Die Bundesregierung möchte den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) weiter ausbauen, welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Im Rahmen des Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst werden vom Bund insgesamt vier Milliarden Euro für mehr Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen bereitgestellt. Davon sind 800 Millionen Euro allein zur Stärkung der Digitalisierung vorgesehen. Diese sollen insbesondere der digitalen Infrastruktur und der Vernetzung der Gesundheitsämter, aber auch Kommunikationsplattformen sowie der Entwicklung und Implementierung von Standards zugutekommen.
Ein Beispiel ist hier die elektronische Patientenakte (ePA), in der medizinische Befunde aus Untersuchungen und Behandlungen über Praxis- und Krankenhausgrenzen hinweg gespeichert werden können. Im Bereich Öffentlicher Gesundheitsdienst betrifft die Digitalisierung beispielsweise den Impfpass. Es braucht heute kein gelbes Heftchen mehr mit einem Stempel drin. Das geht auch digital. Wie wichtig die Erfassung und der Austausch dieser digitalen Daten ist, haben wir in Zeiten der Corona-Pandemie hautnah erlebt. Insgesamt betreffen die Digitalisierungsvorhaben rund 400 Gesundheitsämter bundesweit.
Welche Anwendungen bringt die Digitalisierung des ÖGDs denn für die Patientinnen und Patienten?
Nennenswert ist hier sicherlich das Versichertenstammdatenmanagement. Wenn ich als Patient in eine Arztpraxis gehe und meine Versichertenkarte einlesen lasse, kann die Arztpraxis direkt auf wichtige, auf der Karte hinterlegte, Daten zugreifen. Das kann mein Geburtsdatum sein, aber auch wichtige Vorerkrankungen. Im Anschluss kann mein behandelnder Arzt mit Hilfe von KiM (Kommunikation im Medizinwesen) den Arztbrief direkt an einen weiterbehandelnden Kollegen bzw. bei Bedarf auch an das Gesundheitsamt schicken. Als Patient brauche ich mich diesbezüglich also um nichts mehr kümmern.
Welche Rolle spielt hier die Nationale Agentur für digitale Medizin (gematik)?
Die gematik ist verantwortlich für die Telematikinfrastruktur (TI). Das ist die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen. Sie definiert verbindliche Standards und deren Umsetzung, so dass die Dienste für alle Seiten sicher und einfach handhabbar sind. Das betrifft die bereits erwähnte ePA, aber zum Beispiel auch das eRezept oder den TI-Messenger, der ab 2023 zur Verfügung stehen soll.
Du hast jetzt schon einige wichtige Digitalisierungsvorhaben genannt, welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Ambitioniert wird sicherlich die Einführung der Telematikinfrastruktur sein, sowie die Einführung neuer Fachverfahren in diesem Kontext. Wichtig ist aber auch die Prozessanalyse und die Optimierung vieler althergebrachter Prozesse, die man sich nochmal anschauen muss. Viele langwierige Prozessschritte können durch die Digitalisierung entfallen und das ist auch gut so.
Die zentrale Herausforderung besteht aber in der Digitalisierung der Gesundheitsämter. Hier mangelt es oft noch an IT-Knowhow. Verständlicherweise, denn schließlich sind die Gesundheitsämter auf ihre Arbeit im Gesundheitswesen ausgerichtet. Hier gibt es einen großen Bedarf - von der Prozessberatung bis hin zur Projektleitung bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Das geht aber nur gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort, denn sie werden zukünftig mit diesen neuen Anwendungen arbeiten.
Paradebeispiel Westfalen-Lippe: Dort wurde das Pilot-Projekt „eRezept“ nach Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten von der Kassenärztlichen Vereinigung ausgesetzt. Wieso gestalten sich derartige Vorhaben häufig so schwer?
Es gibt sehr viele Beteiligte, die in die Prozesse involviert sind: die gematik, die Kassenärztliche Vereinigung, die Datenschützer oder auch andere Player im Gesundheitswesen. Das macht das Ganze so komplex und das merken wir auch häufig bei der Einführung neuer Systeme. Um allen Anforderungen der recht komplizierten gematik Telematikinfrastruktur gerecht zu werden, müssen bei der Software sehr viele Schritte gegangen werden. Es wird richtigerweise ein hoher Wert auf den Datenschutz gelegt, wodurch die Einstiegshürden aber hoch sind. Dazu kommt, dass die Bedienung durch die Anwender aufwendig ist; angefangen bei der Infrastruktur über die Konnektoren, die für den Zugang installiert werden müssen, bis hin zu der speziellen Software.
Kannst du an konkreten Beispielen erläutern, wie die msg hier unterstützen kann?
Wir begleiten die Kunden von der Ist-Analyse über Soll-Konzepte bis hin zur Projektplanung und -durchführung. Für das Gesundheitsamt Neuburg-Schrobenhausen haben wir uns beispielsweise die Prozesse bei der Corona-Fallbearbeitung angeschaut. Wir haben dort erfolgreich die zwei Prozesse mit dem höchsten Automatisierungspotenzial identifiziert, analysiert, optimiert, dokumentiert und automatisiert. Darüber hinaus wurde ein dritter Prozess implementiert, um mögliche Aufwände im Troubleshooting zu minimieren. Und das ganz ohne aufwendige Installationen, Programmierung, neue Schnittstellen oder Eingriffe in die bestehende Systemarchitektur. Grundlage hierfür bildet die Robotic Process Automation (RPA), die bereits in vielen Branchen ein fester Faktor bei der Digitalisierung, Prozessoptimierung und -automatisierung ist. Für das Robert Koch-Institut (RKI) waren wir maßgeblich an der Realisierung der Corona-Warn-App beteiligt. Hier spielten neben der Funktionalität der App auch Datenschutz, Sicherheit und Barrierefreiheit eine zentrale Rolle – neben dem enormen Zeitdruck, die App so schnell wie möglich zum Laufen zu bekommen. Ein weiteres Beispiel ist das Projektmanagement für die Einführung von Sormas und für die Automatisierung von Prozessen im Gesundheitsamt Nürnberg. Hier wurden auch Melderegisterabfragen, SMS-Verteilung von Hinweisen, Bescheidversand per Serienbrief und die Fallakten-Datenerfassung mit integriert.
Inwieweit spielt KI im ÖGD schon eine Rolle?
Bei der Anwendung von Künstliche Intelligenz stehen wir noch ganz am Anfang. Wir fangen gerade erst an, Gesundheitsdaten zu sammeln. Diese zukünftig mit KI auszuwerten, bietet eine riesige Chance, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Auf diesem Gebiet sind Israel oder die Skandinavischen Länder schon sehr viel weiter. In Dänemark ist es seit mehr als zehn Jahren selbstverständlich, dass es eine ePA gibt. Das liegt auch daran, dass das Gesundheitssystem dort anders funktioniert als in Deutschland. In Dänemark bekommt jeder Bürger automatisch eine elektronische Patientenakte und wer das nicht möchte, muss das aktiv ablehnen. In Deutschland ist es genau umgekehrt, man muss sich aktiv um eine elektronische Patientenaktie oder z.B. einen Organspendeausweis bemühen. Deshalb brauchen wir für die Transformation in Deutschland auch häufig mehr Zeit.
Inteviewpartner
Uwe Koblitz ist als Principal Project Manager bei msg zuständig für Projekte im öffentlichen Sektor. Zudem ist er Mitglied im Kompetenzzentrum für Requirements, Engineering und Business Analyse der msg. Derzeit ist er als Projektleiter für Automatisierung und Sormas im Gesundheitsamt Nürnberg tätig. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Projekterfahrung in Projekten auf internationaler, EU- und nationaler Ebene.