Was verbirgt sich hinter Geoinformationssystemen (GIS)?
Markus Ehm: Der an sich recht alte Begriff bezeichnet ein System, das Nutzer*innen Daten mit Raumbezug – Geodaten – verfügbar macht. In der Regel stellen sich diese Geodaten als Punkte, Linien und Flächen auf einer digitalen Karte dar. Bis vor circa 20 Jahren waren diese Systeme Experten vorbehalten. Mit Navigationssystemen, Internet-Browsern und Google Maps sind Geoinformationssysteme (GIS) in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Was ist das Besondere an Geodaten und wie funktioniert die Verarbeitung/Verwaltung?
Steffen Bucksath: Das besondere an Geodaten ist die geografische Information, die jedem Datensatz hinterlegt ist. Geodaten sind in sogenannten Layern, also zusammengefassten Themenbereichen, organisiert, die grafisch und datenstrukturell aufbereitet werden können, ansonsten aber in „normalen“ Datenspeichern vorgehalten werden. Durch den Raumbezug lassen sich Layer unterschiedlicher Domänen, die ansonsten keinen direkten Bezug zueinander haben, übereinanderlegen und so miteinander verknüpfen. Diese Datenverknüpfungen können auch komplexer Natur sein, und zum Beispiel Umkreissuchen oder Abstandsinformationen einschließen. Abfragen, wie die nächstgelegenen Kitas zur eigenen Arbeitsstelle, sind damit möglich, obwohl Kitas und Firmen keine direkte Verbindung zueinander aufweisen. Komplexe Abfragen können mit anderen Technologien, wie Navigationsfunktionen, kombiniert werden, und damit beispielsweise Staumeldungen auf der aktuellen Fahrroute möglich machen.
Bebauung, Umweltdaten, kommunale Infrastruktur, Naturschutz, Katasterinformationen und vieles mehr sind Ergebnis eines Verwaltungshandelns mit Hilfe von geografischen Informationssystemen.
Wo werden GIS in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt und worin besteht ihr Mehrwert?
Markus Ehm: GIS werden überall dort eingesetzt, wo der Raumbezug den Verwaltungsfachleuten und letztendlich den Bürger*innen konkreten Nutzen stiftet. Mittlerweile werden GIS in sehr vielen Fachsparten der öffentlichen Verwaltung eingesetzt, und erreichen seit geraumer Zeit auch Fachanwendungen, in denen bislang ohne Raumbezug gearbeitet wurde. Beispielsweise waren wir an der Konzeption eines Systems zur Hausnummernerfassung beteiligt, das mit einem GIS zusammenarbeitet.
Der Mehrwert des GIS stellt sich bei der Planung der Hausnummerierung entlang der Straße ein und vor allem bei der Erhebung von Kontextinformationen, wo Fachanwender*innen weitergehende Daten wie Postleitzahlen oder Wahlbezirke miterfassen. Wo früher Sachbearbeiter*innen diese Informationen recherchieren und in Datenfelder eintragen mussten, erhebt das angeschlossene GIS diese Informationen durch sogenannte „räumliche Verschneidung“ automatisiert. Auf den Plattformen der Geodateninfrastrukturen von Bund, Ländern und Kommunen – der Sammelbegriff ist GDI – kann die Fülle an Themen für die öffentliche Verwaltung und letztendlich für den Bürger begutachtet werden: Bebauung, Umweltdaten, kommunale Infrastruktur, Naturschutz, Katasterinformationen und vieles mehr sind Ergebnis eines Verwaltungshandelns mit Hilfe von geografischen Informationssystemen.
Welche Rolle spielen Geoinformationssysteme für den „Digitalen Zwilling“?
Steffen Bucksath: Projekte im Kontext von „Digitalen Zwillingen“ schaffen digitale Abbilder der echten Welt. Besonders im kommunalen Umfeld spielen Digitale Zwillinge mit Geoinformationen der bebauten Umgebung eine entscheidende Rolle, um einen Mehrwert für Bürger zu generieren. Umweltmesswerte, Flächennutzung oder E-Ladesäulen sind erst durch ihren Raumbezug wirklich nutzbar. Die Nutzbarkeit wird noch verbessert, wenn die Informationen Nutzer*innen dreidimensional wie virtuelle 3D-Planungsdaten, oder in Echtzeit wie aktuelle Baustelleninformationen angezeigt werden.
Umweltmesswerte, Flächennutzung oder E-Ladesäulen sind erst durch ihren Raumbezug wirklich nutzbar.
Welches Potenzial steckt in Geodaten bzw. in Geoinformationssystemen?
Markus Ehm: Schon heute stellen GIS selten Selbstzweck dar, sondern fokussieren stark auf den konkreten Anwendungsfall, wie man es von Portalen wie booking.com, Tripadvisor oder ImmoScout kennt. Hier findet eine Verknüpfung von raumbezogenen Daten mit Geschäftsinformationen statt, aus denen sich konkreter Geschäftsnutzen generieren lässt.
Diese Verknüpfung wird künftig mit Echtzeit-Sensorinformationen kombiniert werden und dadurch das Potenzial der Geo-IT noch stärker ausschöpfen. Dieses Nutzungspotenzial ist dabei nicht nur für die freie Wirtschaft zugänglich, sondern auch für die öffentliche Verwaltung. So können Geodaten für den Digitalen Zwilling in Kombination mit Messdaten auf mobilen Endgeräten und in Echtzeit dargestellt werden. Geoinformationen können mittels neuer Darstellungsformen wie Augmented Reality und Virtual Reality in Datenbrillen zur Darstellung gebracht werden und dadurch zusätzlichen Mehrwert erbringen. msg unterstützt seit 2017 die Landeshauptstadt München bei der Umsetzung des Geoportals München und seit diesem Jahr bei dessen Erweiterung, die eine Einbindung von Sensor- und 3D-Daten zum Ziel hat.
Interviewpartner
Steffen Bucksath
ist Lead Project Manager und seit 2014 für die msg tätig. Er ist ausgebildeter Informatiker und verfügt langjährige Projekterfahrung in der Umsetzung Geoinformationssystemen.
Markus Ehm
ist Principal IT Consultant und seit 2012 bei msg. Er entwirft und implementiert seit 20 Jahren individuelle Informationssysteme für die öffentliche Verwaltung. Schwerpunkt seiner Arbeit sind moderne Softwarearchitekturen, Geo-IT, Enterprise Architekturmanagement und Enterprise Content-Management.