Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2019
von Uwe Koblitz
Status Quo
Die „Citizen Journey“, also die erlebte Interaktion zwischen Bürger und Behörde, soll den Bürgern – so der Idealfall – ein nahtloses und effizientes Erleben vom ersten Kontakt bis zur Erfüllung ihrer Anliegen bieten. Die Realität sieht häufig anders aus und ähnelt häufig eher einer Reise mit Hindernissen mit zahlreichen Staus.
Den Menschen, die eine Citizen Journey antreten möchten (oder müssen), stehen laut eGovernment MONITOR 2018 mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: der Zugriff auf eine Behördenwebsite, der Anruf bei einem Callcenter, das Schreiben einer E-Mail oder eines Briefes oder der persönliche Besuch bei der Behörde. Letzteres ist in Deutschland derzeit (noch) die am stärksten genutzte Option. Grund genug, diesen Kontaktkanal genauer zu beleuchten und Alternativen aufzuzeigen, mit denen zukünftig eine „stau- und frustrationsfreie Reise“ möglich ist.
Die Ziele für eine bessere Citizen Journey: Mehr Online, mehr Effizienz, mehr Service
Um die Citizen Journey unkomplizierter und zeitlich unabhängiger zu machen, ist das erste Ziel, die Bürger zu motivieren, verstärkt die digitalen Behördenangebote zu nutzen. Gerade für den ersten Schritt – Information – stellen die Behörden ihren Kunden bereits ein reichhaltiges Onlineangebot zur Verfügung, das ohne große Barrieren genutzt werden und den Behörden eine deutliche Entlastung verschaffen kann.
Ein zweites Ziel ist, den Kanal „Persönlich bei der Behörde“ effizienter auszurichten. Denn trotz gleichbleibendem oder schrumpfendem Personalstamm müssen Behörden in Zukunft für immer mehr Kunden da sein.
Ein drittes Ziel ist, einen verbesserten und passgenaueren Kundenservice zu bieten. Die Erwartungen einer auf der einen Seite alternden und auf der anderen Seite onlineaffinen jüngeren Gesellschaft unterscheiden sich zum Teil erheblich. Auch in Zukunft müssen daher mehrere Kanäle angeboten werden, die den Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe gerecht werden. Dazu gehören beispielsweise Besuche einer Behörde vor Ort in Altersheimen, in der Immatrikulationsphase bei Universitäten oder auch in Justizvollzugsanstalten, um die spezifischen Belange dieser Gruppen abzudecken.
Maßnahmen
Um zu ermitteln, mit welchen Maßnahmen Behörden diese Ziele erreichen können, lohnt sich ein genauerer Blick auf die einzelnen Stationen eines persönlichen Behördenbesuchs.
1. Station: Dienstleistung wählen
Die Auswahl der Dienstleistung geschieht idealerweise über einen Portalverbund von Bund, Ländern oder Kommunen. Diese Portale bieten einen guten Überblick über die angebotenen Dienstleistungen, nach denen entweder über Stichworte oder nach Lebenslagen gesucht werden kann. In Zukunft werden bei der Suche vermehrt Chatbots zum Einsatz kommen. Sie liefern ausführliche Beschreibungen für die einzelnen Dienstleistungen, ergänzt mit den dafür erforderlichen Unterlagen und der Information, ob die Dienstleistung bereits online abgeschlossen werden kann.
Für den Bürger wird es immer ein Abwägen sein, wie er schneller und mit weniger Aufwand zum Ziel kommt: online oder durch einen Behördenbesuch. Um den Übergang von persönlichen Behördenbesuchen zu Onlinedienstleistungen zu ebnen, müssen die Onlineangebote der Behörden so einfach wie möglich gestaltet werden.
Abbildung 1: Citizen Journey: Ablauf von deutschen Behördengängen (Quelle: Initiative D21, eGovernment MONITOR 2018, S. 32)
Bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde stehen den Kunden weitere Optionen, wie zum Beispiel Dolmetscher oder Unterstützung bei Behinderungen zur Verfügung.
Eine weitere Möglichkeit, die benötigte Dienstleistung auszuwählen, ist ein Anruf über die bundeseinheitliche Behördenrufnummer 115 oder über behördenspezifische Rufnummern. Die Mitarbeiter in den Callcentern können die Kunden dann entweder direkt auf den Onlinekanal verweisen oder, nach einer Beratung, einen Termin mit einer Behörde vereinbaren.
Der für die Behörden und Bürger gleichermaßen ungünstigste Fall, eine Dienstleistung zu wählen, ist der direkte Gang zum Amt. Dieses Vorgehen bedeutet für Behörden den höchsten Aufwand, sorgt für lange Wartezeiten des Kunden und nicht selten für Frustration seitens des Kunden und des Sachbearbeiters aufgrund fehlender Unterlagen oder Informationen. Doch genau dieses Vorgehen ist für die Bürger der gewohnte und gelernte Weg, um eine Behördenleistung zu bekommen. Entsprechend hoch ist der Informations- und Überzeugungsaufwand, um dieses Verhalten zu ändern. Hierfür bieten sich zum Beispiel Informationskampagnen an die Haushalte oder über lokale Medien an. Auch die Behörden müssen Informationen zu ihren digitalen Angeboten und den Vorteilen, die sich daraus für den Bürger ergeben, bereithalten. Ziel ist, spontane Besuche bei den Behörden auf Ausnahme- und Notfälle zu reduzieren.
Abbildung 2: Citizen Journey: „Persönlich bei der Behörde“ mit Online-Terminvereinbarung (Ablaufprozessbild)
2. Station: Freien Termin wählen
Auf die Wahl der benötigten Dienstleistung folgt die Wahl eines freien Termins. Fast alle Behörden mit starkem Publikumsverkehr setzen mittlerweile auf digitale Terminvereinbarungssysteme (TV-Systeme). Auch per Telefon oder über ein Callcenter können Termine vereinbart werden.
Der Anspruch an das Terminvereinbarungssystem ist, dem Bürger den frühestmöglichen Termin in Kombination mit dem passenden Ort anzuzeigen. Bei mehreren geeigneten Behördenorten sollten die Terminkalender aller entsprechenden Orte angezeigt werden. Dazu muss die Behörde den Terminkalender nach einem gewissen Schema mit freien Terminen versorgen. Ein Schema könnte zum Beispiel sein, Termine schon mehrere Monate im Voraus anzubieten, zwei Wochen vorher weitere Terminkontingente freizugeben und auch noch tagesaktuell Termine freizuschalten. So werden die Bedürfnisse von langfristig, mittelfristig und kurzfristig planenden Bürgern berücksichtigt.
Für die Bestätigung der Terminwahl kann, nachdem der Bürger seine Kontaktdaten ausgefüllt hat, eine E-Mail mit Aktivierungslink versendet werden. Erst wenn er diesen Aktivierungslink anklickt, erhält er auch die Terminbestätigung sowie entsprechende Links zum Stornieren und Verschieben des Termins. Dieses zweistufige Verfahren (Aktivieren und Bestätigen) vermeidet Fehlerquellen, wie falsche E-Mail-Adressen, und sichert dem Bürger eine gewisse Flexibilität zu. In München, wo dieses Verfahren bereits eingesetzt wird, konnte so die „No-Show-Rate“ (Bürger kommt nicht zum vereinbarten Termin und hat ihn auch nicht abgesagt oder verschoben) auf etwa sechs Prozent gesenkt werden. Der einstufige Weg, ohne Aktivierungslink, ist zwar für den Antragsteller etwas weniger aufwendig, führt aber zu einer höheren „No-Show-Rate“ bei der Behörde.
Abbildung 3: Online-Terminvereinbarung aus Kundensicht
3. Station: Behörde besuchen
Check-in-Automaten, an denen sich die Kunden beim Eintreffen in der Behörde anmelden können, vermeiden unnötige Wartezeiten wegen „No-Shows“. Weiterer Vorteil: Die Automaten können Aufrufnummern mit dynamisch gewählter Wartezone vergeben, was besonders bei nur temporär verfügbaren Wartezonen, Umbauarbeiten oder Ähnlichem nützlich ist. Eine gute Ausschilderung und übersichtliche Lagepläne tragen das Ihre dazu bei, damit sich die Bürger in der Behörde zurechtfinden. Kommen Bürger ohne vorher vereinbarten Termin, können sie an einem Service-Point mit einer Wartenummer oder einem Tagestermin versorgt werden. Allerdings besteht hier immer die Gefahr, dass keine Termine mehr am selben Tag verfügbar sind.
Die Zeit in der Wartezone kann zum Beispiel für das Erfassen von biometrischen Daten, wie Gesichtsbildern und Fingerabdrücken für Personalausweis und Reisepass, oder für Bezahlvorgänge (Kassenautomaten) genutzt werden, die dem Sachbearbeiter dann während der Beratung schon vorliegen. Videowände in der Wartezone bieten die Möglichkeit, über weitere Serviceleistungen oder andere eGovernment-Dienstleistungen zu informieren – eine gute Möglichkeit, den Bürger für das Nutzen der digitalen Angebote bei seinem nächsten Anliegen zu motivieren.
4. Station: Büro aufsuchen
Die Beratung erfolgt im Büro des Sachbearbeiters. Kurze Wegzeiten ohne Stockwerkwechsel von der Wartezone zum entsprechenden Büro helfen, die Bearbeitungszeiten im Rahmen zu halten. Der Sachbearbeiter hat jetzt die Möglichkeit, auf die bereits in der Wartezone erfassten Daten zuzugreifen und damit die Sachbearbeitung zu verkürzen.
5. Station: Feedback geben
Mit einer gezielten Feedbackabfrage nach dem Behördenbesuch können Verbesserungspotenziale bei den Dienstleistungen identifiziert werden. Gerade bei neuen Angeboten sind so zeitnah Rückkopplungen möglich, wie diese Dienstleistungen beim Bürger ankommen.
Nachdem die Tendenz immer mehr weg von den starren und einfachen Dienstleistungen hin zu mehr Beratung in Lebenslagen geht, gibt das Feedback den Behörden die Möglichkeit zu lernen und erfolgreicher zu werden. Die Kopplung an eine bestimmte Dienstleistung und an einen bestimmten Ort über das Terminvereinbarungssystem erlaubt genauere Auswertungsmöglichkeiten, als es bisher über die allgemeinen Beschwerdestellen möglich ist, bei denen dieser Bezug oft nicht gegeben ist.
Fazit
Auch wenn Bürger den Kontaktkanal „Persönlich bei der Behörde“ weiterhin nutzen möchten und auch wenn er zukünftig seine Berechtigung hat, sollte er als Sprungbrett zu den Onlineangeboten der Behörden genutzt werden. Das funktioniert allerdings nur, wenn der persönliche Besuch mittels digitaler Elemente effizient ausgestaltet und intelligent genutzt wird. Wichtige Systeme stehen hierfür bereits zur Verfügung. So kann zum Beispiel die Auswahl der benötigten Dienstleistungen von Chatbots1 oder über Behördenplattformen2 unterstützt werden. Spontanbesuche bei Behörden werden nur noch bei Notfällen akzeptiert werden. Der Bürger muss sich also im Vorfeld überlegen, welche Dienstleistung er benötigt und ob er dafür einen Termin reservieren will oder sie doch gleich besser online erledigt. Im Idealfall können sie bereits an dieser Stelle auf den Onlinekanal geleitet und dort auch gehalten werden. Direkt vor Ort reduzieren Check-in-Automaten den Aufwand für die Sachbearbeiter und sorgen für mehr Planungssicherheit bei Terminen. Videoinformationen im Wartebereich können auf Onlineangebote aufmerksam machen und die Akzeptanz steigern. Auf diese Weise können zumindest ein Teil des zukünftigen Bürgerverkehrs auf die digitalen Plattformen umgeleitet und Freiräume bei Behörden geschaffen werden, die es erlauben, ein zeitgemäßes und bürgernahes Dienstleistungsspektrum aufzubauen.
Quellenangaben:
1 Zum Beispiel bei der finnischen Einwanderungsbehörde https://migri.fi/en/home
2 Zum Beispiel Plattform für Online-Services der Stadt München https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/IT-Referat/Projekt-E--und-Open-Government/Online-Services.html