Was bedeutet Digitalisierung für die Bundeswehr?
Andreas Höher: Auch die Bundeswehr ist als Teil einer zunehmend vernetzten Welt auf verlässliche Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) angewiesen. Deren Verfügbarkeit sowie die Vertraulichkeit und Integrität der darin gespeicherten, übertragenen und verarbeiteten Daten haben besondere Bedeutung für die Wirtschaft, das öffentliche bzw. private Leben und insbesondere für die nationale Sicherheit Deutschlands. Der Cyber-Raum ist damit ein wesentlicher staatlicher und strategischer Handlungsraum mit hoher Relevanz auch für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Steffen Wurzler: Gleichzeitig lassen sich konventionelle Muster von Streitkräften nicht mehr anwenden. In der digitalen Welt sind innere und äußere Sicherheit untrennbar miteinander verbunden. Cyber-Sicherheit und Cyber-Verteidigung sind in diesem Rahmen zu einer neuen strategischen Aufgabe für die Bundeswehr geworden. Neben dem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Verteidigung Deutschlands und seiner Bürger muss die Bundeswehr nun ebenfalls in der Lage sein, Cyber-Angriffe, die ebenfalls einen bewaffneten Angriff auf Deutschland darstellen, aktiv abzuwehren. Darüber hinaus muss die Bundewehr zur Gewährleistung der militärischen Handlungs- und Führungsfähigkeit – auch vor dem Hintergrund zunehmender Vernetzung moderner Waffensysteme und Kommunikationsmittel – die Sicherheit und Verfügbarkeit ihrer eigenen IT-Komponenten und der von ihr im Cyber- und Informationsraum genutzten Ressourcen sicherstellen. Die Bundeswehr begreift dabei die Umsetzung der Digitalisierung nicht nur technologisch, sondern auch als eine Änderung von Denk- und Handlungsweisen im Sinne eines digitalen Selbstverständnisses.
Welche Ziele verfolgt sie damit?
Steffen Wurzler: Einerseits verfolgt die Bundeswehr hinsichtlich der Digitalisierung der Verwaltung sowie der IT-Konsolidierung des Bundes die gleichen Ziele wie auch die anderen Ressorts des Bundes: Dies umfasst die Bereitstellung moderner und mobiler Arbeitsplätze ebenso wie die Anpassung von IT-Prozessen sowie eine nutzerorientierte Servicebereitstellung. Auf der anderen Seite ist die Zielsetzung durch Einsatzorientierung und multinationale Zusammenarbeit geprägt. Diese Anforderungen umfassen die Fähigkeit zur „Vernetzen Operationsführung“, d.h. die Vernetzung von Aufklärungs-, Führungs-, Wirkungs- und Unterstützungssystemen, um letztlich eine Informationsüberlegenheit – und damit eine alle Teilstreitkräfte übergreifende Überlegenheit in der gesamten Reichweite militärischer Operationen – zu erreichen. Das Ziel der Informations- und einer daraus resultierenden Wirkungsüberlegenheit kann jedoch nur erreicht werden, wenn zudem Daten in Echtzeit vorliegen und analysiert werden sowie in einem Bundeswehr-gemeinsamen Lagebild Berücksichtigung finden. Basis aller dieser zu erreichenden Ziele ist jedoch das priorisierte Ziel eines leistungsfähigen und durchgängigen Informations- und Kommunikationsverbundes. Die Ziele scheinen selbstverständlich und im Zeitalter der Digitalisierung vielleicht auch trivial, aber die Herausforderungen der Zielerreichung sind immens und bestehen auf unterschiedlichen Ebenen.
Welche Herausforderungen sind zu meistern?
Andreas Höher: Der Kernauftrag der Bundeswehr ist insbesondere in Einsatzszenarien durch ein leistungsfähiges digitales IT-System sicherzustellen. In diesem Kontext müssen die Herausforderungen, die es zu meistern gilt, immer betrachtet werden. Schaut man sich diese genauer an, ist man natürlich bei den Faktoren Prozesse, Zeit, Abhängigkeiten – national und international –, Verantwortlichkeiten, Berücksichtigung von Standards und Konsolidierung der Basis-/Querschnitts-IT und IT-Infrastruktur in der Umsetzung der Digitalisierung. Die Notwendigkeit, neue digitale Führungsmittel in bereits über Jahrzehnte in der Bundeswehr in Nutzung befindliche Plattformen einzurüsten, ist zudem eine technologische Herausforderung. Das klassische Rüstungsmanagement mit teilweise mehrjährigen Entwicklungs- und Beschaffungsprozessen muss nun mit zum Teil unterjährigen Innovations- und Entwicklungszyklen im Rahmen der Digitalisierung synchronisiert werden. Dies wiederum bringt hohe Anforderungen im Rahmen der Sicherheit, Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit und Flexibilität der eingesetzten Technologien mit sich. Diese neuen Technologien müssen auch autark und echtzeitfähig betrieben werden können. Um auf dem Schlachtfeld nicht „abgehängt“ zu werden, muss die Bundeswehr zudem stets am Puls der Zeit bleiben und neue Fähigkeiten möglichst verzugslos integrieren können. Dieses gilt es, für stationäre, verlegefähige wie auch für mobilen Einheiten zu gewährleisten.
Wie löst die Bundeswehr diese Herausforderungen?
Andreas Höher: Zunächst einmal muss deutlich werden, dass die Bundeswehr als ein Element der staatlichen Sicherheitsvorsorge nicht frei in der Wahl der Mittel ist, sondern eine Vielzahl von nationalen und internationalen Vorgaben zu berücksichtigen hat. National sind hier z.B. die IT-Konsolidierung Bund, aber auch insbesondere die Cyber Sicherheitsstrategie für Deutschland zu nennen. Im internationalen Kontext findet u.a. die Cyber Defense Policy (NATO) oder aber auch das Cyber Defense Policy Framework (EU) Berücksichtigung. In diesem Rahmen wurde die IT-Strategie des GB BMVg sowie die strategische Leitlinie Digitalisierung ausgearbeitet. Diese dienen als Grundlage der Umsetzung und werden regelmäßig überprüft und fortgeschrieben.
Steffen Wurzler: Organisatorisch hat die Bundeswehr auf die Herausforderungen durch die Aufstellung der Abteilung Cyber/Informationstechnik (CIT) im BMVg sowie die Einrichtung eines neuen militärischen Organisationsbereiches, den Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR), reagiert. Nachfolgend wurde der CIR durch die Einrichtung eines Gemeinsamen Lagezentrums CIR, den Zentren für Cyberoperationen, für Softwarekompetenz, für Cybersicherheit der Bundeswehr und dem Verbund Aufklärung und Wirkung ergänzt. Damit verfügt der CIR über Fähigkeiten zur Sicherstellung eines Bundeswehr-gemeinsamen Lagebildes und der ressortübergreifenden Zusammenarbeit, über Möglichkeiten zur Stärkung der vorhandenen Fähigkeiten zu Cyberoperationen, zur Entwicklung und Integration von Software – z.B. in einer Versuchs- und Testumgebung –, eines verbesserten Schutzes des eigenen CIR und Beitrags zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge und über Möglichkeiten der Aufklärung und Wirkung im CIR aus einer Hand. Die Digitalisierung findet aufgrund ihrer hohen Entwicklungsdynamik parallel auf drei Ebenen mit elf Anwendungsfeldern statt. Die Ebenen IT-Standardisierung, IT-Evolution und IT-Innovation schaffen dabei IT-Strukturen, bauen IT-Services auf und erschließen Neuerungen und Schlüsseltechnologien.
Welche konkreten Projekte gibt es (z.B.)?
Andreas Höher: Ein konkretes Beispiel für die Digitalisierung der Bundeswehr ist das Programm „Digitalisierung landbasierte Operationen“ (D-LBO). Hauptziel von D-LBO ist es, IT-Dienstleistungen bereitzustellen, die eine vernetzte Operationsführung im mobilen taktischen Bereich ermöglichen. Hierzu muss ein durchgängiger Informations- und Kommunikationsverbund vom einfachen Soldaten bis hin zur der zentralen IT-Infrastruktur der Bundeswehr auf der Ebene verlegefähiger Gefechtsstände realisiert werden. Das Programm umfasst dabei sowohl die Modernisierung der Funk- und Führungsausstattung als auch die Digitalisierung der Soldatenausstattung. In diesem Rahmen sollen in den nächsten Jahren ca. 25.500 Landfahrzeuge in 350 Varianten umgerüstet werden.
Welche Rolle hat die msg dabei?
Steffen Wurzler: Im Rahmen D-LBO führt die msg das Projekt „Standardisierte Rüstsatzintegration der Bundeswehr“ (StaRSBw) durch. Das Projekt dient dazu, standardisierte Vorgaben und Formfaktoren für die Integration von digitalen lnformationsübertragungs- und lnformationsverarbeitungsmitteln zu erarbeiten, die anschließend durch das Programm D-LBO als nationaler Standard festgelegt werden können. Durch die Standardisierung wird der Austausch sowie die querschnittliche Nutzung digitaler Führungsmittel über alle Fahrzeuge hinweg ermöglicht, deren Variantenvielfalt reduziert und die digitale Interoperabilität deutlich erhöht. Zudem ist mit einer deutlichen Kostenreduktion bei der Integration zu rechnen.
Als Bereichsleiter verantwortet Andreas Höher das Verteidigungsgeschäft der msg.
Steffen Wurzler leitet als Projekt Manager Digitalisierungsprojekte im Verteidigungsbereich.
Beide sind ehemalige Offiziere der Bundeswehr.