Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2020
von Anja Marx
Die Digitalisierung steht in Konkurrenz zu gewachsenen Strukturen und gewohnten Handlungsweisen der Beteiligten. Gleichzeitig forcieren gesetzliche Bestimmungen, technische Entwicklungen und gesellschaftliche Erwartungen die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und verändern zwangsläufig die dortigen Arbeitsroutinen und Anforderungsprofile.
Im Spannungsfeld zwischen gewachsenen Strukturen und steigenden Anforderungen
In der Evaluierung des „Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung“ und weiterer Vorschriften unterrichtete die Bundesregierung den Bundestag im März 2019 darüber, dass der Umsetzungsstand in der Digitalisierung „insgesamt gering“1 sei. Gemäß dieser Evaluierung sehen sich 97 Prozent der Verwaltungen, die zur Implementation verpflichtet sind, Schwierigkeiten bei der Umsetzung ausgesetzt. Zu den fünf größten Herausforderungen zählen sie dabei „die fehlende Digitalisierungskompetenz bei den Beschäftigten der Verwaltung“2.
Die Digitalisierung steht in Konkurrenz zu gewachsenen Strukturen und gewohnten Handlungsweisen der Beteiligten. Dies kann zu Verunsicherungen und Abwehrhaltungen führen. Gleichzeitig forcieren gesetzliche Bestimmungen, technische Entwicklungen und gesellschaftliche Erwartungen die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und verändern zwangsläufig die dortigen Arbeitsroutinen und Anforderungsprofile. Das digitalisierte Arbeitsumfeld erfordert damit von Beschäftigten nahezu aller Ebenen neue Kompetenzen, die bislang allerdings nicht oder kaum Gegenstand ihrer Ausbildung sind.3
Vor diesem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen der Arbeitswelt gewinnt das Konzept des Job Craftings praktische und theoretische Relevanz. Job Crafting – allgemein als „Arbeitsplatzgestaltung“ übersetzt – ist eine relativ junge, aus der Organisationspsychologie stammende Theorie. Sie befasst sich mit der aktiven Arbeitsplatzgestaltung durch die Beschäftigten und wird als eine Antwort auf die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit gesehen. Sozusagen eine „employees strategy to survive uncertain job environments”4, mit der die Beschäftigten ganz konkret die Passung zwischen ihren individuellen Bedürfnissen und der eigenen Arbeit verbessern können. Hierin liegt auch eine wesentliche Neuerung des Ansatzes, denn traditionelle Job-Redesign-Ansätze sind in der Regel top-down organisiert. Das heißt, die Organisation gibt Arbeitsstrukturen und -inhalte vor und verändert sie gegebenenfalls, um beispielsweise die Effizienz oder das Engagement der Beschäftigten zu erhöhen. Doch viele dieser Ansätze haben sich im Kontext einer zunehmend dynamischen Arbeitswelt als unzureichend erwiesen. Hier sollen Bottom-up-Ansätze wie das Job Crafting für Verbesserungen sorgen. Gleichzeitig – so die Hoffnung der Organisation – können durch selbstgesteuerte Lern- und Gestaltungsprozesse die beruflichen Fertigkeiten und Kompetenzen auf einem optimalen Level gehalten, beziehungsweise auf dieses gehoben werden.
Insgesamt existieren unterschiedliche Definitionen und Betrachtungsweisen zum Job Crafting. Diese verschiedenen theoretischen Ansätze wurden 2019 von Forschern in einem Prozessmodell zusammengeführt. Darin unterscheiden sie grundlegend die folgenden fünf Dimensionen:
- Job-Crafting-Formen
- Job-Crafting-Motive
- Job-Crafting-Kontextbedingungen
- Persönliche Job-Crafting-Faktoren
- Job-Crafting-Konsequenzen
Job Crafting in der öffentlichen Verwaltung
Job Crafting im Kontext der öffentlichen Verwaltung war bislang kaum, beziehungsweise gar nicht Gegenstand von Untersuchungen. Das überrascht insofern, als dass Job Crafting sowohl für Führungskräfte als auch für die Beratung ein hilfreiches Instrument sein kann, um das Verhalten von Beschäftigten beim Umgang mit den Veränderungen im Zuge der Digitalisierung zu verstehen und sie dabei zu unterstützen. Wenngleich Job Crafting grundsätzlich einen Bottom-up-Ansatz darstellt, bilden insbesondere die Kontextbedingungen Ansatzpunkte, über die das Job-Crafting-Verhalten beeinflusst werden kann. Führungskräfte und Berater müssen allerdings berücksichtigen, dass Job Crafting nicht per se wünschenswert ist: Von der Forschung wurden sowohl positive (Approach Crafting) als auch negative Effekte (Avoidance Crafting) nachgewiesen.
Befragung von Beschäftigten einer deutschen Kommunalverwaltung
Um zu untersuchen, mit welchen Strategien die Beschäftigten auf die digitale Transformation der Verwaltung reagieren (Job-Crafting-Formen) und welche Kontextbedingungen sie dabei beeinflussen, wurden im Rahmen einer Studie halbstrukturierte Interviews mit insgesamt zehn Führungskräften und Sachbearbeitern einer deutschen Stadtverwaltung geführt und anschließend qualitativ ausgewertet. Folgende zentrale Beobachtungen wurden dabei gemacht:
Job-Crafting-Formen – Annäherungsverhalten
Die befragten Verwaltungsmitarbeiter schilderten sowohl Verhalten des Approach- als auch des Avoidance-Craftings im Umgang mit einer zunehmenden Digitalisierung. Dominierend im Umgang mit der Digitalisierung scheint unter den Befragten das Relational Approach Crafting.5 Demnach werden vor allem die Beziehung zu den Kolleginnen und Kollegen der eigenen Organisationsebene verstärkt: Sie haben oftmals die gleichen Probleme, und entsprechend erfolgt gegenseitige Hilfe und Unterstützung, gemeinsame Suche nach Informationen und aktive Bereitstellung von Informationen. Der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen wurde dabei von den meisten Befragten als Korrektiv zur zunehmenden Technisierung gesehen.
Im Bereich des Task Approach Crafting wurden professionelle Weiterentwicklung durch das Erweitern von Fähigkeiten und der Erwerb von neuem Wissen, sowohl durch Learning-by-doing als auch durch interne Schulungen, beschrieben. Mitunter besteht außerdem die Bereitschaft zur proaktiven Übernahme neuer, zusätzlicher Aufgaben. In den Gesprächen wurde dabei deutlich, dass Task Approach Crafting zwar mit Mehraufwand verbunden ist, dieser aber von einigen Beschäftigten – in Abhängigkeit freier Kapazitäten – in Kauf genommen wird. Hier zeigt sich eine enge Verbindung zu den Kontextbedingungen Arbeitsbelastung und Projektkultur. Schließlich zeigten sich auch Formen des Cognitive Approach Crafting, dem bewussten Verändern der Einstellung zu den Digitalisierungsthemen durch die Beschäftigten. Von Beschäftigten, die keine Berührungsängste in Bezug auf digitale Themen haben, wird der langfristige positive Nutzen der eigenen Anstrengungen gesehen. Zur kognitiven Gestaltung gehört hier auch die stärkere Orientierung auf den Nutzen für andere: einerseits als Dienstleister innerhalb der Verwaltung und andererseits für den Bürger außerhalb der Verwaltung. Dadurch wird die eigene Arbeit als bedeutsam(er) wahrgenommen.
Job-Crafting-Formen – Vermeidungsverhalten
Alle Gesprächspartner konnten aus eigener Erfahrung von Verhaltensweisen des Task Avoidance Crafting berichten. So versuchen einige Beschäftigte. die Arbeit mit neuer Software zu vermeiden. In jedem Fall würden sie, wenn möglich und so lange wie möglich, mit der alten Software arbeiten wollen. Eine weitere Vermeidungsstrategie wird im kategorischen Nein-Sagen gesehen. Demnach besteht wenig Offenheit für Neuerungen, häufig sogar direkte Ablehnung. Als weitere Form kann das Vermeiden von Verantwortung gesehen werden. Entsprechende Beschäftigte sind froh, wenn ein Kollege oder eine Kollegin Aufgaben übernimmt und sie selbst Verantwortung umgehen können. Cognitive Avoidance Crafting zeigte sich in verschiedenen Formen. So wird die Technisierung mitunter als Einschränkung der Autonomie wahrgenommen. Teilweise werden Einstellungen von der IT vorprogrammiert, die der User selbst nicht ändern kann. Außerdem führten Technikprobleme zu der Wahrnehmung, man sei „gehandicapt“. Eine weitere Vermeidung durch kognitive Gestaltung besteht in der fatalistischen Akzeptanz der als unvermeidlich angesehenen Veränderung. Demnach ist Digitalisierung „nicht aufzuhalten“, Beschäftigte sehen sich ihr eher „ausgeliefert“. Auf kognitiver Ebene wurde außerdem von Selbstzweifeln berichtet, mit denen Beschäftigte auf digitale Veränderung reagieren und die mit einer Angst vor Fehlern einhergehen. Schließlich zählt zu den kognitiven Vermeidungsstrategien auch ein emotionales
Job-Crafting-Formen (Nach Lazazzara, Tims und de Gennaro)6
Mit Rückgriff auf Theorien aus der Psychologie können zwei fundamentale Ansätze menschlicher Motivation für das Handeln unterschieden werden: einerseits das Streben, positive Zustände zu erreichen und andererseits das Streben, negative Zustände zu vermeiden. Job Crafting wird demnach in Annäherungs- (Approach) und Vermeidungsverhalten (Avoidance) unterschieden, die wiederum auf verschiedenen Ebenen stattfinden können.
Das Approach Crafting umfasst folgende Arten:
1. Task Approach Crafting (Annäherung durch Aufgabengestaltung), wie das Verändern der Aufgaben und der Organisation in der eigenen Arbeit, das Übernehmen neuer Aufgaben oder die Entwicklung neuer Fähigkeiten.
2. Relational Approach Crafting (Annäherung durch Beziehungsgestaltung), wie das Verändern von Arbeitskontakten, das Suchen von Unterstützung und Feedback oder das Bilden von beruflichen Netzwerken.
3. Cognitive Approach Crafting (Annäherung durch kognitive Gestaltung), wie das Verändern der eigenen Rollenwahrnehmung, die Betonung der positiven Aspekte der Arbeit oder die Fokussierung des Einflusses der eigenen Arbeit auf das Leben anderer Menschen oder den Erfolg der Organisation.
Das Avoidance Crafting umfasst entsprechend die folgenden Arten:
1. Task Avoidance Crafting (Vermeidung durch Aufgabengestaltung), wie das Reduzieren der Aufgabenmenge, der Belastung und der Verantwortlichkeiten, das Delegieren von Aufgaben oder das kategorische „Nein-Sagen“ im Allgemeinen.
2. Relational Avoidance Crafting (Vermeidung durch Beziehungsgestaltung), wie der soziale Rückzug, das Fernbleiben von Meetings und Treffen oder das Ignorieren eines Kunden.
3. Cognitive Avoidance Crafting (Vermeidung durch kognitive Gestaltung), wie die Akzeptanz von negativen Aspekten, die mentale Distanz zur eigenen Umwelt beziehungsweise zur Arbeit oder die Übertragung von Verantwortung auf die Kollegen.
Ergänzend sehen Lazazzara, Tims und de Gennaro noch die Form des Crafting in anderen Domänen. Hierzu zählen sie die Gestaltung der Work-Life-Balance, aber auch die Freizeitgestaltung.
Job-Crafting-Motive
Job-Crafting-Motive umfassen die Faktoren, die Individuen dazu motivieren, Job Crafting zu nutzen. Proaktive Motive verfolgen Beschäftigte, die Job Crafting initialisieren, um erstrebenswerte Ziele zu erreichen. Diese Ziele können dabei persönlicher oder beruflicher Natur sein. Der Grundgedanke, dass proaktive Menschen nicht nur auf ihre Umwelt und eventuelle Veränderungen in dieser reagieren, sondern auch versuchen, selbst Einfluss auf Ihre Umwelt zu nehmen, stellt eine Grundprämisse des Job Craftings dar. Reaktive Motive haben hingegen Job Crafter, die mit strukturellen oder arbeitsbezogenen Widrigkeiten fertig werden möchten. Zu diesen Widrigkeiten zählen etwa hoher Wettbewerbsdruck oder organisationale Veränderungen.
Kontextbedingungen
Durch die Kontextbedingungen werden die proaktiven beziehungsweise reaktiven Motive mit den Job-Crafting-Formen verbunden. Infolge von unterstützenden Kontextbedingungen (supportive context) wird Approach Crafting ermöglicht – und zwar sowohl für Job Crafter, die proaktive Motive verfolgen, als auch für jene mit reaktiven Motiven. Zu den unterstützenden Bedingungen zählen beispielsweise organisationale und soziale Unterstützung, hohe Flexibilität und Offenheit, Autonomie der Mitarbeiter und eine geteilte Organisationsidentität. Die gegenteiligen Bedingungen von schwacher Unterstützung, hohem Druck, in vorgeschriebener Weise zu handeln, wenig Flexibilität und Autonomie sowie hoher Arbeitsbelastung wirken hingegen einschränkend (constraining context). Einschränkende Kontextbedingungen führen meist zu Avoidance Crafting – unabhängig, ob proaktive oder reaktive Motive dahinterstehen. Demnach ist es unwahrscheinlicher, dass Mitarbeiter unter diesen Bedingungen Approach Crafting betreiben.
Persönliche Faktoren
Ob die Ergebnisse von Job Crafting positiv oder negativ sind, hängt vom individuellen Charakter der Job Crafter ab. Analog zu den Kontextbedingungen können dabei unterstützende (supportive personal factors) und einschränkende (constraining personal factors) Faktoren unterschieden werden. Selbstvertrauen, realistische Zielsetzung sowie Eigenschaften wie Zielorientierung und Widerstandsfähigkeit können zu den unterstützenden Faktoren gezählt werden. Einschränkend wirken hingegen ein Mangel an persönlichen Ressourcen (Zeit, Energie, Fähigkeiten), unrealistische Zielsetzungen und mangelndes Durchsetzungsvermögen.
Konsequenzen
In ihrem Modell beziehen Lazazzara, Tims und de Gennaro die Job- Crafting-Konsequenzen auf das Erreichen der intendierten Ziele. Dementsprechend kann Job Crafting in positiven Erfahrungen (zum Beispiel Bedeutsamkeit, Wohlbefinden, Engagement, Performancesteigerung) oder negativen Erfahrungen (beispielsweise Stress, Gesundheitsprobleme, Reue) resultieren. Avoidance Crafting wird dabei immer mit negativen Erfahrungen verbunden, während Approach Crafting in Abhängigkeit von den persönlichen Faktoren zu positiven oder negativen Erfahrungen führen kann.
Abbildung 1: Job-Crafting-Prozessmodell nach Lazazzra, Tims und de Gennaro
Festhalten am Alten, das sich zum Beispiel im Konflikt zwischen der Geschwindigkeit der Digitalisierung und dem Routinebedürfnis der Beschäftigten äußert.
Verhaltensstrategien des Relational Avoidance Crafting wurden in den Interviews nicht geschildert. Allenfalls wurde angesichts des Zeitdrucks und der hohen Arbeitsbelastung die Gefahr gesehen, dass zwischenmenschliche Kontakte in Zukunft abnehmen könnten. Vielmehr scheinen Beschäftigte, die bei Task Crafting und Cognitive Crafting dem Avoidance-Ansatz zuzuordnen sind, auf relationaler Ebene Approach Crafting zu betreiben. Insofern können Beschäftigte gleichzeitig Strategien beider Job-Crafting- Formen anwenden.
Kontextbedingungen
Die in den Interviews geschilderten Kontextbedingungen können in zwei Untergruppen geteilt werden:
1. organisationsspezifische Bedingungen, die unmittelbar das Handlungsumfeld für die Beschäftigten prägen, aber nicht notwendigerweise digitalisierungsbedingt sind,
2. organisationsübergreifende Rahmenbedingungen der Digitalisierung, die mittelbar die Beschäftigten betreffen.
Folgende Kontextbedingungen wurden im Rahmen der Interviews von den Befragten beschrieben. Je nach Ausgestaltung können sie als einschränkend oder unterstützend eingeordnet werden.
Qualitative Interviews sind gut geeignet, um persönliche Erfahrungen und Gedanken von Individuen in einem bestimmten situationellen Kontext zu verstehen. Die Interviewfragen wurden individuell an die jeweiligen Befragten angepasst. So wurden Sachbearbeiter zu ihrem Job-Crafting-Verhalten und ihren persönlichen Einstellungen und Erfahrungen zur Digitalisierung befragt. Die Interviewten, die sich in IT-koordinierender Position oder in Führungsverantwortung befinden, wurden zum einen zu ihren persönlichen Einstellungen gefragt, zum anderen aber auch zu dem von ihnen beobachteten Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Um eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Antworten der Befragten zu erreichen, wurde als beispielhaftes Digitalisierungsprojekt die Einführung der E-Akte thematisiert. |
Organisationsspezifische Kontextbedingungen
Kommunikation: Die Kommunikation im Zuge von Veränderungen wurde in allen Gesprächen als fundamental herausgestellt. Als Merkmale guter Kommunikation wurden von den Interviewpartnern die frühzeitige Einbindung aller Betroffenen, eine persönliche und direkte Kommunikation, eine einfache und verständliche Sprache sowie Ehrlichkeit und Transparenz – auch gegenüber den negativen Aspekten einer Veränderung genannt. Von einer Berücksichtigung dieser Punkte erwarteten sich die Gesprächspartner weniger Vermeidungsverhalten im Sinne von Blockade und Widerstand, während eine Vernachlässigung der Kommunikation gerade solches Verhalten fördern könne.
Arbeitsbelastung und Personalsituation: Als zweite entscheidende organisationale Kontextbedingung wurde von den Interviewpartnern die generelle Arbeitsbelastung genannt. So wurde dargestellt, dass die Übernahme von zusätzlichen Aufgaben für viele Beschäftigte nicht in Betracht gezogen wird, wenn die Arbeitsbelastung hoch ist. Gleichzeitig hängt die Belastung auch stark mit der Personalsituation zusammen. Zu wenig Personal im Allgemeinen und ein Mangel an IT-Fachkräften im Speziellen werden dabei als einschränkende Kontextfaktoren gesehen. Außerdem bedeuten Stellen, die lange unbesetzt bleiben, zusätzlichen Aufwand für die Beschäftigten. Deshalb müsse der öffentliche Dienst nach Ansicht einiger Befragten flexibler in der Einstellungspraxis werden. Insgesamt ist eine hohe Arbeitsbelastung eine einschränkende Bedingung, die Approach Crafting unwahrscheinlicher und Avoidance Crafting wahrscheinlicher macht.
(Soziale) Unterstützung: Eine weitere organisationale Kontextbedingung stellt der Grad an Unterstützung dar, den die Beschäftigten vonseiten der Organisation und von den Kolleginnen und Kollegen erhalten. So wird beispielsweise das Vorhandensein eines positiven Teamgedanken als Voraussetzung für die gegenseitige Hilfe (das heißt Relational Approach Crafting) gesehen. Das Vorhandensein von sozialer Unterstützung kann insofern als unterstützende Kontextbedingung gewertet werden.
Projektkultur: Ein Umfeld, das den Beschäftigten Anreize für Veränderungsvorhaben bietet, kann als eine spezielle Form von Unterstützung gesehen werden. Dabei erscheint das Etablieren einer Projektkultur, die das Freistellen für Projektaufgaben und das Schaffen von extrinsischen Anreizen beinhaltet, besonders fördernd. Dazu gehört auch der Aufbau einer Matrixorganisation und der Aufbau von Projektmanagementwissen in der Verwaltung.
Priorisierung des Veränderungsvorhabens: Eine weitere organisationale Kontextbedingung ist die Priorisierung des Veränderungsvorhabens. Demnach steigen für den Einzelnen die Kosten für Vermeidungsverhalten, wenn eine Veränderung mit Nachdruck von den höchsten Ebenen forciert wird.
Organisationsübergreifende Kontextbedingungen
Infrastruktur und technische Ausstattung: Neben die Qualität der vorhandenen digitalen Infrastruktur und Ausstattung treten weitere Aspekte. Dazu gehört zum Beispiel der Kostenaufwand für eine umfassende Hard- und Softwareausstattung aller Mitarbeiter. Außerdem zeitintensive Vergabeverfahren, ebenso wie der Prozess der Beteiligung aller Stellen. Weitere Aspekte sind die für die Bedürfnisse der Verwaltung nicht immer passende Marktverfügbarkeit beziehungsweise Funktionsweise der Software sowie die doppelte Datenhaltung beziehungsweise Aktenarbeit aufgrund der fehlenden Grundvoraussetzungen für die rein digitale Kommunikation mit den Bürgern.
HarmonisierungundKompatibilitätder technischenLösungen: Als zentrale Voraussetzung für ein effizientes digitales Arbeiten in der Verwaltung wurde die Harmonisierung und Kompatibilität der technischen Lösungen zwischen den Fachbereichen, den Hierarchieebenen und den Behörden herausgestellt. Hier offenbart sich eine Dilemmasituation: Einerseits wird betont, dass die Veränderungen hin zur digitalen Verwaltung nur inkrementell umgesetzt werden können, da sonst der Bruch für viele zu radikal und umfangreich sei. Andererseits entfalten digitale Prozesse ihr volles Effizienzpotenzial erst, wenn sie umfassend eingesetzt werden. Eine Interviewpartnerin fasste dieses Dilemma prägnant zusammen: „Die ganze Verwaltung müsste digital arbeiten, damit wir digital arbeiten können.“
Nutzen des Modells
Die Ergebnisse dieser Befragung können nicht ohne Einschränkungen auf andere Organisationen übertragen werden. Dennoch zeigen sie mögliche Handlungsfelder und stehen exemplarisch für das Potenzial des Modells. Über die Betrachtung relevanter Kontextfaktoren können Führungskräfte und/oder Berater Stellschrauben identifizieren, um das Approach Crafting der Beschäftigten zu unterstützen. Dies ist besonders relevant, da Beschäftigen in der Verwaltung im Vergleich zu denen in der Privatwirtschaft eine höhere Sicherheitsorientierung zugesprochen wird: „Der Durchschnittsmitarbeiter im Öffentlichen Dienst ist nicht entwicklungs-, sondern sicherheitsorientiert.“7 Somit kann vermutet werden, dass die Motivlage vieler Beschäftigten in der Verwaltung als reaktiv angesehen werden kann. Unterstützende Kontextfaktoren sind daher umso wichtiger, um das für die Organisation wünschenswerte und für die Beschäftigten positivere Approach Crafting zu fördern. Für den öffentlichen Sektor führt kein Weg an einem Auf- und Ausbau der digitalen Kompetenzen seiner Beschäftigten vorbei. Andernfalls drohen nicht nur die Verfehlung der vom Gesetzgeber definierten Ziele, sondern auch die Enttäuschung der von Wirtschaft und Gesellschaft geäußerten Erwartungen. Job Crafting muss dabei als wichtige gestaltende Ergänzung für eine zukünftig adäquate Aus- und Weiterbildung gesehen werden. Die Auswirkungen der Digitalisierung zeigen sich derzeit erst in Ansätzen. Die Veränderungen und mit ihnen verbundene Unsicherheiten dürften für die Beschäftigen in Zukunft noch weit größer werden. Daher ist ein besseres Verständnis der Reaktionsweisen der Beschäftigten erforderlich und, darauf aufbauend, das Schaffen eines unterstützenden Umfeldes dringend geboten.
1 Deutscher Bundestag (2019): Bericht der Bundesregierung zur Evaluierung des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung: Drucksache 19/10310. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/103/1910310.pdf, S. 13 (abgerufen am 16.12.2020).
2 Ebenda, S. 14
3 Stember, Jürgen, Wolfgang Eixelsberger, Alessia Neuroni, Andreas Spichiger, Franz-Reinhard Habbel und Manfred Wundara (Hg.) (2019): Handbuch E-Government: Technikinduzierte Verwaltungsentwicklung. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 13 ff.
4 Petrou, Paraskevas (2013): Crafting the Change: The Role of Job Crafting and Regulatory Focus in Adaptation to Organizational Change. Utrecht. Schäfer, Frank (2005): Change Management für den Öffentlichen Dienst. Hamburg: Murmann, S. 17.
5 In der Literatur wird auch der Begriff „Approach Relational Crafting“ (analog auch für die anderen in diesem Beitrag verwendeten Crafting-Varianten) verwendet.
6 Lazazzara, Alessandra, Maria Tims und Davide de Gennaro (2019): The Process of Reinventing a Job: A Meta–Synthesis of Qualitative Job Crafting Research. Journal of Vocational Behavior, (accepted/in press).
7 Schäfer, Frank (2005): Change Management für den Öffentlichen Dienst. Hamburg: Murmann, S. 20.