Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 03-2020
von Prof. Dr. Phil. Mandy Schulze, Professorin an dervon PROF. DR. PHIL. MANDY SCHULZE, Professorin an derHochschule Zittau/Görlitz, Fakultät für Sozialwissenschaften
Eine Antwort auf aktuelle Herausforderungen nicht nur für die Verwaltung von Hochschulen
Ein aktuelles Thema in Bildungsbereichen ist die digitale Transformation auf den Ebenen der konzeptionellen Entwicklung, der technischen Umsetzung und der adäquaten Nutzung. Das Beispiel der Digitalisierung interner Hochschulorganisation machtdies für die öffentliche Verwaltung deutlich. Wie in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung sind auch die Hochschulorganisationen im Umbruch. Die Digitalisierung hält Einzug und verändert die Art und Weise, wie miteinander interagiert wird, Termine werden online vergeben und virtuell umgesetzt, papierlose Anträge und Einschreibungen sind Realität, und händisches Ausfüllen von Formularen oder persönliches Vorsprechen können bald der Vergangenheit angehören. Diese Entwicklung geht mit dem Ersatz direkter persönlicher Kommunikation (beispielsweise in Sprechstunden), mittels E-Mails und der Ausweitung von Selbstbedienungsmöglichkeiten einher. Die dafür genutzte digitale Infrastruktur ist meist heterogen, gewachsen und komplex. Welche Dienstleistungen wie miteinander verknüpft werden und wie ein Netz über die Organisation zu legen ist, ist ja vorher nicht absehbar, und so stellt sich der derzeitige Grad der Digitalisierung interner Hochschulorganisation als ein Nebeneinanderverschiedener Systeme dar. Es existieren Softwarelösungen zum Campus- und Bibliotheksmanagement, Lehr- und/oder Lernplattformen und interne Ablagesysteme für Dokumente, Forschungsdatenbanken, Gebäudeleittechnik und häufig ältere Datenbanken als Insellösungen, wie beispielsweise zur Verwaltung von Weiterbildungsteilnehmenden.
Es herrscht eine hohe Diversität in Hinblick auf digitale Infrastruktur, und die erfordert hohe Kommunikationsaufwände für Abstimmung, Koordination, Beratung, Übersetzung und Schnittstellenmanagementbei permanent schnellem Informationsfluss. Mittelfristig wird daher die Einführung integrierter Softwarelösungen und die Nutzung von Online-Portalen angestrebt. Ziele solch integrierter Lösungen sind neben Arbeitserleichterung und Effektivitätssteigerung auch ein moderater Kommunikationsaufwand (insbesondere E-Mail-Verkehr) bei möglichst überschaubarer Komplexität und Pfadabhängigkeiten der Systeme sowie Wahrung des Datenschutzes. Denn die integrierten Lösungen sollen bedienbar bleiben, so dass nicht ein zusätzlich hoher Wartungsaufwand oder eine besondere Fragilität hinsichtlich technischen Versagens die Infrastruktur zum aufwendigen Störfaktor im Dienstleistungsbetrieb werden lässt. Die Veränderungen der Arbeit mit den digitalen Systemen, deren Nutzung und Bereitstellung, Entwicklung und Weiterentwicklung verlangen Kompetenzen, die mithilfe von Weiterbildung erworben werden können. Aus den bisherigen Erfahrungen lassen sich folgende Thesen ableiten:
Was ist wissenschaftliche Weiterbildung?
In Deutschland wird wissenschaftliche Weiterbildung meist mit Rückgriff auf eine Formulierung der Kultusministerkonferenz von 2001 definiert, als:
„… die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschlusseiner ersten Bildungsphase und in der Regel nach Aufnahme einer Erwerbs- oder Familientätigkeit, wobei das wahrgenommene Weiterbildungsangebot dem fachlichen und didaktischen Niveau der Hochschule entspricht. […] Wissenschaftliche Weiterbildung knüpft in der Regel an berufliche Erfahrungen an, setzt aber nicht notwendigerweise einen Hochschulabschlussvoraus.“1
Mit Zunahme der Bedeutung von Wissen als Quelle von Innovationen und Grundlage für Entscheidungen geht eine zunehmende Wissensabhängigkeit moderner Gesellschaften einher und stellt Hochschulen in den Mittelpunkt einer modernen Wissensproduktion.2 Neben diesen bildungspolitischen Gründen für wissenschaftliche Weiterbildung sind auch sozialpolitische Ziele einer Öffnung von Hochschulen für nicht traditionelle Studentinnen und Studenten und hochschulpolitisches Entwicklungsstreben relevant. Angebote wissenschaftlicher Weiterbildung an Hochschulen sind zudem eingewoben in den Ansatz eines institutionenübergreifenden lebenslangen Lernens.3
Seit 1976 ist es hochschulische Kernaufgabe, wissenschaftliche Weiterbildung anzubieten (HRG § 2 Abs.1). Dieser Aufgabe kommen Hochschulen auf unterschiedliche Weise nach: Einige haben sich mit ihren Angeboten ein Profil erarbeitet und stellen für ganze Branchen, Organisationen und Unternehmen die adäquate Weiterbildungseinrichtung dar. Andere Hochschulen haben ihre Studiengänge berufsbegleitend für Berufspraktikerinnen flexibilisiert.
Neben berufsbegleitenden Bachelor- und weiterbildenden Masterstudiengängen, die Weiterbildung mit der Verleihung akademischer Titelvergabeverbinden, gibt es eine Fülle anderer Formate an Hochschulen: vom Einzelseminar „Onlineberatung im psychosozialen und pädagogischen Kontext“ bis hin zum einjährigen Zertifikatskurs „Care und Case Management in humandienstlichen Arbeitsfeldern“. Als „typisch“ für hochschulische Weiterbildungsangebote kann daher nur ihre „periphere“ Lagegelten, da sich Themen und Organisation sowohl an gesellschaftlich relevanten Themen wie auch an Wissenschaftsstrukturen ausrichten. Diese strukturelle Schnittstelle zwischen dem Wissenschaftssystem und seiner gesellschaftlichen Umwelt macht wissenschaftliche Weiterbildung besonders nützlich für Umbruch- und Krisensituationen.
Wer bietet welche wissenschaftliche Weiterbildung für wen wie an? Fachhochschulen profilieren sich zunehmend als Anbieter. Ihrer Nähe zu regionalen und gesellschaftlich relevanten Themen, Fokus auf Wissenstransfer und Studiengangentwicklung durch Lehre wird von Fachhochschulen oder Hochschulen für angewandte Wissenschaften als Entwicklungspotenzialerkannt.4 Das spiegelt sich in den Ergebnissen des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ wider, der in den letzten elf Jahren Aufbau und Entwicklung von wissenschaftlichen Weiterbildungsangeboten förderte und wissenschaftlich begleitete.5 So halten Fachhochschulen die meisten Angebote vor, überwiegend als Tagesseminare oder einjährige Programme. Diese Angebote verzeichnen die höchste Zahl an Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Diese verfügen zumeist über einen Hochschulabschluss und sind zum Zeitpunkt der Weiterbildung meist unbefristet in Vollzeit beschäftigt oder selbstständig. Auch Studentinnen und Studenten und Beschäftigte der Hochschule nehmen wissenschaftliche Weiterbildung als „innerbetriebliche Weiterbildungsangebote“ wahr. Tendenziell nutzen Absolventinnen und Absolventen die Hochschule für Weiterbildungen in den von ihnen studierten Fächern. Die Bildungsmotive sind mittel- und langfristige Karriereperspektiven und ein direkter Austauschmittels persönlicher Begegnung, um wissenschaftliche Weiterbildung auch zur Netzwerkbildung und beruflichen Weiterentwicklung zu nutzen.
Die Motivlage der Teilnehmenden sind mit den Zielen der Weiterbildungsangeboteverknüpft. Wissenschaftliche Weiterbildung zielt auf Professionalisierung beruflichen Handelns durch Reflexion. Unter einem hohen Professionalisierungsdruck stehen in Zeiten digitaler Transformation und Corona-Pandemie besonders Verwaltungen, wie die Hochschulen selbst.
- Standardlösungen sind meist nicht geeignet, um all diesen Ansprüchen zu genügen und stoßen nicht selten auf den Widerstand der Nutzer und Nutzerinnen.
- Spezifische Lösungen sind jedoch teure Investitionen mit einemlangen Entwicklungsprozess, und die Einführung vernetzter Lösungen ist neben dem Regelbetrieb ist sehr aufwendig.
Die Entwicklung der passenden Systeme setzt Lernprozesse auf individueller und Organisationsebene voraus. Es ist daher sinnvoll, dass Nutzer und Nutzerinnen der digitalen Infrastruktur selbst zu gestaltenden Experten und Expertinnen werden und damit ein Ansatzgrößtmöglicher Partizipation greift. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie zur IT-Governance 2018 von Christmann-Budian:
Es wird deutlich, „dass die Akteure unterschiedliche Wege für die technische Umsetzung verfolgen, integrative Lösungen in partizipativer Abstimmung mit allen Akteuren aber unabhängig vom Weg zunehmend im Mittelpunkt stehen“.6
Der Beitrag wissenschaftlicher Weiterbildung als adäquate Transformationsbegleitung
Wie kann nun wissenschaftliche Weiterbildung einen Beitrag zur adäquaten digitalen Transformation leisten? Grundsätzlich geht es um das Verständnis gesellschaftlicher Veränderung aus einer kontingenten, ungewissen, unsicheren Perspektive. Während unter der Kontinuitätsannahme davon ausgegangen wird, dass sich Gesellschaft berechenbar und erwartbar weiterentwickelt und daher Wissen beispielsweise für Weiterbildungen bedarfsgerecht aus Trendbeobachtungen und der Fortschreibung von Veränderungsmustern abzuleiten und entsprechend zu vermitteln ist, steht bei der Kontingenzperspektive der Wandel selbst als ein offen gestaltbarer Aushandlungsprozess im Vordergrund. Aus dieser Perspektive ist die digitale Transformation in Dienstleistungsorganisationen eine Form des Übergangs, in dem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Experten und Expertinnen ihrer Arbeitsfelder ihr implizites Handlungswissen so reflektieren und abstimmen lernen, dass daraus ein stetiger Entwicklungsprozesserwächst.
Ein erster Schritt dazu ist es, die jeweiligen Erwartungen und Anforderungen der Nutzer und Nutzerinnen zu erfragen. Dazu gehören in der Hochschule beispielsweise neben Verwaltungsmitarbeitenden auch Studierende und Lehrende. Wie Verwaltungen mit Daten, technischen und Kommunikationsinstrumenten etc. umgehen, sind Fragen in einem kooperativen Aushandlungsprozesses, der immer auch Teil von Qualitätsentwicklung ist – vor, während und nach der Umstellung integrativer IT-Lösungen. Digitale Transformation ist Teileines kulturellen Wandels. Nutzer und Nutzerinnen mit ihrem Knowhow in diesen Prozessen ernst zu nehmen, ist Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung digitaler Prozesse und ein Bildungsprozess. Der Erfolg eines solchen Prozesses wissenschaftlicher Weiterbildung als Begleitung digitaler Transformationsprozesse in der öffentlichen Verwaltung ist nicht die Orientierung an einem von extern vorgegebenem und ermittelbarem Bedarf. Vielmehr geht erfolgreiche Weiterbildung mit der Entwicklung beispielsweise eines integrativen digitalen IT-Systems selbst einher. Die Mitwirkung von Bildungsadressaten an der Programmplanung und Angebotsentwicklung stellt dabei eine tiefgreifende „Richtungsumkehr“ im bisherigen pädagogischen Planungsverständnis und in den tradierten Verfahrensweisen dar. Sie hat zur Folge, dass sich nun auch Bildungseinrichtungen wie Hochschulen in einer Übergangslage befinden. Dieser Ansatz stützt sich auf ein modernes Verständnis von Wissenschaft und deren Produktion in und für praktische Verwendungszusammenhänge.7
Zwischen den Nutzern und Nutzerinnen (Mitarbeitenden, Lehrenden, Studierenden) und Informatikern und Informatikerinnen, Organisationstheoretikern und -innen und Pädagogen und Pädagoginnen entwickelt sich in der wissenschaftlichen Weiterbildung nicht nur gute Praxis, sondern auch „aufgabenorientierte Wissenschaft“8. Lernen und Wissensproduktion passiert in moderner wissenschaftlicher Weiterbildung wechselseitig auf beiden Seiten. Lernende werden zu Lehrenden und Lehrende zu Lernenden.
1 Kultusministerkonferenz KMK (2001): Sachstands- und Problembericht zur „Wahrnehmung wissenschaftlicher Weiterbildung an Hochschulen“. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 21.09.2001. unter: http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2001/2001_09_21-Problembericht-wiss-Weiterbildung-HS.pdf (abgerufen am 19.07.2020).
2 Gibbons, M.; Limoges, C.; Nowotny, H.; Schwartzmann, S.; Scott, P.; Trow, M. (1994): The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research in Contemporary Societies. Sage Publications: London.
3 Das Konzept des Lebenslangen Lernens (LLL) wurde im Zuge der europäischen Beschäftigungsstrategie definiert als „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“. (Europäische Kommission 2000, S. 34).
4 Schulze, Mandy (2018): Erfolgreiche Studiengangentwicklung in der Hochschulweiterbildung. Die Institutionalisierung des Masterstudiengangs Sozialmanagement an deutschen Fachhochschulen. Baden-Baden: Nomos.
5 https://de.offene-hochschulen.de/start/start (abgerufen am 19.07.2020).
6 Christmann-Budian, St.; Kuhne, J.; Mah, D.-K.; Mozhova, A.; Paulicke, P.; Rebentisch, J.; Schmidt, M. (2018): Connected or Unconnected? – Synergiepotenziale und Herausforderungen von IT-Governance in Hochschulen. iit-Perspektive. Working-paper for the institute for innovation ans Technology. Nr. 45. unter: https://www.iit-berlin.de/de/publikationen/connected-or-unconnected-synergiepotenziale-und-herausforderungen-von-it-governance-in-hochschulen (abgerufen am 19.07.2020).
7 Schäffter, O. (2017): Wissenschaftliche Weiterbildung im Medium der Praxisforschung – eine relationstheoretische Deutung. In Hörr, B.; Jütte, W. (Hrsg.): Weiterbildung an Hochschulen. Der Beitrag der DGWF zur Förderung wissenschaftlicher Weiterbildung. Wbv: Bielefeld. unter: https://www.wbv.de/openaccess/themenbereiche/hochschule- und-wissenschaft/shop/detail/name/_/0/1/6004479w/facet/6004479w/nb/0/category/1561.html (abgerufen am 19.07.2020).
8 Ostermayer, S. P.; Krüger, S.-K. (Hrsg.): Aufgabenorientierte Wissenschaft. Formen transdisziplinärer Versammlung. Verlag: Münster/New York (2015).