Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 04-2019
von Werner Achtert
Ergebnisse der msg-Studie 2019
Die Digitalisierung verändert die Erwartungshaltung von Bürgern und Unternehmen gegenüber dem Staat. Sie erwarten von der Verwaltung nicht nur den Vollzug hoheitlicher Aufgaben, sondern sehen den Staat zunehmend als Dienstleister. Damit die öffentliche Verwaltung unter diesen Voraussetzungen handlungsfähig bleibt, muss die Digitalisierung auf allen staatlichen Ebenen verstärkt vorangetrieben werden. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist eine leistungsfähige IT-Infrastruktur mit professionellen IT-Services für die öffentliche Verwaltung. Die IT-Dienstleistungszentren (IT-DLZ) des Bundes, der Länder und der Kommunen leisten einen großen Beitrag dazu, die bisher verteilten heterogenen IT-Systeme zu konsolidieren.
Landschaft der IT-DLZ
Die Landschaft der IT-DLZ hat sich seit 2017 nur wenig verändert; Kommunen und Länder verlagern immer mehr IT-Aufgaben auf IT-DLZ, wobei beim Betrieb von IT-Infrastrukturen auch zunehmend Kooperationen zwischen Bundesländern zu beobachten sind. Die IT-Konsolidierung Bund ist seit 2015 weiterhin das größte IT-Konsolidierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung.
Herausforderungen der Behörden
Eine zentrale Herausforderung für Behörden aller Verwaltungsebenen ist 2019 nach wie vor die IT-Sicherheit. Die Bündelung der Kompetenzen in IT-DLZ trägt wesentlich zur Professionalisierung des Sicherheitsmanagements bei. Die weiteren Anforderungen leiten sich aus den großen Digitalisierungsvorhaben wie der Einführung der elektronischen Aktenführung, der Workflowsteuerung und dem Onlinezugangsgesetz ab. Die Verbesserung der Bürgernähe durch mehr Digitalisierung hat erwartungsgemäß eine besondere Bedeutung bei den Kommunen, da hier der meiste direkte Kontakt der Bürger mit der Verwaltung stattfindet.
Herausforderungen der IT-DLZ
Aufseiten der IT-DLZ sind die zentralen Herausforderungen einerseits die Beschaffung von IT-Personal, andererseits die stärkere Standardisierung der IT-Infrastrukturen. Die Bundesländer und die einzelnen Ressorts haben ihre IT in der Vergangenheit sehr eigenständig geplant, was zu einer heterogenen IT-Landschaft geführt hat. Die immer stärkere Vernetzung von Verwaltungsprozessen über die Grenzen von Ressorts und Verwaltungsebenen hinweg erfordert eine höhere Standardisierung der IT, um die Interoperabilität der Fachverfahren zu gewährleisten. Vor allem die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes wird mittelfristig den Druck zu mehr Standardisierung erhöhen.
Aus der Befragung und den Gesprächen lassen sich folgende Empfehlungen zur Zukunft der IT-DLZ ableiten:
1. Entscheidungsstrukturen für IT-Infrastruktur sind zu konsolidieren
Die IT-Konsolidierung beschränkt sich bisher in den meisten Fällen auf die Zusammenfassung technischer Komponenten in ITDLZ. Die Entscheidungsstrukturen sind davon meist unberührt und folgen weiter dem klassischen Verwaltungsaufbau. Die Verteilung der IT-Zuständigkeit folgt auf den Verwaltungsebenen noch immer dem Ressortprinzip. Zudem fehlt ein übergreifender politischer Masterplan für die langfristige Ausrichtung auf einen digitalen Staat.
So konnten sich die Bundesländer beispielsweise bisher nicht auf ein einheitliches Bürger- und Unternehmenskonto einigen. Stattdessen werden verschiedene Lösungen implementiert, deren Interoperabilität komplizierte Schnittstellen gewährleisten muss. Aus Sicht der Bundesländer ist der Wunsch nach Schutz ihrer jeweiligen Investitionen durchaus verständlich. Aus übergeordneter Sicht, im Sinne eines modernen Wirtschaftsstandortes Deutschland, ist diese Lösung allerdings unzulänglich.
"Das für den IT-Rat geltende Einstimmigkeitserfordernis könnte jedoch in dieser wichtigen Frage zu einer Blockade führen. Die Ressorts könnten versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Aufgrund des Konsensprinzips führt dies zu Pattsituationen im IT-Rat. Dieses Problem hat die Bundesregierung bislang nicht gelöst. Für eine erfolgreiche IT-Konsolidierung Bund muss die Bundesregierung den Dialog zwischen den Ressorts sowie die Entscheidungsprozesse effektiv und effizient gestalten."
Bundesrechnungshof, „Bemerkungen 2018 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes“, Seite 1851
Im IT-Bereich fehlt eine Instanz, die richtungsweisende Entscheidungen für die gesamte Verwaltung treffen kann. Bestehende Institutionen wie IT-Rat und IT-Planungsrat sind dafür zu langsam und zudem abhängig von Kompromissen.
2. Wirtschaftlichkeit der Konsolidierung realistisch bewerten
Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, wie sie bisher vorgenommen wird, birgt die Gefahr, dass sich dezentrale Lösungen wirtschaftlicher darstellen als konsolidierte Lösungen, weil übergeordnete Einsparungen und Nutzenaspekte der Standardisierung nicht betrachtet werden. Auch der Bundesrechnungshof äußert dies in seinen Bemerkungen 2018 zur Einführung eines einheitlichen Basisdienstes E-Akte in der Bundesverwaltung. In zentrale Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wurden bisher diejenigen Behörden einbezogen, die noch keine Lösung zur elektronischen Akten- und Dokumentverwaltung eingeführt haben. Eine Vorgabe von einheitlichen Bewertungskriterien auch für Behörden mit bestehenden E-Akte-Lösungen würde den Fokus auf eine gesamtwirtschaftliche Lösung der Bundesverwaltung verschieben.
3. Zeit- und Kosten sind realistisch zu planen
Die IT-Konsolidierung und die damit verbundenen Standardisierungen sind in vielen Fällen mit politischen Zielen verbunden und orientieren sich entsprechend an politisch motivierten Terminen und Budgets. Ambitionierte Terminpläne und knapp kalkulierte Budgets werden in vielen Fällen überzogen, erhoffte Einspareffekte treten wesentlich später als geplant ein.
Politisch ambitionierte Ankündigungen schüren die Erwartung in den IT-DLZ, in den Behörden und in der Öffentlichkeit. Doch oft lassen sich diese Erwartungen aufgrund der hohen Komplexität und der begrenzten personellen Ressourcen nicht erfüllen.
Die Planung der IT-Konsolidierung sollte daher stärker iterativ erfolgen. Bei einer regelmäßigen Überprüfung des Projektfortschritts und konsequenten und ehrlichen Fortschreibung der Projektpläne könnten Erfahrungen aus dem bisherigen Projektverlauf einfließen und damit realistischere Zeit- und Budgetpläne entstehen.
Die Diskussionen über die IT-Konsolidierung im Bund und im Land Berlin zeigen exemplarisch das Spannungsfeld: Die politischen Entscheidungen zur Konsolidierung des IT-Betriebs und der Basis- und Querschnittsdienste gehen von sehr optimistischen Annahmen aus, um die Zustimmung der jeweiligen Parlamente für die Budgets und Terminpläne zu erhalten. In der Praxis fehlen für die Konsolidierungsprojekte die Fachkräfte, und sowohl die organisatorische als auch technische Transformation erweisen sich als erheblich aufwendiger als dargestellt.
4. Steuerungsfähigkeit durch eigenes Personal verbessern
Die in der ganzen IT-Branche schwierige Personalsituation führt in vielen IT-DLZ zu einem Mangel an erfahrenen IT-Führungskräften. Wichtige Konsolidierungsvorhaben lassen sich deshalb nicht zeitgerecht starten und ausreichend durch eigenes Personal steuern. In vielen Fällen steuern faktisch externe Berater die Konsolidierungsvorhaben.
Diese Abhängigkeit von Beratungsunternehmen und die hohen Kosten werden aktuell in der politischen Diskussion stark kritisiert. Die Lösung kann nur darin bestehen, die IT-DLZ mit entsprechend dotierten Stellen auszustatten, um zumindest mittelfristig Schlüsselfunktionen mit eigenem, gut qualifiziertem Personal besetzen zu können.
5. Föderale E-Government-Architektur schaffen
Die bisher gewachsenen IT-Strukturen in den Bundesressorts, den Bundesländern und den Kommunen sind sehr heterogen. Die IT-DLZ konsolidieren hauptsächlich den Betrieb der IT-Infrastruktur, ohne dass dadurch eine standardisierte, gemeinsame Plattform für den Betrieb von Fachverfahren geschaffen wird. Eine Grundidee des OZG ist die Wiederverwendung von einmal entwickelten fachlichen Modulen in verschiedenen Behörden. Dazu müsste eine ressort- und ebenenübergreifende föderale E-Government-Architektur geschaffen werden.
6. In IT-DLZ und Behörden das Changemanagement verbessern
Ein Erfolgsfaktor der IT-Konsolidierung ist die Fähigkeit zur Anpassung der Organisationsstrukturen und Prozesse in den bisherigen IT-Referaten der Behörden und in den Fachreferaten. Die Verlagerung von IT-Aufgaben zu IT-DLZ verändert Arbeitsprofil und Selbstverständnis der Mitarbeiter in der IT sowie die Kommunikationsstrukturen zwischen Fachseite und IT.
In vielen Fällen wird die IT-Konsolidierung als rein technisches Projekt gesehen; organisatorische Auswirkungen werden nicht ausreichend betrachtet. Die aktive Steuerung von Veränderungsprozessen ist bei der Planung zu berücksichtigen und durch geeignetes Personal jenseits der IT zu unterstützen.
7. Wahl der Rechtsform und höhere Eigenständigkeit der IT-DLZ
Die Rechtsform bleibt ein entscheidender Faktor für die Handlungsfähigkeit der IT-DLZ. Die bestehenden IT-DLZ sind zumindest auf Bundes- und Landesebene meist als Behörden organisiert. Sie unterliegen den Vorgaben der Kameralistik, der Stellenplanung und der direkten Steuerung eines Ressorts. Durch die Abhängigkeit von der Haushaltsplanung können die IT-DLZ nur begrenzt in langfristige Innovationen investieren. Sie sind von politischen Entscheidungen abhängig, die oft stärker durch Zyklen der Legislaturperioden beeinflusst werden als durch fachliche oder technische Notwendigkeiten. IT-DLZ in Behördenform sind zudem abhängig von der Stellenbewirtschaftung und können auf einen veränderten Personalbedarf nur schwer reagieren.
Rechtsformen mit mehr Eigenständigkeit bieten eine höhere Flexibilität in Bezug auf Finanzplanung und Personalbeschaffung. IT-DLZ mit Rechtsformen wie GmbH oder AöR werden als deutlich flexibler und innovativer wahrgenommen. Sie haben größere Spielräume für langfristige Finanzplanung und Personalbeschaffung und können sich viel mehr an ihrem Markt ausrichten.
8. Kundenorientierung verbessern
Die Kundenorientierung bleibt wie in den bisherigen Studien der Erfolgsfaktor für die Zufriedenheit der Behörden und damit auch für den langfristigen Erfolg der IT-Konsolidierung.
Die mangelnde Servicequalität der IT-DLZ ist auch 2019 vor allem beim Bund und in den Ländern der Grund, warum Verlagerungen von IT-Dienstleistungen an IT-DLZ nicht oder nur teilweise erfolgreich umgesetzt wurden. Der erste Schritt in Richtung Kundenorientierung ist die Einrichtung einer einheitlichen Schnittstelle für Anfragen der Behörden. Die meisten IT-DLZ haben mittlerweile CRM-Organisationen aufgebaut, die Anfragen der Kunden entgegennehmen, aber sich auch aktiv um den Kontakt zu ihren Kunden bemühen. Die Gespräche mit den Behörden zeigen: Die Reaktionsgeschwindigkeit auf Anfragen bestimmt wesentlich die Wahrnehmung eines IT-DLZ.
Behörden sind von ihren internen IT-Referaten in den Ressorts bestimmte Reaktionszeiten gewöhnt. Verschlechtern sich die Reaktionszeiten durch zentrale IT-DLZ signifikant, wirkt sich das negativ auf die Akzeptanz der IT-Konsolidierung aus.
Das Prinzip „one face to the customer“ ist auch in der Leistungserbringung konsequent umzusetzen. Die Kunden wollen eine Ansprechperson, die möglichst alle Aspekte der Leistungserbringung organisiert, ohne dass der Kunde interne Abläufe und Zuständigkeiten des IT-DLZ kennen muss.
Viele Behörden befürchten, zu wenig Einfluss auf die Priorisierung der Arbeitsabläufe in den IT-DLZ zu haben. Die Behörden sind mit zunehmender Digitalisierung auf die Verfügbarkeit ihrer IT-Systeme angewiesen. Der Ausfall eines E-Akte-Systems kann beispielsweise zum kompletten Stillstand einer Behörde führen. Die bisher vereinbarten SLA bieten noch nicht die nötige Verbindlichkeit, um den Behörden ausreichend Vertrauen in die fristgerechte Lösung von Problemen zu geben.
Fazit
Die Komplexität der IT-Konsolidierung in der öffentlichen Verwaltung haben die Beteiligten in vielen Fällen unterschätzt. Nicht zuletzt der Projektverlauf der IT-Konsolidierung Bund macht deutlich, dass die organisatorischen Herausforderungen, die technischen Abhängigkeiten und der finanzielle Aufwand deutlich größer sind als ursprünglich angenommen oder dargestellt. Gleichzeitig ist den Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung bewusst, dass die IT-Konsolidierung als Grundlage der digitalen Transformation im öffentlichen Sektor weiter voranzutreiben ist, auch wenn dies mehr Geld und Zeit erfordert.
Die Studie kann unter https://www.msg.group/public-sector/studie bestellt oder online gelesen werden.
Quellenangaben:
1 https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2018/inhalt/2018-bemerkungen-gesamtbericht-pdf (abgerufen am 19.11.2019).