notwendigen Schritte beispielsweise zur Anmeldung des Fahrzeugs oder der Eröffnung einer Zweigstelle im Ausland aufzeigen und automatisiert im Hintergrund die notwendigen Informationen aus den Registern ermitteln.
Eine zentrale Voraussetzung für Vernetzung ist ein systematisches Geschäftsprozessmanagement mit definierten und dokumentierten Prozessen. Damit werden Abläufe transparent, und verlässliche Schnittstellen zwischen verschiedenen Prozessen und verschiedenen Behörden können definiert werden. Denn nur dokumentierte Prozesse lassen sich miteinander vernetzen.
Erfolgsfaktor Unternehmensarchitektur
Die technische und fachliche Vernetzung von Verwaltungsprozessen erfordert eine übergreifende Unternehmensarchitektur. Die bisherige Digitalisierung der Verwaltung hat das Silodenken leider nicht behoben. Die Ursache liegt darin, dass die verschiedenen Fachverfahren (selbst innerhalb einer Behörde) oft noch zu sehr isoliert betrachtet werden. Jedes Fachverfahren wird einzeln konzipiert, ausgeschrieben, entwickelt und eingeführt. Für die Entwicklung einzelner Fachverfahren stehen jeweils Haushaltsmittel zur Verfügung. Was oft fehlt, sind Mittel und Personal für die Entwicklung übergeordneter fachlicher und technischer Architekturen. Es gibt in der Verwaltung einen erheblichen Investitionsstau für eine Unternehmensarchitektur, die eine Vernetzung über Ressorts- und Verwaltungsebenen hinweg ermöglicht.
Die Vernetzung innerhalb der Verwaltung ist notwendig, um die Abläufe effizienter und kundenorientierter zu gestalten. Doch es gibt noch einen weiteren, fast noch wichtigeren Aspekt: Der digitale Staat muss sich mit seiner vernetzten Verwaltung zur Stärkung der Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts aktiv an der Plattformökonomie beteiligen.
Ein Beispiel für die Vernetzung zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern ist das Konzept des National-Access-Points. Die EU-Richtlinie 2010/40 setzt den Rahmen für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern. Durch die Vernetzung von Telekommunikation, Elektronik und Informationstechnologie mit Verkehrstechnik sollen verschiedenste Nutzer mit umfassenderen Informationen versorgt und in die Lage versetzt werden, die Verkehrsnetze auf sichere, koordinierte und „klügere“ Weise zu nutzen.
Ein solches System kann nur erfolgreich sein, wenn alle Nutzer der Verkehrsinfrastruktur Daten einbringen und darauf zugreifen können. Der Staat nimmt in diesem Netzwerk eine wichtige Rolle ein, denn er schafft die rechtlichen und organisatorischen Grundlagen für die Einrichtung solcher Plattformen und bindet dabei Unternehmen mit ein. Er stellt dem Netzwerk seine Daten zur Verfügung, zum Beispiel zur öffentlichen Infrastruktur, und er nutzt im Gegenzug Daten aus der Plattform als Grundlage für seine eigene Infrastrukturplanung.
Fazit
Bei der vernetzten Verwaltung geht es nicht nur darum, Prozesse zwischen Behörden effizienter zu gestalten. Es geht letztlich um die Beziehung zwischen Staat und Bürger. Es geht um gutes Regieren im Zeitalter des digitalen Wandels – um die Infrastruktur der digitalen Staatskunst. Die vernetzte Verwaltung ist die Grundlage dafür, die Vernetzung sämtlicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bereiche zu begleiten und zu fördern; Grundlage dafür, sich auch global vernetzen und mithalten zu können.
Quellenangaben:
1 Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, den der Autor am 30. April 2019 auf dem Kongress „Digitaler Staat“ in Berlin gehalten hat.
2 https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/car2go-drivenow-fusion-so-planen-daimler-bmw-fuer-carsharing-joint-ventures-a-1254745.html(aufgerufen am 13.08.2019).
3 https://www.behoerden-spiegel.de/2019/02/27/handlungsdruck-und-ziele-des-it-planungsrates/ (aufgerufen am 13.08.2019).
4 https://www.normenkontrollrat.bund.de/nkr-de/service/presse/pressemitteilungen/nationaler-normenkontrollrat-veroeffentlicht-gutachten-759036(aufgerufen am 13.08.2019).
5 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2019/06/it-planungsrat.html (aufgerufen am 13.08.2019).