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Dynamische Stromtarife

Chancen und Risken für das bestehende Geschäftsmodell der Stadtwerke

Ab dem 1. Januar 2025 sind alle Stromlieferanten verpflichtet, dynamische Stromtarife anzubieten. Für Stromversorger mit mehr als 100.000 Letztverbrauchern gilt diese Verpflichtung bereits heute. Auch wenn es für viele Energielieferanten noch einige Monate Zeit bis zur Umsetzungsfrist ist, sollten sie sich dennoch frühzeitig mit der Einführung innovativer Belieferungskonzepte und Preismodelle auseinandersetzen, um im Wettbewerb mit den diversen neu am Markt auftretenden Energiedienstleistern nicht ins Hintertreffen zu geraten. Eine der zentralen Herausforderungen dabei ist die Einführung möglichst automatisierter End-​to-End-Prozesse, um komplexere Anforderungen an die Abrechnung und das Datenmanagement bewältigen zu können.

Um Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt vor dem Hintergrund einer zunehmenden dezentralen Energieerzeugung besser aufeinander abstimmen und steuern zu können, hat der Gesetzgeber den §41 des EnWG novelliert und neue Vorgaben für die Belieferung mit dynamischen Tarifen geschaffen. So sind ab dem 01. Januar 2025 alle Stromlieferanten verpflichtet, ihren Kunden dynamische Stromtarife anzubieten. Bei diesen sind die Endkundenlieferpreise direkt an die Entwicklung des Großhandelspreises gekoppelt. Im Gegensatz zu tageszeitabhängigen oder lastvariablen Tarifen, die bereits seit längerem am Markt etabliert sind, werden die Preise in der Regel im 1-​Stunden-Takt abgerechnet; Preisgrenzen gibt es weder nach oben noch nach unten. Der Verbraucher soll somit in vollem Umfang an den Chancen einer günstigen Preisentwicklung partizipieren können, trägt im Gegenzug aber auch das Risiko steigender Preise. Das Potenzial zur Preisoptimierung steigt dabei für den Kunden mit dem Anteil steuerbarer Lasten, z.B. durch eine Wallbox in Verbindung mit einem Speicher und einem Home Energy Management System. Voraussetzung für dynamische Tarife ist ein intelligentes Messsystem in Form eines Smart Meters.

Auswirkungen auf das bestehende Geschäftsmodell der Stadtwerke

Bisher sind nur größere Energieversorger direkt von der regulatorischen Verpflichtung betroffen. Aufgrund der aktuellen Marktentwicklungen rund um das Thema Prosuming ist es für alle Lieferanten empfehlenswert, sich frühzeitig mit der Thematik und neuen Tarifstrukturen auseinanderzusetzen. Gerade im nicht-​urbanen Raum verändert sich die Kundenstruktur zunehmend in Richtung Prosumer-​Haushalte mit einem wachsenden Anteil an steuerbaren Lasten, z.B. durch Wärmepumpen, Wallboxen oder Speicher. Damit steigen die Anforderungen der Kunden an Transparenz über Verbrauch bzw. Kosten und eine aktivere Beteiligung an der Einspeisung in das Netz, wie es bei dynamischen Tarifen der Fall ist. Die Nachfrage des Endkunden rund um Lösungen des dezentralen Energiemanagements steigt hierdurch. Hierdurch entsteht neues Marktpotential, welches in den kommenden Jahren zwischen traditionellen und Neo-​EVUs aufgeteilt wird.

Das Streben der Kunden nach Energieautarkie und nachhaltiger Energieversorgung, die sich insbesondere in dem Wachstum des Prosumer-​Segments zeigt, setzt den klassischen Commodity-​Vertrieb unter Druck. Dieser entsteht einerseits durch die großen Energieversorger, die teilweise bereits jetzt dynamische Tarife anbieten und andererseits durch die stark wachsenden „Neo-EVU“, die digitale Dienstleistungen wie Echtzeitüberwachung der eigenen Daten, dynamische Tarife und Steuerungsmöglichkeiten als einfach zu implementierende EDL-​Lösungen anbieten. Durch diese Entwicklung laufen Stadtwerken und Regionalversorger Gefahr, den Anschluss an den sich dynamisch entwickelnden und lukrativen Prosumer-​Markt dauerhaft zu verlieren.

Dynamische Tarife als Chance zur langfristigen Kundenbindung

Der Einstieg in die dynamische Tarifwelt bietet den Stadtwerken interessante Chancen, dieser Gefahr aktiv entgegenzuwirken und sich dem stark preisgetriebenen Commodity-​Markt zu entziehen. Sie können dynamische Tarife mit weiteren Energiedienstleistungen, z.B. dem Vertrieb von Energiemanagementsystemen (HEMS), kombinieren, eine langfristige Belieferung mit Restlast gewährleisten, oder individualisierte Indextarife anbieten, die dynamische Anteile mit Komponenten zur langfristigen Absicherung kombinieren. Mit dieser Strategie können die Stadtwerke sowohl die Kundenbindung erhöhen und neue Kundengruppen erschließen als auch ihre Profitabilität verbessern und durch intelligentes Hedging neue Erlöspotenziale erschließen.

Hoher Transformationsbedarf auf Ebene der Prozesse und Systeme

Um die Chancen dynamischer Stromtarife für das eigene Geschäft zu nutzen, müssen Stadtwerke ihre Prozesse und Systeme an den Anforderungen einer Prosumer-​orientierten Tarifwelt ausrichten und die Kundenzentrierung in den Vordergrund ihrer Strategie stellen. Die dafür notwendigen Anpassungen betreffen sowohl die Energiebeschaffung und den Vertrieb als auch die Kommunikation und Interaktion an der Kundenschnittstelle bis hin zur Abrechnung. Je nach Rolle stehen Energieunternehmen dabei vor unterschiedlichen Herausforderungen:

  1. Netz:

Smart Meter sind eine Grundvoraussetzung für den Bezug dynamischer Tarife. Um diese flächendeckend anbieten zu können, müssen die Netzbetreiber den Rollout massiv beschleunigen. Wo dies nicht schnell genug geschieht, laufen Energievertriebe Gefahr, Marktanteile an Neo-EVU mit selbst entwickelten Hardwarelösungen zur Verbrauchserfassung zu verlieren.

  1. Komplexitätsmanagement:

Dynamische Tarife erhöhen die Komplexität. Sie erfordern deshalb digitale und prozessuale Anpassungen, um eine durchgängige Steuerung von der Spotbeschaffung bis zur Abrechnung zu gewährleisten und eine effiziente Handhabung steigender Datenmengen zu ermöglichen. Gleichzeitig muss die Kundeninteraktion im Kundenservice und an der digitalen Schnittstelle intensiviert werden. Zum Beispiel, indem Kunden über eine App oder ein Kundenportal ihren Energieverbrauch sowie aktuelle Marktpreise in Echtzeit abrufen können, oder Hinweise zu Verbrauchsempfehlungen erhalten.

  1. Energievertrieb:

Für einen dauerhaften Markterfolg müssen dynamische Tarife so gestaltet sein, dass sie die Risiken für Verbraucher und Unternehmen begrenzen. Dafür sind angemessene Liefer- und Abrechnungskonzepte erforderlich. Ein möglicher Ansatzpunkt ist die Entwicklung von Price Caps und die Anpassung der Preisgestaltung im Hinblick auf die Berücksichtigung von Risiken von Preisschwankungen in der Zuschlagskalkulation.

  1. Energiebeschaffung und Prognose:

Eine hohe Prognosegüte – in Verbindung mit einem passgenauen Pricing von Risikozuschlägen – ist ein wesentlicher Baustein der DB-​Sicherung in Verbindung mit einem dynamischen Tarif. Die Sicherstellung professioneller Day-​Ahead- und auch Intraday-​Prognosen, bspw. auch durch den Einsatz von KI, ist daher bei der Einführung von derartigen Tarifmodellen essenziell.

In der Energiebeschaffung bestehen auch Möglichkeiten für die Generierung zusätzlicher Ergebnisbeiträge. Ein frühzeitiges Absichern prognostizierter Liefermengen ist gerade im steigenden Markt sinnvoll, erfordert jedoch eine saubere Trennung zwischen Spot- und Termingeschäften im Rahmen eines professionalisierten Portfolio-​ und Risikomanagements.

Fazit: Strategische Klarheit gewinnen und Handlungsoptionen ausloten

Dynamische Stromtarife markieren für Verbraucher und Energieversorger den Übergang in eine neue Energiewelt. Die weitere Entwicklung wird nachhaltige und umfassende Auswirkungen auf Tariflandschaften und die bestehenden Geschäftsmodelle der Stadtwerke haben – unabhängig davon, ob bereits gesetzliche Verpflichtungen bestehen, die neuen Regelungen umzusetzen. Es ist deshalb strategisch geboten, das Prosumer-​Potenzial im eigenen Netzgebiet zu bewerten und die eigene Organisation im Hinblick auf zukünftige Anforderungen systemisch zu analysieren. Darauf basierend lassen sich geeignete Handlungsoptionen für den Einstieg in die dynamische Tarifwelt und Roadmaps für zukunftsorientierte Prosuming-​Geschäftsmodelle ableiten.

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