Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2020
von Sebastian Jensch und Florian Breitenbach
Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG) verpflichtet Bund und Länder zum elektronischen Angebot ihrer Verwaltungsleistungen. Hierdurch sollen die Prozesse zwischen den staatlichen Institutionen und zu den Bürgern und Unternehmen verbessert werden.
Bei der Umsetzung von Onlineleistungen im Sinne des OZG kommen häufig Plattformen zum Einsatz. Die Erwartungen bei der Nutzung von Plattformen sind unter anderem eine Minimierung der Betriebskosten durch übergreifende Nachnutzung und Standardisierung der einzelnen Komponenten und Schnittstellen, die damit auch verbundene Beschleunigung der Umsetzung der Onlineangebote sowie die Erhöhung der Sicherheit. Neben der Umsetzung des OZG werden Plattformen auch als Basis für die Realisierung von Fachanwendungen und Fachportalen oder ganzen Verfahrenslandschaften herangezogen. Neben den diversen Artikeln zu Ebenen von Plattformen, Technologien, Komponenten oder Entwicklungsmodellen sind Erfahrungsberichte zu Steuerungsprozessen für das Management von Plattformen rar. Im vorliegenden Artikel wird daher am Beispiel von Plattformen zur Umsetzung von Online-Leistungen ein Blick auf die Steuerungsprozesse im Lebenszyklus einer Plattform und deren Herausforderungen geworfen.
Abbildung 1: Häufige Komponenten einer Plattform
Plattformen
Zur Umsetzung von Onlineleistungen werden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene häufig Plattformen eingesetzt, die typischerweise im Kern folgende Komponenten beinhalten (siehe Abbildung 1):
1. Portal: Es übernimmt die Einbettung in die jeweiligen Bundes-, Landes- und kommunalen Portale häufig inklusive Leistungskataloge, Suchfunktion und Kontaktmöglichkeiten, wie zum Beispiel zur Terminvergabe (seamless omnichannel).
2. Authentifizierung: Nutzer- beziehungsweise Servicekonto, es übernimmt die Authentifizierung von Nutzern in Verbindung mit der elektronischen ID (eID) des „Neuen Personalausweises“ (nPA).
3. Kommunikation: Austausch von Nachrichten und Informationen oder sogar Dokumenten zwischen Antragsstellenden und Antragsbearbeitenden
4. Antrags- und Fallmanagement: Onlineantragsverfahren inklusive Antragsübersicht
5. Bezahlfunktion: sofern in Anträgen benötigt
6. Integrationskomponente: zum Austausch von Daten mit den beteiligten Systemen der Fachverfahren
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ITIL (IT Infrastructure Library)
ITIL ist ein Best-Practice-Framework, das in erster Linie die Einrichtung eines IT-Service-Managements (ITSM) unterstützt. ITIL kann jedoch auch zur Einrichtung einer IT-Governance einen Beitrag leisten, da COBIT die Beziehung zu den Kunden nicht so explizit wie ITIL thematisiert. Mittlerweile gilt ITIL als De-facto-Standard für das ITSM. Ein wichtiger Nutzen von ITIL liegt in der Bereitstellung einer gemeinsamen, die Kommunikation vereinfachenden Terminologie für das ITSM. Die ITIL-Dokumentation ist, anders als COBIT, nur in Form von kostenpflichtigen englischsprachigen Büchern erhältlich.1
COBIT
COBIT ist ein sogenanntes Best-Practice-Framework, das eine Serie von Werkzeugen enthält. Die aktuelle Version von COBIT ist COBIT5. Der Name erklärt sich allerdings aus den Vorgängerversionen, die im Kern eine Anzahl von Steuerungsobjekten (Control Objectives) als Ziele des IT-Managements definierten, sodass diese für die Best Practice als Control Objectives for Information and related Technology (COBIT) namensgebend wurden. In der aktuellen Version arbeitet COBIT allerdings nicht mehr mit Steuerungsobjekten, und COBIT ist ein reiner Eigenname. COBIT wird vom IT-Governance Institute, einem 1998 gegründeten Verbund verschiedener Unternehmen und anderer Organisationen, laufend weiterentwickelt.2
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In anderen „Branchen“ wie zum Beispiel bei Versicherungen oder Banken werden über solche Plattformen komplette Geschäftsmodelle abgewickelt.
Organisatorische Verankerung der Steuerung von Plattformen
Die organisatorische Verankerung der Steuerungsprozesse erfolgt meist über nachfolgend beschriebene Modelle. Am häufigsten werden die Steuerungsprozesse durch die Fachseite beispielsweise in einer Stabsstelle „Digitalisierung“ oder durch den CDO/CIO übernommen. Alternativ dazu kann die Steuerungsverantwortung auch beim lokalen IT-Dienstleister liegen. Eher selten wird die Verantwortung auf verschiedene Organisationen aufgeteilt.
Adaption von Prozessrahmenwerken
Für eine erste gesamtheitliche Übersicht möglicher Steuerungsprozesse kann auf bestehende Prozessrahmenwerke zurückgegriffen werden. In Abhängigkeit zur Auswahl der beschriebenen organisatorischen Verankerung kann die Auswahl eines Prozessrahmenwerks ausfallen. Bei Verantwortungsübernahme durch den zentralen IT-Dienstleister muss sich die umsetzende Organisationseinheit in dessen bestehende Prozessstruktur eingliedern. Die Organisation kann hierbei auf Grundlage eines ITIL-Rahmenwerkes erfolgen. Bei einer Herangehensweise aus fachlicher Sicht kann eine Umsetzung durch ausgewählte Bausteine des COBIT-Rahmenwerks erfolgen. Diese werden für die Spezifika der Verwaltung und deren IT-Governance angepasst. Die Steuerung der Plattform erfolgt bei diesem Ansatz aus einer Organisationseinheit der Verwaltung selbst. Dieser Ansatz wird im Weiteren betrachtet und die Herausforderung bei der Einführung beschrieben.
Auswahl zentraler Managementprozesse
Hat man ein Prozessrahmenwerk zur Adaption ausgewählt, sind unterschiedliche Ebenen bei der weiteren Ausgestaltung der Steuerungsprozesse zu betrachten. Zur strategischen Planungsebene gehört das Management der übergreifenden Strategie, die meist in einer E-Government-, Digital- oder OZG-Umsetzungsstrategie zusammengefasst wird, sowie die übergreifende Finanz- und Personalplanung.
Das Management der Beziehung des Plattformverantwortlichen zu den Bedarfsträgern ist ein Kernprozess der Steuerung von Plattformen, um das gemeinsame Ziel der übergreifenden Nutzung der Plattformkomponenten sowie die Optimierung der Verwaltungsleistungen zu erreichen. Die Bedarfsträger sind die Fachverwaltungen, die für ihre Kunden (zum Beispiel Bürger und Unternehmen) Leistungen der Plattform nutzen. In diesem Prozess werden die zukünftigen Anforderungen sowohl technischer als auch fachlicher Art an die Plattform identifiziert, und anzugehende Innovationen werden ausgearbeitet.
Zentraler Steuerungsprozess ist das Management der Funktionen der Plattform. Hiervon sind weitere „interne“ Prozesse wie das Versionsmanagement, die Test- und Deploymentplanung sowie das Änderungsmanagement direkt betroffen. Die Projekte zur Umsetzung von Funktionserweiterungen der Plattform oder Kundenanforderungen sind zentral zu überwachen. Als Beispiel hierfür sei auf den Artikel „Eine Fertigungsstraße für digitale Formulare“ verwiesen (siehe Seite 34 ff.). Zu Planung, Konzeption, Umsetzung und Betrieb von Plattformen wird häufig auf einen Pool an Dienstleistern zurückgegriffen. Die Leistungen inklusive der Verträge, insbesondere hinsichtlich vereinbarter Qualitätsstandards, sind ebenfalls Teil der Kernsteuerungsprozesse der Plattform.
Herausforderungen und Umsetzungsempfehlungen
Die einzelnen Steuerungsprozesse müssen beim Aufbau der Organisationseinheit sukzessive beschrieben und deren Prozessschnittstellen untereinander herausgearbeitet werden. Die hieraus entstehende Komplexität der Managementprozesse wird durch die Vielzahl der verschiedenen Komponenten der Plattform, die von externen Lieferanten auf Basis ihrer Produkte in die Plattformbereitstellung einfließen, noch verstärkt.
Abbildung 2: Auszug zentrale Steuerungsprozesse
Managen der Lieferanten
Werden für die Plattform Produkte verschiedener Lieferanten eingesetzt und deren Produkte integriert, so können mit zunehmendem Grad der Integration die Produkte nicht mehr isoliert betrachtet werden. Im Idealzustand verstehen sich daher alle Lieferanten als ein Lieferant einer Plattformkomponente von vielen. Dieses Verständnis fördert und fordert eine ganzheitliche Sicht auf die Plattform unter den Lieferanten. Ziel ist dabei beispielsweise ein Bewusstsein der jeweiligen Abhängigkeiten ihres Produkts zu anderen Plattformkomponenten. Bei Änderungen an ihrem Produkt und damit einer Komponente der Plattform können deren Auswirkungen auf den Gesamtfunktionsumfang unmittelbar erkannt und besser gesteuert werden.
Für den Erfolg einer Plattform in einem solchen Integrationsszenario ist somit eine Multi-Lieferanten-Strategie maßgeblich. Ziele einer solchen Strategie sind die verbesserte Leistungssteuerung der Lieferanten und die geeignete Reaktion auf Risiken. Ein wichtiges Werkzeug ist dabei die Schaffung eines Kommunikationsprozesses zum fachlichen und technischen Austausch zu den Produkteigenschaften zwischen den Lieferanten im Sinne der Gesamtstrategie der Plattform. Aber auch der Austausch der Lieferanten selbst durch andere Lieferanten kann hierdurch sichergestellt werden.
Von der Anforderung zum Betrieb – und wieder zurück
Zwischen Anforderungstragenden, Umsetzenden und Betreibenden besteht idealerweise eine enge Kommunikation und ein gleiches Verständnis mit Blick auf die Plattform. Wird im Betrieb bereits auf ein „DevOps“-Verfahren gesetzt, so unterstützt die Analyse von Tickets durch Umsetzenden und Betreibenden das Verständnis der Nutzung einzelner Funktionen durch die Anforderungstragenden.
Abbildung 3: Übergreifendes Lieferantenmanagement
Hat man bei der Plattformbereitstellung bereits Erfahrungen und Erfolge mit der agilen Arbeitsweise gemacht, so liegen hohe Optimierungspotenziale in der Zusammenführung von Anforderungstragenden der Fachseite, Entwickler und Betrieb im Sinne eines „BizDevOps“.
Weiterentwicklung des Leistungsportfolios steuern
Um die Weiterentwicklung der einzelnen Plattformkomponenten transparent zu gestalten, ist ein übergreifendes Versionsmanagement ein geeignetes Mittel. Hierdurch wird sichergestellt, dass Änderungen in den Plattformkomponenten getestet und abgenommen werden und zu einer neuen Version der Plattform führen.
Die Entwicklung der einzelnen Komponenten kann dabei im ersten Schritt unabhängig erfolgen (Produktlebenszyklus bei den Lieferanten). Die Kompatibilität zwischen den einzelnen Komponenten muss jedoch in den jeweiligen Versionen der Gesamtplattform sichergestellt werden.
Fachverwaltungen vernetzen
Eine zentrale Plattformbereitstellung durch die Fachverwaltung ist mit der Erfüllung der verwaltungsseitigen Ziele verbunden. Die Erzeugung einer gemeinsamen generischen Zielstellung für die Bedarfsträger beispielsweise. zur Bereitstellung von Verwaltungsleistungen im Sinne des OZG ermöglicht die gemeinsame Nutzung der Plattform.
Zusätzlich profitieren alle Plattformnutzenden von „Innovationsinseln“, wenn beispielsweise erste Verwaltungsleistungen untereinander verknüpft oder Informationen bilateral ausgetauscht werden (Once-Only) und diese Lösungen dann in der Plattform bereitgestellt werden.
Fazit
Ganzheitliche Steuerungsprozesse sichern den Erfolg einer Plattform insbesondere bei der Umsetzung des OZG. Diese sorgen für das funktionierende Zusammenspiel der einzelnen Komponenten untereinander sowie auch für die nachhaltige Bereitstellung neuer Funktionen. Schwerpunkte der Steuerungsprozesse sollten dabei auf der Steuerung der Synchronisation der Lieferanten horizontal sowie vertikal zwischen Anforderungstragenden, Lieferanten und Betreibenden liegen.
1,2 Quelle: Olaf Resch: Einführung in das IT-Management (2016)