Über Wege aus der Selbstblockade der Verwaltung sprach Dr. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und für Heimat und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik (CIO Bund), mit Jürgen Fritsche, Geschäftsleitung msg Public Sector
Zuerst erschienen in der public Ausgabe 02-2022
von Jürgen Fritsche
msg: Zunächst einmal danke, dass Sie sich Zeit nehmen für das Interview. Daten sind der Gegenstand unseres Gesprächs heute.
Dr. Markus Richter: Ja, genau. Es geht darum, wie wir den Zugang zu Daten sicherstellen und mithilfe von Daten Entscheidungsfindungsprozesse unterstützen. Sowohl in der Verwaltung wie auch in der Wirtschaft. Deswegen finde ich es richtig, dass dazu auch ein europäischer Rahmen weiterentwickelt wird, zum Beispiel mit dem Data Act.1 Die Bundesregierung hat dem Koalitionsvertrag folgend das Thema Daten genau unter diesen beiden Blickwinkeln aufgegriffen: Open Data durch einen Rechtsanspruch stärken und den Zugang zu Daten für evidenzbasierte Entscheidungsprozesse erleichtern.
msg: Sie haben im Sommer 2020 einen Neun-Punkte-Plan2 veröffentlicht, in dem „Datenpolitik wirksam gestalten“ an erster Stelle steht. Das allein beinhaltet ja vieles, etwa die elektronische Identität, die Modernisierung der Verwaltungsdienste, Prozesse und auch die Register-Modernisierung. Sie haben damit Prioritäten gesetzt. Wann, glauben Sie, wird der letzte Punkt dieses Programms erledigt sein?
Richter: Bei diesem Programm hatten wir uns bewusst eine Zeitleiste von einem Jahr gesetzt, also bis zum Ende der letzten Legislaturperiode. Von den Meilensteinen hinter den neun Programmpunkten konnten wir in diesem Zeitraum 75 Prozent umsetzen. Mir ist es wichtig, auch darüber Transparenz herzustellen, was nicht funktioniert hat, damit sich dadurch eine Diskussions- und Gesprächskultur weiterentwickelt. In der Zwischenzeit wurde eine neue Regierung gebildet, manche Parameter haben sich verändert, nicht zuletzt durch den Ukraine- Krieg. Das Regierungsprogramm liegt auf dem Tisch. Und Nancy Faeser als Innenministerin hat ihre digitalpolitischen Schwerpunkte für diese Legislaturperiode vorgelegt und darin fünf Themenfelder definiert.3 In diesen fünf Themenfeldern geht der Neun-Punkte-Plan jetzt auf, sodass man von einem Neun-Punkte-Plan 2.0 sprechen kann.
Hinter den fünf Feldern verbergen sich auch wieder konkrete Projekte mit konkreten Meilensteinen, mit einem Controlling und jeweils mit Ende-zu-Ende-Verantwortlichen. Dazu gehört etwa die digitale Identität, die Sie angesprochen haben. Dieses Vorhaben haben wir jetzt ein Stück weit verkleinert, damit schnell Lösungen bereitstehen. Dabei nehmen wir die Verwaltungs- Use-Cases besonders in den Blick. Denn das ist, was bei Menschen stark nachgefragt wird: „Wie kann ich meinen Führerschein online beantragen?“ Dafür brauche ich diese Identität. Die Zeitleiste der Themenfelder reicht bis zum Ende der Legislaturperiode. Die Themen digitale Souveränität oder Sicherheit im Cyberraum sind nie abgeschlossen. Trotzdem muss man aber ambitionierte Ziele setzen und Meilensteine definieren und das nach außen transparent machen, damit wir uns weiterentwickeln.
„Das Umsetzen muss im Vordergrund stehen“
msg: Was macht aus Ihrer Sicht eine kluge Datenpolitik aus?
Richter: Eine kluge Datenpolitik wirkt darauf hin, dass es einen europäischen Anker gibt. Denn nur dann, wenn wir Datenräume in Europa bereitstellen, sind wir in der Verfasstheit zu skalieren und die europäische Integration voranzutreiben. Deswegen bin ich auch mit den CIOs der anderen Mitgliedstaaten im engen Austausch. So haben wir zum Beispiel eine binationale Arbeitsgruppe mit Frankreich eingerichtet, die das Schaffen von solchen europäischen Datenräumen und auch den Austausch von Technologien vorantreibt.
Dann hatte ich schon das Datengesetz genannt, das kommen wird. Dazu wird nochmal geschaut, welche Lücken es gibt, welche Verbesserungsbedarfe. Und wie man Transparenz darüber herstellen kann, was bereits geregelt ist. Um das nochmal deutlich zu machen: Letztlich geht es darum, wie wir es faktisch tun. Wir müssen auch innerhalb der Bundesregierung enger und konsequenter zum Thema Daten zusammenarbeiten. Damit meine ich beispielsweise Gremienstrukturen. Wir haben zu viele Gremien. Und wir haben zu oft zu lange Zeit damit verbracht, uns auf Konzepte zu verständigen, ohne dass irgendetwas produktiv gesetzt worden wäre; teilweise jahrelang. Das muss ein Ende haben. Deswegen plädiere ich für Mehrheitsentscheidungen in diesen Gremien. Von der Einstimmigkeit wegkommen, damit die achtzig Prozent, die einverstanden sind, nach vorne gehen können und wir nicht warten müssen, bis alle Anforderungen finalisiert sind. Ich setze auch auf das Neuaufsetzen des Digitalgipfels, damit die Zusammenarbeit sehr konkret wird. Nicht nur das Teilen von Informationen und Erkenntnissen, sondern vor allem das Umsetzen muss im Vordergrund stehen.
Der Neun-Punkte-Plan
Im Juli 2020 veröffentlicht der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik Dr. Markus Richter den „Neun-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland“. Er umfasst unter der Überschrift „Digitale Gesellschaft und Cyber-Sicherheit in Deutschland und Europa“ die Punkte 1. Datenpolitik wirksam gestalten und 2. Zusammenarbeit auf europäischer Ebene verstärken. Die Punkte 3. Elektronische Identität etablieren, 4. Digitale Verwaltungsleistungen ausbauen (OZG), 5. Verwaltung und verwaltungsinterne Dienste modernisieren, 6. eGovernment-Einheit als Digitale Innovation & Transformation Hub der Bundesverwaltung etablieren sowie 7. Digitale Kompetenzen fördern gehören zu dem zweiten Block „Digitale Verwaltung“. 8. Digitale Souveränität Deutschlands und Europas sichern und 9. Cyber- Sicherheitsarchitektur Deutschlands stärken fasst Dr. Richter unter „Cyber-Sicherheit und Souveränität als Kernaufgaben des Bundes-CIO“ zusammen. Ein Fazit zum Stand der Umsetzung zieht Richter zuletzt im August 2021, also ein gutes Jahr nach der ersten Veröffentlichung. Danach sind 192 von 282 Meilensteinen vor der Bundestagswahl erreicht worden.4
Abbildung 1: Markus Richter
msg: Wie ist denn die Bereitschaft hinsichtlich Ihres Anliegens, eine Mehrheitsentscheidung zur Regel zu machen, zum Beispiel im IT-Planungsrat?
Richter: Im IT-Planungsrat haben wir faktisch schon Mehrheitsprinzipien. Je nach Größe der Bundesländer können dort auch einzelne Mitglieder eine Mehrheitsentscheidung herbeiführen. Ich habe das jetzt vor allem auch auf Bundesebene bezogen, wo wir im IT-Rat auf Staatssekretärsebene aus den Häusern zusammensitzen, und auf die angeschlossene Gremienstruktur, die nach meinem Dafürhalten sehr komplex ist. Viele Themen, die wir in einzelnen Gremien ausführlich diskutieren, kommen in die nächste Gremienstufe, ohne dass es dazwischen eine Filterfunktion gibt. Ich sage hingegen, wir brauchen die Diskussion nicht fünfmal zum gleichen Thema zu führen. Das kann man an einer Stelle machen, und dort muss es dann abschließende Kompetenzen geben.
msg: Also Sie gehen davon aus, dass es demnächst beschlossene Sache ist, dass Mehrheitsentscheidungen im IT-Rat erfolgen können?
Richter: Wenn es nach mir ginge, ja. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen, aber ich lasse nicht locker.
„Digitalisierung ist nicht wirklich in allen Fachseiten angekommen“
msg: Sie haben von europäischen Datenräumen gesprochen. Das kann ja verschiedene Ausprägungen haben: Im Bereich der Sicherheit ist man natürlich bestrebt, Subjekte ausfindig zu machen, die zwischen Nationen hin und her wandern und möglicherweise Gefahren mitbringen. Also zum Beispiel im Fluggastdaten- Informationssystem, das auch so etwas wie einen Informationsraum aufspannt. Ein gänzlich anderer Datenraum sind die Daten der Verwaltung, also die sogenannten offenen Daten. Was wiegt denn schwerer aus Ihrer Sicht?
Richter: Wenn wir über Datennutzung sprechen, dann reden wir immer auch über Datensicherheit und Datenschutz. Diese beiden Aspekte müssen by Design mitgedacht, mit implementiert werden. Es gilt also zu berücksichtigen, welche Daten zu welchem Zweck mit welchen Inhalten zur Verfügung gestellt werden und wo die Grenzen liegen. Aber klar ist, dass offene Daten die Voraussetzung dafür sind, dass nicht nur Geschäftsmodelle entstehen können, sondern vor allem, dass gute Entscheidungen getroffen werden. In der Digitalisierung liegen Informationen oftmals sehr viel früher auf dem Tisch, als das in analogen Prozessen der Fall gewesen ist. Und deswegen wäre es grob fahrlässig, wenn ich diese Informationen nicht strukturieren und zugänglich machen würde. Die Fachseiten müssen aber auch so aufgestellt sein, dass sie diese Erkenntnisse proaktiv nutzen. Davon sind wir noch ein ganzes Stück weit entfernt. Und ehrlich gesagt, viele reden von einem Digitalisierungsschub durch Corona. Wir hatten keinen Digitalisierungsschub, meine ich. Wir haben teilweise einen Analogisierungsschub gehabt. Das Thema Digitalisierung ist nicht wirklich in allen Fachseiten richtig angekommen. Es wird immer noch zu sehr wegdelegiert auf die IT. Erst wenn die Aufgabe erkannt wird, über die eigene Arbeit im Sinne der Digitalisierung zu reflektieren und Daten aktiv einzubringen, haben wir einen Digitalisierungsschub. Ich weiß, dass damit viele Ängste verbunden sind. Aber wir müssen irgendwann einmal diese Schritte gehen.
msg: Sie haben jetzt noch nicht auf meine Frage geantwortet: Was ist wichtiger, die Daten für die öffentliche Sicherheit oder die offenen Daten?
Richter: Das wollte ich damit beantworten: Es kommt darauf an, wofür man was nutzt und welche Kritikalität dahintersteht. Aber klar ist, dass offene Daten zur Verfügung gestellt werden müssen. Gleichzeitig gibt es Anforderungen mit Blick auf die Sicherheit und Anforderungen zum Datenschutz, die berücksichtigt werden müssen.
Fünf Themenfelder: Digitales Deutschland – souverän. sicher. bürgerzentriert.
Digitalpolitische Ziele und Maßnahmen bis 2025 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat
Das digitalpolitische Programm von Bundesministerin Nancy Faeser wurde am 28. April 2022 vorgestellt. Es formuliert die folgenden fünf Themenfelder, die mit einer Reihe von Zielen und Maßnahmen verbunden sind: Unter „Staatliche Leistungen für Menschen und Unternehmen digitalisieren“ fallen die Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes, die Priorisierung der Digitalisierung anhand des Bedarfs sowie die Stärkung des „Einer-füralle“- Prinzips, digitale Identitäten, die Registermodernisierung und die Unterstützung des GovTech Campus. „Staat modernisieren“ beinhaltet unter anderem den Digitalcheck für Gesetze, die Dienstekonsolidierung, die Stärkung der Informationssicherheit, den Aufbau ressort- und behördenübergreifender agiler Teams und die Digitalakademie. In dem Themenfeld „Cybersicherheitsarchitektur modernisieren und harmonisieren“ ist beispielsweise vorgesehen, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zur Zentralstelle in der Informationssicherheit auszubauen, die Cybersicherheitsstrategie und das Informationssicherheitsrecht weiterzuentwickeln sowie die Cyberbefugnisse und Cyberfähigkeiten der Sicherheitsbehörden des Bundes neuauszurichten.
„Daten rechtssicher erschließen und nutzen“ umfasst die Datenstrategie der Bundesregierung, die Schaffung rechtlicher Grundlagen zur Erhöhung der Datenqualität und -quantität, die Einrichtung eines Dateninstituts, die Erhöhung der Datenqualität der Verwaltungsdaten im Zuge der Registermodernisierung und die Schaffung der Grundlagen für einen registerbasierten Zensus. Im fünften Themenfeld „Digitale Souveränität festigen und interoperable Infrastruktur schaffen“ geht es um verbindliche Standards und Schnittstellen (Bund-Länder-Kooperation), die Verwaltungscloud- Strategie als Multicloud-Strategie zur Vermeidung von Lock-in-Effekten, die Nutzung von Open Source Software und die Modernisierung der Netzinfrastruktur sowie des Digitalfunks BOS. In der zugehörigen Pressemeldung wird darüber hinaus der Punkt „Beschäftigte mitnehmen“ adressiert, den Markus Richter auch in diesem Interview als zentralen Erfolgsfaktor der Verwaltungsdigitalisierung benennt.5
Abbildung 2: Jürgen Fritsche, msg und Markus Richter im Interview
msg: Nehmen wir also die Open-Data-Bemühungen der Bundesregierung in den Blick, die, meine ich, zurückgehen auf das Jahr 2017. Open Data meint eigentlich, sämtliche Datenbestände der Allgemeinheit der Gesellschaft ohne jedwede Einschränkung zur freien Nutzung, zur Weiterverbreitung und -verwendung frei zugänglich zu machen. Und der Staat sammelt mit seinen Services und Diensten viele Daten und hat enorm große Bestände. Da liegt es nahe, dass man fragt: „Na ja, warum macht der Staat denn nicht mal den Anfang?“ Das ist ein Wirtschaftsfaktor einerseits, und andererseits, wie Sie sagen, können Daten Entscheidungen der Verwaltung erleichtern und verbessern und natürlich auch Teilhabe. Wo stehen wir aber tatsächlich? Das Open Data Inception listet 82 Datenquellen in Deutschland für offene Daten. Klingt nicht wenig, ist aber kaum einzuschätzen. Geht es momentan um Quantität, was offene Daten angeht, oder eher um Qualität?
Richter: Es geht natürlich um beides. Es geht einmal um die Qualität: Es geht um Maschinenlesbarkeit, es geht um Standards. Es geht aber durchaus auch um Quantität, wenn über verschiedene Politikfelder hinweg aus den Daten Erkenntnisse abgeleitet werden sollen. Dafür entwickeln wir die Datenstrategie weiter, die den Namen wirklich verdient hat: die konkrete Schritte benennt und mit einer Zeitleiste hinterlegt. Denn leider mussten wir immer wieder feststellen, dass, obwohl es bereits eine Verpflichtung zu Open Data gibt, das Thema sehr weit hinten ansteht im Verwaltungstun. Das ist keine böse Absicht, andere Aufgaben sind oft zu Recht prioritär – wenn ich jetzt an die Ukraine denke oder andere Situationen. Aber wenn wir es nicht irgendwann schaffen, die Säge zu schärfen, dann wird es nie etwas. Auch dafür braucht es diese Verbindlichkeit, das Nachhalten und Transparenz.
„Open Data intensivieren“
msg: Sie sagen ja, dieser Punkt in Ihrem Neun-Punkte-Plan ist abgeschlossen. Jetzt habe ich versucht herauszufinden, wie weit man mit diesen genannten 82 Datenquellen kommt. Da kann man in den Stichproben, die ich gemacht habe, zumindest Downloads machen, erhält also maschinenlesbare Daten. Ich kann nicht beurteilen, ob man damit etwas anfangen kann. Zum Bereich Gebäude findet man zum Beispiel aber noch gar nichts. Wie lässt sich das ändern?
Richter: Wir haben ein Gesetz zu Open Data noch kurzfristig in der letzten Legislatur, nach langem Bemühen und Verhandeln, verabschieden lassen können. Aber das reicht bei Weitem nicht aus. Das ist nicht nur eine Daueraufgabe, sondern wir müssen das tatsächlich intensivieren. Sie haben das Beispiel Gebäude angesprochen. Wir setzen uns für ein Bau- und Wohnungsregister ein, das in der Verfasstheit ist, Daten bundesweit zugänglich zu machen, über die kommunale Ebene hinaus. Es gibt einige Themenfelder, für die wir Daten erst einmal erschließen müssen. Das ist nicht mit einem Gesetz oder mit einer Strategie erledigt, sondern das ist tatsächlich eine Aufgabe, für die man langen Atem braucht. Ich bin sehr glücklich, dass mit den CIOs der Bundesländer in den letzten zwei Jahren eine intensive Zusammenarbeit entstanden ist und sogar, würde ich fast sagen, ein Teamgeist, um gemeinsam diese Themen zu adressieren. Aber auch so ein Gremium wie der IT-Planungsrat wird das allein nicht stemmen können. Denn wenn ich sage, es muss ein Bau- und Wohnungsregister geben, dann sind dazu im Zweifel Beschlüsse der Bauministerkonferenz erforderlich oder auf den Fachseiten andere Gremien zu beteiligen. Deshalb ist es richtig, dass die Federführung dafür dann auch beim Bauministerium liegt, während wir natürlich technisch mit im Boot und auch koordinierend tätig sind.
„Ein Digitalcheck für Gesetze“
msg: Was sagen Sie zu der These, dass der Austausch von Daten zu mehr Zusammenarbeit in der Verwaltung führt? Ist das auch Ihre Ansicht? Und warum?
Richter: Zunächst einmal ist die Notwendigkeit für Zusammenarbeit in digitalen Prozessen deutlich größer als in analogen. Denn Digitalisierung sorgt ja dafür, dass in der Reflektion des eigenen Prozesses unnütze Wartezeiten reduziert werden. Ich habe früher im Prozess Erkenntnisse. Ich kann Übergabepunkte zu anderen Behörden anders organisieren, damit sie früher gleichzeitig an Anträgen arbeiten können und nicht unnütze Wartezeit durch das Weiterschicken von Ordnern entsteht. Wenn ich, um beim Bauen zu bleiben, den Bauantrag nehme: Mecklenburg-Vorpommern hat einen digitalen Bauantrag gebaut, der ganz Deutschland zum Ausrollen zur Verfügung steht. Das ist eine hochmoderne Kollaborationsplattform, sodass mehrere Behörden gleichzeitig im Bauantrag arbeiten und ihre Bemerkungen sichtbar für alle anderen Beteiligten ablegen können. Und insofern führt die Digitalisierung zwangsläufig dazu, dass ich die Prozesse anders organisieren muss.
Damit das auch funktionieren kann, müssen Gesetze in Zukunft von vornherein „digitaltauglich“ sein! Dazu führen wir einen Digitalcheck für Gesetze ein und haben uns dort zunächst das Verwaltungsverfahrensgesetz vorgenommen. Dabei bringen wir von Anfang an diejenigen, die es auf kommunaler Ebene umsetzen, mit ins Boot. Es werden Fragen gestellt wie: „Was habt ihr eigentlich mit Paragraf fünf, Absatz drei, Satz zwei gemeint?“ Und dann kommt ein Dialog zustande. Also entscheidend ist, dass ein gesetzgeberischer Wille formuliert wird, in einem Labor Eckpunkte für die Gesetzgebung ausgearbeitet werden und man dann in das Verfassen eines Gesetzes geht. Sonst werden wir immer wieder Symptome behandeln müssen und versuchen, Fehlentwicklungen wieder einzufangen.
msg: Welche Resonanz haben Sie aus den Bundesressorts oder nachgeordneten Behörden des Bundes, was die Bereitstellung von Daten oder potenziell offenen Daten angeht?
Richter: Da gibt es mitunter unterschiedliche Sichtweisen und Diskussionen, aber ich nehme wahr, dass sich viele Behörden auf den Weg gemacht haben. Nicht nur, weil eine gesetzliche Verpflichtung zu Open Data besteht, sondern auch, weil inzwischen viele Institutionen aktiv nachfragen und abfordern. Es passiert eine ganze Menge, aber es gibt auch grundsätzliche Diskussionen und Überlegungen, wie in der Gesellschaft insgesamt, etwa zur Bereitstellung und Nutzung von kommunalen Daten: „Ja, da schaffe ich ja Geschäftsmodelle für andere. Die verdienen dann wiederum Geld mit meinen Daten. Warum vermarkten wir die nicht selbst?“ Aber man muss auch sehen, was wir als Gesellschaft insgesamt dazu gewinnen. Und wenn dann ein Unternehmen mit einer pfiffigen Idee auch Euro verdient, ist das nach meinem Dafürhalten völlig legitim. Genauso kann es der Staat selbst tun! Insofern sehe ich inzwischen viel Unterstützung und viele gute Beispiele. Wir haben ja auch Datenbeauftragte verpflichtend gemacht für Behörden: Diese werden operativ dafür sorgen, dass die Behörden tatsächlich Daten öffentlich bereitstellen. Und wir werden die Datenbeauftragten miteinander vernetzen und an eine gemeinsame Arbeit bringen.
„Lock-in-Effekte vermeiden“
msg: Wir alle kennen den Fall des amerikanischen Suchmaschinenkonzerns, der die Verkehrsdaten der Bahn und auch der S-Bahnen, U-Bahnen zur Verfügung stellt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Und wenn ich eine Bahnverbindung schnell finden will, dann ist die Suche dort das erste Mittel der Wahl. Und vielleicht nutze ich dann im zweiten Schritt, wenn ich genauer planen will, das Tool des Anbieters der fraglichen Verbindung. Wie lässt sich verhindern, oder vielleicht will man auch gar nicht verhindern, dass Unternehmen aus dem Ausland davon profitieren?
Richter: Ich bin für offene Systeme. Wir werden nur dann Fortschritte und Veränderungen sehen, wenn wir uns einem internationalen Wettbewerb stellen. Allerdings: Es geht letztendlich darum, Lockin- Effekte zu vermeiden. Wenn alles nur noch über eine Plattform läuft und diese Plattform sich weiterentwickelt und vielleicht Identitätsdaten und andere, vielleicht sensible Daten nutzt, um Lock-in-Effekte zu vergrößern, dann bekommen wir sukzessive ein Problem. Wir müssen genau hinschauen, dass Daten nicht benutzt werden, um Abhängigkeiten zu schaffen. Das werden wir insbesondere bei der digitalen Identität in den Blick nehmen. Es geht nicht darum, bestimmte Anbieter zu verbieten. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Wettbewerb stattfindet. Es geht darum, Auswahloptionen zu haben. Dennoch können wir nicht alles gänzlich dem freien Markt überlassen: Immer dann, wenn ich Rückschlüsse zum Verhalten einzelner Personen generieren könnte, wird es extrem kritisch.
„Datenschutz und IT-Sicherheit sind User- Zentrierung par excellence“
msg: Der freie Markt interessiert sich weniger für die einzelne Person, sehr wohl aber für bestimmte Profile und Verhaltensmuster.
Richter: Menschen sind immer dann besonders kritisch, wenn sie Daten im Zusammenspiel mit dem Staat zur Verfügung stellen. Im privaten Umfeld teilen viele auch kritischste Daten, ohne dass sie sich dessen hinreichend bewusst sind oder weil sie es einfach in Kauf nehmen, um eine gute Lösung nutzen zu können. Das ist im staatlichen Kontext in der Tat anders, da gibt es besondere Anforderungen hinsichtlich Datenschutz und Datensicherheit. Wir können das nicht ignorieren oder wegdiskutieren, sondern wir berücksichtigen diese Anforderungen in der staatlichen Digitalisierung von Beginn an: Security by Design. Ich erinnere nur an die Corona-Warn-App, die sehr erfolgreich war und über die die Fach-Community positiv gesprochen hat. Wir brauchen in der Verwaltungsdigitalisierung klare User-Zentrierung – und Datenschutz und IT-Sicherheit sind User-Zentrierung par excellence.
msg: Die Vorsicht bei Daten, die man der Verwaltung gibt, spielt auch in die digitale Identität hinein. Man hat das jetzt beim Impfausweis sehen können.
Richter: Ich kann das sehr gut verstehen, und es ist unsere Aufgabe, einer Profilbildung entgegenzuwirken. Immer dann, wenn es um staatliche Anwendungsfälle geht oder um staatliche Daten, muss sichergestellt sein, dass erstens eine Profilbildung ausgeschlossen ist und zweitens die Daten nicht für gewerbliche Zwecke genutzt werden. Und drittens, dass so wenig Daten wie nötig abgefragt und gespeichert werden. Und, ja, das spielt bei der digitalen Identität eine wichtige Rolle. Das gilt ebenso für das Registermodernisierungsgesetz, das darauf zielt, Daten von Bürgerinnen und Bürgern behördenübergreifend nutzen zu können. In diesem Zusammenhang ist ein Cockpit vorgesehen, das ich mir als App herunterladen kann. Über dieses Cockpit kann ich sehen: Wo sind denn Daten von mir gespeichert? Wofür wurden sie von wem verwendet? Das trägt sowohl zur Transparenz als auch zu Datensparsamkeit bei.
msg: Letztlich lege ich mir ein Konto an bei meinem Staat, das ist meine Informationszentrale. Und wenn jemand etwas wissen will, kann er da anfragen. Und dann kann ich das freigegeben, oder auch nicht. So kann man es vielleicht simpel erklären. Dazu braucht man natürlich technisch zunächst die Verknüpfung der Daten. Ist das der Zweck der Registermodernisierung, oder was steckt noch dahinter?
Richter: Die Verwaltungsleistungen, also zum Beispiel Führerschein ausstellen oder Bauantrag, werden in verschiedene Reifegrade einsortiert. In Reifegradstufe vier muss ich keine Daten elektronisch übermitteln, sondern es kann auf Daten, die schon vorhanden sind, zugegriffen werden. Die Voraussetzung dafür ist die Registermodernisierung. Sie verknüpft die verschiedenen Datentöpfe so, dass eine Profilbildung technisch ausgeschlossen ist, aber gleichzeitig dem Wunsch von vielen Menschen und Unternehmen Rechnung getragen wird, dass ich mir nicht Daten aus einer Behörde ziehen muss, um sie einer anderen Behörde zur Verfügung zu stellen. Das halte ich übrigens für viel sicherer, als eine Information papiermäßig durch so viele Hände gehen zu lassen. Deswegen ist es entscheidend, dass wir die Registermodernisierung umsetzen. Der Begriff ist sperrig, und ehrlich gesagt verbirgt sich dahinter auch ein sperriges Programm: Wir gehen nochmal durch alle Amtsstuben. Wir müssen Aufgaben und Rollen nochmal anschauen: Welche Daten fallen da an? In welche Register gehen sie? Deshalb ist das Ziel bis zum Jahr 2025, das für die 18 Register zu realisieren, die besonders relevant sind. Zum Beispiel für die Ummeldung.
msg: Ist es auch ein wesentlicher Grund, weshalb man jetzt Register modernisiert: um medienbruchfreie und letztlich einfachere Prozesse zu ermöglichen? Und in diesem Zuge auch nochmal Verfahrensweisen hinterfragt? Dass es ganz wesentlich auch um Optimierung geht?
Richter: Das ist ein großer Veränderungsprozess. Ich würde uns da in der Verwaltung noch keine gute Note ausstellen. Denn ich erkenne, dass wir viele tolle Lösungen haben, aber der Rollout in der Fläche kaum vorankommt. Das hat technische Gründe, manchmal rechtliche, vor allem aber geht es darum: Wie priorisiere ich diese Veränderung? Und wie sehr bin ich bereit, mal ein Tool, meine Excel-Liste, umzustellen auf die Anwendung, die dann bundesweit zur Verfügung steht? Wie schule ich? Wie nehme ich Mitarbeitende mit? Wie schaffe ich die Skills dafür? Wie schaffe ich es, dass Menschen Veränderung durch Digitalisierung nicht als Bedrohung wahrnehmen, sondern als Chance zur Gestaltung? Das sind riesige Veränderungsprozesse. Und in der Tat: Der demografische Wandel führt dazu, dass der Druck noch deutlich steigen wird. Deswegen brauchen wir Instrumente zur Veränderung – die kommt nicht von selbst. Wir brauchen klare Ansagen von oben, also vom Bundeskabinett ausgehend. Wir brauchen viele Instrumente, die ineinandergreifen und diesen Veränderungsprozess unterstützen.
msg: Damit sind wir am Ende unseres Gesprächs. Aber es ist noch Platz für eine Botschaft von Ihnen. Was möchten Sie unseren Lesern noch gerne mitgeben?
Richter: Ich lade alle dazu ein, an diesem Veränderungsprozess mitzuwirken. Wir müssen zusammenarbeiten, auch zwischen dem Public Sector und der Wirtschaft. Wir werden in der Verwaltungsdigitalisierung nicht erfolgreich sein können, wenn wir diese Kooperation nicht weiterentwickeln. Wir werden Formate schaffen, um dazu einzuladen. Nur wenn man vernetzt arbeitet, ist man gut aufgestellt. Wenn man glaubt, man kann Geschäftsmodelle bewahren, indem man Mauern hochzieht, ist das zum Scheitern verurteilt. Das Gebot der Stunde ist die Kooperation, die Zusammenarbeit. Und wenn wir das große Ganze sehen, dann profitieren wir alle.
msg: Vielen Dank, Herr Richter.
Richter: Ja, vielen Dank.
Quellen
1 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_1113 (abgerufen am 02.06.2022).
2 https://www.onlinezugangsgesetz.de/SharedDocs/downloads/Webs/OZG/EN/9-point-plan.pdf (abgerufen am 27.05.2022).
3 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/it-digitalpolitik/digitalprogramm.pdf;jsessionid=E97966D1552BE502FD220C5FDE- 617B6A.1_cid364?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 02.06.2022).
4 https://www.onlinezugangsgesetz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/Webs/OZG/DE/2021/07_offene-punkte-9-punkte-plan.html (abgerufen am 02.06.2022).
5 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/04/digitalprogramm.html (abgerufen am 02.06.2022).