Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 02-2019
von Gastautor Peter Onderscheka
Das „GeschäftsmodellKommune“ weiterdenken
Das Internet ist in der Hosentasche immer dabei, die Daten wandern, treffen, vereinigen und vermehren sich, und alte Konzepte werden von neuen Ideen weggefegt. Das ist Digitalisierung! Kein Projekt mit Anfang und Ende, sondern eine Haltung, geprägt durch überall und jederzeit verfügbare Minicomputer und massive Datenzentrierung.
Als Bürgermeister der fiktiven SimCity müsste ich mir Gedanken machen, worin mein Geschäftsmodell heute und in Zukunft besteht!
Eine Touristeninformation vermittelt Zimmer, Kinder werden – möglichst unmittelbar nach dem positiven Schwangerschaftstest – im städtischen Kindergarten vorgemerkt, das Wunschkennzeichen gibt‘s bei der Zulassungsstelle und das Führungszeugnis beim Bürgeramt. Oder: Eine private Vermittlungsplattform vermittelt die Fremdenzimmer, die Kita-Finder-App ermittelt den besten Kita-Platz, das HH-Kennzeichen dürfen auch Münchner Neubürger behalten und das Führungszeugnis wird direkt online beim Bundesamt für Justiz beantragt. Das ist allerdings keine Revolution … Es passiert bereits und hat keine „Schäden“ im Alltag hinterlassen.
Gibt es überhaupt Handlungsbedarf?
Will ein mit sinkenden Umsätzen kämpfender Pizzabäcker überleben, hat er die Option, zusätzlich zu seinem Restaurant einen Lieferservice mit Onlinebestellung anzubieten. Doch wenn die internen Abläufe nicht stimmen, einmal Mehl und einmal Tomaten fehlen und die Herstellung einer Pizza drei Stunden dauert, dann wird ihm auch der Lieferservice das Überleben nicht sichern. Vielmehr würde er sich eine zusätzliche „Baustelle“ schaffen, die dafür sorgt, dass zu den bisherigen unzufriedenen Kunden neue unzufriedene Kunden hinzukommen.
Doch genau so wird vorgegangen, wenn Antragsformulare für intern schlecht organisierte Verwaltungsprozesse online gestellt werden, nur um dem Druck der Straße zu entgehen. Eine Online-Terminverwaltung kann zwar Wartezeiten verkürzen und bei der Optimierung der Auslastung helfen. Sie kann aber auch sehr schnell aufzeigen, wenn absolut zu wenig Bearbeitungskapazität zur Verfügung steht oder die Prozesse zu lange dauern.
Sind die Bürger beispielsweise zur Ummeldung ihres Wohnsitzes innerhalb von 14 Tagen verpflichtet, bekämen aber erst in vier Monaten einen Termin und werden damit gegebenenfalls sogar an der Teilnahme einer Wahl gehindert, entsteht schnell der Eindruck, dass irgendjemand die Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Kommunales Handeln als Geschäftsmodell?
Das Geschäftsmodell „Kommune“ konsequent digital zu denken, erfordert, eine ungeeignete staatliche Aufgabenverteilung infrage zu stellen – was unter den gegebenen Rahmenbedingungen durchaus eine Herausforderung darstellt. Dass die bisherigen unveränderlichen Grenzen im föderalen Staatsaufbau aufgebrochen werden (können), zeigt sich zum Beispiel bei der Änderung von Art 91c Abs. 5 des Grundgesetzes und beim Online-Zugangsverbesserungsgesetz.
Die „örtliche Gemeinschaft zu gestalten“ plakativ als „Geschäftsmodell“ zu bezeichnen, ist aber auch der Versuch, den Blick umzulenken: die Vorteile der Digitalisierung zu erkennen und die Chancen zu nutzen, statt nur auf Erwartungen, Anforderungen und allgemeine Entwicklungen zu reagieren. Das Konzept eines Geschäftsmodells beinhaltet die Idee, sich für neue Potenziale zu engagieren, statt vorrangig Notwendigkeiten zu sehen und zu bedienen.
Betrachtet man eine kreisfreie Stadt in Bayern, die in eigener Hoheit mit großem Planungsaufwand Parklizenzgebiete ausweist. Sie kennzeichnet diese Gebiete mit Straßenschildern, stellt Bewohnerparkausweise aus, überwacht den ruhenden Verkehr und übt damit weit übergeordnetes Straßenverkehrsrecht im eng vorgegebenen Rahmen aus. Bei der Gestaltung des (Verwaltungs-) Verfahren zur Ausstellung der Parkausweise ist die Stadt dann wieder fast völlig frei. Die rechtliche Komplexität würde ausreichend Stoff für eine juristische Staatsprüfung bieten. Tatsächlich versucht man aber heute, in diesem Dschungel Lösungen zu finden, indem man ein Halb-Online-Antragsverfahren für Parkausweise schafft und Handyparken einführt, ohne das zugrunde liegende System zu verändern.
Insofern sind der hier vorgenommene Vergleich mit dem Geschäftsmodell eines Pizzabäckers und allein die plakative Verwendung des Begriffs „Geschäftsmodell“ für das Handeln einer Kommunalverwaltung eine extreme Überzeichnung (Vereinfachung), die es aber ermöglicht, sich von Bedenken und Hindernissen zu lösen.
Doch ist es überhaupt zulässig, bei Verwaltung von Geschäft zu sprechen? Versteht man Geschäft im Sinne einer Angelegenheit, eines Handelns und nicht nur als wirtschaftliche Betätigung, dann bezeichnet Geschäftsmodell sehr griffig die treibenden Handlungsgrundlagen. Der Gewinn des Handelns der Verwaltung liegt im Nutzen der Gemeinschaft, die Währung ist nicht Geld, sondern Vertrauen, Identifikation und Lebensqualität.
Wie viel Kraft kostet es heute, einheitliche Verwaltungsverfahren deutschlandweit dezentral umzusetzen? Auch ohne disruptiv zu denken, stellt sich die Frage: Was hindert wirklich daran, statt der städtischen Zulassungsstelle in München den Service der Kfz-Zulassung des Landkreises München zu nutzen, wenn dessen Zulassungsstelle näher liegt, freie Termine hat oder einfach besser oder gar billiger ist? Warum kann man ein Auto in Köln kaufen, dort aber nicht gleich ummelden, bevor die Überführung an den Wohnort erfolgt? Aber hier zu optimieren, wäre „Old School“!
Denken wir das Szenario deutlich weiter...
Viele Aufgaben des den Kommunen übertragenen Wirkungskreises (zum Beispiel Kfz-Zulassung, Einwohnerwesen) können unabhängig von Zeit und Raum erledigt und könnten damit von Land oder Bund selbst wahrgenommen werden.
Die Kommune organisiert das sozialverträgliche örtliche Zusammenleben, stellt die lokale Infrastruktur, unterstützt lokalen Handel, Handwerk, Industrie und Vereine, stellt Sensorik, Daten und Datenbanken beispielsweise für die lokale Verkehrssteuerung zur Verfügung, sorgt für die lebenslange Bildung und hilft den Unsicheren durch den digitalen Dschungel – digitale Daseinsvorsorge statt Verwalten, Organisieren und Moderieren der Stadtgesellschaft statt hoheitlichem Handeln.
Eine Stadt ist dann attraktiv, wenn das Leben und Arbeiten dort Spaß macht, aber vor allem, wenn alle Grundbedürfnisse für alle abgedeckt sind. Ein Personalausweis, ein Führungszeugnis und ein Kfz-Kennzeichen gehören nicht dazu beziehungsweise sind Dienste für übergeordnete Verwaltungsebenen. Wenn man inzwischen sein Kfz-Kennzeichen ohnehin behalten darf, was hindert daran, das Kfz-Kennzeichen erstmalig und für ein Autoleben lang direkt vom Händler mit auszugegeben? Beim Beantragen eines Führungszeugnisses wird aktuell die Identität festgestellt, der Antrag angenommen und an das Bundesamt für Justiz weitergeleitet. Wer – aus welchen Gründen auch immer – das Onlineverfahren nicht nutzen kann, sollte vorrangig dahin gehend unterstützt werden, dass es trotzdem klappt.
Abbildung 1: Startpunkte für eine aktive Transformation von Kommunen
Beim letzten Besuch in der Filiale meiner Bank hat der Berater ein Problem gelöst, indem er mich selbst in der allgemeinen Banking- Web-App anmelden ließ und mir dann die Arbeitsschritte zeigte. Ich war zuvor an einer unklaren Stelle gescheitert, doch nach einer kurzen Erläuterung war ich in der Lage, den Vorgang zu Ende zu bringen. Er war also Berater und Lotse, und ich war der eigene Sachbearbeiter. Ich habe gelernt, mich beim nächsten Mal einfach noch intensiver in das Onlinesystem zu denken, um auch ohne Filialbesuch zum Ziel zu kommen. Mein Berater hat hoffentlich gelernt, an welcher Stelle die Usability im System nachzubessern wäre.
Die Kommunalverwaltung ist aktuell vielfach das „Frontend“ der Landes- beziehungsweise Bundesverwaltung. Der Digitalisierungsgrad wird heute daran gemessen, wie viele Dienstleistungen digital angeboten werden. Aber wäre die Aufgabenverteilung nicht besser so, dass die den Kommunen übertragenen Aufgaben an Bund und Land zurückwandern und die Kommune besser dafür sorgt, dass alle Bürgerinnen und Bürger ungehinderten Zugang zu staatlichen Dienstleistungen erhalten, also digitale Zugangspunkte, Qualifizierung und Betreuung zur Verfügung stellt?
Die eigene Position finden!
Immer wieder wird kolportiert, dass der Föderalismus der Digitalisierung der Verwaltung entgegensteht. Nein! Es wird nur nicht konsequent genug gedacht. Warum sollen Aufgaben bei den Kommunen bleiben, wenn der Grund für die Übertragung (örtliche Nähe) weggefallen ist? Wenn die Verwaltung der Kraftfahrzeuge Bundesangelegenheit ist, dann soll der Bund das nicht nur regeln, sondern gleich selbst online machen.
Die Kommune kann sich dann viel besser auf die „Selbstverwaltung“ konzentrieren. Das alte Geschäftsmodell aufgeben! In der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger geht man heute zur Stadtverwaltung, um „staatliche Ordnungsangelegenheiten“ zu erledigen. Diese Rolle ist nicht zwingend. In der Stadt gibt es so viele gute und sinnvolle Betätigungsfelder: Die Bibliotheken zu Begegnungsorten entwickeln, an denen auch digitale Bildung und Zugang zu digitalen Services stattfindet. In Schulen am späten Nachmittag Senioren digitales Coaching anbieten. Dem lokalen Handel gekühlte oder geheizte „Packstationen“ an der S-Bahnstation anbieten, in denen Kunden die online getätigten Einkäufe nach der Arbeit abholen können. Sharing-Systeme für Lastenfahrräder oder Elektrowerkzeuge unterstützen. Kommunale Maker- Spaces mit Anschluss an den lokalen Handel einrichten.
Verkehrsplanung und -steuerung werden zurzeit dahin gehend optimiert, dass der Verkehr (und die Schadstoffbelastung) noch besser auf Straßen verteilt wird oder Parkmöglichkeiten optimaler genutzt werden können. Ergänzend wird öffentlicher Personennahverkehr organisiert, um die Last des Individualverkehrs auf der Straße zu verringern. Dabei geht es aber weiterhin darum, möglichst viele Fahrzeuge in die Stadt zu bringen oder die Taktzyklen im ÖPNV zu erhöhen, um noch mehr Menschen morgens in die Innenstädte und abends in die Wohntrabanten und Speckgürtel zu transportieren.
Aber ist es – vor dem Hintergrund einer konsequenten Digitalisierung – noch wichtig, die Menschen in Perfektionierung des bestehenden Systems „zum Arbeitsplatz zu bringen“, oder könnte nicht der Arbeitsplatz besser zu den Menschen kommen? Werden materielle Güter produziert, ist das schwieriger, wenn auch hier Modelle denkbar sind, in denen näher am Verbrauchsort produziert wird. Aber alle Branchen, in denen imma terielle Dienstleistungen, Ideen, Konzepte und Gedanken produziert werden, können weitgehend örtlich ungebunden und damit wohnortnah stattfinden. Würden nur 15 Prozent der arbeitenden Gesellschaft täglich zu Hause oder wohnortnah arbeiten, wären der Individualverkehr und der ÖPNV deutlich entlastet.
Wo fangen wir an?
Digitalisierung in eine Kommune zu tragen, kann an verschiedenen Stellen ansetzen: an der Schnittstelle zu den Bürgern möglichst viele Behördengänge durch Onlineservices ersetzen. Die internen Abläufe konsequent Ende-zu-Ende digital abwickeln oder das Gemeinwesen neu denken. Die Aufgaben und ihre Wahrnehmung im Staat neu verteilen und die Potenziale von Digitaltechnik und datenzentrischer Sichtweise für alle Lebensbereiche der Kommune neu definieren. Die grundsätzliche Aufgabenverteilung zu überdenken, die Schwerpunkte des Handelns der verschiedenen Verwaltungsebenen abzustimmen und sich dann auf die jeweiligen Kernkompetenzen zu konzentrieren, wären schon gute Schritte. Dabei eine konsequent datenorientierte Sicht und die Perspektive der Kunden einzunehmen, sind die kritischen Erfolgsfaktoren.
Tatsächlich setzt man mit den Maßnahmen oft nur bei der Wahrnehmung der Aufgaben an, stellt aber nicht die Frage nach dem Geschäftsmodell. Der oben genannte Pizzabäcker hat sich nur mit der Frage befasst, wie er die Pizza zu den Kunden bringt. Ob die Art, wie er Pizza herstellt, richtig ist oder ob das gesamte Geschäftsmodell durch die Tiefkühlkost aus dem Supermarkt oder Pizzalieferketten mit vielen Filialen infrage gestellt wird, hat er sich nicht gefragt.
Staatliche Verwaltung ist ein Monopol. Aber kommunale Selbstverwaltung ist weit weg von einem Monopol. Kommunen konkurrieren untereinander und an einigen Stellen weltweit. Kommunen konkurrieren zum Beispiel am Arbeitsmarkt, um Unternehmen, um Touristen, aber auch wenn sie Kindertagesstätten oder Schwimmbäder betreiben. Der ÖPNV konkurriert mit Taxis und Individualverkehr, öffentliche Parkflächen mit privaten Parkhäusern und so weiter.
Auch unter diesem Aspekt ist das Denken in einem Geschäftsmodell ganz hilfreich. Wie gegensätzlich zur Betrachtung aus der Monopolperspektive das abläuft, zeigt folgende Gedankenkette: Arbeitgeber konkurrieren um geeignete Fachkräfte und müssen für bessere Leistung mehr Aufwand betreiben. Damit werden sehr gute Dienstleistungen auch sehr teuer, und es besteht die Gefahr, dass Einkommensschwache sich diese Leistungen nicht leisten können. Umgekehrt ist ein Wirtschaftsstandort mit stabilen sozialen Verhältnissen für Unternehmen wohl attraktiver, als sich neben einem Pulverfass niederzulassen. Für die komplexe Gestaltungsaufgabe können Kommunen mithilfe sinnvoll eingesetzter Digitaltechnik und cleverem (Kommunal-)Management für eine attraktive örtliche Lebensgemeinschaft und sozialen Ausgleich sorgen.
Aber es gibt – wie meistens – keine Patentrezepte. Nur eines ist sicher: Die Transformation wird mit harten Einschnitten und einem grundsätzlichen Bruch etablierter Verfahrensweisen einhergehen. Wer von hinten die Gerölllawine auf sich zurollen sieht, wird sich leichter damit abfinden, in den kalten Fluss zu springen, um sich durch gefährliche Stromschnellen und scharfe Felsvorsprünge zu kämpfen. Sich neu zu erfinden heißt nicht, moderate Anpassungen vorzunehmen. Dabei ein – jeweils eigenes – neues kommunales Geschäftsmodell zu verlangen, ist nur die plakative und weniger abstrakte Forderung nach einer Digitalisierungsstrategie, die nicht vorrangig durch die bevorstehenden Untiefen helfen, sondern zeigen soll, wie man nach dem Sprung in den reißenden Fluss am gegenüberliegenden Ufer eine neue Existenz aufbauen kann.