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Der Digitale Zwilling

Im Interview mit Christian Kathan

Digitale Zwillinge bilden reale Systeme – wie Städte oder Industrieanlagen – virtuell ab, um Daten in Echtzeit auszuwerten und Simulationen durchzuführen. Im öffentlichen Sektor wird er eingesetzt, um städtische Prozesse zu optimieren, etwa bei der Verkehrsplanung oder Umweltüberwachung, und so die Lebensqualität zu steigern.

 

Was ist ein Digitaler Zwilling? Welche Rollen spielen digitale Zwillinge im Public Sector?

Es gibt nicht die eine  Definition eines Digitalen Zwillings, auch wenn er schon in Normen behandelt wird (z.B. DIN SPEC 91357 "Referenzarchitekturmodell Offene Urbane Plattform" oder die kürzlich erschienene DIN SPEC 91607 "Digitaler Zwilling für Städte und Kommunen"), daher möchte ich anführen, wie ich diesen definieren würde.

Ein Digitaler Zwilling bildet die reale Welt ab, in der die Daten des Systems, seien es Maschinen, Gebäude, Städte oder Regionen, gesammelt und für Maschinen und Menschen auswertbar präsentiert werden.  Unter auswertbar verstehe ich, dass die Daten zur Präsentation in Echtzeit zur Überwachung oder zeitnah für aktuelle Auswertungen, über historische Auswertungen bis zu Zukunftsvorhersagen erfolgen können. Ein weiteres Ziel kann auch die Simulation von Verhaltensweisen bei Änderung der Bedingungen des Systems sein.

Ganz allgemein unterscheidet sich der Digitale Zwilling einer Stadt oberflächlich nicht von einer Industrieanlage, jedoch in den Details. Eine Industrieanlage oder gar eine einzelne Maschine innerhalb dieser Anlage verfolgt in der Regel einen klar definierten Zweck.  Sie arbeitet mit einem spezifizierten und möglichst konstanten Input, um daraus einen möglichst immer gleichen Output zu liefern. Dies kann man kontrolliert regeln.

Eine Stadt ist dagegen viel komplexer und hat viele Faktoren, die sie direkt gar nicht beeinflussen kann, sondern allenfalls nur versuchen kann, zu motivieren, die gewünschten Bahnen einzuschlagen. Zudem treten auch immer wieder nicht vereinbare Gegensätze auf, wie zum Beispiel, ob mehr Raum für Autos oder für Fußgänger oder Radfahrer bereitgestellt werden soll. Der Raum ist nur begrenzt, also kann man nicht alle Bedarfe gleichzeitig erfüllen. Zudem können sich Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen wehren und ihre Interessen oft mit starken Emotionen verbinden. Einer Maschine ist es egal, in welche Richtung sie optimiert wird.

Städte sind zu dem meist alt, was die Erweiterbarkeit stark einschränkt, aber auch die Modernisierung erschwert, wenn alte Strukturen getauscht oder umgebaut werden müssen. Es reicht eben nicht eine Ampel mit Sensoren und ggf. Aktoren zu ertüchtigen, sondern es muss eine kritische Masse erreicht werden, dass man einen Mehrwert gewinnt.

 

Wie läuft die Entwicklung eines Digitalen (Städte)Zwillings ab? Welche Herausforderungen und Chancen gibt es dabei zu beachten?

Eine Stadt ist einfach zu groß, um gleich alle Maßnahmen auf einmal umzusetzen. Daher wird zuerst eine Anforderungsanalyse benötigt, bei der ermittelt wird, welche Use Cases die Stadtverwaltung aktuell besonders umtreibt, ob diese durch technische Mittel verringert werden können und ob sich dadurch mittel- oder langfristig Kosten einsparen lassen - ein sehr wichtiger Punkt bei klammen Stadtkassen.

Eine wesentliche Herausforderung bei der Fachanalyse in Städten ist die Aufteilung der Verantwortlichkeiten von Aufgaben auf unterschiedliche Fachbereiche oder sogar verschiedene Referate. Diese Trennung kann dazu führen, dass jeder innerhalb eines großen Prozesses anderes Wissen hat, aber niemand ein Gesamtbild. Auf der einen Seite muss hier die Mentalität der Beteiligten verändert werden, auf der anderen Seite bedarf es aber auch der technischen Mittel, wie eine zentrale Urban Data Plattform (UDP), die den Zugriff aller Prozessbeteiligten auf alle Daten ermöglicht, so dass ein Gesamtbild entstehen kann.

Die technischen Mittel sind begrenzt, nicht nur bei der technischen Machbarkeit, sondern besonders beim möglichen Einsatz. Als Beispiel ist der Datenschutz zu nennen, in Deutschland geregelt durch die DSVGO. Diese erfordert Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Personen nicht identifiziert oder verfolgt werden können bzw. ihre Daten besonders geschützt werden. Dabei klafft oft auseinander, was die Gesellschaft bereit ist preiszugeben und welche Daten helfen würden ein noch besseres Gesamtbild zu erstellen.

Hier kommen auch die verschiedenen Datenschutzverordnungen (DSVGO, Verordnung über künstliche Intelligenz) mit ins Spiel. Je nach Perspektive werden diese als Einschränkung oder zumindest als Mehrbelastung wahrgenommen - oder positiv bewertet, da sie den Schutz vor Überwachung gewährleisten.

Hat man diese Themen betrachtet, diskutiert und gelöst steht die technische Entwicklung an. Zum einen gilt es zuerst auf die vorhandene Infrastruktur einer Stadt zurückzugreifen, zum anderen neue Komponenten zu realisieren oder zu beschaffen und anschließend zu integrieren. Das gilt sowohl für den Aufbau von Sensoren, Funknetzen, wie LoRaWAN, oder Mobile Mapping Systeme, aber auch für Anwendungen, die schon zahlreich in jeder Stadt existieren, wie Kartendienste, Datensammlungen in verschiedenen Fachverfahren oder der Ankauf von Daten, wie Mobilitätsdaten.

Die zentralen Basiskomponenten für einen Digitalen Zwilling umfassen die Urban Data Plattform als zentralen Datenspeicher, Darstellungssysteme wie Kartenclients in 2D und 3D, sowie Dashboards für datenbasierte Analysen durch Menschen und Analyse- und Simulationskomponenten gestützt durch Regelwerke oder auch KI-Anwendungen.

 

Welche Ziele sollen mit der Implementierung erreicht werden?

Das übergeordnete Ziel ist möglichst viele relevante Daten zu erheben und zusammenzuführen, um eine Stadt, ihre Bewohnerinnen und Bewohner, Unternehmen und deren Bedürfnisse besser zu verstehen.  Auf dieser Basis können bestehende Verwaltungsprozesse optimiert oder neu entwickelt werden. Jedoch können diese Daten auch Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen bereitgestellt werden, die damit ihren Alltag oder Behördengänge optimieren oder im Falle von Unternehmen daraus eine Wertschöpfung entwickeln können. Eine Stadt kann dadurch an Lebensqualität gewinnen und so attraktiver für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen werden - etwa durch weniger Staus, saubere Umwelt oder günstigere Lebenshaltungskosten.

Dem Einsatz sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Genutzt kann dies in vielen Bereichen werden, sei es in der Verkehrsplanung, dem Parkraumanagement, bei der Instandhaltung von Infrastruktur, in der Abfallentsorgung, bei der Energienutzung und -verteilung, bei der Stadtentwicklung und überall da, wo der städtische Raum bewirtschaftet, geordnet und gepflegt werden muss.

 

Wie ist der aktuelle Stand Digitaler Zwillinge bei den Städten und Kommunen?

Der Stand ist sehr unterschiedlich, was meist an den finanziellen und personellen Ressourcen liegt. Es gibt Städte und Kommunen, die sind über Bereitstellung von Karten noch nicht hinaus, aber es gibt auch Städte, die die Basiskomponenten aufgebaut haben und mit Sensoren erste Daten erfassen und darauf ihre Use Cases aufbauen. Was sich nahezu überall zeigt ist, dass Förderprogramme große Unterstützung und damit die Haupttreiber der Entwicklung sind. Doch diese bergen auch das Risiko, dass Programme eingestellt oder verkleinert werden, sobald die Fördermittel auslaufen.

Dennoch entstehen auch hier positive Aspekte, etwa das Städte besser miteinander kommunizieren und so bewusst unterschiedliche Use Cases angehen, um anschließend voneinander zu profitieren. Die Förderprogramme unterstützen dies sogar, da sie nur Opensource-Komponenten fördern.

Trotzdem sind in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, noch einige Schritte zu gehen hinsichtlich technologischer Umsetzung und Akzeptanz.

 

Wie sind wir aufgestellt? Was bieten wir an, was wird gebraucht?

Wir bei der msg sind hier breit und innovativ aufgestellt. Unser Leistungsportfolio beinhaltet aktuelle Marktkenntnisse, Kompetenz und Erfahrung bei Fachberatung und -analyse und natürlich auch in der Realisierung der Anforderungen.

Wir haben vielfältige Erfahrung, sei es bei Sensorik für Gemeinden und deren Darstellung in Karten und Dashboards oder im Bereich KI-Analyse, wie zur Ermittlung von Straßenschäden.

Die Kunden tun sich oft selbst schwer einen Marktüberblick zu bewahren und allen Entwicklungen zu folgen. Auch weil oft ihre vorhandenen Ressourcen eingeschränkt sind. Hier können wir unterstützen, mit unseren Expertinnen und Experten, die bereits verschiedene Projekte im Bereich Digitaler Zwilling begleiten konnten. Wir können bei der msg nämlich nicht nur aus dem Wissen im Public Sector schöpfen, sondern auch aus anderen Branchen, wie aus der Industrie, die hier schon weiter sind.

Autorenprofil: Christian Kathan

 

 

 

Der gebürtige Allgäuer besitzt langjährige Erfahrung bei Kunden in der öffentlichen Verwaltung in der Anforderungsanalyse und Softwarearchitektur. Dabei unterstützt er sie bei der Realisierung und Weiterentwicklung von Softwaresystemen und deren Architektur und ist seit mehr als 5 Jahren spezialisiert auf Geoinformationssysteme, Smart City und Digitale Zwillinge.