Zuerst erschienen in der Augabe 01-2019
von Jürgen Fritsche
Ein Ansatz für Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit in der öffentlichen Verwaltung
Service Design hat zwar mit Design zu tun, bedeutet allerdings nicht, Oberflächen von IT-Anwendungen oder Online-Zugangskanälen optisch herauszuputzen. Vielmehr geht es beim Service Design um die Gestaltung von Prozessen zum Erstellen von Dienstleistungen und um die Gestaltung der Prozesse für die Nutzung von Dienstleistungen.
Der Service hinter der Oberfläche
Bei der Nutzung von Dienstleistungen nehmen Kunden wahr, wie gut der genutzte Service hinter der Serviceoberfläche, also hinter der Fassade der Organisation, funktioniert. Denn regelmäßig treten kritische oder entscheidende Situationen auf, deren Lösungen in der Wahrnehmung der Kunden die Qualität eines Dienstleistungssystems ausmachen. Das sind in der Terminologie des Service Designs Momente der Wahrheit. Denn bei Services entscheidet allein die Wahrnehmung des Kunden darüber, ob die Dienstleistung als sehr gut, gut oder schlecht empfunden wird. Und tatsächlich gibt es auch nicht viel mehr Abstufungen. Nach „gut“ kommt „gut gemeint“, also eher schlecht …
Die Gestaltung von Sachgütern, also das Produktdesign, ist längst eine etablierte Disziplin. Zur Produktsprache gehören Ausdrucksformen wie zum Beispiel Form, Oberflächenstruktur, Materialbeschaffenheit, Art und Weise der Funktionserfüllung, Farben und grafische Gestaltung der Oberfläche, Geräusche, Geschmack, Geruch, Verpackung usw.
Service Design ist im Gegensatz dazu noch keine eigenständige Disziplin. Wie nähert man sich der Gestaltung von Dienstleistungen? Dienstleistungen kann man nicht anfassen, demnach sind sie also auch nicht Quelle von Sinneseindrücken. Wohl aber entstehen Sinneseindrücke während der Nutzung von Dienstleistungen, weil dabei Komponenten mit tangiblen Attributen genutzt werden, die Bestandteile der Dienstleistung sind: Empfangsbereiche, Stühle, Temperatur und Akustik der Räume, Callcenter, Internetangebote, Formulare. Darüber hinaus sind die Interaktion mit Servicemitarbeitern oder Dialogschnittstellen von Internet- oder Softwareangeboten Quellen für Sinneseindrücke und Emotionen. Sie werden beeinflusst durch die Kompetenz und Freundlichkeit der Servicemitarbeiter oder die intuitive Bedienbar- und Nützlichkeit von Dialogschnittstellen, aber auch durch die Dauer der Bearbeitungszeit.
Die Definition für Service Design ist sicher richtig, doch finden sich auch andere Definitionen, die nicht auf die Andersartigkeit von Dienstleistungen abzielen, sondern eher auf deren Neuheit oder auch auf die Verbesserung bestehender Services. Zudem ist die Zielsetzung von Service Design weiter zu fassen, als nur für den Kunden den optimalen Service zu erzeugen. Abbildung 1 zeigt in einem Übersichtsmodell, wie Service Design für Interessenausgleich zwischen der Organisation und den Kunden sorgt.
Aufseiten der Organisation sind Effektivität (die richtigen Dinge machen) und Effizienz (die Dinge richtig machen) die Zielsetzungen, an denen Service Design ausgerichtet werden muss. Und es ist naheliegend, dass so auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter und der Organisation steigt, denn Lastspitzen und ungeplante Zustände nehmen tendenziell ab, wenn man die richtigen und wichtigen Dinge auch richtig macht.
Abbildung 1: Das Modell des Service Design
Statt zum Beispiel den Durchsatz (abgearbeitete Menge pro Zeiteinheit) erhöhen zu wollen, kann man der Frage nachgehen, warum es überhaupt Staus bei der Bearbeitung bestimmter Prozesse oder Prozessschritte gibt. Auf diese Weise arbeitet man an der Wurzel von Problemen und versucht, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Notwendig und unabdingbar ist dabei, die an der Gestaltung der Prozesse beteiligten Mitarbeiter einzubeziehen. Das Ergebnis wird mit Sicherheit eine höhere Produktivität der Mitarbeiter sein – und zwar bei gesteigerter Eigenverantwortung und Motivation. Auch die Kundeninteressen müssen bei einer ganzheitlichen Gestaltung der Ablaufprozesse, die die Kundenzufriedenheit in den Fokus nimmt, in den Vordergrund gestellt werden.
Dieser Ansatz berücksichtigt zudem Kontext, Fähigkeiten, Möglichkeiten und Restriktionen der Organisation. Der Kontext der Organisation umfasst beispielsweise Anzahl und Fähigkeiten der Mitarbeiter, der verfügbaren Dienstleister und Partner wie auch relevante technische Gegebenheiten. Gleichzeitig werden auch Kundenanforderungen, Marktgegebenheiten und gesellschaftliche, politische und ökonomische Trends einbezogen. Durch den umfassenden Ansatz ergeben sich auch langfristige Zielsetzungen, Servicekonzepte und kreative neue Lösungen, die positive Anpassungen in der Organisation bewirken. Wenn dieser Ansatz gelingt, wird die ständige Verbesserung der Prozesse Teil der Organisationskultur. Es kann und soll dabei durchaus geschehen, dass Mitarbeiter dann beginnen, ihr Arbeitsumfeld selbst zu gestalten und mehr Verantwortung und Tatendrang an den Tag zu legen. Als Organisation muss man das wollen, aushalten und fördern.
Aus Kundenperspektive präsentiert sich die Organisation mit der Zeit viel zugänglicher und effektiver: Dienstleistungen werden gerne in Anspruch genommen, die motivierte und kompetente Arbeit der Mitarbeiter wird positiv registriert, Serviceengpässe werden gelassen hingenommen, wohl wissend, dass an deren Beseitigung stetig gearbeitet wird. Aus Mitarbeiterperspektive steigen sowohl Stolz auf die eigene Arbeit als auch Eigeninitiative und Zufriedenheit.
Service Design liefert am Ende also nicht die fertige Dienstleistung, sondern das optimierte Konzept für eine Dienstleistung. Service Design bietet zahlreiche Analysemethoden und schafft ein ideales Umfeld dafür, dass unterschiedliche Disziplinen (zum Beispiel Ökonomen, Informatiker, Ingenieure, Designer) gemeinsam optimale Konzepte entwickeln und umsetzen können.
Dabei geht Service Design nach den folgenden Prinzipien vor:2
Nutzerzentriert: Services werden für Menschen angeboten und von diesen genutzt. Demnach sollen Dienstleistungen nutzerorientiert gestaltet sein, damit sie ohne Probleme und gerne genutzt werden.
Integrativ: Service Design integriert die Serviceanbieter und ihre Kunden in den Designprozess. Lösungen werden also mit Mitarbeitern, Entscheidungsträgern und Kunden entwickelt.
Ganzheitlich: Materielle und immaterielle Komponenten von Dienstleistungen werden betrachtet, um Serviceangebote positiv erlebbar zu machen. Services werden als dynamische Systeme verstanden, in denen Menschen, Prozesse, Produkte und Technologien zusammen den Service ergeben.
Nachvollziehbar: Durch die zeitliche Abfolge und die Interaktionen zwischen Serviceerbringern und Kunden sind Services schwerer nachvollziehbar als materielle, berührbare Produkte. Die Verständlichkeit wird durch visualisierte Serviceabläufe- und konzepte mit Erzähltechniken dargestellt.
Interdisziplinär: Service Design ist interdisziplinär und lösungsorientiert. Die Tätigkeitsfelder reichen von psychologischen Aspekten über Innenarchitektur und Planung von Abläufen, Preisgestaltung bis zu technischen Komponenten. Demnach sind in Teams verschiedene Disziplinen vertreten.
Wo Service Design ansetzt
Ziele von Service Design können die Entwicklung neuer Serviceangebote (Serviceinnovation), die Optimierung bestehender Services (Serviceoptimierung) oder die Formulierung kundenorientierter Servicestrategien (Servicestrategie) sein.
Bei der Entwicklung von Serviceneuerungen werden Möglichkeiten untersucht, völlig neue Geschäftsbereiche zu erschließen, bisher unbefriedigte Kundenbedürfnisse anzusprechen oder ein bewährtes Serviceprinzip durch radikale Erneuerung nachhaltig vom Wettbewerb zu differenzieren.
Bei einer Serviceoptimierung geht es darum, das Kundenerlebnis bestehender Angebote zu verbessern und ein optimales Zusammenspiel aller Servicekomponenten zu gewährleisten. Wie Kunden einen Service wahrnehmen und erleben, ist natürlich subjektiv, kann aber durch verschiedene Komponenten beeinflusst werden:
- Attraktives, nützliches und überzeugendes Serviceangebot
- Reibungslose Abläufe und Kunde-Anbieter-Interaktionen
- Freundlichkeit, Kompetenz und Problemlösungsfähigkeit
- Verständliche Serviceelemente und -produkte
- Ansprechende Serviceumgebungen
- Verständliche Kommunikationsmaterialien und -kanäle
- Funktionierende unternehmensinterne Prozesse
Bei der Serviceoptimierung werden vorhandene Servicelandschaften auf Schwachstellen und Optimierungspotenziale untersucht und verbesserungswürdige Elemente und Prozesse innerhalb des Servicesystems überarbeitet. Dies kann die Neuorganisation von Serviceabläufen, die Schulung von Mitarbeitern oder die Gestaltung von Serviceumgebungen, Produkten und Kommunikationskanälen umfassen.
Einem erfolgreichen Serviceangebot liegen stets kundenorientierte Unternehmensstrategien und -werte sowie ein passendes Geschäftsmodell zugrunde. Daher geht der Entwurf des Servicedesigns und das Erbringen von Serviceleistungen oft mit der Entwicklung kundenorientierter Servicestrategien, der Anpassung von Geschäftsmodellen und der Transformation von Unternehmenskultur und -werten einher.
Alle Komponenten, mit denen der Kunde eines Services in Berührung kommt, werden im Service Design als Touchpoints (Berührungspunkte) bezeichnet. Die Bereitstellung erfolgreicher Services erfordert das richtige Zusammenspiel vieler Komponenten. Dazu gehören Menschen, Prozesse, Produkte, Umgebungen und Technologien. Servicekomponenten der öffentlichen Verwaltung sind beispielsweise die Verwaltungsangestellten mit Kundenkontakt, eGovernment-Angebote, Automaten für Self-Services, Formulare und Bescheide, die Räumlichkeiten der Ämter mit Publikumsverkehr und dergleichen mehr. Servicedesign gestaltet und kombiniert all diese Komponenten so, dass sie in ihrer Gesamtheit ein einheitliches Serviceangebot und ein nahtlos positives Serviceerlebnis für den Kunden gewährleisten.
Der Service-Design-Prozess
Wie oben beschrieben, liefert Service Design nur ein Konzept für den Service, die Umsetzung folgt im nächsten Schritt. Das sogenannte Münchberger Modell geht jedoch einen Schritt weiter und umfasst auch noch das Umsetzen.
Die ersten vier Etappen des Service-Design-Prozesses werden hierbei als Konzeptentwicklungsphasen verstanden. In diesen ersten Phasen wird entdeckt, definiert, entwickelt, reflektiert und getestet. Das Ergebnis ist ein Konzept für den betrachteten Service.
In der Umsetzungsphase wird aus dem Konzept ein Serviceprodukt. Innerhalb aller Phasen kommen verschiedene Werkzeuge und Methoden zum Einsatz, die je nach Zielsetzung und Anforderungen des Projektes ausgewählt und flexibel eingesetzt werden. Sie können dabei durch bereits in der Organisation des Auftraggebers vorhandene Daten und Methodenkompetenzen unterstützt werden.
Abbildung 2: „Service Design Prozess 4+1“ nach dem Münchberger Modell3
Entdecken
In dieser Phase werden die direkten und indirekten Stakeholder geklärt, und es wird definiert, welche Zielgruppe(n) man erreichen möchte. Dann geht es darum, die Problemstellung aus der Nutzerperspektive umfassend zu verstehen. Dabei werden das Servicesystem, alle bekannten Einflussfaktoren, Akteure, Prozesse und Beziehungen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die Bedürfnisse, Sichtweisen und Motivationen von Servicenutzern, aber auch von Mitarbeitern des Serviceanbieters werden erhoben – unter anderem durch Begleiten, Beobachten und Interviewen von Stakeholdern in ihrem Umfeld.
Definieren
In der zweiten Phase werden Ursachen und Zusammenhänge, Optimierungs- und Innovationspotenziale und Rechercheergebnisse beschrieben und visualisiert. Dazu dienen Techniken wie zum Beispiel „Personas“ und „Customer Journeys“, mit deren Hilfe Informationen verständlich aufbereitet werden können und eine valide Informationsbasis für die Ideenfindung nachfolgender Phasen geschaffen werden kann. Identifizierte Möglichkeiten und Problemfelder sind die Grundlage zur Ableitung von Handlungsfeldern, die das Projektvorhaben bestimmen. Darauf basierend wird der Projektplan entworfen, inklusive der Projektdauer, der Projektabschnitte und der vereinbarten Zwischenziele. Zudem werden Vorgehensweisen und Methoden ausgewählt, bei Bedarf angepasst und ein geeignetes Projektteam zusammengestellt.
Entwickeln
In der Entwicklungsphase geht es darum, Erkenntnisse in Potenziale für Lösungen zu übersetzen. Dazu wird ein Katalog von Innovationsansätzen erarbeitet. In Co-Creation-Workshops werden externe Ideengeber, wie zum Beispiel Kunden oder andere Stakeholder, einbezogen, die weitere Perspektiven einbringen. So entsteht eine Ideensammlung, die möglichst viele Aspekte berücksichtigt. Hierbei wird zunächst von Überlegungen zu wirtschaftlicher Machbarkeit oder technischer Durchführbarkeit abgesehen, um zunächst auch abwegig erscheinende Konzepte zuzulassen. Mit der Erstellung eines Serviceentwurfs (Service- Blueprint) wird eine Visualisierung des Serviceprozesses möglich, damit der Prozess aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden kann.
Testen
In der Testphase werden die entwickelten Konzepte auf ihre (auch technische) Umsetzbarkeit, wirtschaftliche Rentabilität und Gebrauchstauglichkeit geprüft. Frühes und schnelles Testen mithilfe einfacher und kostengünstiger Prototypen macht schnell Einschränkungen und Verbesserungspotenziale sichtbar. Hierfür werden die Konzepte in einem kleinen, aber möglichst realistischen Rahmen umgesetzt, bewertet und nach Bedarf verfeinert. Funktionsprototypen können aus Papier oder Alltagsobjekten erstellt, Serviceabläufe zum Beispiel mit Bausteinen oder Rollenspielen erprobt werden. Das Feedback realer Nutzer zeigt schnell, ob Konzepte funktionieren und angenommen werden und wie stabil, verständlich und alltagstauglich sie in der Realität sein werden. Diese Prototypen werden so lange adaptiert, bis der Prozessablauf tauglich erscheint.
Umsetzen
Zur Implementierung des Konzepts werden die Komponenten im Detail ausgearbeitet, die Umsetzung wird geplant und schließlich gemeinsam mit allen Beteiligten durchgeführt. Diese Umsetzungsphase findet auf Basis der ersten vier Phasen statt, die zusammen als Konzept-Entwicklungsphase zu verstehen sind, in der erforscht, definiert, reflektiert und getestet wird. Erst in der letzten Phase findet eine Umsetzung statt, die aus dem Entwicklungskonzept ein tatsächliches Serviceprodukt werden lässt.
Fazit
Service Design kann – wie dieser Artikel zeigt – eine Schnittstelle zwischen Business, Design und Technologie bilden, um Dienstleistungen zu entwickeln, die sowohl für Kunden als auch für Mitarbeiter und die serviceerbringende Organisation von Vorteil sind. Indem die richtigen Talente für die Bearbeitung von Aufgaben eingesetzt werden, werden Stresssituationen verringert, die Effizienz und Effektivität erhöht und die Zufriedenheit der Kunden gesteigert. Angesichts des demografischen Wandels, der einerseits Mitarbeiter immer rarer und wertvoller macht, andererseits die Aufgabendichte bei jedem Einzelnen erhöht, ist dieser Ansatz nicht zu unterschätzen. Ein intelligentes Service Design hilft also, Hindernisse in Arbeits- und Prozessabläufen für alle Beteiligten aus dem Weg zu räumen.
Quellenangaben:
1 Birgit Mager, Michael Gais: Service Design, UTB 20091 Birgit Mager, Michael Gais: Service Design, UTB 2009
2 Prinzipien des Service Design, https://app.designpilot.io/tool-277-service-design#&gid=1&pid=1
3 Service Design is making Sense, eBook, https://designismakingsense.de/shop/ebook-service-design-is-making-sense/