1. Welche Ziele verbindet die Bundeswehr mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Andreas Höher: Einfach gesagt, bedeutet die Nutzung von KI für die Bundeswehr konkurrenzfähig zu bleiben. Im konkreten bedeutet es sowohl mit Verbündeten und Partnern als auch mit potenziellen Gegnern, welche die Entwicklung und den Einsatz von KI zur militärischen Nutzung deutlich forcieren, nicht nur Schritt halten zu können, ja zu müssen, sondern darüber hinaus in den Bereichen Führung, Aufklärung, Wirkung und Unterstützung (FAWU) eine Informations-, Führungs- und Wirkungsüberlegenheit erreichen zu können. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Bundeswehr den Einsatz sogenannter letaler autonomer Waffensysteme (LAWS) aus militärischer Sicht nicht anstrebt. Die derzeitige und auch zukünftige Nutzung von automatisierten und autonomen Systemen hat entlang der politischen und rechtlichen Vorgaben zu erfolgen.
2. In welchen Bereichen wird heute bereits Künstliche Intelligenz eingesetzt?
Andreas Höher: Auf die parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, in welchen Bereichen die Bundeswehr derzeit Künstliche Intelligenz einsetzt und in welchen Bereichen ein derartiger Einsatz geplant sei, antwortete das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) offiziell:
- im Bereich der Gesundheitsversorgung, vergleichbar mit zivilen Anwendungen, beispielsweise im Bereich der computerassistierten Chirurgie
- im Kölner Bundessprachenamt seit Januar 2020, wo KI die Übersetzer des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministeriums zu unterstützen
- im Lagezentrum für den Cyber- und Informationsraum (GLZ CIR), als Unterstützung für die Erstellung eines fusionierten Lagebildes (u.a. Entscheidungsvorbereitung).
Zusätzlich hat die Bundeswehr ein eigenes KI-Labor. Dort werden Innovationen im Bereich der elektronischen Kampfführung entwickelt. Natürlich gibt es darüber hinaus noch eine Vielzahl von Bereichen und Anwendungsfällen, in denen KI bei der Bundeswehr zur Anwendung kommen wird(!).
3. Welche Pläne und Szenarien gibt es für KI bei der Bundeswehr und bis wann sollen diese Realität werden?
Andreas Höher: Es ist davon auszugehen, dass auch im Kontext internationaler Entwicklungen im Zeitraum von 2030 bis 2035 mit (teil-) automatisierten / autonomen Systemen auf dem Gefechtsfeld der Zukunft zu rechnen ist. Wie bereits angesprochen, gibt es bei der Bundeswehr vielfältige Anwendungsbereiche für den Einsatz von KI, die derzeit durch Studien, Versuche und Tests untersucht werden. Aktuelle Beispiele dafür sind
- die Bilddatenanalyse im Bereich der Aufklärung
- die Anomalie Erkennung
- die zivil-militärische, ressortübergreifenden Krisenfrüherkennung bei der Analyse von Massendaten und für Prognosen
- die Täuschung von aufklärender, gegnerischer KI
- die Prozessoptimierung im Bereich der Logistik
- die Erkennung von Angriffsmustern im Bereich der Cyberabwehr
- die Steuerung unbemannter Systeme im Schwarm und
- die Entscheidungsunterstützung im Führungsprozess zur Operationsplanung und -führung
KI wird immer dann verstärkt zur Anwendung kommen, wo KI dem Menschen insbesondere hinsichtlich Geschwindigkeit und Präzision deutlich überlegen ist, so z. B. wenn es um die Erfassung, Strukturierung, Analyse und Auswertung großer Datenmengen geht oder aber bei Aufgaben, die besondere Anforderungen an die Feinmotorik stellen. Ob und wann die Umsetzung der Pläne zum Einsatz von KI Realität werden, ist jedoch nicht nur eine Frage, wie technische Herausforderungen gelöst werden, sondern ebenfalls eine Frage des politischen Engagements. Genannt sei in diesem Zusammenhang ebenfalls die in Deutschland gerade im parlamentarischen Raum sehr intensiv geführte Diskussion hinsichtlich des ethischen Aspektes des militärischen Einsatzes von KI.
Aber auch verfügbare Haushaltsmittel wie auch der Beschaffungsprozess (Customer Product Management) spielen bei der Realisierung von KI und der Frage nach dem „wann“ bei der Bundeswehr eine signifikante Rolle.
4. Welche technischen Herausforderungen sind damit verbunden?
Andreas Höher: Essenzielle Grundvoraussetzung für den Einsatz von KI ist ein zügiges Fortschreiten der Digitalisierung in der Bundeswehr. Denn nur dort, wo eine lückenlose Übertragung aller Daten sichergestellt wird, wie z. B. bei Sensordaten in Einsatzgebieten, also die fortlaufende Aktualisierung und Speicherung sämtlicher Daten eigener Kräfte als auch sämtliche Aufklärungsdaten gegnerischer Kräfte, kann KI seine Stärke in der Erfassung und Verarbeitung von Daten ausspielen.
Der Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum versteht sich dabei als Treiber der Digita- lisierung in der Bundeswehr. Im Rahmen des Projektes „CIR 2.0“ wird dieser Bereich mit der Schaffung des Zentrums für Digitalisierung einen organisatorischen Schwerpunkt setzen, um damit die notwendigen Voraussetzungen für die Nutzung von KI bei der Bundeswehr zu bilden.
Technische Herausforderungen, die in der KI selbst begründet sind, liegen vereinfacht gesagt unter anderem in der Komplexität der KI und deren Beherrschbarkeit, der Integrierbarkeit der KI in das bestehende IT-System der Bundeswehr aber auch im Zusammenwirken von KI mit dem Nutzer.
5. Wie lässt sich diesen Herausforderungen wirkungsvoll begegnen?
Andreas Höher: Grundsätzlich gilt im Zusammenhang mit Technologiebeschaffungen, diese durch geeignete Studien, Versuche und Tests abzusichern, da die Effektivität des Technologieeinsatzes oft nicht vorhersagbar ist. Dies gilt ebenfalls für den Einsatz von KI.
Konkret wendet die Bundeswehr die Methode „Concept Development and Experimentation (CD&E)“ an und überprüft mittels Anwendung dieser Methode innovative Ideen auf ihren operationellen Nutzen für die Bundeswehr durch wiederholte Gegenüberstellung von Konzeptentwicklung und experimenteller Erprobung.
Solche Ideen können in allen Bereichen der Bundeswehr generiert werden. Im Übrigen verfügt die Bundeswehr in der Verantwortung der BWI über einen Cyber Innovation Hub, der gerade aus der Startup-Szene innovative Technologien für die Bundeswehr zu erschließen sucht. Aber auch die Forschung und die gewerbliche Wirtschaft haben die Möglichkeit, im Rahmen von CD&E Ideen bei der Bundeswehr einzubringen. Erkenntnisse von Einsätzen und Übungen der Streitkräfte bewirken ebenfalls Ideen die in CD&E Programmen untersucht werden.
Darüber hinaus führt die Bundeswehr sogenannte Forschungs- und Technologie-Vorhaben (F&T) in drei ressorteigenen wehrtechnischen Bundeseinrichtungen mit FuE-Aufgaben aber auch mit Dritten, wie z.B. Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, unabhängige Wissenschaftler, Dienstleister und gewerbliche Wirtschaft, durch.
6. Gibt es einen Austausch mit anderen Branchen oder Industrien? Wie lässt sich wechselseitig von den Ideen und Erfahrungen in der Umsetzung der neuen Technologien profitieren?
Andreas Höher: Ja, natürlich gibt es einen Austausch mit anderen Branchen und Industrien. Seit 2014 treffen sich z.B. die Leitung des Verteidigungsministeriums und Vertreter der Rüstungswirtschaft regelmäßig zum sogenannten „Strategischen Industriedialog“. Dabei findet auf Seiten der Industrie eine Bündelung der Industrievertreter in den jeweiligen Industrieverbänden, wie z.B. dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) oder dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) statt. Und gerade auch die bereits angesprochene experimentelle Vorgehensweise bei CD&E und FuT führt schon zu einem engen Austausch zwischen Bundeswehr, Wissenschaft, Forschung und Industrie.
Von dem Austausch profitieren natürlich die Bundeswehr wie auch die Zivilwirtschaft. Die Bundeswehr konzentriert sich primär auf Ihre Fähigkeiten und deren Weiterentwicklung im Bereich der FAWU und ist wenig daran interessiert, jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Gerade im Bereich der Studien, Versuche und Tests zur Untersuchung neuer Technologien wird daher hinterfragt, welche zivilen Erfahrungen mit der jeweiligen Technologie bereits vorliegen und inwieweit zivile Anwendungsfälle auf die Bundeswehranforderungen übertragbar sind.
Umgekehrt bedeuten die spezifischen Anforderungen der Bundeswehr an die jeweilige Technologie die Möglichkeit einer Fortentwicklung dieser Technologie durch die Industrie. Also eine klassische win-win-Situation, wie z.B. der Einsatz von KI zur Optimierung von Logistikprozessen. So verwenden beispielsweise Logistikdienstleister in vielen Bereichen KI-Verfahren zur Vorhersage von zukünftigem Transportbedarf, zur Optimierung von Logistikrouten oder zur Prognose von Verzögerungen im Luft-, Schienen- oder Seefrachtbereich. Lösungen, die sich 1:1 auf die Bundeswehr übertragen lassen. Bundeswehr spezifische Lösungen entstehen hingehen über CD&E und FuT, und auch hier findet sowohl ein wechselseitiger Austausch wie auch gegenseitige Wertschöpfung statt.
Als Bereichsleiter verantwortet Andreas Höher das Verteidigungsgeschäft der msg. Er war Offizier bei der Bundeswehr.