Zuerst erschienen in der Ausgabe 01-2019
von Andreas Raquet
Die Bürgerportale haben ein Akzeptanzproblem
Vor Kurzem haben die Initiative D21 und fortiss die Neuauflage ihres eGovernment MONITOR für das Jahr 2018 veröffentlicht (siehe auch Artikel „Der Bürger, kein unbekanntes Wesen“ in dieser Ausgabe). Die Kernaussagen lesen sich dabei fast identisch zum Vorjahr: Die Zufriedenheit der Bürger mit behördlichen Onlineangeboten stagniert auf niedrigem Niveau, die Nutzung ist sogar rückläufig. Erste Reaktionen in den sozialen Medien ließen nicht lange auf sich warten: Insbesondere die User Experience (UX) hänge weit hinter dem heutigen Anspruch der Bürger zurück. Der UX-Trend müsse sich auch auf die Behördendienstleistungen erstrecken. Dann würden sie einen ähnlichen Boom erleben wie in der Privatwirtschaft. Ist das so? Die Vorstellung, der begeisterte Bürger verbringe die Vorweihnachtszeit zukünftig mit schweißnassen Händen vor dem Bildschirm, um vielleicht doch noch ein Ausweisverlängerungs- Schnäppchen bei der örtlichen Passbehörde zu ergattern, erscheint mir reichlich skurril. Anders als bei den erfolgreichen Onlinehändlern, beinhalten die Angebote der öffentlichen Verwaltung weder Konsumgüter noch Statussymbole. Verwaltungsdienstleistungen sind für die meisten Bürger einfach Mittel zum Zweck. Wenn der Bürger für diesen Zweck dennoch den klassischen Gang zum Amt bevorzugt, dann weil das für ihn das geringere Übel ist.
Natürlich hat der eGovernment MONITOR auch nach Gründen für die mangelnde Akzeptanz gefragt. Hier gaben sich 52 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Datensicherheit. Gleichzeitig möchten sich 53 Prozent der Befragten am liebsten per Username/ Passwort authentifizieren. Sicherheit? Offenbar doch nicht so wichtig!1 Für 39 Prozent der Befragten stellt die Notwendigkeit zur Anschaffung eines Lesegeräte für eIDs ein Hindernis dar. Dabei kann bereits seit Ende 2017 jedes halbwegs aktuelle Android- Smartphone als Lesegerät genutzt werden.2 Auch die mangelnde Bekanntheit der Angebote – für 42 Prozent der Befragten ein Thema – ist wohl eher eine Konsequenz als eine Ursache. Gute Angebote sprechen sich nämlich im Zeitalter des Web 2.0 ganz schnell herum.
Die einfache Wahrheit ist: Viele Onlineangebote funktionieren nicht, weil sie gar nicht auf die direkte Nutzung durch die Bürger ausgelegt sind. Hier einige Beispiele:
- Eine große Bundesbehörde stellt ihre Onlinedienstleistungen über ein alphabetisches Verzeichnis zur Verfügung. Die einzelnen Angebote sind aber gar nicht nach Fachthemen eingeordnet. Stattdessen findet man zwei Drittel unter A, wie Antrag, den Rest unter V, wie Vordruck.
- Die Formulare erfordern die Eingabe zahlreicher Angaben, die der Behörde längst bekannt sind. Zusätzlich werden Angaben gefordert, die der Bürger erst einmal gar nicht kennt. So benötigt man für einen Kindergeldantrag das Aktenzeichen bei der Familienkasse. Immerhin erklärt das Formular in einem Hilfetext, wie man die Zahlenkolonne in seinen Kontoauszügen (!) finden kann.
- Mitzuliefernde Nachweise sind in Beamtendeutsch verfasst – die Geburtsurkunde heißt Personenstandsnachweis – und müssen vom Antragsteller in Schriftform von anderen Behörden angefragt und per Post nachgereicht werden.
- Nicht selten findet auch das Einreichen des Onlineantrags am Ende zwecks Unterschrift in ausgedruckter Form auf Papier statt und erfordert damit ebenfalls den Gang zur Post.
- Zu guter Letzt kommt auch der Bescheid einige Tage später auf Papier per Post.
Interessanterweise sind die Vor-Ort-Beratungsprozesse in den Behörden sogar oft komfortabler ausgestaltet. Dort kann man zum Beispiel Nachweise direkt und unmittelbar – elektronisch eben – von Drittbehörden einholen lassen. Häufig kann der Prozess sogar unmittelbar abgeschlossen werden. Dann geht „klassisch“ tatsächlich schneller als „online“. Kein Wunder also, wenn der Bürger lieber direkt zum Amt geht.
Wenn Onlinedienstleistungen eine höhere Akzeptanz erleben möchten, müssen sie einfach besser als klassische Prozesse werden. Das hat zum Teil etwas mit UX zu tun, vor allem aber mit einer konsequent auf den Bürger als Akteur ausgerichteten Prozessoptimierung:
- Leicht aufzufinden, beispielsweise durch optimierte Suchfunktionen und auf den Bürger zugeschnittene Navigationshilfen
- Leicht auszufüllen durch verständlich aufgebaute Dialoge und ohne Mehrfacherfassung bereits bekannter Informationen, sowie eine Begriffswelt, die der Bürger versteht
- Komfortabel durch automatischen Abruf von Nachweisen weiterer Behörden
- Effizient, durch elektronisches Einreichen und Verarbeiten sowie unmittelbares Feedback
Natürlich sind dazu im Einzelfall noch etliche Fragen zu klären. Wie können persönliche Daten des Bürgers eingeholt und vorbelegt werden, wenn sich der Bürger nicht ausreichend authentifizieren möchte? Wie kann man Prozesse so verschlanken, dass eine Dunkelverarbeitung3 in einfachen Fällen möglich wird? Wie kann man weitere Behörden transparent einbinden? Das alles ist nicht einfach, aber nur so wird der digitale Behördengang Vorteile gegenüber dem klassischen Gang zum Amt bieten. Und nur dann wird der Bürger das Angebot auch annehmen.
Eine moderne und ansprechende Oberflächengestaltung schadet am Ende natürlich trotzdem nicht. Sie allein wird den Onlinedienstleistungen aber nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Quellenangaben:
1 In der BSI TR 03107 – „Elektronische Identitäten und Vertrauensdienste“ wird Username/1 In der BSI TR 03107 – „Elektronische Identitäten und Vertrauensdienste“ wird Username/Passwort auf dem Vertrauensniveau „normal“ eingestuft und ist damit für vieleDienstleistungen nicht ausreichend.
2 Siehe https://www.ausweisapp.bund.de/home
3 Eine vollautomatisierte Verarbeitung ohne Eingriffe durch Sachbearbeiter, siehehttps://de.wikipedia.org/wiki/Dunkelverarbeitung