Wie können Energieversorger ihre Fernwärmeprozesse zukunftsfähig aufstellen?
Im Jahr 2023 wurden mit dem Gebäudeenergiegesetz und dem Wärmeplanungsgesetz wegweisende Regelungen verabschiedet, die den Druck auf die lokale Politik zur Umsetzung der regionalen Wärmewende erheblich erhöhen. Die beiden Gesetze zielen darauf ab, den Klimaschutz voranzutreiben und die Wärmewende auf kommunaler Ebene zu beschleunigen. Die mediale Präsenz des Themas sowie attraktive Förderprogrammen führen dazu, dass sich auch Gebäudeeigentümer intensiv mit den Möglichkeiten einer dekarbonisierten Wärmeversorgung ihrer Immobilien auseinanderzusetzen.
Es gibt eine Vielzahl von Optionen je Gebäude, die zukünftige Wärmeversorgung zu gestalten. Dazu gehören Fernwärme, Quartierslösungen sowie dezentrale Lösungen wie Wärmepumpen oder Hackschnitzelheizungen. Jede dieser Optionen bietet spezifische Vorteile und Herausforderungen, die sorgfältig von den Gebäudeeigentümern abgewogen werden müssen. Nicht selten wird dabei bei den regionalen Energieversorgern nach Lösungsangeboten für eine grüne Wärmeversorgung geschaut. Insbesondere dann, wenn die kommunale Wärmeplanung für eine Region durch die Kommune verabschiedet wird, ist eine regelrechte Anfragewelle nach Fernwärmeangeboten bei den örtlichen Stadtwerken zu verzeichnen.
Um dem gerecht zu werden, sieht sich die lokale Politik in der Verantwortung vor allem Stadtwerke und regionale Energieversorger in die Pflicht zu nehmen, die Fernwärme schnell auszubauen und eine breite Versorgung der Bürger sicherzustellen. Denn Fernwärme wird als die Heiztechnologie der Zukunft für urbane Räume angesehen. Sie ist verhältnismäßig kostengünstig, umweltfreundlich und vor allem gut realisierbar auf engem Raum. Allein bis 2030 sieht die Bundesregierung vor die Fernwärmenetze um 70 % (das entspricht fast 40.000 km) zu erweitern.
Der Ausbau der Fernwärme war allerdings bisher oft von langen Vorbereitungsphasen geprägt und die heutigen Organisationsstrukturen der meisten Energieversorger sind auf die notwendige schnelle Skalierung nicht ausgerichtet. Anders als in der Vergangenheit, wie etwa bei Nachverdichtungen oder der Erschließung weiterer Versorgungsgebiete, waren diese Maßnahmen aufgrund geringer externer Einflussfaktoren gut planbar und Unternehmen konnten sich mit einem zeitlichen Vorlauf auf die neuen Anforderungen entsprechend vorbereiten. Die nun geforderte Beschleunigung im Fernwärmeausbau seitens Politik und Bürger, zwingt die Energieversorger dazu, ihre Ressourcen schnell anzupassen und ihre Prozesse effizienter und skalierbarer zu gestalten. Bereits heute ist die Dauer für einen Fernwärmenetzanschluss zu einem politischen Thema geworden, da die Durchlaufzeiten aufgrund der hohen Nachfrage erheblich angestiegen sind. Dies setzt nicht nur die Energieversorger, sondern auch die Politik unter erheblichen Druck.
Um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, gibt es eine Vielzahl von Optimierungsansätzen, die entlang des gesamten Prozesskette bei der Fernwärme verfolgt werden können. Durch gezielte Maßnahmen können Effizienzsteigerungen erzielt und Prozesse flexibler und skalierbarer aufgesetzt werden. Zwei reale Erfolgsbeispiele zeigen, wie unter anderem durch innovative Ansätze und entschlossene Maßnahmen, das Geschäftsfeld der Fernwärme bei Energieversorgern zukunftsfähiger gestaltet werden kann:
(1) Success Story: Pauschalierung der Angebotslegung im Fernwärmeprozess
Der Prozess des Fernwärmeanschlusses umfasst zahlreiche Schritte mit unterschiedlichen Zuständigkeiten im Unternehmen. Eine Analyse der Arbeits- und Durchlaufzeiten über den gesamten Prozess zeigt, dass unter anderem der Prozessschritt der Angebotserstellung für einen Fernwärmeanschluss erhebliches Optimierungspotenzial bietet. Nach Eingang einer Anfrage von Kunden bezüglich eines Fernwärmeanschlusses, vergehen häufig mehrere Wochen, bis ein Angebot erstellt wird. Bauleiter, die mit der Kalkulation dieser Angebote betraut sind, verbringen bis zu einem Drittel ihrer Arbeitszeit mit dieser Aufgabe. Diese zeitintensive Bearbeitung der Anfrage hindert sie daran, sich auf ihre Kernverantwortlichkeiten zu konzentrieren und andere wichtige Projekte voranzutreiben. Da Bauleiter auf dem Arbeitsmarkt weiterhin knapp sind, schränkt dieser Prozessschritt die Skalierbarkeit des gesamten Fernwärmeausbauprozesses erheblich ein. Zur Optimierung dieses Prozessschrittes wurde deshalb eine Analyse durchgeführt, inwiefern die durch die Bauleiter für die Angebote kalkulierten Kosten für einen Anschluss an die Fernwärme von den tatsächlichen Kosten abweichen. Das Ergebnis hat gezeigt, dass die Abweichungen nach oben und unten relativ gleichverteilt sind bzw. sogar eine Tendenz zur Unterschreitung der kalkulierten Kosten haben (siehe Abbildung). Mit dieser Erkenntnis drängt sich der Optimierungsansatz zur Standardisierung und Vereinfachung dieses Prozessschrittes auf.
Zur Vereinfachung des Angebotskalkulationsprozessschrittes wurden Merkmale definiert, welche Anschlüsse mit einem Standardmuster erkennbar machen. Diese Standardmuster ermöglichen eine schnelle und unkomplizierte Kalkulation. Zusätzliche Optimierung des Prozesses bieten die Verlagerung der Zuständigkeiten und die Übertragung der standardisierten Kalkulationsaufgaben an den Vertrieb Dies ermöglichte Kalkulationen ohne Vor-Ort-Termin, was eine erhebliche Zeitersparnis bedeutete und die Notwendigkeit einer Schnittstelle zwischen verschiedenen Abteilungen eliminierte. Die Ausgestaltung der neuen Preisstruktur wurde analog zu den im Strombereich bekannten Modellen vorgenommen. Dies umfasst die Einführung einer Grundpauschale plus einen variablen Meterpreis. Eine solche, leicht nachvollziehbare Preisgestaltung erleichtert die Kalkulation und verbessert die Effizienz des gesamten Prozesses. Gleichzeitig schafft sie eine höhere Transparenz für den Endkunden, wodurch der Betreuungsaufwand je Kunde reduziert wird.
(2) Success Story: Insourcing von Tiefbaukapazitäten
Diskussionen bei Energieversorgern und Stadtwerken zur optimalen Wertschöpfungstiefe im Bereich des Tiefbaus werden schon lange geführt und verlaufen je nach Marktlage in unterschiedliche Richtungen. Rechtliche Einschränkungen durch die Landeshaushaltsordnungen, inwiefern Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen überhaupt zulässig sind, sowie die Abwägung der Wirtschaftlichkeit und der Risiken dieses Geschäfts sind wesentliche Diskussionspunkte. Auch spielen Faktoren wie die Qualitätssicherung der erbrachten externen Leistungen sowie eine möglicherweise fehlende Weiterentwicklungsdynamik bei internalisierten Leistung gegenüber der allgemeinen Tiefbaubranche eine Rolle. In jüngerer Vergangenheit haben sich Energieversorger vermehrt mit dem Thema Outsourcing von Tiefbaukapazitäten beschäftigt. Dies lag daran, dass interne Auslastungslücken eigener Tiefbaueinheiten die Wirtschaftlichkeit des Geschäfts schmälerten. Rahmenverträge mit externen Dienstleistern stellten in diesem Kontext das wirtschaftlichere Modell dar. Externe Firmen konnten Energieversorgern attraktive Konditionen anbieten, da sie durch einen breiten Pool an Auftraggebern eine höhere Auslastung erzielen und somit wirtschaftlicher arbeiten konnten, als wenn die Tiefbauleistungen durch den Energieversorger selbst erbracht werden.
Durch den enormen Bedarfsanstieg an Tiefbauleistungen bei Stadtwerken in den kommenden Jahren, insbesondere bedingt durch den starken Ausbau der Wärme- und Stromnetze, gewinnen Modelle mit eigenen Tiefbaukapazitäten wieder an Attraktivität. In den nächsten Jahren wird das Thema Auslastungslücken bei Tiefbauunternehmen voraussichtlich nur noch eine untergeordnete Rolle spielen und der Wettbewerb um Tiefbaukapazitäten wird sich weiter zuspitzen. Preisvorteile die von Energieversorgern durch den Einsatz externer Firmen erzielt werden konnten, werden voraussichtlich durch den Effekt der Angebotsknappheit auf den Preis überkompensiert werden.
Die folgenden Schritte aus einem realen Projektbeispiel zeigen auf, wie Stadtwerke und regionale Energieversorger das Thema Insourcing von Tiefbaukapazitäten angehen können:
1. Analyse der Tiefbaukapazitäten in der Region
Um die aktuellen Marktbedingungen und die Verfügbarkeit von Tiefbaukapazitäten zu verstehen, wird eine umfassende Analyse der Dienstleisterlandschaft in der Region durchgeführt. Dabei werden zwei Hauptaspekte berücksichtigt:
- Aufkauf von Tiefbauunternehmen durch große Unternehmen
- Auflösung von Betrieben aufgrund von Renteneintritten
- Auslastung der Tiefbauunternehmen in der Region
- Analyse Nachwuchsentwicklung im Tiefbaubereich
- Analyse Auftragsentwicklung in der Region
2. Analyse der steigenden Tiefbau-Bedarfe über alle Sparten des Stadtwerks
Parallel zur Marktanalyse wird der zukünftige Bedarf an Tiefbauleistungen in verschiedenen Sparten ermittelt:
- Wärmenetzausbau: Prognose des Bedarfs an Tiefbaukapazitäten für den Ausbau und die Instandhaltung des Fernwärmenetzes.
- Stromnetzausbau: Bewertung der notwendigen Tiefbauarbeiten zur Erweiterung und Modernisierung des Stromnetzes.
- Betrieb des Gas- und Wassernetzes: Bestimmung der laufenden und zukünftigen Anforderungen an Tiefbauarbeiten für die Wartung, Instandhaltung und ggf. den Rückbau der Gas- und Wassernetze.
3. Bewertung und Auswahl von Tiefbauern zur Übernahme durch das Stadtwerk
Mit den festgelegten Anforderungskriterien wird ein Bewertungsprozess durchgeführt, um geeignete Tiefbauunternehmen zu identifizieren:
- Erstellung einer Longlist: Zusammenstellung einer Liste potenzieller Tiefbauunternehmen, die die Grundanforderungen erfüllen.
- Erstellung einer Shortlist: Auswahl der am besten geeigneten Unternehmen, die alle Kriterien erfüllen und strategisch zum Stadtwerk passen.
- Due Diligence: Detaillierte Prüfung der Shortlist-Unternehmen hinsichtlich ihrer technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eignung.
4. Verhandlung und Kauf des Tiefbauers
Schließlich wird mit den auf der Shortlist stehenden Unternehmen verhandelt, um eine Integration zu ermöglichen:
- Verhandlungsgespräche: Führen von Gesprächen über die Konditionen eines möglichen Kaufs oder einer langfristigen Partnerschaft.
- Erstellung eines Steuerungsmodells: Sicherstellung eines effizienten Prozesses und der Weiterentwicklung des Tiefbauunternehmens.
- Abschluss der Kaufverträge: Formalisierung der Vereinbarungen und rechtlicher Abschluss des Kaufprozesses.
Durch diese systematische Vorgehensweise kann das Stadtwerk seine Tiefbaukapazitäten strategisch erweitern, um den zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein und den Ausbau der Infrastruktur in einer hohen Geschwindigkeit voranzutreiben.
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