Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2020
Die Fragen stellte Werner Achtert
Vier Fragen zu Arbeiten 4.0 an Dr. Beatrix Behrens, Bereichsleiterin für Organisationsmanagement an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (BA), Expertin beim European Institute of Public Administration (EIPA)
Welche neuen Herausforderungen ergeben sich für die Verwaltung?
In großen Teilen sind die alten auch die neuen Herausforderungen – in unterschiedlicher Intensität und in sich veränderndem Kontext. Neben den aktuellen pandemiebedingten Herausforderungen muss sich die öffentliche Verwaltung weiterhin den Herausforderungen der drei „Ds“ nahezu gleichzeitig stellen: Diversität, Demografie und Digitalisierung. Es steigt nicht nur die Vielfalt in der Gesellschaft, sondern auch in der Belegschaft. Die Förderung der Gleichstellung und Chancengleichheit erfordert ein professionelles Diversitätsmanagement, um die vielfältigen und unterschiedlichen Kompetenzen von Bewerbern und Bewerberinnen sowie der Mitarbeitenden zu sichern und zu fördern. Eine von Wertschätzung und Respekt geprägte Kultur von Führung und Zusammenarbeit ist die Basis für ein notwendiges modernes Talentmanagement.
Auch bleiben die Herausforderungen des demografischen Wandels bestehen. Mit Blick auf die zu erwartende altersbedingte Personalfluktuation droht ein Wissensverlust, der nicht nur Erfahrungswissen umfasst. Ältere beziehungsweise erfahrene Beschäftigte wünschen sich nicht nur Wertschätzung – sie möchten auch ihr Wissen an die jüngeren weitergeben. Steuert manheute vielfach die Ressourcen in Richtung Onboarding von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, so erscheint es ebenso von Bedeutung, den Eintritt in den Ruhestand qualifiziert zu begleiten. Es gilt, auch ein gut strukturiertes System für den Wissenstransfer als Instrument für die Personalentwicklung zu implementieren. Dies funktioniert nur, wenn sich Beschäftigte aktiv und offen einbringen und Führungskräfte dies unterstützen.
Die moderne Arbeitswelt wird durch mehr Eigenverantwortung, Selbstorganisation, Partizipation sowie sich verändernde Formen der Zusammenarbeit und Kommunikation geprägt sein. Deshalb wird gerne auch schon das vierte „D“ als Herausforderung diskutiert: Demokratie. Mit Blick auf die sinkende Halbwertszeit des Wissens wird die Eigenverantwortung der Beschäftigten für ihre individuelle Entwicklung zu stärken sein, ebenso wie die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Wissen veraltet immer schneller, und auch die Aufbau- und Ablauforganisation muss sich agil beziehungsweise flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen und Bedürfnisse der jeweiligen Stakeholder einstellen. Organisations- und Personalentwicklung lassen sich nicht mehr trennen und gehen Hand in Hand. All diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die zur Aufgabenerledigung notwendigen Kompetenzen der Beschäftigten.
Welche Bedeutung haben Digitalkompetenzen in der heutigen Arbeitswelt? Welche Kompetenzen sind das im Einzelnen, beziehungsweise welche Kompetenzen fehlen?
Mit Blick auf die oben kurz skizzierten Entwicklungen sollten die Diskussionen nicht ausschließlich auf eine Digitalisierungskompetenz fokussiert sein. Eine Arbeitswelt 4.0 oder New Work (übrigens schon seit den 1970er Jahren in der Diskussion) benötigt verschiedene Fertigkeiten, Fähigkeiten, Haltungen, Werte – wir sollten eher von Kompetenzen für eine moderne und digitale Arbeitswelt sprechen. Die Digitalisierungskompetenz wird mehr sein als die Bedienung der IT-Anwendungen. Zur Fach- und Methodenkompetenz zählen sicherlich das IT-Wissen und Erfahrungen sowie Kenntnisse der notwendigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Die zunehmende Datenflut verlangt aber auch eine gewisse Filterfähigkeit von Informationen und Daten sowie auch die Fähigkeit zur Reflexion.
Ganzheitliches Denken und Handeln wird immer wichtiger – auf allen Ebenen. Ich bin davon überzeugt, dass viele der in der analogen Welt geforderten Kompetenzen auch für die digitale weiterhin benötigt werden. Verschiebungen dürften sich bei der Festlegung von Ausprägungsgraden der für die Aufgabenerledigung notwendigen Kompetenzen ergeben. Dies umfasst auch die Kompetenzbeschreibungen, die sogenannten Verhaltensanker. Anforderungen können sich inhaltlich verändern, erhöhen oder auch verringern. Insbesondere die gerne so bezeichneten Softskills wie die soziale und kommunikative, aber auch personale Kompetenz1 werden von größerer Bedeutung sein. Angesichts der steigenden fachlichen Komplexität und Heterogenität bei der Aufgabenerledigung werden zum Beispiel veränderte Anforderungen an die Form und Intensität von Kooperation und Kollaboration zu stellen sein. Eine gute Kommunikationsfähigkeit und ein aktives Beziehungsmanagement sowie das Vernetzen innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation sind wichtige Voraussetzungen.
Stärker als bisher wird die Bereitschaft und das „Sich Öffnen“ für Veränderungen gefordert sein. Initiative, Tatkraft und Flexibilität sind ebenso notwendig wie der Wille zur Umsetzung. Insbesondere die für die mobile Arbeitswelt erforderliche Selbstorganisation benötigt eigenverantwortliches Handeln und die Übernahme von Verantwortung. Es gilt, eine Vielzahl an Informationen und von gelerntem Wissen zu „verarbeiten“ und in der Praxis anzuwenden – erst dann liegt ein Kompetenzerwerb vor. All dies zahlt auch auf Digitalisierung ein.
Diversität erfordert Sensitivität einschließlich Empathie. Der Umgang mit Unsicherheit benötigt Resilienz und Belastbarkeit. Kreativität im Rahmen von Innovationsmanagement setzt auf Querdenken. Voraussetzung dafür ist auch eine Kultur, die das Lernen aus Fehlern fördert. Können, Wollen und Dürfen seitens der Organisation und der Beschäftigten sowie der Führungskräfte sind auch für die Digitalisierung entscheidend. Eine digitale Kultur benötigt auch Werte, um die Transformation effektiv zu gestalten. Sie dienen auch der Orientierung, um in der neuen digitalen Arbeitswelt sicher zu arbeiten und zu führen. Ein ganzheitliches Verständnis der Aufgabenerledigung und des eigenen Handelns ist insbesondere für das Agieren in digitalen Strukturen und Prozessen unabdingbar. Entsprechend ganzheitlich sollte das moderne Personalmanagement gestaltet sein.
Wie kann die Vermittlung von Digitalkompetenzen in die Ausbildung von Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung integriert werden?
Der erste Schritt wird sein, Nachwuchs für die moderne und digitale Arbeitswelt möglichst passgenau zu den Anforderungen zu gewinnen. Über aktuelle Kompetenzmodelle oder andere Formen muss definiert werden, welche Kompetenzen zukünftig für die jeweilige Organisation erfolgskritisch sind. Mit Blick auf die Digitalisierung sind dies nicht nur die in der Aus- und Weiterbildung zu vermittelnden Fach- und Methodenkompetenzen. Einige wichtige Kompetenzen, wie zum Beispiel die Analyse-, Reflektions- und Selbstlernfähigkeit werden später sehr wahrscheinlich nicht oder nur schwer über Seminare oder andere Lernformen zu vermitteln sein. Hier erscheint ein Umdenken wünschenswert.
Aus meiner Sicht wäre eine Diskussion über ein ganzheitliches Personalmanagement erforderlich. Alle Prozessfunktionen von der Rekrutierung, Ausbildung/Studium, Personalgewinnung sollten kompetenzbasiert und mit Blick auf Digitalisierung und Wandel in der Arbeitswelt strategisch und konzeptionell auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet und miteinander verbunden werden. Neben den „Klassikern“ der Veränderung der Ausbildungsinhalte und der Lernpläne wird es aus meiner Sicht auf den Einsatz verschiedener Lernformen und Lernumgebungen ankommen – auch ein gesunder Mix zwischen Theorie und Praxis. Lebenslanges Lernen beginnt schon mit dem Onboarding und auch einem Lernpaten, der mit Organisations- und Erfahrungswissen beratend zur Seite stehen kann. Intergenerationales Lernen bietet hier eine Chance auch für die gesamte Organisation. „Reverse Mentoring“ als Instrument der Personalentwicklung bietet einen Lösungsansatz. Mentoring, Coaching und Lernbegleitung sind ebenfalls wichtige Elemente, das Lernen zu fördern.
Von Beginn an sollte die Lernfähigkeit über zeit- und ortsunabhängige Formate (neben Präsenzformaten) unterstützt werden. Seminare können mit Selbstlerntools sinnvoll auch über den Einsatz anderer digitaler Medien kombiniert werden. Eine gute Interaktion zwischen Auszubildenden, Lehrpersonal und Praktikern in einem Netzwerk erscheint wünschenswert. Vernetzung will früh praktisch geübt werden. Lern- und Innovationsräume und das Einbeziehen in Projektarbeiten machen Aus- und Weiterbildung interessanter – bieten aber auch die Möglichkeit, Gelerntes in der Praxis zu erproben beziehungsweise anzuwenden. Neue Innovationstechniken wie Design Thinking sollten ebenfalls von Beginn an Teil der Ausbildung sein. Experimentierräume, Labore etc. bieten Alternativen zu bisherigen Präsenzformaten. Entsprechend müssen für diese Lernwelt mit verschiedenen Lernformaten entsprechende Räumlichkeiten gestaltet werden.
Wie verändert die Digitalisierung die Anforderungen an Führungskräfte? Welche spezielle Digitalkompetenz benötigen Führungskräfte in Zukunft?
Neben der Fach- und Methodenkompetenz der IT-Verfahren, neuen IT-gestützten Konferenztechniken, Umgang mit Social Media wird nunmehr ganz stark eine „alte“ Kompetenz wirksam: die transformationale oder mitarbeiterorientierte Führung. Selbstredend wird auch die transaktionale (ergebnis- und leistungsorientierte) Führung weiterhin gefordert sein. Kombiniert mit der mitarbeiterorientierten Führung werden Führungskräfte und Verwaltungen langfristig in ihrer Performance erfolgreicher sein und Veränderungsprozesse effektiver gestalten können. Den Führungskräften kommt die Aufgabe zu, digitale Kultur und den Wandel ebenso wie zum Beispiel lernförderliche Arbeitsumgebungen zu gestalten. Gute Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen mit erhöhter Partizipation der Mitarbeitenden an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen sind zudem Erfolgsfaktoren für das Engagement der Beschäftigten. Einstellungen und Verhaltensänderungen sind nur im Dialog „auf Augenhöhe“ zu erzielen. Dies ist ein Merkmal von „Arbeiten 4.0“.
Insofern stehen Führungskräfte vor der Herausforderung, eine analoge und digitale Arbeitswelt zu managen, ihre Beschäftigten zu begleiten und Sinnstiftung beim Umgang mit vielfältigen Arbeitsformen und Herangehensweisen zu vermitteln. Sie benötigen Unterstützung, das Zusammenspiel zwischen Beschäftigten, Technik sowie Aufbau- und Ablauforganisation zu gestalten. Coaching und Moderationsfähigkeiten sind stärker gefordert ebenso wie die Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit zum Diskurs. Führungskräfte müssen deutlich stärker vernetzt intern wie extern, national wie international interagieren und kommunizieren. Führen in der digitalen Arbeitswelt erfordert verschiedene Strategien, um mit Unsicherheit umzugehen. Ambidextrie2 wird zur Herausforderung gerade mit Blick auf Digital Leadership und „Führung über Distanz“. Hier sind noch innovative Lösungsansätze gefordert.
1 Softskills, die primär auf die eigene Person gerichtet sind. Dazu gehören einerseits persönliche Arbeitstechniken, die zu einem bedeutenden Maß die persönliche Effektivität und Effizienz jedes Einzelnen bestimmen.
2 Beidhändigkeit: die Fähigkeit (hier: von Organisationen), gleichzeitig effizient und flexibel zu sein.