Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 02-2020
Christoph Verenkotte (Präsident des Bunderverwaltungsamtes BVA) im Austausch mit Jürgen Fritsche (Geschäftsleitung Public Sector, msg)
Jürgen Fritsche: Lieber Herr Verenkotte, das Bundesverwaltungsamt ist im Januar 60 Jahre alt geworden. Zu diesem runden Geburtstag möchten wir Ihrem Haus herzlich gratulieren. Wie feiern Sie das Jubiläum in diesen besonderen Zeiten? Oder haben Sie vielleicht schon gefeiert?
Christoph Verenkotte: Das BVA hat nach 60 aufregenden Jahren allen Grund zu feiern. Wir sind mit 299 Beschäftigten gestartet, heute sind es rund 6.000 – bundesweit an 22 Standorten. Unser Aufgabenportfolio ist enorm gewachsen und verändert sich von Jahr zu Jahr, mittlerweile bewältigen wir 150 sehr unterschiedliche Aufgaben – von A wie Ausländerzentralregister bis Z wie Zuwendungen. Wir sind für nahezu alle Bundesministerien, für Bundesbehörden, Bürgerinnen und Bürger sowie zahlreiche andere Organisationen tätig. Eine Feier kann es nun aber erst 2021 geben, das Corona-Virus hat uns einen gehörigen Strich durch die Planung unseres Festaktes mit hunderten Gästen im Jubiläumsjahr gemacht.
Jürgen Fritsche: Sie selbst verbindet auch eine lange Geschichte mit dem BVA, seit zehn Jahren als sein Präsident. Welches Ereignis in all den Jahren, seit Sie 1988 zum ersten Mal eine Aufgabe im BVA wahrgenommen haben, war für Sie persönlich besonders wichtig und prägend?
Christoph Verenkotte: Das letzte Jahrzehnt war stark geprägt von mehreren Großprojekten, die das Bundesverwaltungsamt noch einmal grundsätzlich verändert haben. 2013 haben wir den Dienstleistungsbereich der Bundeswehr übernommen und in diesem Zuge 1.400 Beschäftigte an sieben neuen Standorten integriert. Mitte 2017 gab es dann einen erneuten Wachstumsschub, als wir nicht nur Dienstleistungsaufgaben des Bundesfinanzministeriums übernommen haben, sondern auch 1.500 Beschäftigte an neun Standorten. Die damit einhergehenden Veränderungen haben uns allen im BVA, aber insbesondere den betroffenen Fachbereichen eine Menge Geduld, Flexibilität, Kreativität und Lösungskompetenz abverlangt. Das haben wir sehr gut bewältigt!
In den Jahren 2015 und 2016 haben wir darüber hinaus die IT-Konsolidierung des Bundes stark unterstützt, die wir mit unserer hausinternen Bundesstelle für Informationstechnologie maßgeblich vorangetrieben haben. Aufgrund ihres Erfolges wurden alle 400 Beschäftigten der BIT in das neu geschaffene ITZ Bund integriert. Trotz des Verlustes von qualifizierten Leuten, den man nicht verhindern kann, bin ich stolz darauf, dass wir inzwischen im Bereich der Softwareentwicklung weiter stark aufgestellt sind und diesen ausgebaut haben.
Jürgen Fritsche: Gern bescheinigt man ja der Verwaltung einen Modernisierungsstau. Wenn man aber auf 60 Jahre technische Entwicklung zurückblickt, wird doch deutlich, wie viel sich verändert hat. Welche Meilensteine der Automatisierung und Digitalisierung aus der Arbeit des BVA zeigen den Modernisierungsprozess besonders deutlich?
Christoph Verenkotte: Das Bundesverwaltungsamt hat in der Automatisierung und Digitalisierung sämtliche Veränderungen durchlebt, die auch unsere Gesellschaft prägen. Mit jedem technischen Fortschritt wurden unsere Prozesse angepasst. Sehr früh haben wir unsere Büros mit Computern ausgestattet – und zwar flächendeckend. Die BAföG-Abteilung arbeitet bereits seit Ende der 1990er-Jahre papierlos. Vom Antrag bis zum Bescheid sind die Abläufe automatisiert und mit ‚bafögonline‘ mittlerweile auch digitalisiert. Zunehmend digital erfolgt auch die Abwicklung der Beihilfe. Die von uns entwickelte App hat inzwischen fast 70.000 Nutzerinnen und Nutzer und erleichtert die Abrechnung enorm.
Unsere Register-Factory ist ein weiteres Beispiel beständiger Modernisierung. Das Ausländerzentralregister (AZR) ist beispielsweise mit 29 Millionen gespeicherten Datensätzen eines der größten automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung und mittlerweile zu einer digitalen Plattform ausgebaut. Dafür wurden wir 2017 im E-Government-Wettbewerb als „Bestes Infrastrukturprojekt” ausgezeichnet. Und das ist nur ein Beispiel von vielen! Mittlerweile sind wir für knapp 200 Behörden und Institutionen eine Art „Backoffice“ und erbringen unsere Leistungen, von der Bezügeabwicklung bis zum Travel-Management, mehr und mehr voll digital.
Jürgen Fritsche: Die Corona-Krise bringt viele Einschränkungen und Unsicherheiten bis hin zu Existenznot mit sich. Auf die Verwaltung, heißt es, wirke sie als Modernisierungsbeschleuniger. Vieles, was vorher lange diskutiert und vorsichtig angegangen wurde, wird jetzt in kurzer Zeit umgesetzt. Können Sie aus Sicht des BVA auch über Beispiele für die krisenbedingte Agilität der öffentlichen Verwaltung berichten?
"Eine Rückkehr zu bisherigen Arbeitsweisen wird es nicht geben"
Christoph Verenkotte: Das BVA hat sehr schnell reagiert. So viele Beschäftigte wie möglich sind ins Homeoffice gewechselt. Das BVA arbeitet schon seit Längerem daran, den Beschäftigten ein flexibles Arbeiten zu ermöglichen. Videokonferenzen wurden fast zur Standardkommunikation in der Krise – wie andernorts auch.
Jürgen Fritsche: Sehen Sie darin vor allem positive Entwicklungen oder sehen Sie einige auch kritisch, zum Beispiel in punkto IT-Sicherheit?
Christoph Verenkotte: Wir erleben gerade, wie sich unsere Arbeitswirklichkeit verändert: Arbeit wird digitaler und lässt sich vielfach im Homeoffice erledigen. Besprechungen und Workshops finden im Netz statt. Das sind jetzt kurzfristige Prozesse, die langfristig begleitet werden müssen: von veränderten Arbeitsprozessen und neuen Arbeitsformen wie selbstbestimmtere Arbeitsweisen, flachere Hierarchien, verstärkter Einsatz agiler Methoden. Allerdings brauchen solche Veränderungen Zeit.
Die durch die Krise erzwungene Beschleunigung und Beschränkung auf kleinere, improvisierte Maßnahmen birgt auch die Gefahr, dass Akzeptanz verloren geht. Umso wichtiger sind jetzt schnelle Fortschritte nicht nur im Bereich der E-Akte, digitaler Eingangskanäle und Scanlösungen. Und natürlich müssen alle Entwicklungen durch Sicherheitskonzepte begleitet werden. Das versteht sich heute von selbst. Und eins ist klar: Eine Rückkehr zu bisherigen Arbeitsweisen wird es nicht geben.
Jürgen Fritsche: Wie begegnen Sie als Behördenleiter der durch Corona und Digitalisierung möglicherweise potenzierten Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Christoph Verenkotte: Wir gehen davon aus, dass für viele Beschäftigte das Homeoffice ein Zukunftsmodell ist, das von den Beschäftigten sogar verstärkt eingefordert wird. Das beobachten wir jetzt schon. Ich bin der Auffassung, dass es für eine Vielzahl der BVA-Arbeitsplätze auf freiwilliger Basis möglich sein wird, im Homeoffice zu arbeiten. Aber selbstverständlich gibt es unter den Beschäftigten auch einige, die weiterhin einen Büroarbeitsplatz benötigen und nicht von zu Hause aus arbeiten wollen oder können. Auch diesen Menschen müssen wir gerecht werden.
Abbildung 1: Christoph Verenkotte
Unsere Führungskräfte müssen ebenfalls mitwachsen, denn Führen auf Distanz wird zum Normalfall. Ich gehe davon aus, dass es uns gelingen wird, unsere Beschäftigten für diesen Kurs zu gewinnen. Die Technik muss natürlich in allen Bereichen stimmen, dazu gehören funktionierende und starke Netzlösungen. Das verlangen auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – mit Recht. Meine Hauptaufgabe sehe ich insgesamt darin, das BVA für die Zukunft gut aufzustellen und dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen: rechtlich, technisch, organisatorisch. Dafür setze ich mich auch in Berlin ein.
"Führen auf Distanz wird zum Normalfall"
Jürgen Fritsche: Haben sich für das BVA aus der Krise neue Aufgaben ergeben?
Christoph Verenkotte: Wir haben eine ganze Reihe neuer Aufgaben übernommen. Lassen Sie mich nur einige nennen: Beispielsweise wurden dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Bekämpfung von COVID-19 zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Da wir seit Jahren die administrative Bearbeitung von Fördergeldern für das BMG wahrnehmen, sind wir auch in diesem Fall involviert und behandeln die Mittelvergabe mit hohem Tempo.
Dann strebt die Bundesregierung an, dass Schutzkleidung für Ärzte und medizinisches Personal zur Behandlung von COVID-19- Patienten verstärkt aus deutscher Herstellung kommt. Deshalb hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) entsprechende Rahmenverträge mit Lieferanten geschlossen. Ab Mitte August sollen pro Woche bis zu 50 Mio. Masken und 1 Mio. Schutzkittel ausgeliefert werden. Das BVA wickelt das Programm ab, bearbeitet die Rechnungen und ordnet die Zahlungen an.
Ein weiteres Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Robert- Koch-Institut, in dessen Auftrag wir im März bundesweit über 500 „Containment Scouts“ gesucht und kurzfristig gefunden haben. 11.000 Bewerbungen wurden innerhalb weniger Wochen ausgewertet. Schon seit April helfen Containment Scouts in den Gesundheitsämtern bei der telefonischen Befragung von COVID-19-Infizierten und deren Kontaktpersonen.
Jürgen Fritsche: Das Jubiläum ist sicherlich auch ein Anlass, die eigene Rolle zu reflektieren und nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft zu schauen. Haben Sie in der Vorbereitung des Geburtstages neu über die Vision Ihres Hauses nachgedacht, oder steht die bereits seit längerem?
Christoph Verenkotte: Eine Strategie zielt ja immer auf die Langfristigkeit der Planung ab und es sollte regelmäßig überprüft werden, ob sie noch passt oder sich Rahmenbedingungen geändert haben, die eine Korrektur oder Anpassung erforderlich machen. Die bisherige BVA-Strategie war als „Strategie 2018plus“ bekannt. Im Jahr 2018 angekommen galt es dann, die nächste Etappe in den Blick zu nehmen. Die neue Strategie BVA 2025 priorisiert seit 2018 die Digitalisierung des BVA. 2025 wollen wir die Veränderungen umgesetzt haben. Da können wir auch 65 Jahre feiern!
Jürgen Fritsche: Welche Vision hat das BVA von seiner eigenen Rolle und für die Verwaltungsmodernisierung?
Christoph Verenkotte: Mit der steigenden Zahl unserer Aufgaben und Kunden ist im Laufe der Jahrzehnte nicht nur das BVA gewachsen, sondern auch die Anforderungen seitens der Politik und der Kunden haben zugenommen. Wir sind heute der zentrale Dienstleister des Bundes, und daher gilt es, unser Dienstleistungsangebot an der Nachfrage unserer Kunden auszurichten. Unsere Arbeit soll als schnell und unkompliziert wahrgenommen werden, sprich: Wir wollen unsere Kunden mehr „abholen“, sie beraten und unterstützen.
Zudem sind wir bundesweit als „Beratungsinstanz“ gefragt. Unser Beratungszentrum des Bundes betreut jährlich über 1.000 Projekte und berät eine Vielzahl von Kunden, darunter oberste Bundesgerichte, Sicherheitsbehörden, Einrichtungen der allgemeinen und inneren Verwaltung sowie zahlreiche Institutionen aus Wissenschaft, Politik und Kultur. Die Themen sind breit gefächert: In den Beratungen geht es um die strategische Ausrichtung, um Digitalisierung und immer auch um das entsprechende Projekt- und Prozessmanagement. Unser Beraterteam hat zum Beispiel ein Vorgehensmodell zur Einführung der E-Akte Bund entwickelt und unterstützt Behörden bei der Einführung.
Darüber hinaus haben wir immer im Blick, welche Regelungen in Gesetzen und Verordnungen uns darin einschränken, Verwaltung effizient und schnell zu gestalten. Hier gehen wir dann proaktiv auf die Ministerien zu und zeigen Lösungs- beziehungsweise Änderungsvorschläge auf.
Erster Hauptsitz des Bundesverwaltungsamtes in Köln (bis 1984). Das BVA ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Es beschäftigt derzeit rund 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als Partner von Bürgern, Behörden, Unternehmen und Vereinen nimmt das BVA mehr als 150 Aufgaben wahr, unter anderem das Reisemanagement, die Beihilfe- und Bezügebearbeitung sowie die Personalgewinnung.
Jürgen Fritsche: Können Sie etwas zu den Eckpfeilern Ihrer Strategie sagen?
“Unsere Arbeit soll als schnell und unkompliziert wahrgenommen werden."
Christoph Verenkotte: Für die kommenden Jahre lautet unsere Maxime „nachfrageorientiert, zukunftsweisend und nachhaltig“. Wir wollen Verwaltung einfach, schnell und flexibel machen. Mit der weiteren Digitalisierung von Fachanwendungen werden wir einen effizienten und nachhaltigen Ressourceneinsatz sicherstellen und Lösungen für die Verwaltung der Zukunft entwickeln, die auch anderen zur Verfügung stehen.
Die digitale Transformation ist dabei die Chance, Verwaltung noch effizienter und serviceorientierter zu gestalten. Dafür bietet unsere Digitale Agenda, die die Strategie 2025 umsetzt, für die kommenden Jahre eine gute Orientierung. Wir sehen vier Hebel am Werk: für unsere Kunden „digitale Services“, für die Beschäftigten den Ausbau von „Digitalkompetenz“, als Werkzeuge „fortschrittliche Analytik“ sowie „Automatisierung und KI“. Mit „Big Data“ und fortschrittlicher Analytik werden wir unter anderem Fehler verringern und Entscheidungen unterstützen.
Jürgen Fritsche: Welche Rolle spielen in der Strategie die Aspekte „Daten“ und „künstliche Intelligenz“?
Christoph Verenkotte: Beide Bereiche spielen eine große Rolle: Mit „Big Data“ und fortschrittlicher Analytik werden wir unter anderem Fehler verringern und Entscheidungen unterstützen können. Durch die Nutzung von Automatisierung und künstlicher Intelligenz entfallen beispielsweise Routineaufgaben, so dass unsere Beschäftigten wieder mehr Zeit für die persönlichen Belange unserer Kundinnen und Kunden hätten. Hier ist noch erhebliches Potenzial.
Jürgen Fritsche: Welche Rolle spielt das BVA in der Umsetzung von „Once only“, also der Vorgabe, dass Bürger oder Unternehmen ihre Daten nur einmal eingeben müssen und die Verwaltung bedarfsweise auf diesen Datenbestand zugreifen kann?
Christoph Verenkotte: Seit 2017 ist das BVA an dem Horizon-2020-Projekt zur Erforschung der Machbarkeit des Once-only-Prinzips beteiligt – auch bekannt als TOOP: The Once-Only Principle Project. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von BMI, der Universität Koblenz-Landau und der Metropolregion Rhein-Neckar zur Entwicklung einer IT-Architektur. Diese Architektur soll es innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ermöglichen, in einer behördlichen Einrichtung bereits gespeicherte Daten für Behörden anderer Mitgliedsländer einmalig zur Verfügung zu stellen.
Jürgen Fritsche: Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?
Christoph Verenkotte: Eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Nutzung bereits gespeicherter Daten ist es, die verschiedenen Systeme interoperabel – also kompatibel – zu gestalten. Gerade für die föderale Struktur in Deutschland mit ihrer dezentralen Registerlandschaft stellt dies die größte Herausforderung dar. Wichtig wird auch die Authentifizierung und Identifizierung der Datenbesitzer. Nur sie sollten die Zustimmung zur Bereitstellung der Daten aus einem System zu einem anderen erteilen. Hierfür müssen sich Nutzerinnen und Nutzer allerdings eindeutig identifizieren können. Das BMI entwickelt dazu gerade ein Nutzerkonto – eine dringend erforderliche Lösung.
Jürgen Fritsche: Welche Aufgaben werden bei der Umsetzung der Datenstrategie des Bundes (siehe auch Infobox) auf das BVA zukommen?
Christoph Verenkotte: Seit Inkrafttreten des sogenannten Open-Data-Gesetzes (§ 12a EGovG) leistet das BVA einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung von Daten in der Bundesverwaltung. Unser Kompetenzzentrum Open Data sorgt für Kompetenzaufbau und übernimmt Koordinierungsaufgaben innerhalb der Bundesverwaltung und zwischen den zuständigen Stellen der Länder. Wir schaffen so ein Netzwerk zwischen den jeweiligen Open- Data-Akteuren und planen aktuell einen runden Tisch mit dem Ziel des Bund-Länder-Austauschs.
Das BVA leistet zudem schon jetzt seinen eigenen Beitrag zur Bereitstellung von offenen Daten, ganz im Sinne der Datenstrategie der Bundesregierung. Da geht es natürlich um BVA-originäre Daten und nicht um die Daten unserer Kundenbehörden, die nur von den Kunden selbst bereitgestellt werden können. Der Prozess der Identifikation solcher Daten im BVA wird vom Kompetenzzentrum intensiv begleitet.
Ganz sicher wird Verwaltungshandeln in der Zukunft durch Open Data verändert: Welche zusätzlichen Aufgaben daraus entstehen, bleibt abzuwarten.
Jürgen Fritsche: Welche Konzepte zu Datenschutz und Datensicherheit verfolgen Sie dabei?
Christoph Verenkotte: Das Kompetenzzentrum Open Data ist auf dem Feld der Bereitstellung von Verwaltungsdaten als offene Daten tätig. Es findet keine rechtliche Prüfung der Datenbestände Dritter statt. Ob ein Datensatz geeignet ist, muss die umsetzende Behörde entscheiden. Allerdings liefert ein Leitfaden des Kompetenzzentrums eine Art Prüfschema, in dem Anhaltspunkte zur Rechtmäßigkeit und Empfehlungen enthalten sind. Dies ersetzt aber nicht die rechtliche Prüfung.
Jürgen Fritsche: Welche Bedeutung hat das Thema KI für eine Behörde wie das BVA?
Christoph Verenkotte: Das Thema künstliche Intelligenz wird aktuell auf allen gesellschaftlichen Ebenen diskutiert. Dass die KI in den Bereich der öffentlichen Verwaltung Einzug hält und eine Behörde wie das Bundesverwaltungsamt hier aktiv wird, ist nur folgerichtig. Wir wollen und werden KI nutzen, aber in vielen Fällen muss erst noch die Automatisierung vorangetrieben werden. Anwendungsfälle gibt es, und wir prüfen die nächsten Schritte.
"KI-Ergebnisse müssen nachvollziehbar sein."
Jürgen Fritsche: Welche KI-Themen sind für Sie grundsätzlich interessant und umsetzbar?
Christoph Verenkotte: KI kann jetzt schon im Bereich der Bilderkennung einen großen Mehrwert bringen. Hier sind unterschiedliche Szenarien denkbar: Bei der Massenverarbeitung von Textdokumenten können beispielsweise leicht zu erfassende Informationen maschinengestützt extrahiert und für die Weiterverarbeitung vorbereitet werden. Im Bereich des 1st-Level-Supports – also bei Help-Desk-Systemen – sind automatisierte Klassifizierungen von E-Mail-Anfragen heute schon möglich.
Datenstrategie der Bundesregierung
Gemäß den Eckpunkten zur Datenstrategie möchte die Bundesregierung den Bund als Vorreiter und Treiber einer verstärkten Datennutzung und Datenbereitstellung etablieren. Dazu will die Bundesregierung unter anderem: a) die Nutzbarmachung, Vernetzung und Analyse öffentlich finanzierter Datensätze verbessern (Open Data), b) Maßnahmen und Instrumente zur Erhöhung der Datenkompetenz im Sinne einer umfangreichen „Data Literacy“ in den Bundesbehörden prüfen und initiieren, c) die Potenziale der Datennutzung für eine effizientere und bürgerfreundlichere Aufgabenerfüllung staatlicher Einrichtungen heben, d) gesicherte Verbindungen zur Übermittlung von Daten innerhalb der öffentlichen Verwaltung zur ebenenübergreifenden Zusammenarbeit schaffen und auch weitere Maßnahmen der Datensicherheit prüfen sowie e) Maßnahmen zur Verbesserung einer ökologisch und digital nachhaltigen Dateninfrastruktur in den Bundesbehörden prüfen und initiieren.
Jürgen Fritsche: Sind Sie zum Thema KI im Austausch mit anderen Behörden, um etwa Leitlinien zu setzen, gemeinsam etwas zu entwickeln bzw. voneinander zu lernen?
Christoph Verenkotte: Gerade im Bereich KI ist das Interesse an einem projektbezogenen Austausch sehr groß. So werden Leitlinien, die innerhalb des BMI erarbeitet werden, auch mit anderen Behörden abgestimmt. Da geht es zum Teil um ethische Fragen, aber vor allem um technologische Grundsätze. Im BVA befürworten wir beispielsweise die Verwendung von Open-Source- Software, also müssen wir sicherstellen, dass der Quellcode von Software keine schädlichen Funktionen beinhaltet oder ungewünschte Ausleitungen von Daten möglich sind.
Abbildung 2: Christoph Verenkotte
Jürgen Fritsche: In welchem Stadium der Entwicklung von KI-Anwendungen sind Sie?
Christoph Verenkotte: Die Verwendung von KI darf kein Selbstzweck sein, sondern ist immer ein Puzzleteil innerhalb einer Anwendungslandschaft. Hier ist das Bundesverwaltungsamt gut aufgestellt, da wir grundsätzlich bei der Software- Architektur auf Anpassbarkeit, Wiederverwertbarkeit und Nachhaltigkeit achten. Wir evaluieren KI-Anwendungen, um den qualitativen Mehrwert auch quantifizieren zu können.
Jürgen Fritsche: Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um diskriminierungsfreie Ergebnisse zu erzielen?
Christoph Verenkotte: Unser höchstes Ziel ist es, bei der Auswahl der KI-Komponenten und Daten im kompletten Software-Lifecycle mögliche Diskriminierungsgefahren zu berücksichtigen. So dürfen bei der Auswertung von personenbezogenen Daten keine Personengruppen benachteiligt werden. KI-Ergebnisse müssen nachvollziehbar sein. Darauf legen wir größten Wert. Grundsätzlich gilt, dass kritische Entscheidungen aufgrund von statistischen, maschinell ermittelten Wahrscheinlichkeiten immer noch von Menschen durchzuführen und zu bewerten sind.
Jürgen Fritsche: Gibt es bereits erste Erfolge?
Christoph Verenkotte: Ein wichtiges Thema in der Behördenwelt ist natürlich die Datenanalyse, die vorrangig operationalisiert werden soll. Bei Datenqualitätsanalysen beispielsweise testen wir bereits entsprechende Methoden, um schneller Fragen aus dem Bereich der Politik beziehungsweise der Partnerbehörden zu den von uns verwalteten Daten liefern zu können. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.
Jürgen Fritsche: Wo sehen Sie den größten Wert der KI für die Zukunft des BVA beziehungsweise seiner Kunden?
Christoph Verenkotte: KI kann einen wertvollen Beitrag leisten, um Verwaltungsprozesse zu vereinfachen und zu automatisieren. Wichtig ist, dass sie unterstützend eingesetzt wird. Dann werden sowohl die Beschäftigten als auch die Kunden ihren Mehrwert klar erkennen. Wichtig ist natürlich der sensible Umgang mit Daten und ein klares Gerüst rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen.
Jürgen Fritsche: Was sind nächste wichtige Meilensteine beziehungsweise Aufgaben für das Bundesverwaltungsamt?
Christoph Verenkotte: Man kann es nicht oft genug sagen: Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung. Unsere Kunden erwarten die digitale Erreichbarkeit der Dienstleistungen, unsere Beschäftigten erwarten die technische Ausstattung. In fünf Jahren sollen alle relevanten Verwaltungsverfahren im BVA digital gestaltet sein. Für diese Aufgaben brauchen wir qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Unsere Personalplanung muss die zukünftigen Anforderungen widerspiegeln; Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung müssen angepasst werden. Den demografischen Wandel, der uns in den kommenden Jahren erfasst – 40 Prozent unserer Beschäftigten verabschieden sich bis 2030 in den Ruhestand –, sehe ich als große Herausforderung. Schnelle und konsequente Digitalisierung ist daher unsere einzige Chance!