von Martin Meyer, Leiter des Projekts YouConnect, Bundesagentur für Arbeit
Zuerst erschienen in der Ausgabe .public 01-2021
Zur IT-Unterstützung des Datenaustauschs im Rahmen der Kooperationen der Rechtskreise SGB II, III und VIII zur Unterstützung von jungen Menschen am Übergang von Schule zu Beruf hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) die IT-Lösung YouConnect erstellt. Das Projekt hat mit der IT-Lösung für einen behördenübergreifenden Datenaustausch in vielerlei Hinsicht Neuland betreten und musste unterschiedlichste Herausforderungen bewältigen.
Kooperation zur Unterstützung junger Menschen
In Deutschland gibt es einen sehr hohen Anteil an jungen Menschen unter 25 Jahren, die keine Berufsausbildung abgeschlossen haben und aktuell arbeitslos sind. Des Weiteren brechen viele junge Menschen jedes Jahr ihre Ausbildung oder ihr Studium ab. Es besteht die Gefahr, dass sie den Übergang von der Ausbildung ins Erwerbsleben nicht schaffen und folglich dort nicht Fuß fassen. Dies zieht sich dann in vielen Fällen durch die gesamte Erwerbsbiografie: Sie sind häufiger arbeitslos und von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht. Im Umkehrschluss: Wenn der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben erfolgreich gemeistert wird, ist das eine gute Grundlage für eine positive Erwerbsbiografie.
Mit dem Ziel, den Anteil der Ungelernten zu verringern, sind in den vergangenen Jahren zunehmend Jugendberufsagenturen gegründet worden. Dabei handelt es sich um Kooperationen der zuständigen Behörden und Einrichtungen für Grundsicherung, Arbeitsförderung und Jugendhilfe, die in unterschiedlichen Rechtskreisen geregelt sind, nämlich im zweiten (= Grundsicherung), dritten (= Arbeitsförderung) und achten (= Jugendhilfe) Sozialgesetzbuch. Denn wenn die Unterstützung eines jungen Menschen mit verschiedenen Maßnahmen (der unterschiedlichen Träger) individuell zugeschnitten und aufeinander abgestimmt erfolgt, ist der Erfolg wesentlich wahrscheinlicher. So reduziert die Kooperation und Betreuung eines Falles „Hand in Hand“ beispielsweise das Risiko, sie oder ihn auf dem Weg von Stelle A zu Stelle B zu verlieren.
Das erfordert allerdings, dass alle beteiligten Stellen von den – häufig mehrfachen – Problemen des jungen Menschen und von den Hilfestellungen wissen. Die entsprechenden Informationen müssen weitergegeben werden beziehungsweise den jeweiligen Bearbeitern vorliegen. Das bedeutet die Notwendigkeit eines Datenaustauschs über die Grenzen einzelner Behörden und Rechtskreise hinweg. Und dieser kann IT-gestützt vollständiger, frei von Verzögerungen und sicherer erfolgen als auf herkömmlichen Wegen. Das ist die Idee hinter YouConnect: ein gemeinsames IT-System, das die prozessuale und inhaltliche Zusammenarbeit erleichtert und zur qualitativen Weiterentwicklung der Jugendberufsagenturen beiträgt. Die Aufgabe, dieses System zu entwickeln und bis um 1. Januar 2021 bereitzustellen, hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) übernommen.1
Die Herausforderungen
Die Entwicklung einer solchen IT-Lösung für den rechtskreisund behördenübergreifenden Datenaustausch stand vor mehreren Herausforderungen:
1. Beteiligung verschiedener Behörden und Einrichtungen
YouConnect soll nicht nur von der Bundesagentur für Arbeit (das heißt von den Arbeitsagenturen und den als gemeinsamen Einrichtungen organisierten Jobcentern) genutzt werden, sondern auch von den kommunalen Partnern, nämlich sowohl den kommunalen Jobcentern als auch den Institutionen des SGB VIII, der Jugendhilfe. Das ist nicht nur rechtlich Neuland, denn die Beteiligten haben jeweils eigene Anforderungen an ein solches System.
Lisa – Ein Fallbeispiel Lisa ist siebzehn Jahre alt, Schülerin vor dem Mittleren Schulabschluss, und schwanger. Weil sie außerdem in ihrem Elternhaus von Gewalt bedroht ist, geht sie zum Jugendamt. Im Gespräch mit ihrer Betreuerin kommen beide überein, dass sie zu Hause ausziehen sollte. Natürlich verfügt sie jetzt und auf absehbare Zeit nicht über die Mittel, um eine eigene Wohnung zu finanzieren. Wichtiger ist auch, dass sie die Schule und später eine Ausbildung abschließt. Das Jugendamt nimmt daher Kontakt mit dem zuständigen Jobcenter auf und hilft gegebenenfalls auch bei der Antragstellung. Mit dem Zugriff auf ein gemeinsames Informationssystem weiß die Bearbeiterin oder der Bearbeiter im Jobcenter von Lisa von ihrer Problemlage, vom Kontakt mit dem und der Empfehlung des Jugendamtes, ohne dass Lisa ihre gesamte Geschichte noch einmal erzählen muss oder die nötigen Unterlagen erst schriftlich angefordert werden müssen.2 |
Abbildung 1: Um junge Menschen bedarfsgerecht auf ihrem Weg zu begleiten, ist häufig die Zusammenarbeit mehrerer Behörden erforderlich.
Die Bundesagentur für Arbeit ebenso wie andere Behörden haben keine Erfahrungen mit vergleichbaren IT-Projekten zu einer derart weitreichenden und verteilten behördenübergreifenden Zusammenarbeit.
2. Unterschiedliche Voraussetzungen bei den Beteiligten
Die Bedürfnisse und Erwartungen der unterschiedlichen Behörden und Rechtskreise müssen abgestimmt und berücksichtigt werden. Die Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen unterscheiden sich teils stark. Es gibt einerseits Jugendberufsagenturen/Kooperationen, die alle an einem Ort, teilweise sogar in einem Gebäude untergebracht sind (One Stop Government), andererseits – vor allem in Flächenländern – sehr verteilte Standorte haben. Auch innerhalb der verschiedenen Institutionen gibt es sehr unterschiedliche Aufteilungen von Zuständigkeiten und Zusammenarbeit. Zentrale und allgemeingültige Vorgaben gibt es kaum. Alle Ausprägungen der Kooperationen sollen durch das IT-System unterstützt werden.
3. Datenschutz und Informationssicherheit
Es bestehen besonders hohe Anforderungen an Datenschutz und rechtliche Vorgaben. Insbesondere für die Jugendämter, in deren Kontext häufig sensible Daten aus dem persönlichen Lebensbereich ausgetauscht werden, gelten Spezialvorschriften aus dem SGB VIII. Insgesamt müssen durch das neue IT-System sämtliche Aspekte für Datenschutz, Datensicherheit und Betroffenenrechte im rechtskreisübergreifenden Datenaustausch entsprechend der neuen DSGVO für alle beteiligten Rechtskreise erfüllt werden.
Ansätze zur Lösung
Um den Interessen der beteiligten Rechtskreise gerecht zu werden, wurde im ersten Schritt ein Beirat ins Leben gerufen. Er setzt sich aus Vertretern des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Deutschen Landkreistages, des Deutschen Städtetages zusammen. Weiterhin für die Länder aus den Vorsitzenden der Arbeitsgruppen zentrale IT (Hamburg) und Eingliederung (Niedersachsen) sowie aus Teilnehmern vonseiten der Bundesagentur für Arbeit. Der Beirat hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Sichtweisen und spezifischen Bedarfe der verschiedenen Rechtskreise berücksichtigt werden konnten. Er hat Partner für die Entwicklung und Pilotierung identifiziert, deren Rückmeldungen in die agile Entwicklung der Lösung eingeflossen sind und die die Erstellung von Schulungs- und Informationsmaterialien unterstützen.
Um die dem IT-Systemhaus der BA, das YouConnect entwickelt, wenig bekannten Arbeitsabläufe in den kommunalen Jobcentern und vor allem der Jugendhilfe zu berücksichtigen, wurden die Anforderungen der aus BA-Sicht externen Partner im Rahmen von gemeinsamen Anwender-Workshops, Vor-Ort-Besuchen und Hospitationen in Jugendberufsagenturen erhoben beziehungsweise mit den zukünftigen Anwenderinnen und Anwendern gemeinsam erarbeitet. Auch während der Umsetzungsphase wurden die Anwenderinnen und Anwender aller Rechtskreise weiter aktiv eingebunden. In Präsenz-Workshops – und von Beginn an zur Vermeidung von Reisekosten und -zeiten auch in Online-Sessions – wurde der aktuelle Stand wiederholt vorgestellt und das Feedback der Anwenderinnen und Anwender eingeholt. Immer wieder wurden aufgrund der Rückmeldungen der Anwenderinnen und Anwender Anpassungen vorgenommen.
Um den diversen technischen Voraussetzungen gerecht zu werden, wird YouConnect technisch in zwei unterschiedlichen Ausprägungen angelegt: Während das System für die Anwenderinnen und Anwender der BA medienbruchfrei in einem vorhandenen Fachverfahren (VERBIS) erreichbar ist, steht YouConnect den BA-externen Anwenderinnen und Anwendern über eine Web-Anwendung mit neutralem Design zur Verfügung. Innerhalb von YouConnect wird eine gemeinsame Fallakte geführt, auf die die beteiligten Institutionen im Rahmen ihres jeweiligen gesetzlichen Auftrags und mit entsprechend eigeschränkter Sicht zugreifen können. Dazu können auf BA-Seite die Daten aus der Fachanwendung über eine Schnittstelle direkt übernommen werden. Die anderen Einrichtungen müssen die Daten, die in der Zusammenarbeit benötigt werden, in YouConnect erfassen, ebenso wie den Status ihrer jeweiligen Aufgabe. YouConnect stellt eine Standardschnittstelle zur Verfügung, über die die Primärsysteme der externen Partner angebunden werden können.
In der Verwendung von YouConnect sind alle Beteiligten gleichberechtigte Partner. Jegliche Institution kann einen Fall anlegen, den Prozess der Zusammenarbeit starten und einen Fall beziehungsweise eine Aufgabe einer anderen zuständigen Institution zuweisen, die automatisch darüber benachrichtigt wird. Ebenso können die BA-externen Partnerinstitutionen über eine webbasierte Partner- und Mitarbeiterverwaltung die für YouConnect zugelassenen Anwenderinnen und Anwender administrieren, also anlegen, Passwort zukommen lassen, aktualisieren oder löschen. Darüber hinaus erlaubt das System beispielsweise die Erfassung und Verwaltung von Personen- und Falldaten, die Verwaltung gesetzlicher Vertreter und anderer Beteiligter, eine Personensuche, die Erfassung biografischer Informationen und von Informationen über die beteiligten Institutionen.
Abbildung 2: Immer wieder wurden aufgrund der Rückmeldungen der Anwenderinnen und Anwender Anpassungen vorgenommen.
In der Fallkommunikation werden die Kommunikationsdaten der Beteiligten sowie der Status der Bearbeitung angezeigt und E-Mails etwa bei Statusänderungen automatisiert versendet. Im Ergebnis ist mit YouConnect ein einfach zu bedienendes, intuitives IT-System entstanden, das die Bedürfnisse aller Partner berücksichtigt und folglich eine hohe Akzeptanz bei den Institutionen und den Anwenderinnen und Anwendern hat. Neue Anforderungen oder Anpassungen werden fortlaufend integriert.
Pilotierung mit Hindernissen – Der Corona-Effekt
Seit 1. September 2020 wird YouConnect – nach coronabedingten Verzögerungen – von deutschlandweit sechzehn Kooperationen im Echtbetrieb erprobt. Die pilotierenden Standorte bestehen aus einem Mix aus Kooperationen in Großstädten, in Kleinstädten und in Flächenländern, mit unterschiedlich hoher Arbeitslosigkeit und damit unterschiedlich kritischen Situationen auch für die jungen Menschen. Der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Partnern erfolgt nun im Echtbetrieb über das IT-System YouConnect. Die Pilotierung dient dem Zweck, die Funktionalität zu erproben, Fehler zu identifizieren und die korrekte Abbildung der fachlichen Prozesse vor Ort zu verifizieren. Regelmäßige Rückmeldungen erfolgen in telefonischen Interviews und in Form von schriftlichen Statusberichten. Die Ergebnisse aus den Feedbacks werden im Rahmen der agilen Entwicklung priorisiert und größtenteils bereits während der viermonatigen Pilotierung im IT-System angepasst. Außerdem werden im Laufe der Pilotierung sukzessive weitere Funktionalitäten entwickelt und für den Echtbetrieb freigeschaltet. Dazu gehört beispielsweise die Umsetzung der Option, eine Fallbesprechung anonym, ohne Nennung von Namen durchzuführen, um die Inhalte aus den Bereichen der persönlichen Lebensführung zu schützen. Durch diese Funktionalität können mögliche Unterstützungsleistungen vorgeklärt werden, ohne dass personenbezogene Daten ins Spiel kommen. Bis zum Start der Pilotierung wurde jedoch einiges umgeplant. Der Shutdown im März 2020 machte die eigentlich für April bis Juni 2020 vorgesehene Erprobung unmöglich, nicht nur weil die Vorbereitungen und die Betreuung der Pilotierung selbst den Pandemiebedingungen angepasst werden mussten, sondern vor allem, weil das Tagesgeschäft der pilotierenden Kooperationen nicht wie gewohnt und im vollen Umfang lief, beziehungsweise läuft und laufen wird.
Abbildung 3: YouConnect ist ein intuitives, leicht bedienbares IT-System.
Abbildung 4: Durch die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen wurden Anpassungen am Vorgehen der Pilotierung und auch am IT-System erforderlich. |
Die zur Befähigung der Beschäftigten geplanten Vor-Ort-Termine werden durch Online-Workshops ersetzt, bei denen die zukünftigen Anwenderinnen und Anwender nach einer Eingangspräsentation Übungsaufgaben lösen, die in einem Schulungssystem mit Weboberfläche zur Verfügung stehen. Und statt der geplanten Betreuung der Pilotstandorte vor Ort werden sie mittels elektronischer Abfragen der Situation, Telefoninterviews und Statusberichten betreut.
Darüber hinaus gibt es coronabedingt Anpassungen am IT-System, die noch im Laufe der Pilotierung umgesetzt werden: Um sensible Informationen aus dem Bereich der persönlichen Lebensführung auszutauschen, bedarf es einer schriftlichen Einwilligung der jungen Menschen beziehungsweise deren gesetzlicher Vertreter oder Vertreterin. Ursprünglich hat das IT-System vorgesehen, die Einwilligungserklärung auszudrucken und dann unterschrieben in Papierform abzulegen. Innerhalb von YouConnect sollte vermerkt werden, dass und wo die Einwilligung vorliegt. Der Publikumsverkehr ist in den Institutionen jedoch eingeschränkt. Um die jungen Menschen, deren Situation sich durch die Auswirkungen der Pandemie im Allgemeinen eher verschlechtert hatte, weiter sinnvoll betreuen zu können, muss nun eine Alternative gefunden werden. In Zusammenarbeit mit der Stabstelle Datenschutz der BA und dem BMAS wurde eine digitale Option entwickelt und integriert: Über einen Weblink und mit einer eindeutigen Identifizierung können die jungen Menschen beziehungsweise ihre gesetzlichen Vertreter oder Vertreterin dem Datenaustausch zustimmen. Für eine schnelle Umsetzung dieser Funktionalität wurden die bereitzustellenden Leistungsmerkmale (Features) im Rahmen des agilen Vorgehens umpriorisiert.
Fazit
Die Erprobung des Systems ist trotz der pandemiebedingten erschwerten Rahmenbedingungen ein Erfolg, nicht zuletzt, weil es gelungen ist, mit YouConnect ein intuitives, leicht bedienbares IT-System umzusetzen. Das System wird von den Pilotierungsteilnehmerinnen und -teilnehmer positiv bewertet. Es erleichtert ihnen die Arbeit in den Kooperationen. YouConnect trägt zu einer Weiterentwicklung der gemeinsamen Prozesse der Jugendberufsagenturen bei und erhöht die Transparenz bei rechtskreisübergreifender Fallarbeit. Die Qualität der Zusammenarbeit erhöht sich. Davon profitieren Institutionen und junge Menschen. Durch das hohe Engagement der Beschäftigten in den pilotierenden Kooperationen und im Projekt war und ist es möglich, trotz der Einschränkungen sowohl die Befähigung in Online-Workshops als auch die Fernbetreuungg während der Pilotierung erfolgreich zu meistern. •
1 Grundlage dafür ist die Regelung in § 368 Absatz 2a SGB III.
2 http://www.arbeitsagentur.de/youconnect (abgerufen am 30.03.2021).