Anwendungsszenarien, Grenzen und ein Umsetzungsbeispiel
Zuerst erschienen in der public Ausgabe 02/2022
von Carsten Schaefer und Patrick Haiber
Robotic Process Automation (RPA) ist in vielen Branchen bereits ein fester Faktor bei der Digitalisierung, Prozessoptimierung und -automatisierung. Seit etwa ein bis zwei Jahren nimmt die Zahl der RPA-Anwendungen, wenn auch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, auch im Public Sector zu. Doch was bedeutet eigentlich Robotic Process Automation?
Mit RPA-Software können Abläufe beziehungsweise Prozesse nachgebildet werden, die bislang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter manuell durchgeführt haben. Dabei verbindet die RPA-Software automatisch Front- und Backoffice-Anwendungen, indem sie sich wie Nutzerinnen und Nutzer in die Software integriert. Der Software-Bot oder „Digital Worker“ kann diese dann 7 Tage, 24 Stunden automatisch wiederholen. Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Anwendungen sind ebenso wenig erforderlich wie Anpassungsentwicklungen. Zudem sind für die Prozessautomation mit RPA-Software keine Änderungen oder Anpassungen an der bestehenden IT-Infrastruktur erforderlich. Warum ist der RPA-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig?
Die öffentliche Verwaltung befindet sich deutschlandweit und auf allen Ebenen in der Transformation zur Digitalen Verwaltung – bei gleichzeitiger Konsolidierung der IT-Infrastrukturen und des IT-Betriebes. Dies allein ist eine „Herkulesaufgabe“. Gleichzeitig ist die Verwaltung, wie auch andere Branchen, von den Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen. In den nächsten fünf Jahren werden 12 Prozent der Beamten sowie 13 Prozent der Angestellten in den Ruhestand gehen. Bezogen auf die nächsten zehn Jahre sind sogar 26 beziehungsweise 29 Prozent der derzeit noch besetzten Stellen betroffen.1
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Berufseinsteiger. Der Fachkräftemangel wird zu einem Wettbewerb zwischen privatem und öffentlichem Sektor führen, viele Stellen werden unbesetzt bleiben. Im Kontext der digitalen Transformation und der Einführung moderner Arbeits- und Führungsmethoden muss sich die öffentliche Verwaltung daher darauf fokussieren, dass ihre Beamten und Angestellten künftig überwiegend oder ausschließlich nicht automatisierbare Tätigkeiten wahrnehmen. Automatisierbare Tätigkeiten müssen konsequent automatisiert werden.
Abbildung 1: Wie digitale Worker "worken"
Bei dieser Automatisierung der Verwaltungsprozesse führt der Einsatz von RPA-Lösungen kurz- bis mittelfristig zu signifikanten Verbesserungen:
- Automatisierung von Prozessen über Anwendungsgrenzen hinweg, ohne dass Eingriffe in die bestehende IT-Infrastruktur oder Anpassungsentwicklungen an bestehenden Anwendungen erforderlich sind
- No Code / Low Code Konfiguration/ Implementierung, d.h. auch nicht IT-Fachkräfte können RPA implementieren und nutzen – ein gewisses Maß an IT-Affinität vorausgesetzt
- Schnelle Implementierung und Umsetzung einfacher Prozesse innerhalb weniger Tage
- Weiterentwicklung durch geschultes Personal (1-2 Wochen) in der Behörde selbst leistbar (Fachpersonal, welches teils für die RPA freigestellt ist)
- Cloud- und On-Premise-fähig
- Vergleichsweise geringe Anschaffungs- und Unterhaltskosten
Welche Arbeitsabläufe/ Prozesse sind besonders für den RPA-Einsatz geeignet?
Nicht alle Arbeitsschritte eigenen sich für einen „Digital Worker“. Geeignete RPA-Aufgaben sind insbesondere:
- Der Aufruf von eingehenden E-Mails oder eingehenden Nachrichten in Verwaltungsportalen sowie das Sortieren, Bearbeiten und Weiterleiten von Anhängen
- Das Lesen von Dateien, PDFs, E-Mails und elektronischen Formularen
- Das Kopieren, Einfügen, Verschieben, Ausfüllen und Strukturieren von Dateien, Ablagen und Formularen
- Die Verarbeitung und Zusammenfassung von Daten aus unterschiedlichen Anwendungen, Berechnungen beziehungsweise das Aggregieren von Daten zu Berichten/Reports und die Bereitstellung für die weitere Nutzung
- Die Unterstützung der Fallbearbeitung durch Ausführen von „Wenn-dann-Regeln“
- Die Konvertierung von Daten
Für die erfolgreiche Einführung der Robotic Process Automation ist die Identifizierung geeigneter Prozesse erforderlich. Merkmale für die Identifizierung geeigneter Prozesse sind:
- Ein hoher Anteil arbeitsintensiver, manueller, fehleranfälliger und sich wiederholender Tätigkeiten.
- Der Prozess ist bereits standardisiert oder lässt sich standardisieren. Beim Ablauf treten wenig bis keine Abweichungen/ Varianten auf.
- Der Prozess ist eindeutig regelbasiert. Diese Regeln lassen sich eindeutig als Anweisungen und Entscheidungen in der RPA umsetzen.
- Die zugrunde liegenden Daten liegen elektronisch lesbar vor und sind klar strukturiert.
- Der Prozess weist ein mittleres bis hohes Transaktionsvolumen auf.
Wie kann eine Robotic-Process-Automation-Einführungsstrategie in einer Behörde aussehen?
Die Automatisierung von Prozessen in Behörden kann nur schrittweise erfolgen. Die Einführung sollte sich an nachfolgendem Stufenkonzept orientieren:
1. RPA-Analyse
Bei der RPA-Analyse geht es um die Feststellung geeigneter Prozesse. Hier müssen die Beschäftigten eingebunden werden, denn niemand kennt die Prozesse besser als diejenigen, die sie täglich bearbeiten.
2. Change Management
Oftmals stehen Beschäftigte der Nutzung von „Digital Workern“ skeptisch oder ängstlich gegenüber. Der Befürchtung, dass Aufgaben wegfallen oder durch „digitale Worker“ teilweise ersetzt werden, sollte von Anfang an mit positiven Argumenten entgegengetreten werden. Denn durch RPA können monotone, sich wiederholende Tätigkeiten wegfallen und mehr Zeit für wichtige, wertschöpfende Aufgaben generiert werden. Positiv motivierte Beschäftigte werden aktiv die RPA-Einführung unterstützen.
3. Auswahl der Lösung
Sind geeignete Prozesse für die Automatisierung gefunden, stellt sich die Frage, welche RPA-Lösung für die Umsetzung in der Behörde geeignet ist, wie diese beschafft und vor allem wie diese betrieben (Cloud, RZ-IT Dienstleiter, on-premise) wird. Diese Frage kann durch die IT-Konsolidierung in der Regel nicht ohne den IT-Dienstleister der Behörde geklärt werden. Ist die RPA-Lösung beschafft, installiert und sind die Projektbeteiligten geschult, kann mit der Umsetzung begonnen werden.
4. Pilotierung
Auch im Kontext RPA-Einführung ist es zielführend, zunächst mit einem Pilotprojekt zu beginnen. Hierfür werden ein oder mehrere Prozesse mit geringer Komplexität ausgewählt und automatisiert. Im Vorfeld müssen auch Beauftragte des Datenschutzes, der IT-Sicherheit sowie die Personalvertretungen involviert werden.
5. Weitere Prozessautomatisierung
Mit den gesammelten Erfahrungen aus der Pilotierung werden die bisher analysierten Prozesse bewertet, eine Umsetzungsreihenfolge festgelegt und der schrittweise Rollout weiterer Prozesse umgesetzt.
6. RPA-Kompetenzzentrum aufbauen
Um die weitere Umsetzung erfolgreich voranzubringen, sollte ein RPA-Kompetenzzentrum, welches alle Beteiligten und Kompetenzen einbindet, aufgebaut werden. Dieses Kompetenzzentrum ist für die schrittweise behördenweite Automatisierung durch RPA verantwortlich. Es analysiert und bewertet geeignete Prozesse, setzt diese in der gewählten RPA-Lösung um und organisiert den Betrieb der „Digital Worker“. Wichtige Rollen im Kompetenzzentrum sind:
- RPA Sponsor: sollte aus der Behördenleitung kommen und bildet die Schnittstelle zu dieser. Sie oder er sorgt für die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen für das Projekt.
- RPA Business Analyst analysiert, optimiert, modelliert und bewertet die Prozesse gemeinsam mit den Beschäftigten der einzelnen Organisationseinheiten und kombiniert Prozess- und RPA-Wissen.
- RPA Developer ist verantwortlich für das Design, die Entwicklung und Implementierung der RPA-Prozesse.
- RPA Solution Architect verantwortet die technische Durchführbarkeit, das Design, das Kodierungsverfahren und die Anleitung des Entwicklungsteams sowie die Einhaltung der geltenden Security und Compliance-Anforderungen.
- RPA Support stellt den technischen und teilweise fachlichen Support sicher und unterstützt beim Betrieb der RPA-Lösung.
- RPA Change Manager kommuniziert das Automatisierungsprojekt in der Behörde, begleitet die Organisationseinheiten bei der Transformation, erstellt und setzt den Kommunikationsplan um und sorgt dafür, dass alle Beteiligten informiert und positiv gegenüber der RPA-Einführung eingestellt sind.
- Behördenweite RPA-Umsetzung: Mit dem erfolgreichen Aufbau des Kompetenzzentrums und der Automatisierung weiterer Prozesse beginnt die schrittweise Umsetzung der Automatisierung in der gesamten Behörde, verbunden mit der Etablierung der erforderlichen Betriebs- und Supportstrukturen.
Umsetzungsbeispiel Gesundheitsamt Neuburg-Schrobenhausen
Die Corona-Fallbearbeitung durch die Gesundheitsämter bot und bietet die oben genannten Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz von RPA:
- Die Meldungen von den Gesundheitsämtern werden in der Regel als CSV-Datei oder in Form von PDF-Dateien mit festem Format geliefert.
- Es liegen einfache Regeln für die Bearbeitung der eingehenden Meldungen und den Abgleich mit bestehenden Daten im Fachverfahren vor.
- Die Prozesse haben nur sehr wenige bis keine Varianten.
- Es gibt eine hohe Anzahl von Meldungen.
RPA kann hierbei helfen, die eingehenden Fallmeldungen zu prüfen, mit bestehenden Meldungen abzugleichen, fehlende Informationen anzufordern und die Meldungen in das verwendete Fachverfahren zu übertragen. Durch die Skalierbarkeit kann der digitale Worker auch sehr hohe Fallzahlen schnell bearbeiten.
Eckdaten der ersten Umsetzung
Ziel: Prozessautomatisierung bei der Corona-Fallbearbeitung im Gesundheitsamt Neuburg- Schrobenhausen
Auftraggeber: Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen
Zeitraum: Mai 2022 – Juli 2022 Anzahl Bots: 1
RPA-Software: Blue Prism
Automatisierte Prozesse: 3
Ausgangssituation
Im Gesundheitsamt des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen waren Anfang 2022 neben den Mitarbeitenden des Gesundheitsamtes auch Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Sie sollten die hohe Anzahl der positiven Coronameldungen sichten, prüfen und im R23-Objekt-, Vorgangs- und Dokumentenmanagementsystem des Gesundheitsamtes erfassen.2 Alle Arbeitsschritte erfolgten überwiegend manuell, unter Verwendung unterschiedlicher IT-Systeme. Der schrittweise Abzug der unterstützenden Bundeswehr führte zu der grundsätzlichen Entscheidung, den Melde- und Registrierprozess bei auch zukünftig zu erwartenden hohen Fallzahlen zu optimieren.
Verlauf
Nach ersten Vorgesprächen fiel die Entscheidung, die zugrunde liegenden Prozesse zu automatisieren und zu optimieren. Anhand ausgewählter Prozesse sollte zunächst die grundsätzliche Machbarkeit festgestellt werden. Anfang Mai wurden gemeinsam mit unserem RPA-Team aus dem Versicherungsbereich drei Workshops für die Auswahl und die Dokumentation der umzusetzenden Prozesse durchgeführt. Diese wurden im weiteren Vorgehen so angepasst, dass sie größtmöglich von politischen Rahmenbedingungen unabhängig bleiben. Parallel hierzu installierte der Kunde serverseitig die Software der Firma Blue Prism Group.3
Nach erfolgreicher Installation und Einweisung des kundenseitigen Projektteams konnten die Prozesse innerhalb weniger Arbeitstage in der RPA-Software umgesetzt werden. Nachdem auch letzte Datenschutz- sowie IT-Sicherheitsfragen und die damit verbundenen Rechte der RPA-Software geklärt waren, konnte der Bot nach abschließenden Funktionstests Ende Juli 2022 in Betrieb gehen.
Ergebnis
Im Verlauf des Projektes wurden beim Kunden erfolgreich zwei Prozesse mit dem höchsten Automatisierungspotenzial identifiziert, analysiert, optimiert, dokumentiert und automatisiert. Darüber hinaus wurde ein dritter Prozess implementiert, um mögliche Aufwände im Troubleshooting zu minimieren:
Prozess 1: Auslesen und Überprüfen positiver Corona-Meldungen
In diesem Prozess werden die über elektronische Formulare eingehenden positiven Corona-Meldungen aus einem Eingangsordner ausgelesen. Anschließend erfolgt je eingegangener Meldung die Prüfung, ob alle erforderlichen Metadaten
- Ermittlungsakten ID,
- Vorname,
- Nachname,
- Geburtsdatum
- Testdatum
ausgefüllt wurden. Wenn Metadaten fehlen, wird diese Meldung per E-Mail an ein Funktionspostfach zur manuellen Klärung weitergeleitet. Die positiven Meldungen erhalten eine Markierung.
Prozess 2: Datei speichern in R23
Dieser Prozess basiert auf dem vorangegangenen Prozess. Zunächst wird erfasst, ob Dateien (geprüfte positive Corona - Meldungen) vorhanden sind. Sind diese vorhanden, erstellt der „Digital Worker“ eine „Abarbeitungsliste“, öffnet R23 und sucht anhand der Ermittlungsakten-ID die entsprechende Akte. Ist diese nicht vorhanden, wird die Datei in einen Übergabeordner verschoben und eine E-Mail an ein Funktionspostfach gesendet. Bei vorhandener Ermittlungsakten-ID wird die Datei in R23 gespeichert und der nächste Fall auf der Liste bearbeitet. Sind alle Meldungen gespeichert, wird R23 beendet.
Prozess 3: FormCycle-Prüfung
Dieser Prozess unterstützt Prozess 1 und prüft bei nicht vorhandenen positiven Corona-Meldungen, ob das Formular Management System erreichbar ist. Im Negativfall wird eine E-Mail an den Support versendet.
Die Prozesse laufen mehrmals täglich zu definierten Uhrzeiten. Mit der erfolgreichen Umsetzung der identifizierten Prozesse im Gesundheitsamt konnten erhebliche manuelle Arbeitsaufwände eingespart, die Prozesse beschleunigt sowie die Prozessqualität verbessert werden. Eine quantifizierbare Aussage, wie viel manuelle Aufwände wirklich eingespart wurden, wird erst bei den zu erwartenden steigenden Fallzahlen im Herbst valide möglich sein. Im aktuell anstehenden Folgeprojekt sollen Prozesse im gesamten Gesundheitsamt erhoben, optimiert und prioritätsgesteuert automatisiert werden.
Fazit:
Mit Robotic Process Automation kann ein schneller Einstieg in die Automatisierung von Verwaltungsprozessen gelingen. Ganz ohne aufwendige Installationen, Programmierung, neue Schnittstellen und Eingriffe in die bestehende Systemarchitektur, dafür aber mit einem hohem Einsparungspotenzial bei manuellen Tätigkeiten. Empfehlenswert für die Behörde ist die schrittweise Entwicklung einer Automatisierungsplanung. Dazu müssen methodisches Know-how zu Prozessmodellierung/- optimierung und technisches Know-how über RPA verbunden werden, um eine gangbare Roadmap für eine hohe Automatisierungsquote in der Behörde zu erzielen. Die Belegschaft sollte von Anbeginn in den Prozess eingebunden und die positiven, erleichternden Effekte für den Arbeitsalltag hervorgehoben werden.
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Kontaktieren Sie den Autor des Beitrags, Carsten Schaefer, der Sie gerne über die Erfahrungen der msg bei der RPA-Einführung und das Leistungsangebot RPA für den Public Sector informiert. Carsten Schaefer, Abteilungsleitung Carsten.schaefer@msg.group
Quellen
1 Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten von DeStatis bezogen auf 2019
2 https://devagency.de/ (abgerufen am 09.09.22).
3 https://www.blueprism.com/de/ (abgerufen am 09.09.22).