Vor welchen konkreten Aufgaben stehen derzeit Behörden bei der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit?
Peter Sörgel: Alle Behörden und „Träger öffentlicher Gewalt“ sind auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene zur barrierefreien Informationstechnik gesetzlich verpflichtet. Dies beinhaltet die Erstellung wahrnehmbarer, robuster, bedienbarer und verständlicher Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), die sich an den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen orientieren. Diese Bedürfnisse genau zu definieren ist oft gar nicht so einfach und sollte im Idealfall bei den Betroffenen direkt erfragt und erprobt werden. Ist dies nicht möglich, ist eine sensible Vorgehensweise der Schlüssel für eine zielgruppenspezifische, nicht selektive Umsetzung. Dafür gibt es verschiedene Grundlagen und Ansätze, die bei der Implementierung unterstützen können.
Welche Grundlagen sind das und wo können Behörden und Organisationen sich über Anforderungen und neueste Forschungsergebnisse informieren?
Peter Sörgel: Den aktuellen Stand der Grundlagen entnimmt man am besten der EN 301549. Alle Gesetze, Verordnungen und Richtlinien verweisen darauf. Diese Norm beinhaltet alle Prüfkriterien z.B. auch für Hardware und referenziert auf die Web Content Accessibility Guideline (WCAG 2.1) zur Überprüfung von Websites. Wer noch tieferen Einblick in das Thema bekommen möchte, kann in die rechtsverbindliche UN-Behindertenrechtskonvention und die veröffentlichten Aktionspläne schauen. Hier geht es um die Verbesserung der leichten Sprache oder um die Anwendung des Universellen Designs „Design for ALL“ nach EN 17161.
Zu empfehlen ist sicherlich auch ein Blick auf die „Web Content Accessibility Guideline 3.0 (WCAG 3.0)“. Sie bietet einen guten Einblick, wie sich die Optimierung des gesamten Softwareentwicklungsprozesses hinsichtlich der Barrierefreiheit verändern soll.
Gibt es mögliche Fallstricke zu beachten, auf die öffentliche Verwaltungen bei der Umsetzung immer wieder stoßen?
Peter Sörgel: Schon die Implementierung der Barrierefreiheit als solche wird oft als Fallstrick wahrgenommen. Wer kann schon darauf warten, bis ein „Spezialist“ den nötigen Test auf Barrierefreiheit gemacht hat und die korrigierte Anwendung nachgetestet ist. Dabei bietet Barrierefreiheit, wenn sie von Beginn an integriert wird, mehr Chancen als Risiken. Wichtig bei der lückenlosen Umsetzung ist die Spezialisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieses Thema. Denn es braucht Wissen und Sensibilität, um beispielsweise zu erkennen, ob der Screenreader die Anwendung überhaupt korrekt vorlesen kann oder ob Inhalte verständlich sind.
Welche konkreten Veränderungen stehen denn auf der Wunschliste der beeinträchtigten Anwender?
Peter Sörgel: Für Menschen mit Einschränkungen sind insbesondere die Navigierbarkeit und Bedienbarkeit per Tastatur wichtig: beispielsweise mit Sprungmarken. Zusätzlich muss auf Semantik und einen validen Code geachtet werden und somit auf „dynamische“ Inhalte wie Fehlermeldungen oder Eingabevorschläge. Auch die Wahrnehmbarkeit der sprachlichen oder grafischen Inhalte ist sehr wichtig.
Wie kann msg.BALM diese Umsetzungsprozesse unterstützen?
Peter Sörgel: Nicht immer können betroffene Menschen in Softwareentwicklungsprozesse eingebunden werden, auch wenn das natürlich wünschenswert wäre. Im Rahmen der digitalen Barrierefreiheit wurde daher in der EN 301549 ein Katalog an Erfolgskriterien als Mindestanforderung an die digitale Barrierefreiheit definiert. msg.BALM ist ein einfach und sicher zu nutzendes Test-Management Tool und hilft bei der Überprüfung und Dokumentation, in wie weit die Behörde genau diese Mindestanforderungen bereits umgesetzt hat bzw. welche Anforderungen noch fehlen.
Werden spezielle technische Voraussetzungen oder Vorkenntnisse für den Einsatz dieser Softwarelösung benötigt, oder gilt es mit msg.BALM einfach loszulegen?
Peter Sörgel: msg.BALM ist eine Browseranwendung, im besten Fall innerhalb der msg-Cloud. Es entfallen komplexe Installationsroutinen. Notwendig ist lediglich ein Zugang zum Internet. Diese einfache Zugänglichkeit macht msg.BALM auch ideal für Testungen durch geteilte und dezentrale Teams.
Welche ganz konkreten Vorteile hat der Einsatz von msg.Balm für eine Behörde? Kannst du uns hier ein paar Beispiele nennen?
Peter Sörgel: Der große Vorteil von msg.BALM ist, dass es sich einfach und schnell in den Softwareentwicklungsprozess integrieren lässt. Wird die Barrierefreiheit als eine „nicht funktionale Anforderung“ an die Informations- und Kommunikationstechnologie betrachtet und werden Abnahmekriterien für die „agile Softwareentwicklung“ definiert, können Prüfkriterien bestimmt werden, die als „Quality Gate“ bereits im Entwicklungsprozess Berücksichtigung finden.
Anschließend können Abnahmetests durch unabhängige Gutachter und die „Erklärung zur Barrierefreiheit“ in die Projektdokumentation aufgenommen werden.
Würdest du empfehlen, msg.Balm auch während eines bereits laufenden Umsetzungsprozesses zu installieren?
Peter Sörgel: msg.BALM ist ein großer Gewinn an jedem Punkt der Softwareentwicklung. Im laufenden Prozess kann man z.B. einfach feststellen, welche Bereiche der IKT noch nicht getestet wurden. Unser Tool hilft also wesentlich dabei, die Transparenz an jeder Stelle im Projektverlauf zu erhöhen.
Seit dem 23. Juni 2022 ist eine Berichterstattung über die Umsetzung der Barrierefreiheit auch für die Privatwirtschaft verpflichtend. Gibt es hier Unterschiede zu den Anforderungen an Behörden oder öffentliche Verwaltungen?
Peter Sörgel: Die EU-Richtlinie 2019/882 „ Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen“ fordert die Mitgliedsstaaten auf „nationale Regelungen“ für die digitale Barrierefreiheit in der „Privatwirtschaft des öffentlichen Raums“ zu erlassen. Der Bund hat dazu bereits das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verabschiedet.
Generell kann man sagen, dass die „Privatwirtschaft im öffentlichen Raum“ ab 2025 barrierefreie Hardware und Software bereitstellen muss. Ein Beispiel wäre hier der „Barrierefreie Check-In-Automat“ am Flughafen. Dieser muss zukünftig einen Anschluss einer Braillezeile anbieten, damit auch sehbeeinträchtigte Menschen unter Wahrung ihrer Privatsphäre ein Ticket erwerben können.
Für die Überprüfung der Barrierefreiheit gelten aber die gleichen Richtlinien wie für den öffentlichen Sektor. msg. BALM ist also auch hier ein funktionierendes Test-Management-Tool.