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Digitale Bürokratieentlastung – zu wenig, zu spät?

von PROF. DR. WILFRIED BERNHARDT: Rechtsanwalt, Hochschullehrer und Staatssekretär a.D.
PHILIPP BURGHARDT: Business Consultant Public Sector, msg
REGINA WELSCH: Abteilungsleiterin Digitalpolitik, msg

Das Vierte Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie (Viertes Bürokratieentlastungsgesetz vom 23. Oktober 2024, BGBl I 2024 Nr. 323), das noch von der Ampel-Bundesregierung im Herbst 2024 vorbereitet worden war, will die anwachsende und viel kritisierte Bürokratie eindämmen. Nachdem mit den BEG-I und -II besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von Bürokratieaufwänden befreit werden sollten, nutzte das BEG-III verstärkt Potenziale der Digitalisierung zur Entlastung von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen.

Abbildung 1: Kerninhalte der Bürokratieentlastungsgesetze I–III (eigene Darstellung)

Ebenso wie seine Vorgänger nutzt auch das BEG-IV verschiedene Hebel zum Abbau bürokratischer Vorschriften. Neben der Reduzierung von Aufbewahrungsfristen und dem Abbau von Melde- und Informationspflichten in der Hotellerie werden auch Projekte zur Verwaltungsvereinfachung und -beschleunigung und kleinere, aus Sicht der Regierung überflüssige1, Vorschriften adressiert.

Abbildung 2: Übersicht der Inhalte weiterer Reformen im Rahmen des BEG-IV (eigene Darstellung)

Auch die Verwaltungsdigitalisierung wird als wirksames Instrument im Kontext des Bürokratieabbaus identifiziert. Zentral hierbei sind im BEG-IV:

• Anpassung der Formerfordernisse

• automatisierter Nachweisabruf bei Standesämtern

• digitales Auslesen von Reisepässen

• digitale Betriebskostenabrechnungen

• zentrale Vollmachtsdatenbank für Steuerberater

• digitale Durchführung von öffentlichen Versteigerungen

• elektronische Durchführung von schriftlichen Examensprüfungen für Wirtschaftsprüfer

• elektronische Nachweiserbringung über geschlossene Arbeits- und Änderungsverträge

• eAU für Empfänger von Leistungen der Grundsicherung

Besonders beachtenswert sind zwei der Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung vor dem Hintergrund der beiden Großvorhaben der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und der Registermodernisierung (RegMo): die Anpassung von Formerfordernissen und der automatisierte Nachweisabruf aus den Personenstandsregistern der Standesämter.

Anpassung der Formerfordernisse

Die Anpassung der Formerfordernisse betrifft die Herabsetzung von Schriftform5 auf Textform6 in verschiedenen Gesetzen. Was zunächst wie eine Lappalie klingt, entpuppt sich häufig als essenzielles Hemmnis bei der Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Verwaltungsverfahren. Durch die Schriftformerfordernis kommt es an vielen Stellen der Prozessdigitalisierung in der Verwaltung zu Medienbrüchen, die wiederum zu Aufwänden sowohl bei Bürgerinnen und Bürgern als auch bei der Verarbeitung in der Verwaltung führen. Selbst wenn ein Antrag online gestellt werden kann, muss die Unterzeichnung von Dokumenten in vielen Fällen handschriftlich erfolgen und postalisch übermittelt oder durch kompliziert zu handhabende elektronische Surrogate (wie eine qualifizierte elektronische Signatur) ersetzt werden. Der Medienbruch verhindert vollständig digitale Ende-zu-Ende-Prozesse und ist ein essenzielles Hindernis bei der Realisierung von Programmen wie dem OZG und der RegMo. Was bereits mit dem OZG-Änderungsgesetz im Rahmen verschiedener Antragsverfahren begonnen wurde, wird durch das BEG-IV detaillierter auf einzelne Gesetze ausgeweitet. Dennoch muss geprüft werden, welche weiteren Anpassungsbedarfe bestehen. Ohne weitere Anpassungen von Formerfordernissen kann ein Bürokratieentlastungseffekt nicht eintreten.

Automatisierter Nachweisabruf bei Standesämtern

Neben der Herabsetzung der Formerfordernisse ist die rechtliche Regelung eines automatisierten Nachweisabrufs aus den Personenstandsregistern der Standesämter die wohl wichtigste Gesetzesänderung im Hinblick auf die Stärkung der Digitalisierung im BEG-IV. Besonders relevant ist dies im Kontext der RegMo und des automatisierten Nachweisabrufs über das National-Once-Only-Technical-System (NOOTS)7. Das BEG-IV berechtigt die zuständigen Behörden, bei Anträgen auf Elterngeld automatisiert Daten bei den Standesämtern abzurufen. Diese klare Regelung für den Fall der Elterngeldbeantragung könnte als Präzedenzfall genutzt werden, um auch Abrufe im Rahmen anderer Verwaltungsvorgänge rechtssicher abzuwickeln und das Once-Only-Prinzip entscheidend voranzubringen. Personenstandsregister, zu denen auch das im BEG-IV beschriebene Geburtenregister zählt, sind wichtige Datenbestände der öffentlichen Verwaltung, die Nachweise zu grundlegenden Verwaltungsvorgängen beinhalten. Ungenaue oder sich widersprechende rechtliche Rahmenbedingungen führen häufig zu Unklarheit darüber, ob und zu welchem weck welche Daten abgerufen werden dürfen. Durch klare, eindeutige Regelungen wird der bürokratische Aufwand für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen umfassend reduziert.

Das Onlinezugangsgesetz (OZG)2 verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale digital anzubieten. Ziel ist es, den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen einfacher und effizienter zu machen. Dafür sollten bereits Ende 2022 rund 575 Verwaltungsleistungen zentral digital verfügbar sein und IT-Systeme standardisiert werden. Das OZG fördert so die Digitalisierung der Verwaltung und eine moderne Infrastruktur. Leider wurde das Ziel in der Praxis bisher verfehlt.

Die Registermodernisierung (RegMo)3 zielt darauf ab, Verwaltungsdaten in Deutschland effizienter und sicherer zu vernetzen. Dazu werden Register auf allen föderalen Ebenen modernisiert und so in die Lage versetzt, Nachweise automatisiert auszutauschen.

Das Nationale-Once-Only-Technical-System (NOOTS)4 ist eine Kernkomponente der Registermodernisierung und bildet die technische Infrastruktur für den automatisierten Nachweisaustausch zwischen Behörden. Ziel ist es, bürokratische Prozesse zu beschleunigen und Bürger sowie Unternehmen zu entlasten.

Bürokratie ist die Art der Ausführung politischer Entscheidungen. In einer positiven Ausführung schützt Bürokratie Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher Willkür und ist transparent und verständlich gestaltet. Sie kann aber auch undurchsichtig, behindernd, teuer und schlicht dysfunktional sein.

 

Fazit

Das Bürokratieentlastungsgesetz IV holt wichtige Grundlagen für die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland nach. Die Anpassung von Formerfordernissen ist ein entscheidender Schritt, um die Effizienz von Verwaltungsprozessen und eine wirkliche Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Verwaltungsverfahren zu schaffen. Auch die gesetzliche Anpassung zum automatisierten Nachweisabruf ist besonders im Kontext der Registermodernisierung eine zentrale Regelung und kann als Vorbild für weitere Gesetzes- und Fachrechtsreformen dienen. Es ist zudem verwunderlich, dass diese Maßnahmen erst im Jahr 2024 in die Gesetzgebung eingeflossen sind. Grundlagen für Großvorhaben erst zehn Jahre (im Falle von OZG) oder sechs Jahre (im Falle der RegMo) nach dem Start der jeweiligen Programme zu schaffen, erscheint wie ein Zeugnis einer falschen Prioritätensetzung. Insbesondere die Schriftformerfordernisse hätten bereits vor Jahren angepasst werden müssen, um durchgehend digitale Prozesse überhaupt zu ermöglichen. Mehr noch: Anstatt viele einzelne Gesetze zu reformieren, sollte der Gesetzgeber die Schriftform qua Gesetzesakt generell durch die Textform ersetzen. Nur in begründeten Ausnahmefällen sollte der Gesetzgeber zukünftig Schriftform verlangen können, wobei dann die Schriftform auch durch die elektronische Form (u.a. geregelt in § 126a ZPO, § 3a VwVfG) – also mit qualifizierter elektronischer Signatur, durch Nutzung des elektronischen Identitätsausweises oder durch Übermittlung auf bestimmten „sicheren“ Wegen erfüllt werden könnte. So könnte eine echte Ende-zu-Ende-Digitalisierung für die Verwaltungsabläufe und Verfahren erreicht werden.