Welches Ziel verfolgt die 2019 veröffentlichte Architekturrichtlinie des Bundes?
Christian Kiehle: Übergeordnetes Ziel ist die strategische und planvolle Weiterentwicklung der IT des Bundes. Diese unterliegt insbesondere technisch einem stetigen Wandel. Es soll vermieden werden, dass zum Beispiel bei der Neuvergabe von Aufträgen Entscheidungen getroffen werden, die technische Hürden aufbauen, die einer späteren IT-Konsolidierung im Wege stehen. Die Architekturrichtlinie macht dazu Architekturvorgaben, die dabei helfen, architekturrelevante Entscheidungen systematisch, transparent und nachvollziehbar zu treffen.
Welche sind die entscheidenden Neuerungen bzw. Unterschiede zur Vorgängerversion?
Christian Kiehle: Die Architekturrichtlinie des Bundes ist aus dem Standard SAGA 5 hervorgegangen bzw. hat SAGA vollständig abgelöst. Insbesondere der Anhang „Technische Spezifikationen zur Architekturrichtlinie“ konkretisiert die Architekturvorgaben insofern, dass sie zur Architekturrichtlinie konforme technische Lösungsbausteine beschreibt. Damit ist die Richtlinie ein unabdingbares Handwerkzeug eines jeden IT-Architekten, der ein IT-System für die Bundesverwaltung konzipiert und umsetzt.
Auf welchen Grundlagen baut die Richtlinie auf?
Christian Kiehle: Zentrale Aspekte der Richtlinie sind von bereits bekannten Konzepten beeinflusst, z.B. Netze des Bundes, Rahmenarchitektur IT-Steuerung Bund und der IT-Konsolidierung Bund. Dadurch wird sich jeder Architekt oder Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung schnell mit der neuen Richtlinie vertraut machen können. Insbesondere in Projekten mit Individualentwicklungsanteilen helfen die technischen Spezifikationen zur Architekturrichtlinie bei der Auswahl eines geeigneten Technologiestacks weiter. Dennoch ist nach wie vor die Richtlinie nicht an allen Stellen bekannt und wird nicht flächendeckend in dem Maße verpflichtend vorgeschrieben, wie dies aus Standardisierungssicht wünschenswert wäre.
Was bedeutet die neue Architekturrichtlinie für laufende oder neue IT-Projekte in den Bundesbehörden?
Christian Kiehle: Für laufende und neue Projekte bietet die Architekturrichtlinie des Bundes ein Begleit- und Richtliniendokument, das nicht nur für IT-Architekten äußerst relevant ist. Da die Architekturrichtlinie das Metamodell der Rahmenarchitektur IT-Steuerung aufgreift, kann die Richtlinie dazu genutzt werden, ganzheitlich auf IT-Projekte zu blicken und diese strategischen Zielen einer Behörde oder eines Ressorts zuzuordnen. Es werden übergreifende Architekturvorgaben ebenso gemacht wie Vorgaben zur geschäftlichen oder technischen Architektur.
Welche Gestaltungsspielräume gibt es im Rahmen dieser Vorgaben?
Christian Kiehle: Natürlich kann und soll nicht an allen Stellen standardisiert werden. Zahlreiche Anforderungen sind zu spezifisch, um sie standardisiert umsetzen zu können. Für solche Fälle sieht die Richtlinie durchaus vor, Umsetzungsalternativen zu evaluieren, und sie bietet eine Methode zur Entscheidungshilfe an. Somit kann auch im Falle einer Abweichung von den Vorgaben der Richtlinie transparent und nachvollziehbar dokumentiert werden, warum und wo abgewichen wurde. Dadurch können auch Systemanforderungen abgedeckt werden, die sich sehr spezifische Fragestellungen widmen, ohne das Ziel der Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren.
Dr. Christian Kiehle ist Abteilungsleiter im Public Sector und verantwortet zahlreiche Projekte in der öffentlichen Verwaltung, in denen Architektur eine zentrale Rolle zur nachhaltigen Gestaltung der Behörden IT spielt. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf Enterprise Architecture Management in der öffentlichen Verwaltung sowie der IT-Standardisierung.