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Agil mit Gegenwind – Never change a running system?

Warum wir vor allem durch Gegenwind in der Verwaltungstransformation vorankommen

Zwar stoßen Agile Arbeitsweisen im öffentlichen Sektor oft auf Skepsis, doch gerade hier eröffnen sie Chancen, Veränderungsprozesse voranzutreiben. Denn trotz Widerständen, wie starrer Strukturen und fehlender Innovationskultur können diese mit Fingerspitzengefühl und maßgeschneiderten Ansätzen als Treiber für einen nachhaltigen Kulturwandel fungieren.

Agil mit Gegenwind - Never change a running system?

Agile Arbeitsweisen treffen in der Praxis nicht immer auf Begeisterung – auch wenn es zahlreiche Erfolgsgeschichten gibt. Insbesondere im öffentlichen Sektor, wo kein Wettbewerb herrscht, begegnen wir häufig Skepsis. Dabei bietet Agilität gerade hier die Möglichkeit, gesetzliche Pflichten effizienter zu erfüllen und das öffentliche Interesse besser zu wahren. Doch Vorbehalte und festgefahrene Strukturen erschweren oft den Wandel.

Wir begegnen vier typisch genannten Argumenten oder Phrasen, die Gegenwind erzeugen, und zeigen, wie wir damit umgehen:

1. „Ein agiles Team reicht nicht – dann können wir es gleich lassen.“

Dieses Argument zeigt, wie oft die Wirkung kleiner Veränderungen unterschätzt wird. Dabei kann ein agiles Team der Beginn einer Graswurzelbewegung sein. Agilität entfaltet ihre Stärke nicht nur auf individueller, sondern vor allem auf Teamebene. Das Prinzip „Inspect and Adapt“ – Überprüfen und Anpassen – sorgt dafür, dass Verbesserungen kontinuierlich und in kleinen Schritten umgesetzt werden und ist eines der wichtigsten Credos im agilen Arbeiten.

Selbst ohne anfängliche Unterstützung der Führung können agile Teams erste Erfolge erzielen. Sobald mehrere Teams agil arbeiten, wird es wichtig, diese zu vernetzen und durch klare Leitung zu unterstützen. Gerade in der öffentlichen Verwaltung, die pragmatisch und strukturiert arbeitet, können agile Prozesse schrittweise eingeführt und iterativ-inkrementell verbessert werden. Wir arbeiten mit dem, was da ist, nämlich den vorhandenen Strukturen und zeigen Skeptikern die Vorteile von agiler Zusammenarbeit anhand konkreter Erfolge.

2. „Das hier ist ein Job, keine Basisdemokratie. Wir wollen uns nicht totdiskutieren.“

Auch dieses Argument hören wir häufig, wenn es um die Rolle von Teams in agilen Prozessen geht. Dabei bedeutet Agilität keinesfalls Basisdemokratie. Entscheidungen im agilen Kontext erfolgen dezentral, weil das Team am besten weiß, was zu tun ist. Wichtig ist es Konsens zu erzeugen, um den nächstmöglichen Schritt zu gehen und Fortschritte zu erlangen („Save enough to try?“) – die pragmatische Entscheidung für den nächsten Schritt. Regeltreue ist hier oft das Stichwort. Persönliche, destruktive Debatten rauben Kraft und helfen der Sache nicht

Indem Rollen professionell gelebt und klare Prozesse eingehalten werden, bleiben Diskussionen schlank und ergebnisorientiert. Das vermeidet ineffiziente Debatten und sorgt für schnellere Entscheidungen. Teamentscheidungen sind die Grundlage für zufriedenes und effizientes Arbeiten – ohne hierarchischen Zwang, aber mit klaren Verantwortlichkeiten.

3. „So haben wir es doch schon immer gemacht.“

Dieser Satz steht oft für die Sorge, dass Veränderung zusätzliche Belastungen mit sich bringt. In der öffentlichen Verwaltung wird diese Sorge durch eine strenge Fehlerkultur verstärkt. Ein häufiger Einwand lautet: „Bei Verwaltungshandeln können wir uns keine Fehler leisten.“

Doch genau diese Weigerung, Neues auszuprobieren, birgt Risiken. In einer Welt, die sich immer schneller verändert, ist Anpassungsfähigkeit entscheidend. Fehler sind im agilen Kontext keine Rückschritte, sondern Möglichkeiten zum Lernen und um Erfahrungen zu sammeln. Reflektierte Fehlererfahrungen fördern die Weiterentwicklung und machen Prozesse letztlich robuster. Fehler sind keine Rückschritte, sondern Sprungbretter zum Erfolg.

4. „Agilem Arbeiten fehlt die Rechtssicherheit.“

Im öffentlichen Sektor wird oft befürchtet, dass Agilität die Zurechenbarkeit von Entscheidungen untergräbt. Dieses Narrativ bremst Transformationsprojekte aus, ist jedoch unbegründet. In agilen Arbeitskontexten gelten klare Regeln und Verantwortlichkeiten, auch wenn sie anders strukturiert sind. Tatsächlich spielt sich die agile Transformation zurzeit nicht hauptsächlich bei der Prüfung von Steuererklärungen ab, sondern bei der fachlichen Arbeit in Ministerien. Gerade bei Entwicklungsprozessen – wie der Softwareentwicklung oder Registermodernisierung – ist Agilität nicht nur möglich, sondern notwendig.

Die Sorge um Zurechenbarkeit lässt sich oft durch Transparenz und klare Verankerung der Projekte entkräften. Politischer Wille und formale Mandate können den Weg ebnen, während agile Werte wie Vertrauen und Mut helfen, Ängste abzubauen. So wird deutlich, dass Agilität mit Rechtssicherheit vereinbar ist.

Agilität ist kein Selbstzweck. Je komplexer das Problem, desto sinnvoller ist Agilität und umso höher die Akzeptanz, weil Komplexität neue Wege zur Lösung braucht! Letztendlich bleibt es aber auch die Aufgabe guter Agile Coaches über das Mandat von Führung an den Schmerzpunkten der einzelnen Teams zu arbeiten.

Drei Hürden der agilen Transformation in der Verwaltung

Neben den genannten Einwänden stehen Agilitätsprojekte in der öffentlichen Verwaltung vor strukturellen Herausforderungen.

Diese Stolpersteine sind vor allem:

1. Fehlender Innovationsdruck:

Verwaltungseinheiten haben oft keine direkte Konkurrenz und müssen sich nicht am Markt behaupten. Hinzu kommt, dass der Anspruch an die Zurechenbarkeit von Entscheidungen und Projekten eine liberale Fehlerkultur verhindert. Statt Fehler als Lernmöglichkeit zu sehen, dominieren in der Verwaltung oft strikte Regularien und Verantwortlichkeiten. Das Ergebnis: Die Verwaltung hört nicht einfach auf zu funktionieren, auch wenn die Effizienz sinkt, sie wird nur langsamer und teurer.

2. Starre Budget- und Planungsstrukturen:

Die langfristige Planung und strikte Mittelüberwachung lassen wenig Raum für spontane Anpassungen – ein Kernprinzip agilen Arbeitens. Agilität lebt von der Flexibilität und der Möglichkeit, kurzfristig auf Veränderungen zu reagieren.

3. Fremdsteuerung durch politische Vorgaben:

Politische Weisungen und gerichtsfeste Prozesse dominieren. Selbststeuerung, ein zentraler agiler Ansatz, steht oft im Widerspruch zu diesen Vorgaben. Fremdsteuerung ist in der Verwaltung nicht nur die Regel, sondern auch politisch gewollt.

Wie wir den Wandel gestalten

Tatsächlich sollten diese Argumente einen Agilitätsberater nicht aus der Ruhe bringen: Hat man erstmal ein formales Mandat, wird man diese Argumente weiter hören, das Unterfangen zu Fall bringen können sie aber nicht.

Dennoch, trotz dieser Hürden nutzen wir den Gegenwind als Antrieb. Zuhören ist dabei essenziell: Oft stecken hinter Widerständen unentdeckte Schmerzpunkte, wie ineffiziente Prozesse oder belastende Strukturen. Indem agile Prinzipien wie Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe etabliert werden, verbessern sich nicht nur Prozesse, sondern auch das kollegiale Klima. Ein solcher Kulturwandel macht Behörden zu moderneren, attraktiveren Arbeitgebern.

Der Erfolg der agilen Transformation hängt von der richtigen Kombination aus Methoden, Motivation und Strategie ab. Mit Fingerspitzengefühl und maßgeschneiderten Ansätzen helfen wir Organisationen, Veränderungsräume zu öffnen und eigene Lösungen zu finden. Fortschritt erreichen wir nicht trotz, sondern mit dem Gegenwind – indem wir ihn nutzen, um die Segel richtig zu setzen.

Autorin

Janina Hückstädt

Business Consultant

Janina Hückstädt ist Business Consultant im öffentlichen Sektor. Sie unterstützt Teams und Organisationen bei der Einführung agiler Arbeitsweisen. Mit ihrem Fokus auf Transformation und agile Coaching gestaltet sie Prozesse, die den Nutzen der Bürger in den Mittelpunkt stellen.

Autor

Theodor Pusch

Business Consultant

Theodor Pusch ist Business Consultant in der Brancheneinheit Public Sector bei msg. Der Soziologe und Betriebswirt berät Behörden und Ministerien zu Veränderungsprozessen und Organisationskultur. Seine Schwerpunkte sind Kulturwandel, Beteiligungsformate und Organisationsentwicklung.