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Öffentliche Verwaltung im Spiegel der Zeiten und Kulturen

Damals: Das kējǔ-System

von Philip Kosse

Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Digitalisierung und Technologie, kann einem schnell schwindelig werden. Binnen weniger Jahre kamen unzählige neue technologische Errungenschaften hinzu, die unser Leben veränderten, sowohl positiv als auch negativ. Von der Infrastruktur zum Gesundheitssektor, von Unterhaltungselektronik zu Kommunikation – vieles hat sich verändert. So auch die Verwaltung!

Bei dem Tempo kann man schnell vergessen, wie viele, aus heutiger Sicht durchaus kuriose oder kaum nachvollziehbare Veränderungen die öffentliche Verwaltung schon mitgemacht hat. Daher wollen wir uns auf eine unterhaltsame Reise in die Verwaltungsgeschichte begeben. Wir tauchen ein in vergangene bürokratische Systeme, bewundern „revolutionäre“ Veränderungen oder lernen kuriose Um stände kennen, die sowohl zum Schmunzeln als auch zum Staunen anregen sollen. In dieser Ausgabe blicken wir nach China.

Das kējǔ-System (kējǔ zhì 科举制) – das chinesische Assessment Center

Haben Sie schon einmal vom kējǔ-System gehört? Ähnlich wie heute in Deutschland ein mehrstufiger und formalisierter Prozess für eine Verbeamtung notwendig ist, der verschiedene Laufbahnausbildungen und Prüfungen beinhaltet, gab es in China über 1.300 Jahre lang ein Aufnahmesystem, das sich noch heute auf den Bildungssektor und die Verbeamtung auswirkt.

Offiziell wurde das kējǔ-System in der Sui-Dynastie (581–618 n. Chr.) eingeführt, um qualifizierte Beamte auf der Grundlage von Leistung und Wissen anstelle von Postenvererbung oder Einfluss auszuwählen. Das System wurde während der Tang-Dy- nastie (618–907 n. Chr.) weiter ausgebaut und erreichte seinen Höhepunkt in der Song-Dynastie (960–1279 n. Chr.). Über dieses meritokratische Examenssystem konnte seit dem 11. Jahr- hundert im Prinzip auch jeder Bauer zum höchsten Minister des Reiches aufsteigen.

Abbildung 1: Palastprüfung in Kaifeng, Song Dynastie, China1

Abbildung 1: Palastprüfung in Kaifeng, Song Dynastie, China1

Das chinesische Assessment Center beinhaltete einen strikten Ablauf aus mehreren Prüfungsstufen:

  • Xiangshi (乡试): lokale Prüfungen, die auf Bezirksebene abgehalten wurden.
  • Huishi (会试): provinzielle Prüfungen, die erfolgreiche Kandidaten der Xiangshi versammelten.
  • Dianshi (殿试): kaiserliche Prüfungen, die im Kaiserpalast in der Hauptstadt stattfanden und vom Kaiser persönlich beaufsichtigt wurden.

Das Provinzexamen zum Beispiel fand nur alle drei Jahre statt und zwar im achten Monat des Mondkalenders in den Jahren der Ratte, des Hasen, des Pferdes und des Hahns. Daneben wurden zu besonderen Anlässen wie kaiserlichen Thronbesteigungen oder Jubiläen außerordentliche Provinzexamina abgehalten. Die Prüfungen konzentrierten sich hauptsächlich auf das Studium der konfuzianischen Klassiker, von Literatur, Poesie, Regierungspolitik und Philosophie. Die Kandidaten mussten Essays schreiben, Gedichte verfassen und ihr Wissen über die konfuzianische Lehre unter Beweis stellen. Die Prüfungen dauerten teilweise mehrere Tage, während derer in isolierten Kabinen gearbeitet werden musste, um Betrug zu verhindern. Aufsichtsbeamte bekamen sogar eine Prämie, wenn sie verbotene Hilfsmittel entdeckten oder jemanden beim Betrug erwischten.

Man sollte allerdings auch nicht zu schnell fertig werden, denn in regelmäßigen Abständen gab es eine Art Zeitstempel. Schrieb ein Kandidat einen überproportionalen Anteil der Antwort nach diesem Zeitpunkt auf, wurde er des Abschreibens und Betrugs verdächtigt.

Eine Altersbeschränkung bei der Teilnahme bestand nicht. Man konnte bereits nach dem schulischen Abschluss antreten, mit 15 Jahren, oder aber auch im fortgeschrittenen Alter, was aufgrund der hohen Durchfallquote keine Seltenheit war.

Im Zuge der Modernisierungsmaßnahmen der Qing-Dynastie (1644–1912 n. Chr.) wurde das System 1905 abgeschafft, seine Bedeutung lässt sich aber noch heute in Verwaltung, Kultur und Gesellschaft erkennen. Das Prinzip der Meritokratie wurde bei- behalten: Beamte werden weiterhin aufgrund ihres Wissens, ihrer Fähigkeiten und ihrer Leistung ausgesucht. Eine andere Folge des Systems über die Jahrhunderte: Zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen wurden etabliert, um Prüflinge explizit darauf vorzubereiten. Noch heute beeinflusst das kējǔ -System die Auswahlverfahren und bleibt ein grundlegendes Element im Bildungssystem.

Da die klassisch ausgebildeten Beamten möglicherweise nicht gut genug auf die zu erfüllenden Aufgaben vorbereitet sind und statt philosophischem oder geschichtlichem Wissen neue Fähigkeiten erforderlich sind, wurde mehrfach versucht, das System zu reformieren. Die Versuche, den modernen Anforderungen gerecht zu werden, scheiterten allerdings.

Eventuell gibt es ja im nächsten Jahr des Pferdes, 2026, auch in Deutschland Prüfungen, in denen explizit geprüft wird, wie fit die Kandidaten für die Digitalisierung der Verwaltung sind?

 

Quellen

Chen, T. et al.: Long Live Keju! The Persistent Effects of China’s Civil Examination System, The Economic Journal 130 (631): 2030–64, 2020.

Huang, Y.: The Rise and Fall of the EAST: How Exam, Autocracy, Stability and Technology Brought China Success, and Why They Might Lead to its Decline, Yale, University Press 2023.

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