Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2020
Dr. Tobias Plate, Leiter des Referats „Digitaler Staat“ Bundeskanzleramt, im Gespräch mit Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung Public Sector msg
msg: Lieber Herr Dr. Plate, wir möchten mit Ihnen über die Zukunft der Verwaltung sprechen. Stellen wir uns die Verwaltungim Jahr 2035 vor: Mit den Babyboomern sind Studien zufolge bis dahin mehr als 700.000 Beschäftigte aus der öffentlichen Verwaltung – davon 400.000 aus der mittleren Führungsebene – in den Ruhestand gegangen. Wie wird die Arbeit in der Bundesverwaltung Ihrer Meinung nach dann aussehen?
Dr. Plate: Ich habe natürlich keine Glaskugel, um die Zukunft vorauszusehen. Und es wird ganz sicher eine Herausforderung, wenn speziell bei der Bundesverwaltung etwa vierzig Prozent aller Beschäftigten in den nächsten acht bis zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Aber man muss es auch als Chance sehen. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, innerhalb relativ kurzer Zeit seinen Personalstamm ganz neu zu prägen? Wir werden die Gelegenheit haben, viele Menschen neu in die Bundesverwaltung zu holen, die ein anderes Denken und mehr Innovationsfreude mitbringen, als es die Beschäftigten von heute oft haben. Das wird natürlich Auswirkungen auf das Arbeiten der Bundesverwaltung haben. Natürlich müssen wir auch bedenken, dass es vielleicht gar nicht möglich sein wird, die gesamten vierzig Prozent nachzubesetzen. Stichwort demografischer Wandel. Daher wird es auch notwendig sein, das Arbeiten deutlich zu verändern. Und zwar über das hinaus, was sich allein schon durch neues Personal ergibt. Wir werden sehr viel mehr mit Daten arbeiten müssen. Wir werden sehr viel mehr über Automatisierung nachdenken müssen, uns von bestimmten Prozessen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung heute durchführen, trennen können und auch müssen. Damit kann die Arbeit hochwertiger und interessanter werden und sich vor allem auf das konzentrieren, was Menschen immer besser können werden als Maschinen.
msg: Was tut die Bundesregierung, um den Anforderungen, die sich aus der Demografie ergeben, zu begegnen?
Dr. Plate: Ein zentraler Baustein dessen, was die Bundesregierung tut, ist die Arbeit in der interministeriellen Arbeitsgruppe „Personal in der digitalen Verwaltung“. Diese Arbeitsgruppe wurde auf Anregung des Digitalrats der Bundesregierung ins Leben gerufen und berichtet jetzt in regelmäßigen Zyklen dem Digitalkabinett – das sind die Bundeskanzlerin und alle Ministerinnen und Minister, die sich ungefähr dreimal im Jahr nur zu Digitalthemen zusammensetzen. Die Arbeitsgruppe hat im letzten Jahr ein erstes, relativ umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, das skizziert, was auf jeden Fall und in welchem Zeitplan getan werden muss. Und nun stecken wir mitten in der Umsetzung und in der weiteren Ausdifferenzierung, was noch alles getan werden muss. Sie hören daran schon: Im Moment stehen wir noch eher am Anfang, aber das Thema hat jetzt auch für die Bundesregierung intensiv Fahrt aufgenommen. Es ist ein dickes Brett, das da gebohrt werden muss.
msg: Wer arbeitet alles in dieser interministeriellen Arbeitsgruppemit?
Dr. Plate: Alle Ministerien und das Bundeskanzleramt. Den Vorsitzhat das Bundesinnenministerium als für das Thema Personalhauptverantwortliches Ressort. Aber das Bundeskanzleramt steht fest an seiner Seite. Und es ist doch beachtlich, dass wirklich alle Ministerien mit großem Interesse und großem Engagement teilnehmen und sich einbringen. Eben weil alle erkannt haben, dass es nicht einfach so weitergehen kann wie bisher.
msg: Und wie wird dieses Thema auf Landesebene behandelt?
Dr. Plate: Die Bundesregierung kann im Rahmen ihrer Zuständigkeit natürlich zunächst einmal nur die Bundesebene adressieren. Es gibt aber durchaus Aktivitäten mit Netzwerkcharakter, die dazu geführt haben, dass viele Landesbehörden das Thema inzwischen auf die Agenda genommen haben. Man muss natürlich auch sehen, dass öffentliche Arbeitgeber in gewisser Weise miteinander konkurrieren. Die Bundesregierung hat zunächst einmal das Ziel, sich selbst gut aufzustellen und bei der Frage „Personal der Zukunft“ vorzulegen. Außerdem kann die Bundesregierung Landesbehörden nicht zwingen, das in ähnlicher Weise zu tun. Aber es ist natürlich im Interesse des Steuerzahlers, im Interesse der Gesellschaft, wenn sich Länder an den Aktivitäten, die die Bundesregierung entfaltet, ein Beispiel nehmen.
msg: Der Bericht über die Ergebnisse der interministeriellen Arbeitsgruppe aus dem letzten Jahr hat verschiedene Handlungsfelder definiert. Zum Beispiel das „Handlungsfeld Kompetenzen“. Welche Qualifikationen brauchen Verwaltungsmitarbeiter aus Sicht dieser Arbeitsgruppe in der Zukunft?
Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter in der Verwaltung wird eine Art Alphabetisierung im Bereich Daten - Data literacy - brauchen.
Dr. Plate: Es wird in naher Zukunft kaum mehr Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter geben, die mit Digitalem gar nichts zu tun haben. Wer jetzt noch davon ausgeht, die nächsten zwanzig, dreißig Jahre durchzukommen, ohne sich für dieses Thema zu öffnen, wird sich wundern. Auch Menschen, die Tätigkeiten versehen, bei denen sich das vielleicht nicht auf den ersten Blick aufdrängt, werden mit Digitalem umgehen müssen. Damit, dass der Datenaustausch weit überwiegend elektronisch und nicht mehr in Papierform stattfinden wird. Damit, dass eine Veraktung nicht mehr in Papier erfolgt, sondern elektronisch. Es wird deshalb für fast alle notwendig sein, sich digitalen Methoden und Werkzeugen zu öffnen. Allerdings steckt das Thema evidenzbasierte Verwaltungsarbeit noch in den Kinderschuhen. Kaum eine Verwaltungsbehörde in Deutschland arbeitet wirklich mit Daten. Aber der Qualitätssprung, wenn wirklich mit Daten gearbeitet würde, wäre immens. Diese Erkenntnis ist noch nicht überall angekommen. Das wird sich ändern müssen. Deswegen wird jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin eine Grundkompetenz im Umgang mit Daten – Data Literacy, wie es so schön heißt, eine Art Alphabetisierung im Bereich Daten – brauchen. Diese Grundkompetenz bei möglichst allen herzustellen, wird im Bund und den Ländern eine riesige Aufgabe sein. Da haben wir in den nächsten Jahren noch einiges vor.
msg: Wenn man sich die Verwaltungsausbildung, die Verwaltungsstudiengänge ansieht, was muss aus Sicht der Arbeitsgruppehier konkret getan werden?
Verlässlichkeit reicht heutzutage längst nicht mehr aus.
Dr. Plate: Also ganz sicher ist, dass der Umgang mit Daten von allen gelernt werden muss, und zwar am besten von der Pike auf: Was sind Daten? Was können Daten? Habe ich eigentlich selbst in meiner Behörde Daten, und wenn nein, wo bekomme ich sie her? Unter welchen Bedingungen kann ich sie nutzen, und was kann ich damit machen? Diese Themen müssen schon in der Ausbildung eine große Rolle spielen. Natürlich ist die Digitalaffinität bei jungen Menschen im Durchschnitt höher als bei denen, die schon zwanzig, dreißig, vierzig Jahre im Dienst sind. Insofern muss man die Kandidatinnen und Kandidaten in der Ausbildungan einer anderen Stelle abholen als die in der Weiterbildung. Dazu gehört auch die Sensibilisierung im Umgang mit personenbezogenen Daten. Das ist ein Thema, das in Deutschland viele Menschen umtreibt. Zugleich sehen wir gerade beim Umgang junger Menschen mit ihren Daten, dass bei der Sensibilität und Datenkompetenz auch noch Luft nach oben ist. Wenn diese jungen Menschen dann in der Verwaltung mit personenbezogen Daten anderer Menschen umgehen müssen, ist es umso wichtiger,dass sie in der Ausbildung erfolgreich dafür sensibilisiert worden sind.
msg: Über die Ausbildungsgänge sind die Beamten und die Verwaltungsangestelltenin Deutschland ja schon top ausgebildet.Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass es Kräfte gibt, die Veränderungen entgegenwirken wollen. Ist das zu befürchten?
Dr. Plate: Das ist nicht nur zu befürchten, das ist ganz sicher der Fall. Und das war, möchte ich sagen, über Jahrzehnte sogar ein Qualitätsmerkmal in Deutschland: Dass Verwaltung als sehr stabil wahrgenommen wurde, verlässlich, berechenbar, veränderungsresistent. Und natürlich ist es für Unternehmen von großer Bedeutung, wenn sie bei Investitionsentscheidungen glauben, zu wissen, wie sich die Verwaltung verhält, wie sie auf bestimmte Dinge reagiert. Diese Verlässlichkeit, die auch vielmit dem Nichteintreten von zumindest kurzfristigen Veränderungen zu tun hat, war wichtig und Teil des deutschen Erfolgsmodells. Allerdings reicht das heute nicht mehr aus. Wir sehen, dass Wertschöpfung rund um den Globus sehr viel mehr als früher mit In- novation zu tun hat. Die bekannt hohe Qualitätvon Produkten ist nicht mehr genug. Innovation lässt sich nur über Veränderungen herstellen, indem man in überschaubarem Umfangauch bereit ist, Risiken ein- zugehen, indem man neue Dinge ausprobiert. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Verwaltung. Insofern muss in der Verwaltung auch ein Stück weit ein Paradigmenwechsel stattfinden, nämlich sich zu öffnen für Veränderungen, ohne den Markenkern der Verlässlichkeit preiszugeben. Das ist etwas, das wiralle miteinander erlernen müssen. Und deshalb ist mir wichtig zu sagen: Nicht alles, was bisher geschehen ist, in Ausbildung, in Fortbildung, in Verwaltungspraxis, war schlecht. Im Gegenteil. Es war lange gut, aber es wird sich ändern müssen, um gut zu bleiben.
Abbildung 1: Dr. Tobias Plate und Jürgen Fritsche
msg: Der Bericht der Arbeitsgruppe listet unter den nötigen Kompetenzen auch „Ergebnisorientierung“ auf. Das bedeutet auch, dass Führungskräfte mehr delegieren und mehr Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter haben müssen. Ist Ihrer Meinung nach an dieser Stelle auch ein Kulturwandel notwendig?
Dr. Plate: Ja, da stimme ich Ihnen zu. Es ist mindestens eine Weiterentwicklung der Kultur nötig – um einen etwas behutsameren Begriff als Kulturwandel zu verwenden. Die Geschwindigkeit, die wir im Handeln der Verwaltung brauchen, ist in einem starr hierarchischen System, wie wir es mitunter noch erleben, nicht zu erreichen. Aber dieses System bricht jetzt schon auf und verändert sich. Sicherlich nicht in jeder Institution, aber in vielen. Führungskräfte werden sich künftig viel mehr in der Rolle wertschätzender Coaches begreifen müssen, die das Beste in ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Vorschein zu bringen müssen. Ihnen auch mehr Freiheiten lassen, damit sie die Qualitäten, die sie haben, auch zur Entfaltung bringen und dadurch mehr Geschwindigkeit in den Prozess bringen können. Und selbst im hierarchischen Miteinander – ganz wird man nicht drauf verzichten können – bedarf es der Einführung von Elementen agilen und modernen Arbeitens.
Führungskräfte werden sich künftig mehr in der Rolle wertschätzender Coaches begreifen müssen.
msg: Wenn wir auf das Handlungsfeld Mitarbeitergewinnung schauen: Der Bitkom hat 2019 100.000 offene IT-Stellen in Deutschland reportet, 2018 waren es 82.000 und 2017 55.000. Wissen Sie, wie viele Stellenanzeigen die öffentliche Verwaltung und der Bund geschaltet haben?
Dr. Plate: Nein, das kann ich Ihnen auswendig nicht sagen. Aber ich möchte ergänzen, dass dieser Bedarf nicht nur im IT-Bereich besteht. Ich weiß, dass sich zum Beispiel noch vor zwölf Jahren auf eine Stellenanzeige für Juristen und Juristinnen über 1.500 Leute beworben haben und vor einem Jahr auf eine ganz vergleichbare Stellenanzeige unter hundert. Das heißt, der demografische Wandel schlägt überall zu. Im IT-Bereich haben wir noch eine Zuspitzung dieses Phänomens: einerseits der demografische Wandel, andererseits der deutlich gestiegene Bedarf an IT-Fachkräften und drittens die herausfordernde Marktsituation, also, was wir diesen Leuten bieten können. Wir müssen also deutlich besser darin werden, neue Kräfte zu gewinnen – und zwar nicht nur IT-Personal. Lassen Sie mich hier einen kurzen Exkurs machen zu einem Projekt, das sich „tech4Germany“ nennt. Das ist eine Initiative unter der Schirmherrschaft des Chefs des Bundeskanzleramtes, in der junge Digitaltalente mit Bundesbehörden zusammengebracht werden. Einmal im Jahr richtet diese Initiative sogenannte Fellowship-Programme aus. Da arbeiten diese jungen Talente für zehn bis zwölf Wochen gemeinsam mit Behörden an Produkten. Im Nachgang haben fast alle dieser jungen Fellows gesagt, dass sie in ihrer beruflichen Laufbahn gerne an Projekten arbeiten möchten, wie sie sie bei dieser Zusammenarbeit mit der Verwaltung kennengelernt haben. Aber auf die Frage, ob sie in den Strukturen der Verwaltung, die sie kennengelernt haben, arbeiten wollen, haben bisauf zwei Personen von über dreißig alle Nein gesagt. Das sollte uns zu denken geben.
Das Erkenntnisdefizit ist deutlich kleiner als das Umsetzungsdefizit.
msg: Gibt es Erkenntnisse über die Gründe, warum sie das nicht möchten?
Dr. Plate: Ja, die gibt es. Natürlich sind wir weit unterhalb einer Repräsentativität, wenn wir nur mit etwa dreißig Personen sprechen. Aber die Gründe liegen im Prinzip in dem bereits besprochenen erforderlichen Kulturwandel. Es wird heute sehr viel mehr Work-Life-Balance erwartet. Es wird sehr viel mehr agiles Arbeiten erwartet. Es wird sehr viel hierarchiefreieres Arbeiten erwartet. Es wird erwartet, dass sich die strikte Ortsgebundenheit, wie sie in vielen Behörden immer noch besteht, aufweicht. Das alles wird erwartet und dazu deutlich weniger Bürokratie im Alltag. Das haben wir gerade erst zu erkennen begonnen. Das Erkenntnisdefizit ist – wie so häufig – deutlich kleiner als das Umsetzungsdefizit. Aber das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, genau diese Punkte zu analysieren. Ein Umsetzungsschritt ist, dass wir als Bund nun das Unternehmen in Bundeshand übernommen haben, das diese Fellowship-Programme anbietet. Denn so werden wir einen Arbeitsraum nahe der Bundesverwaltung und doch außerhalb von ihren Strukturen permanent anbieten können und so wertvolle Fachkräfte anziehen, um an Projektendes Bundes zu arbeiten.
Die Verwaltung sucht nicht den Nachwuchs, sondern hofft, dass der Nachwuchs sie sucht.
msg: Wie lange dauert es in der öffentlichen Verwaltung in der Regel vom Bewerbungseingang bis zur Zu- oder Absage?
Dr. Plate: Das ist extrem unterschiedlich. Es gibt Behörden, die es in drei Monaten schaffen, und es gibt Behörden, die ein Jahr und mehr dafür brauchen. Aber junge Menschen, die sich gerade auf dem Arbeitsmarkt orientieren, erwarten, dass das deutlich schneller geht. Wir sehen in der Wirtschaft, gerade im Start-up-Bereich, dass es manchmal nur eine Frage von wenigen Tagen ist. Da werden wir als öffentliche Verwaltung nicht hinkommen, weil wir rechtlich verankerte Beteiligungsverfahren von Personalvertretung, Schwerbehindertenvertretung und Ähnlichem haben. Aber wir können deutlich schneller werden, und wir müssen auch deutlich schneller werden, denn wir sehen, dass wir viele, viele potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verfahren verlieren, weil es einfach zu lange dauert.
msg: Auf welchen Kanälen sucht Ihrer Erfahrung nach die Verwaltung nach Nachwuchs?
Dr. Plate: Etwas provokant würde ich formulieren, dass die Verwaltung bisher gar nicht den Nachwuchs sucht, sondern hofft, dass der Nachwuchs sie sucht. Ganz richtig ist das natürlich nicht. Denn wenn man Stellenanzeigen veröffentlicht, sei es in Zeitungen, sei es auf Onlineportalen – auch Letzteres findet inzwischen statt –, ist das natürlich Suchen. Trotzdem ist die Verwaltung, so denke ich, sehr viel weniger aktiv auf der Suche als das viele Wirtschaftsunternehmen längst schon sind. Eine Suche nach Bewerberinnen, Bewerbern, die bereits eine Position innehaben, die man sogar abwerben möchte, findet annähernd gar nicht statt. Da muss die Verwaltung aktiv werden: sich überlegen, wen sie haben will, statt darauf zu warten, dass das zufällig eine Person ist, die selbst auch sucht. Eine Zielgruppenanalyse dergestalt, dass sich die Verwaltung Gedanken darüber macht, auf welchen Kanälen ihre Zielgruppe kommuniziert, und dann auch auf diesen Kanäle mit ihrer Zielgruppe kommuniziert, findet bisher allenfalls rudimentär statt. Das ist ein Feld, in das sich die Verwaltung hineinbegeben muss. Das ist auch eine Empfehlung der Arbeitsgruppe.
msg: Das heißt, die Ansprache muss gezielter erfolgen und auch die Sichtbarkeit in Online-Stellenbörsen muss deutlich besser werden.
Dr. Plate: Genau. So ist es. Es werden immer noch viele Stellenanzeigen in den herkömmlichen Medien veröffentlicht, ohne zu prüfen, ob sich die Zielgruppe überhaupt über diese Medien informiert. Wichtig ist aber nicht nur, die richtigen Kanäle auszusuchen, sondern auch die Art, wie man sich dort als Behörde präsentiert. Auch das ist sicherlich noch nicht ganz in der neuen Zeit angekommen, jedenfalls überwiegend nicht.
msg: Die Bundeswehr ist ja ein Beispiel für eine Bundesbehörde, die schon seit einigen Jahren in dieser Hinsicht sehr aktiv ist. Sie ist zu Rekrutierungszwecken in sozialen Medien unterwegs, auf Hochschulmessen und überall präsent, in Städten, in Fußgängerzonen etc. Ist das für andere Behörden ein Ansporn zu sagen: „Das schauen wir uns mal näher an, was die da treiben“?
Wir müssen die unique-selling-points des Bundes als Arbeitgeber entwickeln.
Dr. Plate: Ja, absolut. Und es ist auch angedacht, dass sich das Verteidigungsministerium in dieser Fragestellung intensiv miteinbringen wird. Das Bundesinnenministerium wird sich dieses Themas federführend annehmen, aber natürlich auch weitere professionelle Kompetenz und Best Practice, die es schon gibt, an Bord holen. Da gehört die Bundeswehr ganz sicher dazu, da gehört natürlich auch die Kompetenz des Bundespresseamtes dazu, besonders wenn es um die Frage geht: Wie erreicht man Öffentlichkeiten heute? Es wird eine Kampagne geben müssen, und dafür muss der Bund überlegen, wie er sich künftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern präsentieren will. Was die Unique-Selling-Points, wie man neudeutsch sagt, des Bundes als Arbeitgeber sind und wie die richtige Ansprache ist.
msg: Welche Argumente hat die Bundesverwaltung denn, um junge Menschen zu überzeugen? Was sind die Unique-Selling-Points?
Dr. Plate: Sehr häufig argumentiert der Bund, wenn er sich überhaupt darüber Gedanken macht: „Hier hast du eine sichere Beschäftigung.“ Aber darauf darf man das natürlich nicht reduzieren. Wenn wir darauf hören, was junge Menschen heute interessiert, dann zeigt sich ein zunehmender Trend hin zu etwas Sinnstiftendem. Nun wird sicher nicht jede einzelne Maßnahme, die der Bund ergreift, von jedem als sinnstiftend angesehen. Aber die Idee, dass all das, was wir als Bundesverwaltung tun, dazu dient, die Gesellschaft voranzubringen, Chancengleichheit herzustellen, Maßnahmen zu ergreifen, die am Ende die Gesellschaft als Ganzes weiterbringen – das sind alles Punkte, die man bisher Bewerbern gegenüber noch gar nicht hinreichend „ins Schaufenster gestellt“ hat. Umgekehrt ist die Frage nach einem sicheren Arbeitsverhältnis zwar nicht bedeutungslos geworden, aber gerade im IT-Bereich erleben wir immer wieder, dass es auf die Menschen fast eher abschreckend wirkt, wenn wir ihnen eine Beamtenposition anbieten. Viele wollen sich gar nicht mehr für ihr gesamtes Berufsleben festlegen. Dafür haben wir Punkte wie „ich kann mich hier relativ frei entfalten, ich habe große Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, bei meiner Arbeit geht es nicht nur darum, den Gewinn eines Unternehmens X zu maximieren, sondern darum, eine bestimmte Sache im Interesse der Gesellschaft voranzubringen“ meiner Meinung nach bisher noch nicht genug kommuniziert.
msg: Gibt es Erkenntnisse, mit welchen Quick-Wins man schnell Ergebnisse erzielen könnte?
Dr. Plate: Ja, ich meine, man könnte die Punkte, die ich gerade beschrieben habe, viel besser in Stellenanzeigen vermarkten. Klarer herausarbeiten, was in der Verwaltung schon viel moderner ist, als viele Bewerber denken. Und gar nicht so freudlos, wie sie es sich oft vorstellen. Darüber hinaus gibt es nicht viele Quick-Wins. Viele Menschen bewerben sich nicht, weil sie befürchten, dass der Kulturwandel hin zu einer Verwaltung, wie sie sie sich wünschen, noch nicht weit genug vorangetrieben ist. Und eine tolle Kampagne, die ein unzutreffendes Bild vermittelt, hilft dann auch nicht viel. Wenn wir bei Bewerbern und Bewerberinnen einen falschen Eindruck erwecken, verlieren wir sie ja schnell wieder. Insofern gilt: Wir können das, was heute schon bei uns möglich ist, besser vermarkten. Aber wir müssen nach innen hin noch einiges an Arbeit leisten, um die Verwaltung auch tatsächlich so attraktiv zu machen, dass die Personen,die sich bei uns bewerben, nicht enttäuscht werden und schnell wieder gehen.
msg: Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld ist der Gewinn von Schlüsselfachkräften. Können Sie uns bitte kurz beschreiben, was mit dem Begriff „Schlüsselfachkräfte“ gemeint ist?
Dr. Plate: In erster Linie zielt das auf Fachkräfte, die dringend gebraucht werden, aber am Markt viel zu rar vorhanden sind. Und die wir bisher nur schwer für die öffentliche Verwaltung gewinnen konnten. Das sind vor allen Dingen Fachkräfte aus dem Digitalbereich. Wir müssen diejenigen, die auf dem Markt sind, die entsprechende Formalabschlüsse haben, sich aber nicht in der öffentlichen Verwaltung bewerben, deutlich besser erreichen als bisher. Es gibt schon eine ganze Reihe von Instrumenten, die bisher aber erschreckend wenig genutzt werden.
Das gilt übrigens für das ganze Personalthema. Die Arbeitsgruppe hat über den Best-Practice-Austausch festgestellt, dass es vereinzelt tolle Ansätze für Verbesserungen gibt. Die sind aber nicht hinreichend in der Breite bekannt. Wir sehen, dass viele Häuser schon sehr viel wirksamer Schlüsselfachkräfte gewinnen als andere und dass man hier voneinander lernen kann. Man könnte zum Beispiel versuchen, Menschen schon frühzeitig im Studium zu erreichen und für eine Arbeit in der öffentlichen Verwaltungzu begeistern – so, wie es die Bundeswehr schon lange macht. Diesen Personen könnte man mit Stipendienprogrammen oder ähnlichen Instrumenten das Studium erleichtern und sie dann im Gegenzug nach ihrem Abschluss für einige Jahre an die Verwaltung binden. Das ist eine Möglichkeit. Zudem ist das Arbeitenin der Verwaltung bei Personen, die in diesem Digitalbereich studieren, kaum überhaupt auch nur als Option bekannt. Wenn man fragt, welche potenziellen Arbeitgeber solche Studierenden auf dem Schirm haben, wird die Verwaltung erst relativ spät genannt. Diese Personen wissen kaum, was die Verwaltung macht, wissen kaum, was sie selber später beruflich in der Verwaltung machen könnten. Da muss man in der Kommunikation noch sehr viel besser werden und erklären, was für Gestaltungsmöglichkeiten es für solche Leute in der öffentlichen Verwaltung gibt.
msg: Gibt es daneben noch weitere Instrumente?
Dr. Plate: Ja, es gibt natürlich noch mehr Instrumente. Der Bund muss in diesem Bereich auch seine Ausbildungskapazität erhöhen. Die wurde zwar schon erhöht, aber sicherlich noch nicht bedarfsgerecht. Man muss ja nicht warten, dass solche Personen auf die Idee kommen, in die öffentliche Verwaltung zu wechseln. Man kann auch selbst früh ansetzen und vermehrt entsprechende Ausbildungsgänge anbieten. Darüber hinaus ist auch das Thema Bezahlung relevant. Es ist ja eine allgemein verbreitete Vermutung, dass der Bund oder überhaupt die öffentliche Verwaltung nicht marktgerecht zahlt. Mein Eindruck ist allerdings, dass das als Ausschlussgrund gar nicht ganz so relevant ist. Jedenfalls legen viele Gespräche, die ich geführt habe, das nahe. Wenn man den Mehrwert der Arbeit in der öffentlichen Verwaltung, die Gestaltungsmöglichkeiten, den Zweck herausarbeitet, hat das auch Auswirkungen auf die Ansprüche an das Gehalt.
Man kann und sollte sich natürlich nicht gänzlich von jeglicher Marktgerechtigkeit der Bezahlung entfernen, aber man muss auch nicht zwingend das Gleiche bieten wie eine große IT-Firma. Hinzu kommt, dass es schon heute Instrumente gibt, deutlich besser zu bezahlen, wenn man nachweisen kann, dass man als Verwaltung den Bedarf nicht anders decken kann. Zum Beispiel gibt es IT-Zulagen. Wir sehen aber, dass diese bereits bestehenden Möglichkeiten von Verwaltungseinheiten kaum genutzt werden, jedenfalls nicht hinreichend. Gespräche mit Top-Führungskräften haben ergeben, dass sie Unfrieden in ihrer Behörde befürchten, wenn herauskommt, dass man diese oder jene Fachkraft besser bezahlt als andere. Und da komme ich wieder zum Punkt Mut und Risikofreude. Wenn man wirklich einen Bedarf hat, den man nicht anders decken kann, dann muss man als Führungskraft auch mal den Rücken gerade machen und sagen: „Ich muss diese Person angemessen bezahlen, das hat folgende Gründe. Und es ist kein Mangel an Wertschätzung denen gegenüber, die diese Zulage nicht bekommen.“
msg: Neben der Bezahlung wird auch das Thema orts- und zeitflexibles Arbeiten immer wichtiger. Werden sich die Arbeitszeitmodelle in der Verwaltung weiterentwickeln müssen?
Es gab einen erheblichen Erkenntnisgewinn, schon allein dadurch, dass man miteinander gesprochen hat.
Dr. Plate: Schon die Arbeitsgruppe hatte aufgedeckt, dass es in diesem Bereich bereits unheimlich viel gibt. Aber die Entwicklungen durch die Corona-Krise haben die faktische Weiterentwicklung der Modelle natürlich rasant beschleunigt und gezeigt, dass auch im Homeoffice extrem effizient gearbeitet werden kann. Ich bin überzeugt: Das wird sich nicht zurückdrehen lassen, und das ist auch gut so.
Abbildung 2. Dr. Tobias Plate und Jürgen Fritsche
msg: Das orts- und zeitflexible Arbeiten bedingt, dass man moderne Technik hat. Ist das gegeben oder ist, was die Ausstattung an Werkzeugen angeht, noch viel zu tun?
Dr. Plate: Natürlich ist der Prozess, die technische Ausstattung in allen Behörden dieser Entwicklung anzupassen, noch im Gange. Es hat sich aber auch hier viel getan in den letzten Monaten.
msg: Mehr Freiheiten in der Arbeitserledigung geht in der Regel mit Zielvereinbarungen einher. Sind Zielvereinbarungen, das Führen über Ziele statt über Anwesenheit, eine Option, die diskutiert wird, die denkbar ist oder sogar schon praktiziert wird?
Dr. Plate: Ja, alles: Zielvereinbarungen werden diskutiert, sie sind denkbar und werden auch schon praktiziert. Allerdings nicht flächendeckend. Ich persönlich bin auch gegen eine pauschale Anordnung, mit Zielvereinbarungen zu arbeiten. Je nach Art des Teams kann das eine sehr gute Lösung sein, manchmal aber auch nur für zusätzliche Bürokratie sorgen. Ich selber führe ein relativ kleines Team. Wir sind insgesamt zu sechst. Da würden mir solche Zielvereinbarungen eher als bürokratisches Monstrum erscheinen.
msg: Wir haben viel über diese Arbeitsgruppe gesprochen. Wann wird ihre Arbeit beendet sein?
Der Prozess des sich neu erfindens als Verwaltung wird noch lange nicht abgeschlossen sein.
Dr. Plate: Mein erster Impuls ist, „am liebsten nie“ zu sagen. Damit meine ich, dass der Prozess des sich neu Erfindens als Verwaltung, aus meiner Sicht jedenfalls, noch lange nicht abgeschlossensein wird. Und selbst wenn man einiges geschafft und an einige Maßnahmen ein Häkchen gesetzt hat, dann wird sich die Welt weiterentwickeln, und neue Bedarfe werden auftreten. Das macht eine immerwährende Weiterentwicklung der Verwaltung und der Personalstellen notwendig. Gleichwohl ist es natürlich so: Wir operieren als Bundesregierung immer in Legislaturperioden. Und wenn ein Bundeskabinett eine Arbeitsgruppe ohne bestimmtes Befristungsdatum einsetzt, dann ist die Befristung der Arbeit automatisch das Ende der Legislaturperiode. Das heißt, die Arbeitsgruppe wird sicher solange aktiv sein und auch intensiv an der Umsetzung der bisher gegebenen Empfehlungen arbeiten, wie die aktuelle Legislaturperiode dauert. Meine Prognose ist aber, dass man in einer nächsten Bundesregierung gut beraten wäre, etwas Vergleichbares weiterzuführen.
msg: Sie meinen, dass das Thema so dringend bleibt, dass es noch lange auf der Tagesordnung stehen wird?
Dr. Plate: Ganz sicher ist das so. Aber auch hier gilt ein agiler Ansatz. Diese Arbeitsgruppe mag im Moment das richtige Instrument sein. Aber die Herausforderungen werden in ihrer Intensität und Geschwindigkeit eher zu- als abnehmen. Dann müssen wir auch offen für andere Instrumente sein. Wir müssen uns an die Geschwindigkeit und Intensität der Herausforderung anpassen und kreativ sein, was Lösungsmodelle angeht.
msg: Zum Abschluss eins noch: Welche Fragen, die ich nicht gestellt habe, hätten Sie noch gerne beantwortet?
Dr. Plate: Sie dürften von mir aus gerne fragen, ob man mit alldem nicht hätte früher beginnen müssen. Dann wäre meine Antwort gewesen, dass ich froh bin, dass eine solch intensive Arbeit an diesem Themenfeld überhaupt begonnen und auch erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Darüber hinaus gilt, was immer gilt. Es nützt nichts, über Versäumnisse der Vergangenheit zu jammern,vielmehr sollte man sich mit umso mehr Kraft in die Zukunft stürzen. Und das tun wir.
msg: Das sind gute Schlussworte. Vielen Dank, lieber Herr Dr. Plate, dass Sie sich Zeit genommen haben für dieses Interview.
Dr. Plate: Sehr gerne.