„Agiles Projektmanagement“ ist in aller Munde. Warum ist das Ihrer Einschätzung nach so?
Bernd Hahn: Hier sehe ich zwei Faktoren. Zum einen kommt der Marketingeffekt zum Tragen. Es gibt kaum einen Schulungsanbieter oder Dienstleister rund um das Projektmanagement, der diesen Begriff nicht verwendet. Zum anderen die Unternehmen selbst, die in der Umsetzung ihrer Projekte vor Problemen stehen und im „agilen Projektmanagement“ die Lösung suchen. Hierbei wird dann nach einem Strohhalm gegriffen und es kommt zu Aussagen wie: „wir machen das jetzt agil, da brauchen wir nicht mehr zu planen“, „wir brauchen kein Anforderungsdokument mehr, wir sind jetzt agil“ oder ähnliches.
„Heutzutage wird Agilität häufig mit dem Framework Scrum gleichgesetzt, also einem Prozess und wie ich in einem meiner Vorträge sage: „Agilität ist nicht gleich Scrum“ und „Scrum nicht gleich agil.“
Was bedeutet Agilität, und was ist folglich „agiles Projektmanagement“?
Bernd Hahn: Die Frage „Was bedeutet Agilität“ möchte ich an dieser Stelle mit einem Zitat von Prof. Dr. Holger Timinger der Hochschule Landshut beantworten. „Agilität ist zunächst einmal eine Frage der Einstellung und Geisteshaltung und weniger eine Frage der Prozesse“. Heutzutage wird Agilität allerdings häufig mit dem Framework Scrum gleichgesetzt, also einem Prozess, und wie ich in einem meiner Vorträge sage: „Agilität ist nicht gleich Scrum“ und „Scrum nicht gleich agil“.
Um die Frage „was ist agiles Projektmanagement“ zu beantworten, muss man sich erst einmal die Frage stellen, was ist Projektmanagement eigentlich. Das Project Management Institute (PMI) oder die International Project Management Association (IPMA) haben hierzu eindeutige Definitionen. Vereinfacht gesagt, umfasst Projektmanagement alle Tätigkeiten, die ich tun muss, um ein Projekt zum Erfolg zu führen.
„Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und ich stehen auf dem Standpunkt „agiles Projektmanagement“, ebenso wie „klassischen oder hybrides Projektmanagement“ gibt es nicht, es gibt einfach nur Projektmanagement.“
Eine weitere Frage ist, was verstehen die vielen Leser und Projektmitarbeiter unter „agiles Projektmanagement“? Werden diese Personen befragt, kommen viele unterschiedliche Antworten, denn eine eindeutige Definition gibt es nicht. Am häufigsten wird dann „agiles Projektmanagement“ mit Scrum gleichgesetzt. Allerdings ist das aus meiner Sicht und vieler meiner Kolleginnen und Kollegen viel zu kurz gegriffen. Schaut man sich alle Tätigkeiten an, die das Projektmanagement umfassen, dann fällt auf, dass bei Scrum viele dieser Tätigkeiten gar nicht vorkommen. Hinzu kommt, dass Scrum sich selbst als „leichtgewichtiges Framework“ beschreibt, also gar nicht von Projektmanagement spricht.
Das Thema „agiles Projektmanagement“ wird auch bei uns in der msg, über alle Bereiche hinweg heiß diskutiert. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und ich stehen auf dem Standpunkt „agiles Projektmanagement“, ebenso wie „klassischen oder hybrides Projektmanagement“ gibt es nicht, es gibt einfach nur Projektmanagement. Wird von „agilem, klassischem oder hybriden Projektmanagement“ gesprochen, dann handelt es sich meist um das Vorgehen im Projekt, welches zum Start eines Projektes festgelegt wird. In den meisten Fällen wird das Vorgehen dann hybrid sein, eine Mischung aus klassischen und agilen Methoden und Prozessen.
Welche Vorteile – jenseits vom Hype – bietet ein agiles Vorgehen im Unterschied zum klassischen? Und welche Grenzen hat es?
Bernd Hahn: Beide Vorgehen haben ihre Vor- und Nachteile. Das kommt ganz darauf an, in welchem Umfeld ich mein Projekt durchführe. Der Vorteil des agilen Vorgehens wird von vielen Kolleginnen und Kollegen in komplexen Projekten gesehen. Um die Komplexität eines Projektes einzuschätzen, wird die Stacey Matrix herangezogen. Das Problem jedoch ist, das abhängig von der Besetzung der Rollen im Projekt und je nachdem wer gefragt wird, die Komplexität des Projektes oder eines Teils des Projektes jeweils anders gesehen wird. Aus diesem Grund sehe ich die reine Anwendung der Stacey Matrix, zur Auswahl des Vorgehens eher als kritisch an
Erwähnen möchte ich noch, dass auch die Studie „Status Quo Agile“, welche regelmäßig von Prof. Komus von der Hochschule Koblenz durchgeführt wird, zeigt, dass sich beide Vorgehen, in Bezug auf den Erfolg, immer weiter annähern. Das liegt meiner Einschätzung nach daran, dass das Umfeld, in dem das Projekt durchgeführt wird, häufig nicht betrachtet wird, sondern einfach dem „Hype“ gefolgt wird.
Was empfehlen Sie also Ihren Kunden? Welche Kriterien für die Wahl einer geeigneten, erfolgversprechenden Vorgehensweise geben Sie ihnen an die Hand?
Bernd Hahn: Als erstes empfehle ich, Klarheit zu schaffen. Habe ich es mit einem Projekt zu tun oder befinde ich mich in einer Produktentwicklung? Handelt es sich um ein Projekt, dann gilt es als erstes zu klären, welche Ziele verfolge ich mit meinem Projekt. Sobald es zu der Auswahl des Vorgehensmodell kommt, sind eine ganze Reihe von Parametern zu betrachten. Als Beispiele sind hier: der Projektgegenstand, welcher einfach oder komplex, das Gefährdungspotential, welches hoch oder niedrig oder die Größe der Teams, welche groß oder klein sein kann, genannt. Je nachdem ist eher ein plan basiertes/klassisches oder ein agiles Vorgehen sinnvoll. Weiter Parameter sind z.B. die Stabilität der Anforderungen, die Dokumentationsanforderungen, die Qualifikation der Teams oder die Unternehmenskultur.
„Der Vorteil des agilen Vorgehens wird von vielen Kolleginnen und Kollegen in komplexen Projekten gesehen“.
All diese und weitere Parameter sind zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Ergebnis wird dann genutzt, um ein auf das Projekt abgestimmtes oder auch ein unternehmensweites Vorgehen für Projekte zu definieren. In den meisten Fällen wird hierbei ein hybrides Vorgehen zum Einsatz kommen.
Wie unterstützen Sie ganz konkret Ihre Kunden so, dass deren Projekte zum Erfolg führen?
Bernd Hahn: Zur konkreten Unterstützung gilt es im Vorfeld eine Situationsanalyse durchzuführen. Hierbei werden Fragen geklärt wie z. B.: Weshalb gibt es Änderungsbedarf und was läuft gut, was läuft schlecht? Welche Rollen, Schnittstelle, Dokumentations- und Berichtspflichten gibt es? Oder Welche Qualifikation haben die Mitarbeiter?
Als nächster Schritt erfolgt eine Zielformulierung. Hier werden die Fragen: Wodurch zeichnen sich erfolgreiche Projekte für uns aus? Welche Ziele ergeben sich daraus für das Projektmanagement? Welche finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen gibt es? beantwortet.
Im Rahmen der Lösungssuche, in welcher die oben genannten Parameter bewertet und eingeordnet werden, wird geprüft, inwiefern sie sich traditionellen oder agilen Vorgehensmodellen zuordnen lassen oder ein eigen entworfenes Vorgehensmodell eingesetzt werden soll. Hierzu werden bestehende Vorgehensmodelle gemischt oder einzelne Methoden, Prozesse und Rollen aus unterschiedlichen Vorgehensmodellen zusammengesetzt. Wie bei einem Baukasten.
Zum Schluss erfolgt dann die Auswahl bzw. Umsetzung/Einführung des entsprechenden Projektvorgehensmodells.
Interviewpartner
Bernd Hahn
ist als Lead Projektmanager bei der msg systems ag tätig und leitet das CoC Projektmanagement im Public Sector. Als IPMA- und PMI-zertifizierter Projektmanager verfügt er über mehr als 10 jährige Erfahrung im Managen von Projekten in der öffentlichen Verwaltung.
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